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Bahn-Chef sieht „schlimmste Krise“ – Gewerkschaft lehnt Nullrunde im Tarifstreit trotzdem ab

Die Bahn will zwei Milliarden Euro Personalkosten einsparen – mindestens. Die Gewerkschaft EVG sieht das als „Griff in die Tasche“ der Eisenbahner.

Mit drastischen Worten stimmt Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz seine Mitarbeiter auf einen harten Sparkurs ein. „Aus finanzieller Perspektive befinden wir uns erst am Anfang der Krise“, warnte er am Montag in einem internen Rundschreiben. Zum Jahresende erwartet er den „größten operativen Verlust in der Geschichte der DB“.

Es sei die „schlimmste finanzielle Krise“ seit dem Bestehen der Deutschen Bahn AG, stellte er in dem Schreiben klar, das dem Handelsblatt vorliegt. Die Milliarden, die jetzt gebraucht würden, könne sich die Bahn aber nicht allein vom Eigentümer holen.

5,5 Milliarden Euro hat Lutz der Bundesregierung an Kostensenkungen bis 2024 zugesagt. Die will im Gegenzug den gleichen Betrag an frischem Kapital bereitstellen. Mit den insgesamt elf Milliarden Euro soll der Corona-bedingte Einbruch beim Staatskonzern aufgefangen werden.

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Die schwierigste Mission des Bahn-Chefs: Auch die 200.000 Eisenbahner in Deutschland sollen sparen, 500 Millionen Euro pro Jahr, mindestens. So jedenfalls lautet der Plan des Vorstands. Das werde eine Quadratur des Kreises, sagt ein Insider, denn entlassen will Lutz niemanden, und auch die Einstellungsoffensive soll weitergehen. Das bedeutet, dass die Bahn jährlich 20.000 bis 25.000 neue Mitarbeiter einstellen will.

Wie aber können die Personalkosten so um zwei Milliarden Euro gesenkt werden? Betriebsräte und Gewerkschafter befürchten, dass der Vorstand Mini-Lohnsteigerungen oder gar eine Nullrunde durchsetzen will.

Personalchef Martin Seiler stehen brisante Verhandlungen bevor. Der Tarifvertrag läuft zwar erst am 28. Februar 2021 aus, doch schon jetzt starten die Verhandlungen. Das gab die Bahn am Montag in dem internen Rundschreiben bekannt.

Die Gewerkschaft EVG legt sich schon mal fest. „Eine Nullrunde wird es mit uns nicht geben“, sagte der kommissarische EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel dem Handelsblatt. „Wir wollen sicherstellen, dass den Eisenbahnern nicht in die Tasche gegriffen wird.“

Hommel kann sich in den Verhandlungen mit dem Vorstand keine Schwäche leisten. Der 63-jährige EVG-Funktionär will am 7. Dezember auf dem Gewerkschaftstag zum Vorsitzenden gewählt werden. Derzeit ist er nur kommissarischer Chef der EVG, weil sein Vorgänger nach kurzer Amtszeit im Winter überraschend aufgegeben hatte. Hommel ist seit 2010 der ewige Stellvertretende, jetzt will er noch einmal an die Spitze.

Personalkosten sind eine wesentliche Stellschraube für den Staatskonzern. Ein Prozent Lohn- und Gehaltssteigerungen machen knapp 100 Millionen Euro aus. Nennenswertes Sparpotenzial bieten zwar die zugesagten 150 bis 180 Millionen Euro aus gekürzten Boni der Bahn-Führungskräfte einschließlich des Vorstands. Aber: Dieser Sparbetrag fällt nur einmalig für das Geschäftsjahr 2020 an. Danach müssten an anderer Stelle Kosten gekappt werden.

Würde die Zahl der Einstellungen reduziert, bräche der Bahn-Vorstand ein anderes Versprechen. Der ausgedünnte Betriebsdienst – Lokführer, Zugbegleiter und Stellwerkspersonal – soll wieder kräftig aufgestockt werden. Die Gewerkschaft fürchtete schon, dass ausgerechnet hier die Axt angesetzt werden könnte. EVG-Mann Hommel warnte davor, dass 10.000 Jobs gefährdet sein könnten.

Dabei bedeuteten „10.000 gefährdete Arbeitsplätze nicht Entlassungen, sondern dass frei gewordene Stellen nicht besetzt werden, obwohl das notwendig ist“, sagte er. Hommel ist zudem der Ansicht, dass die Zahl 10.000 wahrscheinlich noch zu tief gegriffen sei.

Weselsky schoss quer

Lutz spricht sich und seinen Beschäftigten in dem Rundschreiben aber auch Mut zu: „Dass ein Zukunftspakt gelingen kann, um die Coronakrise zu überstehen, sehen wir an anderen Branchen. In der Metallbranche oder ganz aktuell bei der Lufthansa gab es den notwendigen Schulterschluss aller Seiten.“ Deshalb würden jetzt auch schon Tarifverhandlungen mit der EVG aufgenommen.

Weil es für die Bahn nicht einfach sein wird, die Personalkosten wie dem Bund versprochen zu drücken, beorderte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Ende Mai alle Beteiligten an einen Tisch. Bahn-Chef Richard Lutz, der Bahn-Konzernbetriebsratsvorsitzende Jens Schwarz und EVG-Mann Hommel unterzeichneten in Scheuers Ministerium in Berlin ein „Bündnis für unsere Bahn“. Ziel dieses Pakts ist es, die „Coronakrise gemeinsam und solidarisch zu bewältigen“.

Den Eisenbahnern wird darin „Sicherheit und Stabilität für ihre Arbeitsplätze“ zugesichert. Im Gegenzug haben sie ihre Bereitschaft erklärt, „intelligente, sozial ausgewogene und ökologisch sinnvolle Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung“ mitzutragen. Details: Verhandlungssache.

Doch einer schoss sofort quer. Lokführer-Boss Claus Weselsky weigerte sich, das Papier zu unterzeichnen. Weselsky schlug demonstrativ die Einladung des Verkehrsministers aus und warnte stattdessen vor Eingriffen in die Tarifautonomie durch freiwillige Sparzusagen der Arbeitnehmer. „Die GDL wird ihre Unterschrift nicht unter das Bündnis von Bund, Deutscher Bahn, Tarifpartner und Konzernbetriebsrat setzen“, stellte der GDL-Chef Ende Mai klar.

Die größere Eisenbahnergewerkschaft EVG allerdings startete umgehend Gespräche mit Bahn-Personalvorstand Seiler. Die münden nun, gut einen Monat nach dem „Bündnis“, in vorgezogenen Tarifverhandlungen. Acht Monate haben die Tarifpartner Zeit, „intelligente“ Lösungen zu finden.

Das könnte der Abbau von Überstunden sein, die bei der Bahn mit einem dreistelligen Millionenbetrag an Rückstellungen zu Buche schlagen. Intern wird auch von einem möglichen Einstellungsstopp in betriebsfernen Bereichen gesprochen, also in der Verwaltung.

Der noch laufende Tarifvertrag dürfte wohl kaum Messlatte sein. Im Dezember 2018 hatten sich Bahn und Gewerkschaften auf massive Einkommensverbesserungen geeinigt. Die Löhne und Gehälter stiegen in zwei Stufen um 3,5 Prozent 2019 und sollen jetzt noch einmal zum 1.Juli um 2,6 Prozent steigen.

Erneut konnten die Eisenbahner auch zwischen Geld und mehr Freizeit wählen. Unerwartet viele Beschäftigte entschieden sich für letztere Variante. Für die Bahn eine kostspielige Angelegenheit. Denn mehr Freizeit wirft auch die Schichtpläne komplett durcheinander. Die Folge: Es muss überproportional Personal eingestellt werden. Diese von der EVG erfundene Einkommensverbesserung dürfte in Corona-Zeiten definitiv ausfallen.

Defizit von elf Milliarden Euro bis 2024

Zwei Milliarden weniger Personalkosten bis 2024 sind nur das Basisszenario, das Lutz hat berechnen lassen. Wochenlang waren die Züge in Absprache mit der Bundesregierung weitgehend leer durch Deutschland gefahren. Der Einbruch im ohnehin defizitären Güterverkehr war kaum weniger heftig. Unterm Strich ergibt sich laut Bahn damit ein Defizit von elf Milliarden bis 2024.

Der Bund will 5,5 Milliarden Euro frisches Kapital zuschießen, um das Loch zu stopfen. Die Bahn hat zugesagt, ebenfalls 5,5 Milliarden Euro zusammenzukratzen. 1,4 Milliarden davon, so der Plan, sollen durch zusätzliche Verschuldung aufgebracht werden, 4,1 Milliarden Euro durch sogenannte „Gegensteuerung im Systemverbund“. Jeweils die Hälfte soll durch Einsparungen bei Sach- und eben bei den Personalkosten dazukommen.

Bei einem zweiten Lockdown könnte das Finanzloch nach Berechnungen des Vorstands sogar auf 13,5 Milliarden Euro steigen. Damit stiege auch der Beitrag des Unternehmens zum Sparpaket auf 6,7 Milliarden Euro.

Die Verschuldung des Unternehmens wird ungeachtet der Sparanstrengungen ohnehin kräftig steigen. Hybridanleihen über drei Milliarden Euro, die teilweise als Eigenkapital gewertet werden, sind jetzt in normale Anleihen umgewandelt und zum Teil schon platziert.

Bis zum Jahresende könnte die Gesamtverschuldung der Deutschen Bahn auf 30 Milliarde Euro steigen. Der Bundestag hatte im Zuge des Corona-Pakets für den Staatskonzern den Deckel Ende Mai um fünf Milliarden Euro angehoben. Die Bahn wird nach internen Berechnungen wegen der Coronakrise in diesem Jahr bis zu acht Milliarden Euro neue Schulden machen.