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Beschwörung bei Bertelsmann – CEO Thomas Rabe fordert mehr Kreativität

Die Konkurrenz der Tech-Konzerne macht dem Familienunternehmen zu schaffen. Der Vorstandschef schwört seine Top-Manager auf die Herausforderung ein.

„What drives us“ – was uns antreibt – steht in großen Buchstaben an der LED-Wand auf der Bühne. Haushoch. Das gigantische „B“ für Bertelsmann erscheint auf dem Bildschirm und bringt das Stadttheater in Gütersloh zum Leuchten. Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns, steht vor der LED-Wand.

Dunkle lässige Hose, dunkler Pullover und vor allem weiße Adidas-Turnschuhe – der Konzernchef strahlt Nähe aus. Und Energie: Beim Reden hebt er den rechten Arm wie ein Musiker an, so als ob er seinen Rhythmus finden und sein eigenes Tempo zügeln müsse.

Nähe, Energie, Tempo – das sind die Zutaten, mit denen Rabe seine wichtigsten Führungskräfte auf die Zukunft einschwören will. 528 Topmanager aus 33 Ländern sitzen Anfang Mai im Gütersloher Stadttheater, zwei ganze Tage lang, und sollen eine neue Firmenhaltung verinnerlichen, die sie später an die insgesamt rund 117.000 Bertelsmänner weitergeben. In der ersten Reihe: Miteigentümerin Liz Mohn. Ebenfalls zwei Tage lang ist sie eine aufmerksame Zuschauerin. Eine Erweckungsveranstaltung, die Rabe minutiös hat planen lassen.

Bertelsmann will sich 184 Jahre nach seiner Gründung neu erfinden. Zwei Jahre hat Rabe die Glaubenssätze des Unternehmens, das er seit 2012 führt, analysieren, bewerten und neu aufsetzen lassen. Ein mühsamer Prozess. „Wir haben uns Zeit genommen und mit vielen Mitarbeitern darüber diskutiert“, sagt Immanuel Hermreck, Personalvorstand von Bertelsmann, später am Abend.

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Am Ende kamen zwei Begriffe heraus: „Kreativität“ und „Unternehmertum“. Worte, die Rabe in Vorträgen von 34 Rednern an diesen zwei Tagen mit Leben erwecken will. Mit den neuen Glaubenssätzen, neudeutsch Essentials, will Rabe eine Antwort finden auf die Zwänge, die mächtige amerikanische Tech-Konzerne wie Google, Facebook, Amazon und Netflix auf ein deutsches Familienunternehmen wie Bertelsmann ausüben.

Google und Facebook besetzen mehr als die Hälfte des wachsenden digitalen Werbemarktes und bringen klassische Medien wie das Verlagshaus Gruner + Jahr unter Druck. Deren Chefin Julia Jäkel kann sich freuen, wenn sie den Umsatz stabil hält und eine ordentliche Marge an die Konzernmutter Bertelsmann meldet.

Onlinehändler Amazon hat das Buchgeschäft revolutioniert, die Rolle der stationären Händler angegriffen und damit auch das Selbstverständnis der stolzen Buchverlage ins Wanken gebracht. Penguin Random House, mit einem Umsatz von 3,4 Milliarden Euro eine wichtige Bertelsmann-Tochter, muss einen Weg finden, trotz des starken Gatekeepers Amazon immer wieder einen direkten Weg zu den Lesern zu finden.

Netflix, Pionier des Videostreamings, hat ein Fragezeichen hinter das klassische Fernsehen gesetzt. Zuschauer sind daran gewöhnt, dass sie selbst über Zeitpunkt und Inhalt ihrer Mediennutzung entscheiden – und nicht ein TV-Sender aus Köln wie die umsatzstärkste Bertelsmann-Tochter RTL (6,5 Milliarden Euro).

Konzernchef kritisiert Abläufe

Und auch das Musikgeschäft von Bertelsmann ist in die Fänge der Tech-Konzerne geraten: Plattformen wie die Google-Tochter Youtube können Konditionen diktieren – da muss ein Musikunternehmen wie die Bertelsmann-Tochter BMG eine Gegenstrategie haben.

CEO Rabe will den Konzern, der 2018 einen Umsatz von 17,7 Milliarden Euro und ein Konzernergebnis von 1,1 Milliarden Euro meldete, ein wenig drehen. Der Medienkonzern soll kreativer und mutiger werden, deshalb stehen die Bertelsmann-Leitworte Kreativität und Unternehmertum überall – an der Wand im Theaterfoyer ebenso wie auf den Süßigkeitenverpackungen auf den Stehtischen. Ufa-Chef Nico Hofmann ließ einen Motivationsfilm für die Konzernmutter produzieren, mit einer jungen Frau, einem rührenden Großvater und der Frage, wie Kreativität und Mut tatsächlich entstehen.

Die Botschaft: Ihr alle könnt es schaffen. So wie Markus Dohle, CEO von Penguin Random House, der 65 Millionen Dollar auf den Tisch legte, um die Rechte an den beiden Büchern von Barack und Michelle Obama zu kaufen – wohl wissend, dass er bei dem jetzigen Führungskräftetreffen vermutlich nicht mehr mit dabei gewesen wäre, hätte sich die hohe Investition nicht bezahlt gemacht.

Doch die frühere Präsidentengattin Michelle Obama erzielte mit „Becoming“ einen Bucherfolg, die Auflage kletterte in diesem Frühjahr über die Zehn-Millionen-Marke. Und Dohle ist der strahlende Gewinner im Bertelsmann-Reich, ein Vorbild. So wie er wollen jetzt viele sein. Mutig, positiv, kreativ. „Becoming Bertelsmann“.

Die Geschichte von „Becoming Bertelsmann“ hat eine weitere Komponente: die der Rückbesinnung auf Technologie. Es ist ein wunder Punkt des Unternehmens. Der ehemalige CEO Thomas Middelhoff hatte mit dem Kauf der Musikplattform Napster eine Hinwendung zur Internetwirtschaft versucht, sein Nachfolger Gunter Thielen musste ab 2002 das Kerngeschäft konsolidieren und verkaufte unrentable Internetfirmen wieder, darunter Bol.de und den Onlineshop von Barnes & Noble.

Bei anderen Unternehmen lief es anders. So verkündete beispielsweise Konkurrent Axel Springer 2003 das Ziel, Europas führender Digitalverlag werden zu wollen. Der Berliner Medienkonzern hat sein Geschäft gedreht: Gut 70 Prozent des Umsatzes stammen inzwischen aus digitalen Geschäften. Das digitale Kleinanzeigengeschäft ist das wirtschaftliche Rückgrat des „Bild“-Verlags geworden.

Bertelsmann musste aufholen. Erst mit Rabes Amtsantritt 2012 kam Digitalisierung zurück auf die Topagenda. Wachstumsschwache Bereiche wie das Buchclub-Geschäft, einst identitätsstiftend für das Unternehmen, schloss der aus Luxemburg stammende Konzernchef beherzt. Dafür stärkte er die wachstumsstarken Geschäfte – die allesamt einen Digitalhintergrund haben.

Unverhohlen kritisiert Rabe auf der Führungskräftetagung in Gütersloh die Arbeitsabläufe in seinem Konzern. Die interne Bürokratie müsse verschlankt werden, bei Entscheidungen seien zu viele Mitarbeiter involviert, die „die Qualität der Entscheidung nicht verbessern können“. Die Incentives für Führungskräfte müssten vereinfacht, die Zusammensetzung der Teams vielfältiger werden. In den Meetings säßen zu viele ähnliche Menschen, monierte der CEO die mangelnde Diversität in den Teams. Er wolle die Silos aufbrechen („We can’t win alone“) und zugleich die Autonomie der Mitarbeiter stärken. „Wir müssen den Leuten die Zeit geben, um an Projekten zu arbeiten“, sagt Rabe.

Topmanager der acht Unternehmenssparten reagierten erstaunt auf so viel offene Kritik des obersten Chefs. „Das war sehr überraschend, aber ich finde es gut“, sagt ein CEO einer Tochterfirma später am Abend. Vor allem der Kampf gegen das Silodenken kam ausgerechnet bei vielen Silo-Verantwortlichen gut an. „Man muss sich ja fragen, warum wir das nicht schon längst gemacht haben“, sagt ein anderer Topmanager.

Neue Tech-Community

Als Blaupause gilt die Ad Alliance, die seit 2016 die Vermarktung unter anderem von RTL und Gruner + Jahr bündelt. Anfang dieses Jahres folgte die Content Alliance, ein Zusammenschluss von sechs Bertelsmann-Unternehmen, der Synergien in der Verwertung der Inhalte heben soll. Gruner + Jahr-Chefin Jäkel leitet die Content Alliance. Am nächsten Morgen stellt sie auf der Bühne gut gelaunt Projekte vor. „Keiner ist so nah an den Inhalten, denn es sind unsere Inhalte!“, ruft sie. Wenn beispielsweise die Musiktochter BMG den Musiker Bryan Ferry dazu bringt, in der Ufa-Produktion „Babylon Berlin“ einen Auftritt zu geben.

Nun kommt nach dem Werbeverbund und der Inhaltegemeinschaft ein dritter Kreis hinzu: die Data-Alliance. Auch hier ist die Idee nicht neu, schon einmal wurde der Versuch unternommen, die Technologien des Konzerns abzugleichen. Doch „Golden Gate“, wie das Projekt damals hieß, konnte am Ende nicht golden strahlen.

Jetzt also ein neuer Anlauf. Eine Community von rund 260 Bertelsmann-Mitarbeitern aus allen acht Unternehmen hat sich zusammengefunden, um technologische Lösungen zu erarbeiten. Sie tauschen sich online aus, treffen sich bei Workshops in London und in New York. Im Oktober ist ein Summit in Gütersloh geplant.

Die Tech-Experten arbeiten an einer Big-Data-Architektur, an Cloud-Lösungen, an Anwendungen für Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Arvato-Manager Rolf Hellermann und Annabelle Long, Managerin des Fonds Bertelsmann Asia Investments (BAI), stellen die neue Tech-Agenda an diesem Vormittag vor. Es ist ein Bereich, in den Bertelsmann viel Geld investieren will.

Bertelsmann-Chef Rabe fordert Zusammenarbeit ein. Es ist sein Rezept gegen die Übermacht der Tech-Konzerne jenseits des Atlantiks. Marathonläufer Rabe, der nicht lockerlässt, nicht aufgibt, bis seine persönliche Laufzeit unterhalb von vier Stunden liegt, hat eine ebenso hohe Erwartung an seine Führungskräfte.

Nicht alle werden dieser Erwartung gerecht. Nicht alle haben so viel Energie. Bert Habets, ehemaliger CEO der RTL Group, musste das Unternehmen Anfang April überraschend verlassen. Der Niederländer soll einem Untreueverdacht in seinem Unternehmen nicht entschieden genug nachgegangen sein, heißt es in Medienberichten, zudem habe er sich nur selten in der Zentrale in Luxemburg blicken lassen. Die RTL-Hauptversammlung verweigerte ihm die Entlastung.

Statt einen neuen CEO für die umsatzstärkste Bertelsmann-Tochter zu suchen, besetzte Rabe diesen Poste selbst – in Personalunion mit seiner Aufgabe als Konzernchef. Er verschlankte die Aufgaben, schob das deutsche Radiogeschäft der RTL Group an die Mediengruppe RTL Deutschland und will nun die große Herausforderung angehen: die Wandlung eines deutschen TV-Senders in ein Unternehmen, das mit Tech-Konzernen wie Netflix, und Amazon Prime Video mithalten kann.

Dafür hat er auch einen starken Mann an die deutsche RTL-Spitze gesetzt: Bernd Reichart, zuvor „Vox“-Chef, ist im Januar als Nachfolger von Anke Schäferkordt angetreten. Bereits in den ersten Wochen baute Reichart die Führungscrew um, warb etwa die Ex-„Bild“-Chefin Tanit Koch an. Seit der Führungskräftetagung wird Reichart auch der „Yes-Man“ genannt – in Anlehnung an seine Rede zu mehr mutigem „Ja“ und weniger schnellem „Nein“.

Das ist die Welt, die Rabe bei Bertelsmann haben will. Firmeninhaberin Mohn steht hinter ihm. Auf die Frage, wie ihr verstorbener Ehemann Reinhard Mohn dies alles gefunden hätte, sagt sie am Abend klar: „Gut. Er hätte es gut gefunden.“