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Deutsche Braunkohlekraftwerke werden immer unrentabler

Braunkohlekraftwerke rutschen tief in die roten Zahlen: Im ersten Halbjahr steht ein Verlust von mehr als einer halben Milliarde Euro. Und das ist wohl erst der Anfang.

Braunkohlekraftwerke sind derzeit eher Last als Gewinnbringer.  Foto: dpa
Braunkohlekraftwerke sind derzeit eher Last als Gewinnbringer. Foto: dpa

Die Energiewelt scheint auf den Kopf gestellt: Strom aus erneuerbaren Energien galt lange als unbezahlbar und Braunkohle als geldbringende Energiequelle. Das ist jetzt anders: Im ersten Halbjahr 2019 sind deutsche Braunkohlekraftwerke in die roten Zahlen gerutscht. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse des Thinktanks Sandbag.

Der Umsatz der fossilen Anlagen fiel den Berechnungen des Londoner Instituts zufolge im Schnitt von 1,1 Milliarde Euro 2018 auf nur noch 513 Millionen Euro im Folgejahr. Rechnet man noch anfallende Kosten für Förderung, Betrieb und Wartung obendrauf, schreiben deutsche Braunkohlekraftwerke in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sogar einen Verlust von über einer halben Milliarde Euro. „Im ersten Halbjahr 2018 war es lediglich ein Minus von 68 Millionen Euro“, heißt es in der Studie.

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„Die Wirtschaftlichkeit der Braunkohlekraftwerke war in der Tat im ersten Halbjahr extrem schlecht, aber das liegt auch an einer Sondersituation auf dem Markt“, erklärt Strommarkt-Experte Fabian Huneke vom Marktforschungsunternehmen Energy Brainpool.

Zu schaffen mache den Kohlekraftwerken vor allem ein historisch niedriger Gaspreis. Der liegt derzeit bei elf Euro pro Megawattstunde (MWh), „normalerweise kostete Gas bislang 20 bis 25 Euro pro MWh“, sagt Huneke. Aber die Wirtschaftlichkeit von Braunkohlekraftwerken sei definitiv deutlich schlechter geworden – auch mit höheren Gaspreisen.

In den vergangenen Jahren sind schon einige Kraftwerke durch einen immer größer werdenden Anteil von Wind- und Solarenergie aus dem Markt gedrängt worden. Das waren aber in erster Linie Gaskraftwerke und später auch Steinkohleanlagen.

Braunkohlekraftwerke, die so günstig wie sonst nur Kernkraftwerke Strom produzierten, galten bisher als unangreifbar.

Besonders schlecht laufen alte Kraftwerke

„Aber natürlich hat auch der CO2-Preis die Wirtschaftlichkeit der Braunkohlekraftwerke deutlich verschlechtert. In den vergangenen drei Jahren hat er sich immerhin fast versechsfacht und liegt mittlerweile bei knapp 30 Euro die Tonne“, erklärt Huneke.

Besonders hart trifft es laut den Sandbag-Experten Braunkohlekraftwerke, die vor 1990 ans Netz gegangen sind. Bei denen lag der Gewinn aus dem laufenden Betrieb im ersten Halbjahr bei nur noch 188 Millionen Euro – bei gleichzeitigen Fixkosten von gut 650 Millionen Euro.

Unter dem Strich, so Autor Dave Jones, gebe es ein Minus von 476 Millionen Euro – in nur sechs Monaten. Eine parallele Rechnung für die neuere Hälfte der Anlagen kommt auf ein Minus von 188 Millionen Euro.

Insgesamt ein rein rechnerischer Verlust von insgesamt 664 Millionen Euro im ersten Halbjahr. Rechnerisch ist dieser Verlust deshalb, weil Sandbag die Auswertung anhand der aktuellen Börsenstrompreise und gestiegenen Kosten für Zertifikate getroffen hat. Ein großer Teil des Stroms wird aber schon vorab zu festgelegten Preisen verkauft.

„Nicht alle Kraftwerke werden langfristig vermarktet, viele produzieren kaum oder gar nicht für den Markt. Manche unserer Kraftwerke sind in der Netz-Reserve oder laufen im Rahmen von festen Kundenverträgen mit Industriepartnern“, sagt Georg Oppermann, Sprecher des Energiekonzerns Uniper im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Auch RWE betonte den Abschluss von Termingeschäften. Zu denen sei die Stromproduktion 2019 „zu fast 100 Prozent“ gegen Markpreisschwankungen abgesichert, zitiert der „Tagesspiegel“ aus einer Antwort des Essener Konzerns.

Ab 2022 rutscht Braunkohle in die Verlustzone

Natürlich könne das extrem schlechte Halbjahr querfinanziert werden, wenn man frühzeitig zu günstigen Preisen einen strategischen Überhang an CO2-Zertifikaten gebildet hätte, „aber das macht das Asset Kohlekraftwerk an sich kein bisschen wirtschaftlicher“, sagt Experte Huneke.

„Steigt der CO2-Preis weiterhin, schreiben die älteren 300-Megawatt-Blöcke gemäß unserer eigenen Analysen spätestens ab 2022 nur noch Verluste. Die neueren Blöcke rechnen sich dagegen noch für einen Großteil der nächsten Dekade.“

Drei solcher Kraftwerke sollen bis 2023 allein im Rheinland stillgelegt werden, so schlägt es die Kohlekommission in ihrem Abschlussbericht vor und nimmt dabei vor allem alte Braunkohlemeiler in den Blick. Die Abschaltung will sich RWE teuer bezahlen lassen. Bis zu 1,5 Milliarden Euro je Gigawatt fordert RWE-Chef Rolf-Martin Schmitz. Allein für die drei Gigawatt, die kurzfristig vom Netz gehen sollen, wären somit bis zu 4,5 Milliarden Euro fällig.

Und genau da sieht Studien-Autor Dave Jones von Sandbag das Problem. „Mit unseren Berechnungen dürften die deutschen Politiker die nötige Grundlage haben, eine zügige Stilllegung der alten Braunkohlemeiler auszuhandeln, ohne einen Blankoscheck ausstellen zu müssen“, sagt Jones, der vor seiner Tätigkeit bei dem Thinktank 13 Jahre lang für den Energiekonzern Eon gearbeitet hat.

Die zwei größten deutschen Braunkohleproduzenten RWE (Rheinisches Revier) und Leag (Lausitz) müssten gegenüber der deutschen Bevölkerung transparent sein, ist seine Forderung.

„Entschädigungszahlungen sollten sich auf jeden Fall an aktuellen Berechnungen orientieren und nicht an zwei Jahre alten Aufstellungen. Seitdem hat sich die Wirtschaftlichkeit von Braunkohlekraftwerken erheblich verschlechtert“, findet auch Huneke.


Experten zufolge droht „der große Kohle-Kollaps“

Diese Entwicklungen erreichen auch die Politik: In einer Antwort auf eine Frage der Grünen zur sinkenden Rentabilität von Braunkohlekraftwerken schrieb das Bundeswirtschaftsministerium: Man berücksichtige „das Marktumfeld sowie die Entwicklungen am Strommarkt im Rahmen der Verhandlungen mit den Betreibern von Braunkohlekraftwerken“.

RWE, Leag oder Uniper wollten sich dazu nicht konkret äußern. Die Sandbag-Berechnungen seien schließlich nur eine Momentaufnahme, betont Uniper-Sprecher Oppermann. Darauf eine Prognose für das ganze Jahr oder sogar darüber hinaus aufzustellen halte er für äußerst schwierig.

Dass die Lage für Braunkohlekraftwerke mehr als angespannt ist, bestreitet aber auch er nicht. Erst Mitte Juni nahm der Energiekonzern EnBW im sächsischen Lippendorf ein großes Kraftwerk vorerst vom Netz – es rechnet sich nicht mehr. Dabei gehört die Anlage mit 20 Jahren eher zu den jüngeren Blöcken und ist vergleichsweise effizient.

Tatsächlich ist der Anteil von Kohlekraftwerken an der deutschen Stromerzeugung im ersten Halbjahr überraschend stark gesunken. Nach einer Auswertung des Berliner Thinktanks Agora Energiewende stammten im ersten Halbjahr nur noch 27 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus Braun- und Steinkohleanlagen.

Die erneuerbaren Energien dagegen kamen auf einen Rekordanteil von 41,9 Prozent. Damit wurde erstmals mehr Strom mit Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse erzeugt als mit Kohle und Kernenergie zusammen. Während die Produktion von grünem Strom um 10,5 Prozent kletterte, sank die Produktion der Braunkohleanlagen um 19,3 Prozent und die in Steinkohlekraftwerken sogar um 30,2 Prozent.

Sandbag nennt es „den großen Kohle-Kollaps“.

Uniper zeigt sich etwas optimistischer: „Ob dieser Trend anhalten wird, kann niemand sagen“, meint Oppermann. Dass Kraftwerke unrentabel werden, weil sie nicht mehr ausgelastet sind, glaubt auch Huneke nicht. „Sie werden unrentabel, weil der Deckungsbeitrag unter die Fixkosten sinkt“, erklärt der Experte.

Spätestens, wenn der Winter kommt und sich die vollen Speicher leerten, werde der Gaspreis auch wieder steigen. Ob das alleine reicht, um Braunkohle wieder rentabel zu machen, bleibt jedoch zunächst ungewiss.