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Deutsche-Börse-Chef nimmt größere Zukäufe ins Visier

Als Theodor Weimer Anfang des Jahres die Führung der Deutschen Börse übernommen hat, musste er erst einmal für Stabilität sorgen. Denn die Verunsicherung war groß.

2017 war zunächst die Fusion mit der London Stock Exchange geplatzt. Dann trat Vorstandschef Carsten Kengeter vorzeitig ab. Sein Nachfolger Weimer ist inzwischen gut elf Monate im Amt – und gibt sich angriffslustig.

„Wir brauchen größere Deals, die uns weiter nach vorne bringen“, sagte der 58-Jährige dem Handelsblatt in seinem ersten großen Interview als Börsenchef. „Der Abstand zwischen uns und den wertvollsten Börsenbetreibern CME und ICE aus den USA darf nicht zu groß werden. Denn in unserem Geschäft ist Größe ein entscheidender Faktor.“

Die Deutsche Börse hat in diesem Jahr zwei kleinere Zukäufe gestemmt. Die Fondsplattform Swisscanto und die Devisenhandelsplattform GTX kosteten jeweils knapp 100 Millionen Euro. Beide Übernahmen seien schöne Ergänzungen, aber kein Durchbruch beim Thema Zukäufe, betonte Weimer.

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„Mein Aufsichtsrat lässt dem Vorstand bei dem Thema freie Hand und würde auch größere Übernahmen goutieren.“ Deals bis zu 1,5 Milliarden Euro könne der Frankfurter Börsenbetreiber aus eigener Kraft stemmen. „Aber wenn es notwendig sein sollte, könnten wir uns am Markt auch zusätzliches Eigenkapital für eine größere Übernahme besorgen.“

Trotz ihrer Wachstumsambitionen ist die Deutsche Börse gerade dabei, rund 350 Arbeitsplätze abzubauen. Unter dem Strich wachse die Belegschaft aber deutlich, sagte Weimer. „Wir haben allein von Anfang Januar bis Mitte Oktober grünes Licht für die Einstellung von 720 neuen Mitarbeitern gegeben.“ Dieser Trend werde sich 2019 fortsetzen. „Wir werden auch nächstes Jahr zahlreiche neue Mitarbeiter einstellen.“

Lesen Sie hier das Interview mit Theodor Weimer in voller Länge:

Herr Weimer, Sie haben unter anderem für McKinsey, Goldman Sachs und die Hypo-Vereinsbank gearbeitet. Wie groß ist für Sie die Umstellung, jetzt einen Börsenbetreiber zu führen?
Jedes Unternehmen hatte seinen Reiz. Was mir hier ins Auge sticht: Die Deutsche Börse ist wie ein Rohdiamant, den man durch Schleifen und Polieren noch stärker zum Glänzen bringen kann. Wir sind mit einem Marktwert von mehr als 20 Milliarden Euro die größte Börse in Europa, hochprofitabel und technologisch führend. Und wir sind im Dax. Dennoch fühlt man sich manchmal wie bei einem Mittelständler und Hidden Champion, denn wir haben nur rund 5000 Beschäftigte. Aber diese Mitarbeiter brennen für das Börsengeschäft und machen einen super Job. Mich beflügelt das Geschäft.

Im vergangenen Jahr hat der Rohdiamant viele negative Schlagzeilen produziert. Zunächst platzte die Fusion mit der London Stock Exchange. Dann trat Vorstandschef Carsten Kengeter, gegen den wegen des Verdachts auf Insiderhandel ermittelt wird, vorzeitig ab.
Als ich hier ankam, befand sich das Unternehmen in einem Zustand großer Unsicherheit. Denn es war behauptet worden, die Deutsche Börse habe ohne ein Zusammengehen mit der London Stock Exchange keine Überlebenschance. Mein größtes Ziel für mein erstes Jahr war es, das zu widerlegen. Und das ist bislang gelungen. Wir sind – auch ohne eine große Transaktion – gut unterwegs. Der Umsatz ist in den ersten neun Monaten um mehr als zehn Prozent gestiegen, der Gewinn sogar um über 15 Prozent.

Nur wenige Wochen nach Ihrem Amtsantritt haben Sie den erweiterten Vorstand der Deutschen Börse abgeschafft und mehrere hochrangige Manager vor die Tür gesetzt. Brauchte die Deutsche Börse jemanden, der durchgreift?
Der Aufsichtsratsvorsitzende hat mir in unserem ersten Gespräch gesagt, er suche jemanden, der in Strategie und Management stark sei. Die Mannschaft brauchte Vertrauen nach der fehlgeschlagenen Fusion. Sie brauchte jemanden an der Spitze, der sagt, wo es langgeht. Als Vorstandschef wird man dafür bezahlt, die Richtung vorzugeben und dann entsprechend zu managen. Man muss ein gutes Team zusammenstellen. Und man muss dort, wo Dinge nicht funktionieren, Veränderungen vornehmen.

Wenn man mit Mitarbeitern spricht, hat man bisweilen den Eindruck, Sie waren mit Ihrem Auftreten ein Kulturschock für die Deutsche Börse.
Das ist doch gut so, oder? Wenn man ein Geschäft mit einer Gewinnmarge von rund 50 Prozent betreibt, gibt es immer die latente Gefahr, sich zurückzulehnen. Deshalb habe ich den Mitarbeitern vom ersten Tag an gesagt: Wir müssen rennen, damit wir unsere Position verteidigen und ausbauen können. Der Wettbewerb ist hart. Ohne Anstrengung gewinnst du nicht. Ist das ein Kulturschock? Ich denke, für den größten Kulturschock in diesem Unternehmen hat in den 1990er-Jahren Vorstandschef Werner Seifert gesorgt. Er hat aus einer klassischen Börse eine elektronische Handelsplattform gemacht. Was ich hier seit Anfang des Jahres verändere, ist dagegen doch geradezu harmlos.

Sie haben den Abbau von rund 350 Arbeitsplätzen angekündigt. Sorgt das nicht für zusätzliche Verunsicherung?
Es tut immer weh, Stellen zu streichen. Am Ende könnten es weltweit sogar etwas mehr sein als 350. Aber wir werden die Arbeitsplätze sozialverträglich abbauen. Und ich bin dankbar, dass wir den Interessenausgleich schon mal für Deutschland unter Dach und Fach haben. Es ist aber unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir vom Qualifikationsprofil der Mitarbeiter her gut für die Zukunft gerüstet sind.

Wie passt der Personalabbau zu Ihren Wachstumsplänen?
Das passt zusammen, denn wir bauen in anderen Bereichen Personal auf. Wir wachsen zweistellig im Jahr beim Umsatz, und wir haben allein von Anfang Januar bis Mitte Oktober grünes Licht für die Einstellung von 720 neuen Mitarbeitern gegeben. 450 davon arbeiten bereits heute für uns, der Rest startet in den kommenden Monaten. Unter dem Strich wächst unsere Belegschaft deutlich. Und wir werden auch nächstes Jahr zahlreiche neue Mitarbeiter einstellen.

Die Deutsche-Börse-Aktie hat seit Jahresanfang rund 15 Prozent auf 111 Euro zugelegt. Wie viel Luft nach oben gibt es noch?
Der Aktienkurs hat sich vor allem so gut entwickelt, weil wir gute Zahlen vorgelegt haben. Wichtiger noch aber ist, dass wir es geschafft haben, zum Wettbewerb im Hinblick auf die Bewertung aufzuschließen. Trotz des in den vergangenen zwölf Monaten um rund 25 Prozent gestiegenen Kurses empfiehlt die Mehrzahl der Analysten unsere Aktie weiterhin zum Kauf. Das freut uns.

Bei Ihrem Ehrgeiz muss es doch Ihr Ziel sein, ein neues Allzeithoch zu schaffen.
Ja. Gegen ein neues Allzeithoch hätten nur wenige etwas. Da nehme ich mich nicht aus. Aber das hat mit Ehrgeiz nichts zu tun, sondern mit der Freude am Schaffen. Und die Aktionäre sollten das ja auch von einem Vorstandsvorsitzenden erwarten, denke ich. Aber die Märkte müssen auch mitspielen.

Im Rahmen Ihrer Strategie wollen Sie neben organischem Wachstum und einem stärkeren Fokus auf neue Technologien auch auf Zukäufe setzen. Was haben Sie konkret vor?
Wir spielen im Börsengeschäft in der Champions League – und da wollen wir auch bleiben. Der Abstand zwischen uns und den wertvollsten Börsenbetreibern CME und ICE aus den USA darf nicht zu groß werden. Denn in unserem Geschäft ist Größe ein entscheidender Faktor. Organisches Wachstum wird dabei nicht reichen. Die ICE und die CME sind beide durch Zukäufe stark gewachsen – und weiter auf der Suche nach Übernahmezielen. Auch ich verbringe sehr viel Zeit damit, mir potenzielle Transaktionen anzusehen.

Bisher haben Sie mit der Fondsplattform Swisscanto und der Devisenhandelsplattform GTX nur zwei kleinere Übernahmen für jeweils knapp 100 Millionen Euro getätigt. Wird es in absehbarer Zeit auch mal eine größere Transaktion geben?
Es gibt keinen Grund, etwas zu überstürzen, denn viele Übernahmeziele sind aktuell sehr teuer. Aber Sie haben schon recht: Die beiden Transaktionen, die wir bisher getätigt haben, machen am Ende noch nicht den großen Unterschied, sind aber schöne Ergänzungen bestehender Geschäfte. Das ist noch kein Durchbruch beim Thema Zukäufe. Ja, wir brauchen größere Deals, die uns weiter nach vorne bringen. Der Wettbewerb schläft nicht und ist aggressiv unterwegs.

Hat Ihnen der Aufsichtsrat ein Limit gesetzt, wie viel Sie für Übernahmen ausgeben dürfen?
Mein Aufsichtsrat lässt dem Vorstand bei dem Thema freie Hand und würde auch größere Übernahmen goutieren. Aber wir müssen darlegen können, dass ein großer Deal strategisch Sinn ergibt und dass wir ihn uns leisten können. Wir haben ja keine Cowboys im Aufsichtsrat. Grundsätzlich haben wir fünf Bereiche definiert, in denen wir gerne zukaufen würden: im Datengeschäft, im Handel mit Währungen und Rohstoffen, im Fondsservicegeschäft und im Anleihehandel.

In den Währungshandel ist die Deutsche Börse erst 2015 durch die Übernahme der Devisenhandelsplattform 360T eingestiegen. Warum?
Es ist ein strategisch attraktives Geschäft mit sehr guten Wachstumsperspektiven. Da hat mein Vorgänger eine gute Entscheidung getroffen. Durch die Akquisition von GTX haben wir den Bereich weiter gestärkt. Aber wenn wir noch etwas dazupacken könnten, wäre das klasse.

Aktuell gibt es zwei Übernahmekandidaten, die in Ihr Beuteschema passen würden: die Devisenhandelsplattform FXAll und die Anleiheplattform Tradeweb. Sie würden allerdings jeweils mindestens drei Milliarden Dollar kosten.
Wir können Transaktionen von bis zu 1,5 Milliarden Euro aus eigener Kraft stemmen, ohne das Rating unserer Tochter Clearstream zu gefährden. Aber wenn es notwendig sein sollte, könnten wir uns am Markt auch zusätzliches Eigenkapital für eine größere Übernahme besorgen.

Ihr Vorgänger hat auch über eine Kombination mit dem Indexanbieter MSCI verhandelt. Für wie realistisch halten Sie das?
Es gibt viele schöne Kombinationen, die theoretisch denkbar sind. Aber man muss sich einen Deal auch leisten können. MSCI ist zehn Milliarden Euro wert und hat ein besonders hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis. Bei solchen Transaktionen droht Verwässerung. Man muss zwischen Traum und Realität, sprich Machbarkeiten, sauber unterscheiden.

Sie waren kürzlich im Silicon Valley. Haben Sie da auch nach Übernahmekandidaten gesucht?
Nein. Die Reise Anfang Oktober hatte nichts mit Übernahmen zu tun. Wir haben mit dem Vorstand und unseren Technologieexperten Firmen besucht, die in Bereichen unterwegs sind, in die wir in den nächsten Jahren verstärkt investieren und mit denen wir Partnerschaften schließen wollen. Die Bereiche sind Künstliche Intelligenz, Cloud, Big Data und Blockchain.

Wann und wie wird die Deutsche Börse die Blockchain-Technologie einsetzen, die auch hinter Kryptowährungen wie Bitcoin steckt?
Die Blockchain ist für uns Bedrohung und Chance zugleich. Wir sind ein Intermediär, der zwischen Banken, Asset-Managern und anderen Marktteilnehmern vermittelt. Und die Idee der Blockchain ist es dem Grunde nach, Intermediäre wie uns überflüssig zu machen und auszuschalten. An eine schnelle Anwendung der Blockchain im Handel glaube ich nicht. Über uns laufen jeden Tag zwischen 120 und 130 Millionen Transaktionen. Wenn man diese über eine öffentliche Blockchain tätigen wollte, wäre der Energiebedarf größer als der eines mittelgroßen Landes. Andererseits ist das Geschäftspotenzial aus der Blockchain erheblich.

Wie sieht es bei der Geschäftsabwicklung aus?
Im Nachhandel kann uns die Blockchain helfen, schneller zu werden. Wenn Sie bei uns handeln, wird Ihre Order in Tausendstelsekunden ausgeführt. Aber bis die Transaktion abgewickelt wird und das Wertpapier in Ihrem Depot landet, dauert es zwei Tage. Da ist also noch Luft nach oben.

Intensiv diskutiert wird in den USA auch das Thema Kryptowährungen und Kryptoassets. Ihre Konkurrenten CME und CBOE sind bereits in das Geschäft eingestiegen und bieten Futures auf Bitcoins und andere Kryptowährungen an.
Wir haben bislang bewusst die Finger vom Handel mit Kryptowährungen gelassen, weil ein Großteil dieser Geschäfte komplett im unregulierten Bereich stattfindet. Kryptowährungen wurden geschaffen, um Geldersatzkreisläufe entstehen zu lassen, die außerhalb des Kreises der Beteiligten kaum kontrollierbar sind. Bei Kryptoassets, genauer gesagt bei der sogenannten Tokenisierung von Assets, sehe ich dagegen großes Potenzial für unser Haus.

Was verbirgt sich dahinter?
Mit den Tokens kann man sich digital nicht nur an Unternehmen beteiligen, sondern auch etwa an Immobilien, Bildern oder der Arbeitskraft eines Menschen. Hier entsteht ein gigantischer Markt.

Wie will die Deutsche Börse denn in diesem Geschäft mitmischen?
Wir schauen uns das Thema intensiv an und werden dort sicher aktiv werden. Ich glaube allerdings nicht, dass wir allein eine Handelsplattform für Tokens aufbauen sollten. Das geht nur durch Partnerschaften und Investments in Firmen, die auf diesen Bereich spezialisiert sind.

Das war der Blick in die Zukunft. Aber wie ist es um Ihre bestehenden Systeme bestellt? Im März und Oktober gab es an der Frankfurter Börse größere Pannen, durch die sich der Handelsstart jeweils um eine knappe Stunde verzögert hat.
Ein Börsenchef hasst es wie die Pest, wenn es Netzwerkprobleme oder Softwareprobleme gibt. Der Grund für die Verzögerung im März war, dass es durch fast gleichzeitiges Anmelden mehrerer Handelsapplikationen eines Kunden am System zu einer Blockade beim Anmelden für alle Kunden gekommen ist. Der Standard bei uns ist, dass wir das System herunterfahren oder gar nicht erst hochfahren, wenn es Komplikationen gibt oder irgendetwas nicht sicher ist. Solche Vorfälle sind unschön, aber nicht wirklich besorgniserregend. Was mir wirklich Sorgen bereitet, sind massive Cyberangriffe auf alle Systeme der Unternehmen, auch auf unsere.

Wie wappnen Sie sich dagegen?
Wir werden allein im nächsten Jahr 50 neue Leute im Bereich IT-Security einstellen.

Woher kommen die Angriffe? Aus Russland?
Das lässt sich nicht immer genau lokalisieren. Da sind absolute Profis am Werk.

Waren die Angreifer erfolgreich?
Bisher konnten wir alle Attacken abwehren. Aber 100-prozentige Sicherheit gibt es nie. Und wir wissen: Wenn etwas Fundamentales passieren würde, wird das schnell ein großes Problem für uns. Denn unser Kapital ist das Vertrauen der Marktteilnehmer in uns und unsere Systeme.

Wie meinen Sie das?
Börsenbetreiber, Clearinghäuser und Zentralverwahrer waren in der Finanzkrise vor zehn Jahren stabil. Im Gegensatz zu den Banken musste bei uns niemand Geld einschießen. Deshalb sagen die Regulatoren: Ihr sorgt für Stabilität. Und deshalb zwingen die Regulatoren Banken und Investoren, immer mehr Geschäfte über Börsen abzuwickeln. Das hilft uns. Die Deutsche Börse ist ein Krisengewinner.

Bei der Abwicklung von Derivategeschäften in Euro, dem sogenannten Euro-Clearing, bietet sich für die Deutsche Börse nun erneut eine große Chance. Denn im Zuge des Brexits müssen Teile des Clearinggeschäfts möglicherweise von Ihrem Londoner Konkurrenten LCH in die EU verlagert werden. Wie stehen Ihre Chancen?
Innerhalb des größten Derivatemarktes der Welt wird das Geschäft mit dem Clearing von Zinsderivaten im Zuge des Brexits neu verteilt. Wir haben unseren Marktanteil im Euro denominierten Geschäft inzwischen von einem auf zehn Prozent erhöht. Bis übernächstes Jahr wollen wir 25 Prozent erreichen. Ich glaube nicht, dass das Clearinggeschäft komplett von der LCH zu uns verlagert wird. Aber ich gehe davon aus, dass es am Ende zwei kompetitive Anbieter in Europa geben wird.

Sie haben kürzlich gewarnt, die britischen Behörden könnten „unlautere Mittel“ einsetzen, um den Finanzplatz London zu verteidigen. Auch sonst gehen Sie verbal mit Großbritannien weniger behutsam um als Ihr Vorgänger. Setzen Sie hier bewusst andere Akzente?
Die Situation meines Vorgängers, der mit der London Stock Exchange fusionieren wollte, ist mit der heutigen nicht zu vergleichen. Die Welt hat sich geändert. Politisch halte ich den Brexit für eine Katastrophe. Er wird nicht nur Großbritannien, sondern ganz Europa schwächen. Aber als Unternehmer werde ich dafür bezahlt, auf neue Rahmenbedingungen zu reagieren – und zwar schnell. Da kann ich nicht zaghaft sagen, ich schaue mal, was mit den Briten passieren wird. Sondern ich muss die Initiative ergreifen und handeln.

Wie wollen Sie die Vorbehalte der großen Banken ausräumen, die am liebsten weiter die meisten Geschäfte in London abwickeln würden?
Die Chefs der großen Banken sagten uns: Wir wechseln nur, wenn Ihr uns die gleichen Bedingungen bieten könnt wie in London. Das haben wir inzwischen hinbekommen – dank unseres Partnerschaftsprogramms. Es sieht vor, dass die zehn aktivsten Kunden am wirtschaftlichen Erfolg unserer Tochter Eurex Clearing beteiligt werden. Wir haben nicht auf die Politik oder die Regulatoren gewartet, sondern eine marktwirtschaftliche Lösung angeboten, um den Banken einen Wechsel von London nach Frankfurt schmackhaft zu machen.

Wie wird sich der Brexit auf die Finanzmärkte generell auswirken?
Die Architektur der Finanzmärkte wird in die EU-27 verlagert werden – denn Haftung und Aufsicht dürfen nicht auseinanderfallen. Zudem muss die EU deutlich machen, dass ein Land nach dem Ausscheiden aus der Union nicht einfach so weitermachen kann, als wäre nichts gewesen. Sonst wären die Hürden für einen EU-Austritt auch für alle anderen Länder niedrig. Aber in der Finanzbranche wird es aus meiner Sicht weniger Veränderungen geben als in der Realwirtschaft. Denn unsere Branche ist per se digital – wir müssen keine Güter physisch über den Ärmelkanal transportieren.

Das heißt, Sie rechnen nicht mit einer großen Umzugswelle?
Nein. Die Leute, die in London im Investmentbanking und bei Beteiligungsgesellschaften erfolgreich sind, werden wegen des Brexits nicht einfach mal so mit ihren Familien umziehen. Ich war in dieser Community lange unterwegs und kenne sie gut. Die meisten hochrangigen Finanzmanager werden weiter von Großbritannien aus arbeiten. Auch die großen Investoren werden in London bleiben. Es wird nicht zu einem Exodus kommen. Ich gehe davon aus, dass in einer ersten Welle maximal 5000 Leute die Londoner City verlassen werden – davon kommen vielleicht 1000 bis 1500 nach Frankfurt. Es wird nicht zu einer Massenmigration von Bankern aus London nach Frankfurt kommen – so schön das für den Finanzplatz auch wäre.

Engagiert sich die Bundesregierung aus Ihrer Sicht genug, um den Finanzplatz Deutschland im Rahmen des Brexits zu stärken?
Wir fühlen uns gut unterstützt – sowohl in Hessen als auch in Berlin. Die Politik und die Regulatoren goutieren es, dass wir mit unserem Partnerschaftsprogramm losgelaufen sind. Und nun müssen sie für angemessene Rahmenbedingungen sorgen und sicherstellen, dass uns keiner von hinten reingrätscht. Denn eines ist klar: Der Fisch ist noch nicht geputzt – wie man so schön sagt. Im Zuge des Brexits gibt es noch viele ungelöste Fragen. Und im Finanzmarkt können Detailfragen am Ende eine große Wirkung haben.

Wie hat sich der Umgang zwischen Politik und Finanzbranche zehn Jahre nach dem Ausbruch der großen Finanzkrise entwickelt?
Die Finanzkrise haben viele Politiker nicht vergessen – und das ist auch gut so. Aber wir können mit der Politik inzwischen wieder sehr unemotional über wichtige Themen reden. Die Bundesregierung weiß sehr wohl, dass sich die Realwirtschaft ohne Unterstützung der Finanzwirtschaft nicht wirklich weiterentwickeln kann. Und deshalb will sie den Finanzplatz Deutschland zu Recht stärken.

Ist es aus Ihrer Sicht ein gutes Zeichen, dass sich mit Friedrich Merz jemand um den CDU-Vorsitz und anschließend möglicherweise auch ums Kanzleramt bewirbt, der sich in der Finanzwirtschaft bestens auskennt?
In einer global vernetzten Welt ist wirtschaftspolitische Kompetenz in der Politik eine notwendige Voraussetzung. Erfahrung in der Finanzwirtschaft hilft immer. Diese Kompetenz ist übrigens auch in der aktuellen Regierung gegeben. Wirtschaftspolitische Themen sind höchst relevant – von den USA bis China. Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir können nicht so tun, als könnten wir ohne Wirtschaftskompetenz weiterkommen. Das tut aber zum Glück auch niemand.

Herr Weimer, vielen Dank für das Interview.