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Mit Baby auf dem Schoß im Investor-Call: „Ich habe mir meinen Kinderwunsch ohne Partner erfüllt und leite ein Startup“

Die Kenbi-Gründerin Katrin Alberding (39) mit Tochter Amelie (sechs Monate). - Copyright: Lisa Kempke für Business Insider / Gründerszene
Die Kenbi-Gründerin Katrin Alberding (39) mit Tochter Amelie (sechs Monate). - Copyright: Lisa Kempke für Business Insider / Gründerszene

Ein Startup und gleichzeitig Kinder zu haben, das ist generell eine herausfordernde Kombination. Katrin Alberding baut mit Kenbi nicht nur ein hochfinanziertes Pflege-Startup auf. Anfang dieses Jahres hat die 39-Jährige außerdem eine Tochter bekommen – als Solo-Mutter. Das heißt: Es gab keinen Partner oder keine Partnerin, das Kind wurde über künstliche Befruchtung gezeugt.

Schon seit vielen Jahren habe sie ihr Kinderwunsch begleitet, erzählt sie Gründerszene. In Deutschland sei das Thema noch viel zu sehr ein Tabu, sagt sie. Das ist einer der Gründe, weshalb sie sich dazu entschieden hat, so offen über ihren Weg hin zur Solo-Mutterschaft als Gründerin zu sprechen.

Wie ihr Umfeld und ihre Investoren auf ihre Schwangerschaft reagiert haben und wie Alberding versucht, ihren Alltag mit Startup-Problemen und Kleinkind-Versorgen zu meistern, hat die Kenbi-Gründerin für uns rekapituliert und zeitlich eingeordnet.

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Ein Protokoll von Sarah Heuberger

„Was muss ich verdienen, um Solo-Mutter sein zu können?“

„Ich glaube, am schlimmsten ist es, wenn man nicht genau weiß, ob man Kinder bekommen will oder nicht. Ich wusste aber schon immer, dass ich Mutter werden möchte. 2010, mit Ende 20, habe ich in Harvard studiert und dort einen Kurs besucht, der ,Building A Business in The Context of Life' hieß. Ich erinnere mich, dass ich mir schon damals genau ausgerechnet habe, was ich einmal verdienen müsste, um Solo-Mutter werden zu können.

Später habe ich für die Unternehmensberatung BCG in New York gearbeitet. Dort hatten alle weiblichen Angestellten die Möglichkeit, ihre Eizellen einfrieren zu lassen. Grundsätzlich sind viele in den USA offener dem Thema gegenüber. Fast jede meiner US-amerikanischen Freundinnen hat sich mittlerweile schon ihre Eizellen einfrieren lassen. Ich wusste schon damals, dass ich irgendwann zurück nach Europa will und ich hatte keine Ahnung, wie ich meine Eizellen aus den USA und durch den Zoll bekommen sollte. Also habe ich mich damals gegen das Freezing entschieden.

Mich stört, dass es ein großes gesellschaftliches Verständnis für Paare gibt, die einen Kinderwunsch haben. Für Singles aber nicht. Ein Freund meinte zu mir, er fände mich egoistisch, weil ich allein ein Kind bekommen wolle. Das hat mich verletzt. Und es war auch das erste Mal, dass mir bewusst wurde, dass ich auch negativ für meinen Kinderwunsch bewertet werden kann.

„Ich mache Ihnen keinen Halbwaisen“

Ein paar Jahre später bin ich in die Schweiz umgezogen, um dort für verschiedene Startups zu arbeiten. Ich habe so viel damals gearbeitet, dass eine Schwangerschaft zu der Zeit nicht in Frage gekommen wäre. Um den Druck rauszunehmen, habe ich mir schließlich doch Eizellen einfrieren lassen, in einer Klinik in Süddeutschland. Ich habe die Eizellen letztendlich nie verwendet, aber es hat mir ein Stück weit Sicherheit gegeben.

Erst hinterher habe ich gemerkt, dass der Arzt, der mich behandelt hat, sehr kritisch gegenüber Solo-Müttern war. Er meinte tatsächlich irgendwann zu mir, dass er mir nur die Eizellen befruchten würde, wenn es auch einen Mann dazu gäbe. ,Ich mache ihnen keinen Halbwaisen', hat er mir gesagt.

Zum Gründen zurück nach Deutschland

Vor drei Jahren bin ich zurück nach Deutschland gegangen, um dort unser Unternehmen Kenbi zu gründen. Unser CTO wohnt in Portugal, mein Co-CEO in Niedersachsen. Ich bin schließlich nach Berlin gezogen, um dort das Headquarter unserer Firma aufzubauen. Hier gibt es die Talente, hier ist das Gesundheitsministerium und viele unserer Investoren. Aber auch mein Plan, Solo-Mutter zu werden, hat für mich persönlich eine wichtige Rolle gespielt. In Berlin gibt es ein sehr gutes Netzwerk an Solo-Müttern und viele Kliniken – und grundsätzlich sind die Leute hier offener dem Thema gegenüber als anderswo.

Ich habe zwischenzeitlich sehr damit gehadert, ob ich den Schritt gehen soll oder nicht. Ich dachte, wenn ich das jetzt mache, dann finde ich vielleicht keinen Partner mehr. Auch durch Gespräche mit anderen Solo-Müttern wurde mir aber irgendwann klar: Es ist nicht das eine oder das andere. Ich habe mich einfach dafür entschieden, meinen Kinderwunsch und meine Partnersuche voneinander zu trennen.

Nachdem ich nach Berlin gezogen bin, habe ich schließlich damit angefangen, den Babywunsch konkret anzugehen. Der ganze Prozess zur Solo-Mama ist sehr aufwendig, ich musste mich unter anderem rechtlich und sozial-psychologisch beraten lassen. Ich habe auch lange nach einem geeigneten Samenspender gesucht. Es ist mir schwergefallen, so wenige Informationen über den Spender – die zweite Hälfte meines Kindes – zu haben und gar nicht zu wissen, wie er ist, ob er mir sympathisch wäre, wie er aussieht und denkt.

Mir war außerdem wichtig, eine Klinik und eine Ärztin zu finden, die offen gegenüber Single-Müttern ist. Es war mir ja mittlerweile klar, dass es auch dort große Unterschiede in der Einstellung gab, und es sollte nicht wieder so werden wie beim Social-Freezing-Prozess.

Vom Schwanger werden und Geld einsammeln

Im Juni vergangenen Jahres fand meine allererste künstliche Befruchtung statt. Zu meiner großen Überraschung hat es sofort beim ersten Mal geklappt, das ist eigentlich sehr ungewöhnlich. Normalerweise plant man mit bis zu sechs Behandlungen und auch dann ist es nicht sicher, dass es funktioniert.

Im vergangenen Sommer haben wir außerdem parallel angefangen, unsere Series-A-Runde einzusammeln. Ich war unglaublich dankbar für Onlinemeetings, aber leider fing es da gerade wieder an, dass man sich wieder in Person getroffen hat und auch musste. Mir war unfassbar übel damals. Innerhalb von zwei Wochen habe ich 50 Investorengespräche geführt und mich zu diesem Zeitpunkt bestimmt sechsmal am Tag übergeben.

Ich wusste lange Zeit nicht, wie und wann ich meinen Investoren von meiner Schwangerschaft erzählen soll. Ich bin dann erstmal zu meinem vertrautesten Investor gegangen, der sich wahnsinnig für mich gefreut hat. Wir haben gemeinsam überlegt, wie ich es den anderen sagen kann. Er hat mich außerdem auf ganz praktische Dinge hingewiesen, zum Beispiel, dass das Vesting für Firmenanteile üblicherweise angehalten werden kann, wenn man als Gründerin zu lang draußen ist. Meinen anderen Investoren habe ich im nächsten Board-Meeting einen detaillierten Plan vorgestellt, wie ich die Übergabe regeln will.

Katrin Alberding mit ihren zwei Mitgründern Bruno Pires und Clemens Raemy (rechts). Das Startup Kenbi betreibt mehrere dezentrale Pflegedienste. Die Gründer wollen den Pflegeberuf wieder attraktiver machen – durch weniger Bürokratie und mehr Selbstorganisation mit eigener Software. 450 Pflegekräfte beschäftigt das Startup mittlerweile, im Kernteam der Firma arbeiten aktuell mehr als 50 Personen. Kenbi hat bis dato mehr als 30 Millionen Euro an Wagniskapital eingesammelt, VC-Fonds wie Headline, Heartcore, Redalpine und der US-Healthcare-VC Endeavour Vision. - Copyright: Kenbi

Schwieriger war es bei unseren neuen Geldgebern. Einerseits wollte ich nicht, dass meine Schwangerschaft die Gespräche beeinflusst hätte, andererseits wollte ich ihnen es nicht erst hinterher sagen. Also habe ich gewartet, bis die komplette Due Diligence durch war, und ihnen vor dem Notartermin davon erzählt. So hätten sie also noch im letzten Moment zurückziehen können, was aber Gott sei Dank niemand getan hat.

Eigentlich habe ich immer sehr viel positive Rückmeldung bekommen, wenn ich von meinen Baby-Plänen erzählt habe. Wobei mir wahrscheinlich viele nicht ins Gesicht gesagt hätten, wenn sie anderer Meinung gewesen wären. Bei manchen habe ich Mitleid gespürt, bei meinen Eltern zum Beispiel. Ich glaube, die hätten sich gewünscht, dass es anders läuft für mich. Mittlerweile ist das aber glaube ich gar kein Thema mehr für sie.

Vorbereitungen auf die Geburt

Bis auf die anfängliche Übelkeit war meine Schwangerschaft total schön. Ich dachte immer, dass es vielleicht traurig sei, wenn ich in dieser Zeit keinen Partner an meiner Seite hätte, mit dem ich diese Erfahrung teilen könnte. Am Ende war es aber eine wunderschöne Reise zwischen mir und meinem Kind. Da hätte ein Partner fast nur gestört.

Außerdem habe ich versucht, die Wochen um die Geburt herum so gut wie möglich zu planen. Mir war klar, dass ich in dieser Zeit keine Projekte mehr leiten wollte. Also habe ich drei Mitarbeiter hochgezogen, die noch recht juniorig waren. Wir haben OKRs eingeführt und mein Mitgründer hat mir sehr viel abgenommen, weil er noch öfter ins Berliner Büro gekommen ist als vorher.

Zwei Tage nach Geburt Rechnungen überwiesen

Der eigentliche Geburtstermin war erst Ende Februar, doch schon zwei Wochen vorher, am 14. Februar, setzten nachts die Wehen ein. Ich habe noch den ganzen Tag Calls gemacht und meine Übergabe vorbereitet. Ein Investor fragte mich, ob ich am nächsten Tag einen Bewerber treffen könnte. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen schaffe“, schrieb ich ihm. Am selben Abend kam meine Tochter auf die Welt.

Eigentlich bin ich auch im Mutterschutz die ganze Zeit involviert geblieben bei Kenbi. Schon zwei Tage nach der Geburt habe ich Rechnungen überwiesen, weil niemand anderes die Logins hatte.

Rechtlich gesehen habe ich als Geschäftsführerin keinen Anspruch auf Elterngeld. Meine Investoren und mein Mitgründer wollten es mir dennoch ermöglichen, mir mehr Zeit zu nehmen. Aber ich habe abgelehnt. Mir war wichtig, relativ schnell auszuprobieren, ob die Kombi mit Kind und Startup überhaupt so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt hatte.

„Ich arbeite mittlerweile wieder zehn Stunden am Tag“

Mittlerweile ist Amelie sechs Monate alt. Mein Zwischenfazit nach einem halben Jahr: Es geht alles irgendwie, auch wenn es nicht immer einfach ist. Ich habe schon ewig keine Nacht mehr durchgeschlafen. Und ich habe ihr bestimmt schon mal einen Tag zugemutet, der zu lang war.

Seit Amelie auf der Welt ist, ist so viel Last von meinen Schultern abgefallen. Ich bin froh, dass ich selbstständig darüber entscheiden kann, was gut für sie ist, und mich nicht mit jemanden darüber abstimmen muss. Nur beim Namen habe ich mich sehr schwergetan, da hätte ich gern jemanden gehabt, mit dem ich das ausdiskutieren konnte. Ansonsten geht es immer um ein zweites Paar Hände, aber dafür braucht es ja eigentlich keinen Partner.

Ich arbeite mittlerweile bestimmt wieder zehn Stunden pro Tag, wenn auch viel flexibler und mit mehr Unterbrechungen. Zwei- bis dreimal die Woche bin ich nachmittags im Büro, da nehme ich sie immer mit. Ich hatte sie auch schon zweimal mit auf der Bühne, als ich auf Panels gesprochen habe. Einmal hat sie währenddessen gepupst, aber ich glaube, das hat zum Glück niemand gehört.

Katrin Alberding (2. von links) mit Amelie auf einem Panel des Berliner Startups Heyjobs  - Copyright: Valentin Paster
Katrin Alberding (2. von links) mit Amelie auf einem Panel des Berliner Startups Heyjobs - Copyright: Valentin Paster

In vielen Calls habe ich sie einfach auf dem Arm. In den meisten Fällen reagieren die Leute sehr gut auf sie. In Bewerbungsgesprächen kann sie ein krasser Türöffner sein, man kommt so viel schneller auf eine persönliche Ebene. Weil ich nicht so gut tippen kann, mit Baby auf dem Arm, mache ich ganz viel per Sprachnachricht. In Meetings bitte ich einfach jemand anderen, Notizen zu machen.

Seit kurzem wohnt ein Au-pair bei uns, das erleichtert auch vieles. Aber ich habe auch wahnsinnig viel Unterstützung mit Amelie von meinem Team – das sprichwörtliche Dorf, das es braucht, um ein Kind großzuziehen. Im Büro wollen immer alle das Baby sehen und mit ihr spielen. Es gab schon mal einen Moment, wo sie nicht in ihrer Wiege lag und ich mir nicht sicher war, wem ich sie eigentlich gegeben hatte.

„Ein Investor sagt ab – liegt es an meinem Kind?“

Auch wenn wir gerade keine neue Runde raisen, befinden wir uns konstant in Gesprächen mit Investoren. Vor Kurzem ist es mir dann zum ersten Mal passiert, dass ein Investor komisch darauf reagiert hatte, dass ich im Call Amelie auf dem Arm hatte. Er hat mich extrem hinterfragt und wollte genau wissen, wie ich mich denn so als junge Mutter organisiere. Es war auch das erste Mal, dass mein Mitgründer Klemens und ich danach vereinbart haben, dass ich meine Tochter beim nächsten Gespräch nicht mit vor die Kamera nehme. Der Investor hat uns dann am Ende auch abgesagt, natürlich aus anderen Gründen. Das ist das Fiese – du weißt nie, ob es letztendlich etwas mit dem Kind zu tun hatte oder nicht.“