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Chaostage in Thüringen – diese Szenarien sind möglich

Nach dem Wahleklat in Thüringen ist die Situation extrem verfahren. Welche Optionen jetzt möglich sind, erläutert der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer.

Wer Thüringen künftig regiert, ist offen. Foto: dpa
Wer Thüringen künftig regiert, ist offen. Foto: dpa

Neuwahl oder nicht? Wie es in Thüringen weitergeht, bleibt zwei Tage nach der umstrittenen Ministerpräsidenten-Wahl unklar. „Die Lage ist jetzt viel schlimmer und komplizierter geworden“, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer im Interview mit dem Handelsblatt. Wenn die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer „die nötige Autorität gehabt hätte, den Thüringer Landesverband auf die Linie des Bundesvorstands zu bringen, dann wäre die Lage eine andere und es würde auf Neuwahlen hinauslaufen“.

Dass die Landes-CDU sich verweigert hat, hat aus Sicht Niedermayers vor allem mit „machtpolitischen Erwägungen“ zu tun. Denn die Landespartei würde bei Neuwahlen „sehenden Auges in eine krachende Niederlage schlittern“. Andererseits müsse aber die aktuell „festgefahrene Situation irgendwann bereinigt werden“. Niedermayer hält jetzt mehrere Szenarien für denkbar. Am Ende wird seiner Einschätzung nach aber kein Weg an Neuwahlen vorbeiführen.

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Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Niedermayer, erst sah es so aus, als käme es schon bald zu Neuwahlen in Thüringen. Doch das will die Landes-CDU nicht. Wie kompliziert ist dadurch die Lage jetzt?
Die Lage ist jetzt viel schlimmer und komplizierter geworden. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Die eine ist die Selbstauflösung des Parlaments. Das muss von einem Drittel der Parlamentarier beantragt werden. Das dürfte kein Problem sein. Dann aber müssen zwei Drittel der Abgeordneten der Parlamentsauflösung zustimmen. Das heißt: Es geht nur, wenn zusätzlich zu Rot-Rot-Grün entweder die AfD oder die CDU mitmachen.

Das ist aber doch derzeit ausgeschlossen. Oder?
Ja, die CDU hat abgelehnt. Also könnte die Selbstauflösung des Landtags nur mit den Stimmen der AfD vollzogen werden. Linke, SPD und Grüne müssten dann zusammen mit der AfD stimmen. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Die AfD hat ja auch schon signalisiert, dass sie keine Neuwahlen will.
Selbst wenn sie wollte, würden die anderen nicht wollen.

Welche Lösung gäbe es noch?
Es gäbe die Möglichkeit, die anscheinend die CDU favorisiert und die sich auch die Linke vorstellen kann. Nämlich, dass der neu gewählte Ministerpräsident Kemmerich die Vertrauensfrage stellt. Und zwar explizit mit dem Hintergedanken, sie zu verlieren. Dass er sie verlieren würde, ist ziemlich sicher. Aber ganz so einfach ist es dann trotzdem nicht.

Warum?
Der Landtag müsste nach der verlorenen Vertrauensfrage innerhalb von drei Wochen einen neuen Ministerpräsidenten wählen. Oder es gibt Neuwahlen. Wenn man das vermeiden will, muss man einen neuen Regierungschef wählen. Das würde dann bedeuten, dass sich wohl Bodo Ramelow zur Wahl stellen würde und die CDU sich enthält. Das heißt: Ramelow würde dann im dritten Wahlgang mit der einfachen Mehrheit der Abgeordneten von Rot-Rot-Grün zum Ministerpräsidenten gewählt.

Dann liefe es ja wieder auf eine Minderheitsregierung hinaus.
Genau. Ramelow könnte zwar durchaus regieren, weil der Landeshaushalt ja verabschiedet ist. Aber in dem Moment, in dem er das erste Gesetz ins Parlament einbringen will, braucht er die Unterstützung der CDU und/oder der FDP.

Das könnte doch klappen?
Ich kann mir das nicht vorstellen, wenn man bedenkt wie hart CDU und FDP angegangen wurden. Es steht ja der Vorwurf im Raum, die beiden hätten sich mithilfe von Faschisten an die Macht geputscht. Deshalb kann ich mir von beiden Seiten nicht vorstellen, dass man nach den Ereignissen der letzten Tage problemlos zur Tagesordnung übergeht und sagt: Wir setzen uns jetzt mal vertrauensvoll zusammen und loten aus, bei welchen Gesetzesvorhaben wir zusammenstimmen können.

Welchen Anteil an der verzwickten Lage trägt denn die Bundes-CDU, die ja die Marschrichtung vorgab, weder mit den Linken noch der AfD zu kooperieren?
Allein in Thüringen ist die Situation ja schon ziemlich verfahren. Vor drei Tagen war man der Ansicht, CDU und FDP lassen Ramelow mit einfacher Mehrheit zum Ministerpräsidenten wählen. Dann regiert eine Minderheitsregierung, und man entscheidet von Fall zu Fall, ob man bei Gesetzesprojekten von Rot-Rot-Grün mitmacht. So war es eigentlich angedacht. So sah die Strategie von CDU-Landeschef Mohring vor dem Wahleklat aus. Und so feindlich sich die Parteien jetzt gegenüberstehen, glaube ich nicht, dass diese Strategie eine Chance hat.

Wie kommen die Parteien heraus aus diesem Dilemma?
Die Lösung lautet Neuwahlen.

Aber wie soll das gelingen, wenn die CDU nicht mitspielt?
Entweder, indem Ramelow nach eine verlorenen Vertrauensfrage Kemmerichs doch nicht zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Oder die CDU in Thüringen lässt sich doch noch von der Bundesparteispitze überzeugen, Neuwahlen zu ermöglichen. Das würde ich für die vernünftigste Lösung halten.

Was aber eher unwahrscheinlich scheint, wenn man sich die jüngste Wahlumfrage zu Thüringen ansieht, bei der die CDU zehn Prozentpunkte verliert.
Die FDP wäre danach gar nicht mehr im Landtag vertreten. Deshalb ist es verständlich, dass die beiden Parteien nicht erpicht darauf sind, sofort Neuwahlen zu haben. Die Situation ist extrem verfahren.

Angenommen Ramelow könnte eine Minderheitsregierung anführen. Was würde das unterm Strich bringen, wenn er bei neuen Gesetzen blockiert wäre?
Er könnte durchaus einige Wochen oder sogar Monate regieren, weil der Haushalt beschlossen ist. Es gilt dann die Regel, dass die einzelnen Ministerien Ausgaben vornehmen dürfen. Andererseits ist es aber auch so: Sobald es ein neues Gesetz gibt, das vom Landtag beschlossen werden muss, ist es vorbei. Dann würde sich die Neuwahl-Frage erneut stellen.

Wie schnell muss eine Lösung her?
Es muss jetzt schnell eine Lösung gefunden werden. Thomas Kemmerich kann zwar regieren. Er ist gewählter Ministerpräsident und nicht wie vorher Bodo Ramelow geschäftsführend im Amt. Und selbst wenn Kemmerich die Vertrauensfrage stellt und verliert, ist er weiter im Amt. Nämlich geschäftsführend, bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist. Das heißt: Kemmerich muss so lange im Amt bleiben, bis er von einem neuen Regierungschef abgelöst wird.

Ist damit das Land dann nicht trotzdem quasi unregierbar? Kemmerich hat ja nicht einmal Minister.
Das stimmt. Kemmerich hat keine Minister vorgeschlagen. Ich sehe daher nicht, wie eine solche Regierung funktionieren soll. Trotzdem kann das natürlich eine Zeitlang so laufen, da die Ministerien vorübergehend kommissarisch von Staatssekretären geleitet werden können. Geplante Ausgaben sind somit nicht gefährdet. Der normale Regierungsbetrieb, der nicht auf neue Gesetze angewiesen ist, läuft damit wie gewohnt weiter.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass jemand in dieser verfahrenen Situation zwischen den Parteien vermittelt?
Jens Spahn hat einen parteiunabhängigen Kandidaten als Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben. Das kennt man aus anderen Ländern, Italien zum Beispiel, also eine Expertenregierung einschließlich des Regierungschefs. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Rot-Rot-Grün das mitmacht.

Die Bundes-CDU hat vorgeschlagen, Grüne oder SPD sollten in Thüringen einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufstellen, weil Bodo Ramelow von den Linken offensichtlich nicht über eine Mehrheit im Thüringer Landtag verfüge. Was halten Sie von dem Vorstoß?

Es ist politisch naiv zu glauben, dass die Linkspartei auf ihren beliebten Kandidaten Ramelow zu Gunsten eines Kandidaten verzichten wird, der dann von Gnaden der CDU gewählt wird. Das ist doch absurd. Das macht die Linke nicht mit. Und ohne die Linke gibt es auch keine Mehrheit für diese Option.

Dann gibt es praktisch keine echte Lösung.
Wenn Kramp-Karrenbauer die nötige Autorität gehabt hätte, den Thüringer Landesverband auf die Linie des Bundesvorstands zu bringen, dann wäre die Lage eine andere und es würde auf Neuwahlen hinauslaufen.

Das wollte die Thüringer CDU aber nicht.
Aus machtpolitischen Erwägungen heraus, kann ich die Thüringer CDU verstehen. Sie würde ja bei Neuwahlen sehenden Auges in eine krachende Niederlage schlittern. Aber andererseits muss die festgefahrene Situation irgendwann bereinigt werden.

Also wird sich am Ende doch die Linie der Bundes-CDU durchsetzen.
So einfach ist es nicht. Die Vorstellung, auch in der Denke der Medien, dass die CDU-Bundesvorsitzende den Thüringer Landesverband in den Griff kriegen müsste, ist abwegig. Die Parteivorsitzende kann den Landesvorständen der CDU keine Befehle erteilen. Sie kann nur versuchen, sie zu überzeugen. Das gelingt umso besser, je mehr Autorität sie hat. Kramp-Karrenbauer hat aber keine unmittelbare Macht über die einzelnen CDU-Landesverbände. Das ist bei anderen Parteien auch so: Auch FDP-Chef Lindner kann dem Thüringer Landesverband nicht befehlen, so oder so zu handeln.

Wenn Frau Kramp-Karrenbauer sowohl Autorität als auch Führungsstärke fehlt, ist sie dann noch die richtige Parteivorsitzende?
Die Diskussion findet ja nicht erst seit dieser Woche statt. Darüber wird seit Monaten immer wieder gesprochen. Und durch Thüringen ist die Debatte jetzt wieder neu entbrannt. Ich finde, sie hat mit ihrer Reaktion auf den Wahleklat im Gegensatz zu Herrn Lindner richtig reagiert. Aber das nützt ihr jetzt nicht viel, weil sie es nicht geschafft hat, sich mit ihrer Neuwahl-Forderung in Thüringen durchzusetzen. Sie wird die Diskussion um ihre Person nicht mehr los. Spätestens im zweiten Halbjahr muss hier Butter bei die Fische, wenn es um eine mögliche Kanzlerkandidatur ihrerseits geht.

Was bedeuten die Ereignisse für die Große Koalition in Berlin?
Die SPD hat ziemlich die Backen aufgeblasen. Das gehört dazu. Man versucht, sich aus der misslichen Lage des Koalitionspartners Vorteile zu verschaffen und vor allem von den eigenen Problemen abzulenken. Ob die SPD es am Samstag auf die Spitze treiben wird, indem sie die Koalition platzen lässt, weil Kramp-Karrenbauer sich in Thüringen nicht durchsetzen konnte, da bin ich sehr skeptisch. Ich glaube nicht, dass die Wähler das verstehen würden.

Herr Niedermayer, vielen Dank für das Interview.

„Die Lösung lautet Neuwahlen.“ Foto: dpa
„Die Lösung lautet Neuwahlen.“ Foto: dpa