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Autozulieferer unter Druck – Experten befürchten Pleitewelle

Mit Avir Guss droht die dritte Pleite in der Autozulieferindustrie binnen kurzer Zeit. Die Probleme der Branche sind trotz Konjunkturschwäche häufig hausgemacht.

Frank Günther ist seit Tagen für die Presse nicht zu erreichen. Wenn Günther sich schon nicht öffentlich äußern will, so ist er als Geschäftsführer des Automobilzulieferers Avir Guss seiner Belegschaft eine Erklärung schuldig. Seit Wochen warten viele Mitarbeiter des früher unter „Neue Halberg Guss“ (NHG) firmierenden Unternehmens auf ihren Lohn.

Mit jedem verstreichenden Tag wächst die Sorge, das Warten könnte vergebens gewesen sein. Wie das Handelsblatt aus dem Umfeld der Investoren von Avir Guss erfuhr, fehlt derzeit die Zusage für einen mittleren einstelligen Millionenbetrag, um das notleidende Unternehmen zu retten. Gelingt es nicht, den Betrag aufzutreiben, droht in wenigen Tagen die Insolvenz. Avir Guss wollte die Spekulationen nicht kommentieren.

Der Fall wirft erneut ein Schlaglicht auf den Zustand der Automobilzulieferindustrie, die ohnehin hohe Investitionen für die Transformation ins Elektrozeitalter stark belasten. Geht auch Avir Guss die Luft aus, wäre das bereits die dritte Insolvenz nach dem süddeutschen Zulieferer Weber Automotive und dem schwäbischen Lackieranlagenbauer Eisenmann. Die einzelnen Fälle sind alle unterschiedlich, aber doch in einem wesentlichen Punkt gleich: Es erwischt die Unternehmen, die hausgemachte Probleme schon zu Boomzeiten hatten, mit abflauender Konjunktur als Erste.

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Wie dramatisch es mitunter zugehen kann, zeigt jetzt der Fall Avir Guss, das im vergangenen Jahr noch unter seinem alten Namen „Neue Halberg Guss“ zu trauriger Berühmtheit kam. Damals fochten der frühere Eigentümer Prevent, der der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor gehört, und VW einen erbitterten Preiskampf aus, der auf seinem Höhepunkt zu einem wochenlangen Lieferstopp bei der NHG geführt hatte.

Tausende Mitarbeiter gingen damals auf die Straße, um gegen Personalkürzungen zu demonstrieren, die das Management infolge des Lieferstopps verhängen wollte. Ende 2018 wurde die Gießerei dann an die Restrukturierungsberatung One Square unter der Führung von Frank Günther verkauft. Doch die finanzielle Schieflage blieb bestehen.

Nun könnte für die rund 1500 Mitarbeiter der Gießerei mit Standorten in Saarbrücken und Leipzig in wenigen Tagen die ewig lange Hängepartie enden – und nach den jüngsten Entwicklungen völlig überraschend auf die denkbar schlechteste Weise. Denn noch vor einer Woche galt das Unternehmen als gerettet, nachdem sich wichtige Kunden, darunter die Autobauer VW und General Motors sowie der Motorenhersteller Deutz auf ein Hilfspaket für Avir geeinigt hatten.

Diese Einigung ist offenbar im letzten Moment wieder geplatzt. Eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagte dem Handelsblatt, VW habe vor Unterzeichnung der Verträge plötzlich Nachbesserungen gefordert, die sich nicht realisieren ließen. Dabei soll es unter anderem um eine Garantie über die Auszahlung geplanter Landesbürgschaften gegangen sein. In Kreisen des VW-Konzerns hieß es indes, dass es keine Forderung nach einer Garantie der Landesbürgschaften gebe.

Sowohl die sächsische als auch die saarländische Landesregierung hatten Bürgschaften in zweistelliger Millionenhöhe zugesagt, sollte ein Gutachter dem Unternehmen eine positive Fortführungsperspektive attestieren. Nach Informationen des Handelsblatts fehlte dafür ein niedriger zweistelliger Millionenbetrag, für den das Kundenkonsortium zunächst hätte aufkommen sollen.

Unterstützung durch wichtige Kunden

Doch offenbar meldete VW im letzten Moment wieder Bedenken an – und soll neben einer Garantie der Landesbürgschaften auch eine vertragliche Zusage gefordert haben, dass Avir bis 2021 keine weiteren Zuschüsse benötigen wird. „Die neuen Bedingungen, die VW stellt, sind nicht erfüllbar“, klagte ein Manager eines beteiligten Unternehmens im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Das kann man zwar so planen, aber nicht vertragsfest garantieren.“

Die anderen Mitglieder des Konsortiums zweifelten daher am guten Willen in Wolfsburg, hieß es aus dem Umfeld der Investoren. Vor allem für VWs Konkurrenten in dem Konsortium sei die geforderte Sonderbehandlung des Autobauers völlig inakzeptabel gewesen. Damit ist die Rettung des Zulieferers wieder hochgradig gefährdet.

Volkswagen wollte sich zu den Überlebenschancen der Gießerei nicht äußern. Schon im Juni berichtete das Handelsblatt über Unstimmigkeiten zwischen den Geldgebern. Hintergrund war ein Streit, der schon unter dem früheren Eigentümer der damaligen NHG seinen Anfang nahm. Es ging dabei um die Schuld an der Misere der Gießerei – aber auch um die Frage, wer welchen Beitrag zu leisten hatte, um das Unternehmen wieder nachhaltig in die Spur zu bringen.

Bereits der Kauf der früheren NHG durch den Sanierer One Square, bei dem auch der jetzige Geschäftsführer Frank Günther als Managing Partner tätig ist, war nur mithilfe der Unterstützung wichtiger Kunden möglich. So wurde die Transaktion vollständig von einem Konsortium finanziert, an dem sich wichtige Kunden der Gießerei nach dem Konflikt zwischen Prevent und VW beteiligt hatten.

Zu den Investoren gehörten damals General Motors sowie Deutz, die durch die daraus folgenden Lieferschwierigkeiten ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden. Insgesamt betrug der Kaufpreis 50 Millionen Euro. Obwohl der Streit zwischen VW und Prevent wohl ursächlich für die Probleme bei der NHG war, wollte sich VW seinerzeit nicht an der Finanzierung des Kaufs beteiligen.

Im Gegenteil ließ der VW-Konzern sogar einen Großteil des Kaufpreises gerichtlich pfänden, noch bevor er auf dem Konto von Prevent eingegangen war. Denn der Autobauer fordert Schadensersatz für die drastischen Preiserhöhungen von teilweise mehr als 100 Prozent, die Prevent damals als Eigentümer der NHG durchgesetzt hatte – und die letztlich zu dem Lieferstopp führten.

Bis heute hat sich auch die Nachfolgegesellschaft Avir Guss finanziell nicht von dem Streit erholen können. Für die vom Lohnausfall betroffenen Mitarbeiter hat die IG Metall kostenlose Rechtshilfe in Aussicht gestellt. „Wir werden unsere Mitglieder dabei unterstützen, ihre Forderungen notfalls auch gerichtlich geltend zu machen“, hatte Patrick Selzer, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Saarbrücken, am Mittwoch dem Handelsblatt erklärt.

Verwerfungen auch bei Weber

Nicht weniger dramatisch ist die Situation beim Markdorfer Automobilzulieferer Weber Automotive. Bei dem Hersteller von Motorblöcken und Zylinderköpfen eskalierte der Streit zwischen Alteigentümer und dem französischen Mehrheitsgesellschafter Ardian derart, dass das Unternehmen im vergangenen Juli Insolvenz anmelden musste. Ardian wirft den Altgesellschaftern sogar Bilanzbetrug vor.

Zwischen 2011 und 2016 hatte der Automobilzulieferer mit 1500 Mitarbeitern den Umsatz auf 313 Millionen Euro noch mehr als vervierfacht. 2016 erzielte der Lieferant von Daimler, Audi und BMW noch einen Gewinn von 15,3 Millionen Euro. 2017, im ersten Jahr nach dem Einstieg des Finanzinvestors Ardian, geriet das Unternehmen in die roten Zahlen.

Die Banken machten Druck, weil Weber seine Kredite nicht mehr bedienen konnte. Auf eine Kapitalspritze konnten sich die Gesellschafter aber nicht einigen. Es folgte der Gang zum Insolvenzverwalter. Ardian machte der Familie im Anschluss schwere Vorwürfe. Inzwischen ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft Frankfurt. Jetzt plant die Gründerfamilie Weber ein Angebot zum Rückkauf ihres Unternehmens nach der Insolvenz.

Spektakulär und vor allem hausgemacht ist auch die Pleite des Lackieranlagenherstellers Eisenmann Ende Juli, lange Jahre Erzrivale von Dürr. Vor zwei Jahren hatte das extrem verschlossene Unternehmen mit Hilfe der Bank UBS einen Käufer gesucht. Um die Braut hübscher zu machen, habe das Unternehmen damals Aufträge zu Tiefstpreisen akquiriert, um mit vollen Aufgangsbüchern besser dazustehen sagte ein Brancheninsider. Allerdings führten diese Aufträge zu hohen Verlusten.

Zudem sollen die Preisvorstellungen der Eigentümer mit geschätzt 700 Millionen Euro so hoch gewesen sein, dass der Verkauf letztendlich gescheitert sei. Das habe sich jetzt alles gerächt. Interessiert waren vor zwei Jahren chinesische Unternehmen. Deren Interesse dürfte jetzt zu deutlich niedrigeren Konditionen wieder aufleben. Es soll bereits eine Investmentbank beauftragt worden sein, das Unternehmen ganz oder in Teilen zu verkaufen.

Der eigens eingestellte Chefsanierer Michael Keppel hatte bereits die Partnersuche angekündigt. Insolvenzverwalter ist die Sozietät Beck & Partner. Eisenmann erzielte 2017 einen Umsatz von 723 Millionen Euro. Die Lackieranlagen sind neben Produktionslinien für die Autoindustrie die Kernsparte.

Chef des Familienunternehmens war der in der Schweiz lebende Peter Eisenmann. Dessen Schwiegersohn Matthias von Krauland war bis vor kurzem Vorstandschef und damit in der operativen Führung. Er wechselte im Sommer überraschend in den Verwaltungsrat als dessen Vorsitzender.

Experten erwarten längere Krise

Auch wenn es sich bei den drei genannten Fällen um besonders drastische Beispiele handelt. Experten sind sicher, dass weitere Insolvenzen folgen werden. Die Eigenkapitalquoten der guten Unternehmen sind zwar deutlich höher als vor der Finanzkrise, diese Lektion haben die meisten gelernt. Aber dieses Mal kommen hohe Investitionen in die Transformation des Produktprogramms für die Elektromobilität hinzu.

„Nicht für jeden werden sich diese Investitionen lohnen. Wir werden in nächster Zeit noch viele Autozulieferer sehen, denen die Luft ausgeht“, sagte Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management bei der IAA vergangene Woche in Frankfurt. Erschwerend dürfte hinzukommen, dass es diesmal nicht ganz so abrupt nach unten geht wie vor zehn Jahren, dafür aber über einen längeren Zeitraum.

Die Krise in der Automobilindustrie führt bei anderen Zulieferern bereits zu massivem Personalabbau. Beim fränkischen Familienunternehmen Schaeffler sind es 900 Stellen. Auch der Filterhersteller Mann+Hummel steckt mitten im Abbau von 1200 Stellen. Mahle schließt ein Werk mit 250 Beschäftigten und baut 400 Stellen in der Zentrale in Bad Cannstatt ab. Der Pressenhersteller Schuler reduziert um 500 Arbeitsplätze, Continental erwägt sogar Werkschließungen. Auch Weltmarktführer Bosch rechnet wegen der schwachen Diesel-Nachfrage mit deutlichem Stellenabbau.

Das sind längst keine Einzelfälle: In jedem zweiten Betrieb in den baden-württembergischen IG-Metall-Branchen stehen nach einer Umfrage unter rund 200 Betriebsräten aktuell Kostensenkungen an. Und nicht jeder dieser Betriebe hat Finanzreserven wie die Großen der Branche.

Vor allem die Unterlieferanten von rohstoffintensiven Teilen bekommen als erste Probleme. „Es wird vor allem kleinere und mittlere Zulieferer treffen, die nicht die nötige Finanzkraft haben“, sagt auch Südwestmetall-Chef Stefan Wolf.