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Chemieriesen bilden eine Allianz gegen Plastikmüll

Das Risiko ist groß – das hat die Branche inzwischen verstanden. „Das Vertrauen in den Nutzen von Kunststoffen ist in Gefahr“, sagte jüngst Anke Schmidt, Kommunikationschefin des Chemieriesen BASF, auf einem Branchentreffen.

Das Unternehmen aus Ludwigshafen ist einer der großen Kunststoffhersteller in Europa. Doch mit den stark wachsenden Mengen an Plastikmüll in den Ozeanen könnte das Geschäft bald zum Reputationsproblem werden – und so nicht nur Image und Umwelt, sondern auch Wachstumsperspektiven zerstören.

Dem wollen führende Kunststoffhersteller und -verarbeiter nun mit einer groß angelegten Initiative entgegentreten – und so dem Plastikmüll-Problem den Kampf ansagen. Gut zwei Dutzend internationale Großkonzerne haben sich zur „Alliance to End Plastic Waste“ (AEPW) zusammengeschlossen.

Neben den Chemieriesen BASF, Dow Chemical und Lyondellbasell gehören auch große Konsumgüterhersteller wie Procter & Gamble und Henkel der Initiative an. Auch die Chemiesparten von ExxonMobil und Shell, die den Vorstoß mit initiiert haben, asiatische Chemiekonzerne wie Sumitomo und die saudische Sabic sind Teil der neuen Plastikmüll-Allianz.

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Über eine Non-Profit-Gesellschaft wollen die Unternehmen in einem ersten Schritt rund 1,5 Milliarden Dollar bereitstellen. Mit dem Geld soll insbesondere in Asien der Kampf gegen die unkontrollierte Verbreitung von Kunststoffmüll unterstützt werden. Gefördert werden Projekte im Bereich Müllmanagement und Kreislaufwirtschaft, neue Recycling-Technologien und Materialien sowie Initiativen zur Reinigung von stark belasteten Flüssen und Ozeanbereichen.

Ziel ist es, möglichst alle Ebenen der Kunststoffverwendung einzubeziehen, von den Herstellern über die Verarbeiter bis hin zu Handel und Entsorgungswirtschaft. Die Konzerne streben darüber hinaus die Kooperation mit Regierungen und anderen Organisationen an, so etwa dem Weltwirtschaftsrat für Nachhaltige Entwicklung (WBCSD).

Dow-Chef Jim Fitterling schätzt, dass die neue Allianz eine der weltgrößten Kooperationen zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Trägern werden könnte.

Langfristig, so die Hoffnung, könnten auf globaler Ebene möglichst umfassende Kreislaufsysteme etabliert werden, um Kunststoffabfälle entweder energetisch zu nutzen oder wiederzuverwerten. Als Vorbild gilt etwa die Aluminium-Industrie, die vor Jahrzehnten wegen der großen Mengen an Getränkedosen ebenfalls am Pranger stand und das Problem in den Griff bekam.

Das Müllproblem kann nicht länger wegdiskutiert werden

Die stark wachsenden Mengen Kunststoffmüll haben in den letzten Jahren eine kritische Debatte über die Rolle von Produzenten und Verarbeitern angestoßen. „Man kann das Thema nicht mehr wegdiskutieren“, sagt ein Industrie-Experte. Zu den Warnsignalen gehört etwa auch die jüngst vom EU-Parlament gebilligte Neuregelung, wonach künftig der Verkauf von zahlreichen Einwegartikeln aus Kunststoffen in der EU verboten werden soll.

Jedes Jahr geraten geschätzt acht Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane. Nach Prognosen der Ellen Macarthur Foundation und des World Economic Forum könnten im Jahr 2050 mehr Plastikteile als Fische in den Weltmeeren schwimmen. Auf dem Pazifischen Ozean treibt eine riesige Fläche von Kunststoffmüll, die in einigen Jahren die Größe Frankreichs erreichen dürfte.

Experten des Marktforschungsunternehmens IHS Markit sprechen in einer Studie zu dem Thema von einer „Gezeitenwende“, die letztlich die künftige Entwicklung der Nachfrage und womöglich Milliarden an Investitionen infrage stellen könnte.

„Die Nachhaltigkeit von Kunststoffen ist für die nächsten Jahrzehnte der mit Abstand kritischste Faktor für die globale Basischemie- und Kunststoff-Industrie“, sagt Nick Vafiadis, Leiter für das Themengebiet Kunststoff bei IHS.

Wirtschaftlich sind Kunststoffe eine riesige Erfolgsgeschichte für die Chemieindustrie. Seit 1950, als der Siegeszug der synthetischen Materialien begann, ist die globale Produktion von 1,5 Millionen Tonnen auf zuletzt rund 350 Millionen Tonnen gewachsen. Rund 36 Prozent davon werden für Verpackungen genutzt, 16 Prozent im Baubereich, gut 14 Prozent für Textilien, sieben bis acht Prozent in der Autoindustrie.

Der Rest geht in zahlreiche andere Anwendungen. Das Geschäft wird dabei zum einen von der generellen Konjunkturentwicklung getrieben, zum anderen davon, dass Kunststoffe aufgrund besserer Eigenschaften oder günstigerer Kosten andere Materialien verdrängen.

Mit den wachsenden Produktionsmengen ist indes ein riesiges Abfallproblem herangewachsen. Denn in vielen Regionen, insbesondere in Asien und Afrika, gelangen Kunststoffverpackungen und anderer Plastikmüll weitgehend unkontrolliert in die Umwelt.

Nur ein kleiner Teil des Plastikmülls wird wiederverwertet

Für Aufsehen etwa sorgte die Studie einer Gruppe von Wissenschaftlern der University of California aus dem Jahr 2017. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass seit Ende des Zweiten Weltkriegs weltweit rund 8,3 Milliarden Tonnen an Kunststoffen produziert wurden, wovon 2015 nur noch rund 2,5 Milliarden Tonnen in Gebrauch waren.

Das heißt: Fast sechs Milliarden Tonnen Plastik sind bis dahin als Müll angefallen, wovon nur ein kleiner Teil verbrannt oder recycelt wurde. Und das Problem wächst mit jedem Jahr: Nach Daten von McKinsey kommen jährlich aktuell rund 260 Millionen Tonnen Plastikmüll hinzu. Davon wird ein Viertel verbrannt, 16 Prozent werden recycelt und knapp 60 Prozent landen auf Deponien.

Vor allem die Schwellenländer sind verantwortlich für die Verschmutzung der Ozeane: 90 Prozent des Plastikmülls werden aus zehn asiatischen und afrikanischen Flüssen ins Meer gespült, ermittelten Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig und der Hochschule Weihenstephan.

Zu den Hauptverschmutzern zählt der durch China ins Ostchinesische Meer fließende Jangtse und der Indus, der durch Indien und Pakistan bis zum Arabischen Meer verläuft. Dazu kommen Mekong, Nil und Niger als Haupt-Abfallträger.

Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Jenna Jambeck von der Georgia University kam in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass alleine in den Küstenregionen Chinas im Jahr 2010 knapp neun Millionen Tonnen Plastikmüll unkontrolliert entsorgt wurden. Ein erheblicher Teil davon dürfte ins Meer gelangt sein.

Die deutsche Rolle in der Mülldebatte

Die deutsche und europäische Chemiebranche ist dabei an der Produktion der Plastikberge lediglich in kleinerem Maße beteiligt und spielt insbesondere im Verpackungsbereich nur noch eine untergeordnete Rolle. Rund die Hälfte aller Kunststoffe wird in Asien produziert, nur ein Sechstel in Europa.

Zudem konzentrieren sich die deutschen Chemiekonzerne dabei fast durchweg auf höherwertige Kunststoffe wie zum Beispiel Polyurethane, die vor allem im Baubereich und in der Möbelindustrie eingesetzt werden. Hier sind Covestro und BASF Weltmarktführer. Ein wichtiges Feld sind ferner Polycarbonate und sogenannte Engineering Plastics, die etwa in der Autoindustrie zum Einsatz kommen.

Aus der Produktion von Standard- und Verpackungskunststoffen wie Polyethylen, Polypropylen oder Polystyrol, die den Löwenanteil der globalen Produktion ausmachen, haben sie sich dagegen schon vor Jahren weitgehend zurückgezogen. Hier geben vor allem Produzenten aus Asien und dem Mittleren Osten den Ton an. Daneben sind US-Konzerne wie Lyondellbasell und Dow Chemical, der weltweit größte Produzent von Kunststoffen, sowie die Chemiesparten der Ölkonzerne hier stark vertreten.

Auch was den Umgang mit Kunststoff angeht, ist die Welt in Deutschland im internationalen Vergleich weitgehend in Ordnung. Nach Daten des Branchenverbandes Plastics Europe gehört Deutschland zusammen mit knapp einem Dutzend weiterer europäischer Staaten zu den Ländern, in denen Plastikabfälle zu fast 100 Prozent entweder verbrannt oder recycelt werden.

Doch ungeachtet dieser heimischen Erfolge und ihrer Fokussierung auf Spezialchemie und hochwertige Kunststoffe können sich die deutschen Chemiehersteller kaum gegen die Debatte über Plastikabfälle abschirmen. „Imagemäßig werden wir da in einen Topf geworfen“, sagt ein Brancheninsider.

Ziel der neuen AEPW-Initiative ist aber nicht nur, drohende Imageschäden bei Endverbrauchern abzuwehren. Letztlich geht es für die Chemiekonzerne auch darum, Kunststoffe langfristig als letztlich vorteilhaftere und nachhaltigere Alternative im Vergleich zu konkurrierenden Materialien wie Aluminium zu positionieren, indem man Kreislaufsysteme etabliert, die eine Wiederverwertung der Plastikabfälle sicherstellen.

Neue Recycling-Verfahren gestartet

Firmen wie BASF und Dow haben dazu auch unternehmenseigene Projekte gestartet, Plastikabfälle über sogenannte Pyrolyse-Verfahren wieder zu Rohstoffen zu verwandeln. Die BASF etwa spricht von Chemcycling. Dabei werden Kunststoffabfälle unter Einwirkung von Wärme aufbereitet und wieder als Rohstoff in die Großanlagen für Basischemikalien eingespeist.

Für den Einsatz von biologisch abbaubaren Kunststoffen, insbesondere im Verpackungsbereich, sehen Branchenkenner dagegen nur begrenztes Potenzial. Denn die Aufgabe der Verpackungen bestehe letztlich darin, die Produkte wie Lebensmittel vor Umwelteinflüssen zu schützen.

Das wiederum sei mit abbaubaren Kunststoffen kaum zu leisten. Die Debatte um das Problem von Kunststoffverpackungen geht also weiter – auch mit der neuen Plastikmüll-Allianz.