Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    18.772,85
    +86,25 (+0,46%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.085,08
    +30,67 (+0,61%)
     
  • Dow Jones 30

    39.512,84
    +125,08 (+0,32%)
     
  • Gold

    2.366,90
    +26,60 (+1,14%)
     
  • EUR/USD

    1,0772
    -0,0012 (-0,11%)
     
  • Bitcoin EUR

    56.577,87
    -1.770,80 (-3,03%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.260,48
    -97,53 (-7,18%)
     
  • Öl (Brent)

    78,20
    -1,06 (-1,34%)
     
  • MDAX

    26.743,87
    +34,97 (+0,13%)
     
  • TecDAX

    3.404,04
    +19,74 (+0,58%)
     
  • SDAX

    14.837,44
    +55,61 (+0,38%)
     
  • Nikkei 225

    38.229,11
    +155,13 (+0,41%)
     
  • FTSE 100

    8.433,76
    +52,41 (+0,63%)
     
  • CAC 40

    8.219,14
    +31,49 (+0,38%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.340,87
    -5,40 (-0,03%)
     

Bislang teuerstes Medikament in Europa zugelassen – 1,57 Millionen Euro pro Therapie

Pharmahersteller erhalten Zulassungen für Medikamente, die mehr als eine Million Euro kosten. Trotz ihrer hohen Preise sollen die neuen Therapien das Gesundheitssystem entlasten.

Bluebird Bio arbeitet in Deutschland bei der Einführung seiner neuen Gentherapie mit der Uniklinik Heidelberg zusammen. Foto: dpa
Bluebird Bio arbeitet in Deutschland bei der Einführung seiner neuen Gentherapie mit der Uniklinik Heidelberg zusammen. Foto: dpa

In den USA hat der Schweizer Pharmakonzern Novartis als erster Hersteller die Grenze von einer Million Dollar für eine medikamentöse Therapie geknackt – und zwar mit Zulassung der Gentherapie Zolgensma zur Behandlung der Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie (SMA). Die Kosten für die Therapie betragen 2,1 Millionen Dollar (1,9 Millionen Euro). In Europa wird Novartis wohl einen ähnlich hohen Preis aufrufen.

Jetzt folgt die US-Biotechfirma Bluebird Bio diesem Schritt mit der ersten Zulassung für eine Gentherapie in Europa, die mehr als eine Million Euro kosten wird. Die von Bluebird Bio entwickelte Therapie Zynteglo gegen die Erbkrankheit Thalassämie ist das teuerste Pharmaprodukt, das in Europa bisher eine Zulassung erhalten hat. Doch trotz des hohen Preises soll sich der Aufwand für die Gesundheitssysteme rechnen, zeigt sich das Unternehmen überzeugt.

WERBUNG

Mit herkömmlichen Medikamenten sind die neuen millionenteuren Arzneien indes kaum zu vergleichen. Die Neuentwicklungen von Bluebird und Novartis repräsentieren vielmehr ein neuartiges Therapiekonzept, das nach mehr als 30-jähriger Forschungsphase nun allmählich in der medizinischen Praxis Einzug hält. Anders als herkömmliche Arzneimittel, die biochemische Prozesse über die Wechselwirkung mit Proteinen oder Enzymen in den Körperzellen beeinflussen, zielen Gentherapien auf die dauerhafte Korrektur fehlerhafter Erbanlagen.

Die Pharmakonzerne versprechen durch eine einmalige Therapie langfristige Heilung für schwerwiegende und bislang unheilbare Erbkrankheiten. Beide Unternehmen gehen daher davon aus, dass ihre Produkte trotz der hohen Preise längerfristig zu einer Kostenentlastung für die Gesundheitssysteme führen. Nicht zuletzt, weil sie den Verzicht auf etablierte, ebenfalls aufwendige und in der Regel lebenslang erforderlichen Behandlungen ermöglichen.

Zynteglo erhielt Ende Mai in der EU eine vorläufige Zulassung als neue Therapie gegen eine spezielle Variante der transfusionsabhängigen Beta-Thalassämie (TDT). Es ist damit das bisher sechste Gentherapie-Produkt, für das die EU-Kommission eine Genehmigung erteilte. Die Vermarktung soll gegen Ende des Jahres starten, wie Deutschland-Chefin Susanne Digel im Gespräch mit dem Handelsblatt berichtete.

Erfolgsabhängige Bezahlung

Bei Thalassämie führt ein Gendefekt dazu, dass bei den betroffenen Menschen nicht genügend vom roten Blutfarbstoff Hämoglobin gebildet wird und das Blut dadurch zu wenig Sauerstoff transportieren kann. Viele Patienten sind auf regelmäßige Bluttransfusionen angewiesen, die wiederum mit der Ablagerung von Eisen in den Organen einhergehen und zu schwerwiegenden Organschädigungen führen können.

Die Gentherapie von Bluebird stattet diese Patienten im Zuge eines relativ komplexen Verfahrens mit einer korrekten Version des Gens für die Hämoglobin-Produktion aus. Dazu werden den Betroffenen zunächst Blutstammzellen entnommen. Mithilfe eines Virus wird anschließend im Labor das korrekte Gen eingeschleust. Die so modifizierten Stammzellen werden anschließend wieder injiziert. In den klinischen Tests führte die Behandlung dazu, dass bei 80 Prozent der Patienten anschließend keine Transfusionen mehr nötig waren.

Ähnlich wie Novartis in den USA schlägt auch Bluebird für seine Gentherapie eine erfolgsabhängige, über fünf Jahre verteilte Erstattung des Preises vor. Nach diesem Modell sind nur 20 Prozent des Gesamtpreises sofort nach Anwendung der Gentherapie fällig. Die restlichen 80 Prozent müssen verteilt über vier Jahre nur bei Therapieerfolg gezahlt werden, also wenn die Patienten tatsächlich nicht mehr auf Transfusionen angewiesen sind. Bei einem kompletten Therapieerfolg nach fünf Jahren betragen die Kosten dann maximal 1,57 Millionen Euro.

Der Listenpreis basiert nach den Worten Digels auf umfangreichen gesundheitsökonomischen Analysen, die nicht nur den unmittelbaren klinischen Nutzen einbeziehen, sondern insgesamt auch den Zugewinn an Lebenszeit und Lebensqualität sowie die bisherigen Kosten. „Ein transfusionsabhängiger Thalassämie-Patient, der im Rahmen des deutschen Gesundheitssystem ein Leben lang Bluttransfusionen und weitere erforderliche Therapien erhält, kostet die Versichertengemeinschaft nach unserem Erkenntnisstand im Laufe seines Lebens mindestens zwei Millionen Euro“, sagt Digel.

Bluebird Bio sei sich dabei der Verantwortung sehr bewusst, dass man mit der Einführung einmaliger Therapien anstelle der bisherigen lebenslangen Therapien Herausforderungen im Hinblick auf die Erstattung solcher Produkte schaffe, räumt Digel ein. „Deshalb ist es uns wichtig, nachhaltige und belastbare Zahlungsmodelle anzubieten, um Gentherapien auch langfristig im deutschen Gesundheitssystem zu etablieren.“ Das US-Unternehmen will in den nächsten Jahren weitere Gentherapien auf den Markt bringen. „Wir haben eine tolle Pipeline. Sie werden noch viel von Bluebird Bio hören“, sagt Digel. Unter anderem arbeitet das Unternehmen an einer Therapie gegen Sichelzellen-Anämie, die ebenfalls durch einen Gendefekt in den roten Blutzellen ausgelöst wird.

Forschung verschlingt Milliarden

Die Zulassung von Zynteglo ist für das US-Unternehmen ein Meilenstein auf dem Weg ins operative Pharmageschäft, auch wenn die Therapie bisher nur für einen Teil der ohnehin nicht sehr zahlreichen Thalassämie-Patienten genehmigt ist. In Deutschland kommt das Mittel angesichts der eng definierten Indikation nach Einschätzung von Bluebird für weniger als 100 Menschen infrage. Deutlich größer ist die Patientenzahl allerdings in südeuropäischen Ländern wie Italien und Griechenland, wo der für Thalässemie verantwortliche Gendefekt wesentlich häufiger auftritt.

Konkret bezieht sich die vorläufige Zulassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA auf die Behandlung von mindestens zwölf Jahre alten Patienten mit „transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie (TDT) und einem Nicht-Beta0/Beta0-Genotyp, für die eine hämatopoetische Stammzellen-Transplantation (HSZT) infrage kommt, aber kein verwandter Spender mit passendem humanen Leukozytenantigen (HLA) verfügbar ist.“

Mittelfristig hofft das US-Unternehmen, die Indikation auch auf andere Genotypen und jüngere Patienten auszuweiten. Auch in diesem Fall dürfte sich die Zahl der potenziellen Kunden in Deutschland allenfalls bei wenigen Hundert Personen bewegen.

Für die Markteinführung arbeitet Bluebird mit den Unikliniken in Heidelberg und Essen zusammen. Die Produktion der Gentherapie für den europäischen Raum erfolgt bei der Münchner Biotechfirma Apceth, die auf solche Verfahren spezialisiert ist. Man habe zwar nur geringe Patientenzahlen in Deutschland, berichtet Digel. „Auf der anderen Seite ist Deutschland aber ein sehr wichtiger Standort für die Entwicklung und Herstellung unserer Therapien.“

In den Geschäftszahlen des amerikanischen Biotechunternehmens spiegelt sich unterdessen die mühsame Forschung im Bereich der Gentherapien wider, die immer wieder von heftigen Rückschlägen begleitet war. Bluebird wurde 1992 unter dem Namen Genetix gegründet und hat seither knapp 1,7 Milliarden Dollar Verlust gemacht, davon alleine 164 Millionen Euro im ersten Quartal 2019.

Mit den verbliebenen Cash-Reserven von 1,7 Milliarden Dollar und einer Börsenbewertung von 6,5 Milliarden Dollar ist das Unternehmen indes solide gerüstet, um weiter massiv in die Produktentwicklung zu investieren. Neben weiteren Gentherapien gegen spezielle Erbkrankheiten zielt das Unternehmen dabei auch auf neue Immuntherapien gegen Krebs. Hier arbeitet Bluebird unter anderem mit der Münchner Biotechfirma Medigene zusammen.

Mehr: Mit der Übernahme von Tilos erhöht Merck & Co den Druck auf den deutschen Konkurrenten Merck. Der Deal befeuert die Rivalität der Unternehmen.