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Das Angst-Virus – Wege aus der Corona-Panik

Die Angst vor dem Coronavirus steht in kaum einem Verhältnis zum wahren Risiko. Besuch bei Unternehmen, Politik und Börse.

Beim Training müssen die Tänzerinnen Atemschutzmasken tragen. Foto: dpa
Beim Training müssen die Tänzerinnen Atemschutzmasken tragen. Foto: dpa
  • Unternehmen in Not, Märkte in Aufruhr, Politik in Alarmstimmung: Das Coronavirus verbreitet weltweit Panik. Dabei ist das wahre Risiko eher gering. Beispiele von Unternehmen, Anlegern und Politikern zeigen: Gelassenheit kann sich lohnen.

  • Die Wirtschaft werde sich von den Folgen der Corona-Epidemie so schnell nicht erholen, warnt Allianz-Chefberater Mohamed El-Erian im Interview mit dem Handelsblatt. Angst sei ein möglicher Verstärker.

  • Manche Politiker und Ökonomen nutzen die Virusepidemie, um altbekannte Forderungen durchzusetzen. Zielführend ist diese Art der Krisenpolitik jedoch nicht.

  • Der israelisch-amerikanische Verhaltensökonom Dan Ariely erklärt im Interview mit dem Handelsblatt, warum die Angst vor Corona so groß ist.

  • Das Virus löst einen Nachfrage- und Angebotsschock in der Wirtschaft aus. Im Gastbeitrag fordert Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Hilfsmaßnahmen.

Um die Zukunft Krefelds geht es, ein Ausblick ins Jahr 2030. So steht es auf der Einladung der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK). Aber die wahre Attraktion am vergangenen Dienstag ist der Redner: Ministerpräsident Armin Laschet, der für den CDU-Parteivorsitz kandiert und Deutschlands nächster Kanzler sein könnte. Entsprechend groß ist der Andrang, auch in Zeiten von Corona und wachsender Hysterie allerorten.

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Doch so einfach ist es nicht, Laschet zu sehen. Eine Frau an der Eingangstür zeigt freundlich, aber bestimmt auf die Desinfektionsspender. Jeder der 400 Besucher, Unternehmer, Politiker, cremt sich artig die Hände ein. Jeder füllt auch die „Infektionsschutz-Erklärung“ aus. „Waren Sie in den letzten 14 Tagen in einem der Risikogebiete?“, „Hatten Sie in den letzten 14 Tagen Kontakt mit einer infizierten Person?“ Selbst Schnupfen wird in Krefeld abgefragt.

Eigentlich hatte das Gesundheitsamt die Veranstaltung im Audi-Zentrum bereits abgesagt. Der Krefelder Oberbürgermeister intervenierte, am Ende durfte die IHK doch die Türen öffnen – aber nur unter strengen Auflagen. Der Imbiss: gestrichen. Die freie Sitzplatzwahl: verboten.

Jeder bekommt einen nummerierten Sitzplatz zugewiesen und muss seine Handynummer angeben. Eine Vorsichtsmaßnahme, falls doch später bei jemandem das Coronavirus nachgewiesen wird. Das Gesundheitsamt kann dann genau ermitteln, wer unmittelbar vor, neben oder hinter dem Infizierten gesessen hat.

Willkommen in der neuen Coronawelt! Wer sich mit den Unternehmern im Publikum unterhält, bekommt Klagen nicht über das Virus, sondern die teils absurd scharf anmutenden Gegenmaßnahmen zu hören. Lieferungen kommen nicht, Aufträge fallen aus. „Dieser Krise für die Gesundheit von Menschen kann eine große Krise der Weltwirtschaft folgen“, warnt Laschet in seiner Rede.

Wenn eine Messe abgesagt würde, könne dies für einen mittelständischen Unternehmer eine „einzige Katastrophe“ sein. Vielleicht habe dieser nur einmal im Jahr die Chance, seine Produkte dem Weltmarkt vorzustellen. Solche Auswirkungen könne man noch gar nicht absehen.

Ein besonderer Fall der Überreaktion machte vor wenigen Tagen Schlagzeilen. Da senkte die US-Notenbank den Leitzins um 50 Basispunkte. Kein sinnvoller Schritt in den Augen von Mohamed El-Erian, US-Ökonom und Berater des Versicherungskonzerns Allianz. „Eine außerplanmäßige Zinssenkung und dann noch um 0,5 Prozentpunkte signalisiert eine Notsituation.“ Das habe die Märkte noch mehr verunsichert.

Es stellt sich die Frage: Sind die Maßnahmen gegen das Coronavirus und die grassierende Angst vor Ansteckung noch adäquat? Natürlich sollte die Gefahr auf keinen Fall unterschätzt werden. Tausende Menschen starben bereits an Covid-19. Aber: im Vergleich zu anderen viralen Erkrankungen verhält sich das neue Virus bislang eher harmlos. 99 Prozent aller außerhalb von China Erkrankten überstanden die Krankheit wohlbehalten.

Jeden Tag kommen in der Welt mehr Menschen im Verkehr um als bislang an Covid-19. Trotzdem setzen wir uns alle jeden Morgen wieder ins Auto oder auf das Fahrrad. In den Augen der meisten Deutschen sind die öffentlichen Reaktionen übertrieben: 52 Prozent teilen diese Ansicht laut einer exklusiv für das Handelsblatt in Auftrag gegebenen Umfrage.

Warum reagiert die Welt dennoch so dramatisch? Die Plötzlichkeit der Epidemie erschreckt uns im tiefsten Inneren. „Die Angst vor Corona ist in gewisser Weise vergleichbar mit der Angst vor Terrorismus“, erklärt Dan Ariely, Verhaltensökonom und Professor an der Universität Duke – alle haben Angst, obwohl die Wahrscheinlichkeit, zum Opfer zu werden, eher gering ist.

Trotzdem werden Messen, Events, Sportereignisse, Konferenzen und Premieren dutzendfach abgesagt. Am Mittwoch wurde bekannt, dass selbst der für Anfang April geplante Start des neuen James-Bond-Films auf Herbst verschoben wird.
Wie sollen sich in einem solchen Umfeld Unternehmer, Anleger und Politiker verhalten?

„Einzelne Entscheidungsträger haben oft gar nicht genug Fachkenntnis und Einblicke, um die Entscheidungen sachgerecht zu treffen“, sagt Veronika Grimm, Verhaltensökonomin und Deutschlands neue Wirtschaftsweise. Sie empfiehlt ein „regelgebundenes Vorgehen“, nur dadurch könne eine „Spirale“ verhindert werden, dass ein „maximal risikoaverses Verhalten stattfindet – nur weil niemand etwas falsch machen will“.

Konkret schlägt Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Hilfsmaßnahmen wie Unternehmenskredite oder Ausbau des Kurzarbeitergeldes zur Stabilisierung vor.

Wie das geht, zeigt ein Ausflug nach Bönen, einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Die Örtlichkeit dürften viele besser einordnen mit dem Kamener Kreuz der A1, das ganz in der Nähe liegt. In Bönen sitzt die Geschäftszentrale von Kik. Der bekannte Textildiscounter, der zum Reich des Familienkonzerns Tengelmann gehört, bereitete sich mustergültig auf die Krise vor, wenn auch eher aus anderen Gründen.

Textildiscounter Kik: Bestens gerüstet für Corona

Angst kannte der frühere Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub eigentlich nicht. Er wagte sich auf Skitouren in extremen Bergverhältnissen, lief Marathon in entlegenen Gegenden der Welt. Aber im Geschäftsbetrieb legte der 2018 verstorbene Manager große Vorsicht an den Tag, fürchtete sich vor Naturkatastrophen, Stromausfällen – oder eben Pandemien. Deshalb verpflichtete er jedes Tochterunternehmen, einen permanenten Krisenstab einzurichten, der drei- bis viermal im Jahr tagt und für alle möglichen Szenarien Pläne erarbeitet.

Der Textildiscounter Kik war daher für das Coronavirus bestens gerüstet. „Wir haben bereits eine gewisse Routine für das Verhalten im Krisenfall entwickelt“, sagt Jörg Oudshoorn, Leiter des Krisenstabs. „Wir haben einen Pandemieplan mit klaren Abläufen, den wir jetzt nur an die spezielle Situation anpassen müssen.“ Zuerst wurden die für den Geschäftsablauf wichtigsten Mitarbeiter aufgelistet und mit Schutzkleidung wie Atemmasken ausgerüstet.

Alle anderen Angestellten haben einen Laptop und andere Technik, damit sie gegebenenfalls von zu Hause aus arbeiten können. Schließlich wurden Kommunikationspläne erstellt, um den Betrieb im Krisenfall aufrechthalten zu können: Wer ist wie und wann zu erreichen?

Mit dem Coronavirus stellte Kik Dienstreisen nach Italien ein, Asien soll möglichst gemieden werden. Von dort kommen viele Lieferungen, derzeit hat der Händler keine Nachschubprobleme, weil er sogar die Waren für den Herbst schon weitgehend im deutschen Lager hat. Trotzdem wurden Gespräche mit jedem Lieferanten geführt und Notfallpläne mit den Einkäufern ausgearbeitet, falls die Produktionspause doch länger dauern sollte als gedacht. „Für den Einkauf ist es extrem herausfordernd“, sagt Kik-Chef Patrick Zahn.

„Der Umgang mit dieser Krise hat viel mit Psychologie zu tun“, beobachtet Zahn. Auch Panik könne ansteckend sein, das habe man beispielsweise bei den Hamsterkäufen in den Supermärkten gesehen. „Wenn man sich zum Coronavirus äußert, ist es eine stetige Gratwanderung zwischen Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter und der Verstärkung einer allgemeinen Aufgeregtheit.“

Doch trotz aller Vorbereitung brachte das Coronavirus dem Kik-Chef neue Erkenntnisse. „Wir wissen, dass früher und klarer kommuniziert werden muss, um den Mitarbeitern Sicherheit zu geben.“ In der Belegschaft sei der Wunsch nach verlässlichen Informationen hoch.

Und noch etwas lernte Zahn. Das Unternehmen, das sehr intensive Geschäftsbeziehungen nach Asien hat, fokussierte sich zunächst bei der Problemlösung auf China. „Aber wir haben schnell gemerkt, dass die Situation Auswirkungen auf alle Unternehmensbereiche hat.“

Viele Unternehmer müssen wie Kik mit einer unsicheren Lage klarkommen. Die Stimmung lässt sich gut in Krefeld bei dem IHK-Abend einfangen. Auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen dort drastisch sind, sich kaum jemand die Hände schüttelt: Wirklich Angst hat hier keiner vor dem Virus.

Viel schlimmer seien die wirtschaftlichen Auswirkungen: „Wir haben zwei Firmen in China, die Lieferketten sind dort vollkommen beschädigt“, erzählt Erich Bröker, Geschäftsführer der Krefelder Beteiligungsgesellschaft Kleinewefers, die unter anderem Beteiligungen im Maschinenbau hat. Auch beim Auftragseingang würden sie die Virusangst schon merken. „Vertrieblich läuft es sehr stockend, die Firmen bestellen weniger Maschinen und warten lieber ab.“

Ein paar Meter weiter steht Jana Bender. Auch sie spürt die Krise in ihrem Unternehmen. Die Krefelder Logistik Dienst GmbH transportiert oft Waren aus China, ist viel für Amazon unterwegs. „Die Aufträge gehen zurück, im Lager stehen immer weniger Container“, erzählt die Chefin von 15 Mitarbeitern. Sie persönlich fürchtet sich nicht vor dem Virus, man könne sich ja auch an einer normalen Grippe anstecken. „Aber ich habe Angst davor, dass Corona die Wirtschaft komplett lahmlegt.“

Von Heinsberg nach Berlin

Auf der Videowand am IHK-Abend in Krefeld flimmert ein Imagefilm über die anstehenden Projekte. Die Stadt im südlichen Ruhrgebiet will besser werden bei Infrastruktur, Frauenerwerbstätigkeit, Wirtschaftsförderung. „Ich hoffe, dass sich alle anstecken lassen von der Aufbruchstimmung“, sagt IHK-Geschäftsführer Jürgen Steinmetz – und bricht seinen Satz abrupt ab. Höhnisches Gelächter im Publikum. Corona – das Virus verfolgt einen selbst bei der Wortwahl.

Für den Hauptredner des Abends, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, ist Covid-19 eher Nebensache. Eine halbe Stunde steht Laschet auf der Bühne, spricht über den Brexit, den Handelskrieg zwischen China und den USA, den Umbau der Energiewirtschaft – und natürlich über Krefeld. Das Virus bekommt gerade mal anderthalb Minuten. „Ich fand es gut, dass Laschet nicht weiter auf das Thema eingegangen ist“, sagt Bröker von der Beteiligungsgesellschaft Kleinewefers. „Im Grunde ist doch alles zu dem Thema gesagt.“

Erst vor einer Woche war Laschet im Landkreis Heinsberg, dem größten Corona-Brennpunkt in Deutschland, knapp 40 Kilometer von Aachen entfernt, der Heimat des Ministerpräsidenten. Vertraute berichten, dass sich Laschet in Sachen Coronavirus persönlich nicht fürchtet. Er wolle die Sorgen der Menschen ernst nehmen, aber nicht dramatisieren.

Dramatisch ist dagegen immer noch die Situation in Heinsberg. 300 Karnevalisten feierten im Februar mit einem infizierten Ehepaar auf einer Kappensitzung – und verbreiteten das Virus weiter. Der dortige Landrat Stephan Pusch hat seitdem keine ruhige Minute mehr, muss informieren, erklären und vor allem: beruhigen.

Laschets Glück: Der CDU-Parteifreund macht bisher seine Sache gut. Sein wichtigstes Instrument: Facebook. Regelmäßig wendet Pusch sich per Videobotschaft aus der Kreisverwaltung an die Bürger. In kurzen Clips, im Hintergrund meist das Bild einer stillgelegten Zeche, spricht Pusch über die neuesten Entwicklungen, Gerüchte über eine Sperrzone oder die Arbeit des Krisenstabs, den er leitet.

Zwischen zehn und 15 Personen nehmen an diesen Sitzungen teil, je nach Lage. Neben Vertretern von Polizei, Feuerwehr und Krankenhäusern sind auch Experten des Gesundheitsamts und des Robert Koch-Instituts dabei. Sie entscheiden etwa, ob Schulen und Kindergärten geschlossen bleiben.

Der Saal, in dem der Krisenstab tagt, wirkt unspektakulär. An einer Stellwand hängt eine Karte des Kreises, an einer anderen ein Plakat mit Tipps zum Umgang mit dem Virus. Auf einem Tisch an der Seite steht ein großer Kaffeebehälter. Pusch ist klar, dass ihm und seinen Mitarbeitern eine besondere Rolle zukommt. „Irgendwie sind wir hier ein bisschen die Blaupause dafür, wie andere Landkreise und ganz Deutschland mit der Geschichte umgehen.“

Bislang kommt Pusch bei den Einwohnern gut an. Viele loben den Landrat für seine offene Art und die einfachen Worte, mit denen er komplizierte Zusammenhänge erklärt. „Wir hier in Heinsberg sind mittlerweile viel gelassener, und drumherum bricht die Panik aus“, schreibt ein Nutzer auf Facebook. Das liege wohl daran, dass Pusch die Bürger so gut informiere: „Davon sollten sich die anderen eine Scheibe abschneiden.“

In Berlin dagegen herrscht bislang weniger Tatkraft und Transparenz. Im Wirtschafts- und im Finanzministerium arbeiten die Beamten seit der vergangenen Woche an einem „Instrumentenkasten“, wie es in Regierungskreisen heißt. Damit will man sich auf verschiedene Szenarien vorbereiten.

Je nachdem wie stark die Epidemie die Wirtschaft trifft, will man sich aus dem Instrumentenkasten bedienen. „Ich hätte mir eine größere Unterstützung und mehr Klarheit aus der Politik gewünscht“, klagt Kik-Chef Zahn über die Zurückhaltung.

Es ist auffällig, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten bisher kein konkretes Hilfsprogramm verkündet hat, so wie gerade erst die USA mit acht Milliarden Dollar. Wirtschaftsminister Peter Altmaier wie auch sein Finanzkollege Olaf Scholz mahnen zur Besonnenheit. Das hektische Auflegen von teuren Programmen könnte erst die Panik erzeugen, die man vermeiden will, so die Argumentation.

Allerdings ist die Politik hinter den Kulissen längst im Krisenmodus. Ein hochrangiger Unionspolitiker berichtet, dass Wirtschaftsvertreter in Vieraugengesprächen vor einer Krise warnen würden. Die Lage sei bei einigen Unternehmen und Branchen schon jetzt „verheerend“. Auch bei Kanzlerin Angela Merkel sei diese Botschaft angekommen. Im Kanzleramt nehme man die Angst vor einer möglichen Wirtschaftskrise durch die Corona-Epidemie ernst.

Den Terminkalender von Finanzminister Scholz bestimmt diese Krisenangst bereits. Am vergangenen Dienstag gab es eine Telefonkonferenz mit seinen Kollegen aus den größten Industriestaaten (G7).

Konkrete Beschlüsse gab es allerdings nicht. Lediglich das anschließend schriftlich mitgeteilte Versprechen, dass „alle geeigneten politischen Instrumente“ eingesetzt werden, „um ein starkes und nachhaltiges Wachstum zu erreichen und gegen Abwärtsrisiken zu sichern“. Am vergangenen Mittwochnachmittag stand dann die nächste Telefonschalte an: Scholz beriet sich mit seinen europäischen Finanzministerkollegen.

Eine Herausforderung ist die Corona-Epidemie für Gesundheitsminister Jens Spahn. Bisher macht er nach allgemeiner Einschätzung vieles richtig. „Mit einem kühlen Kopf können wir Herausforderungen am besten bewältigen.“ Diesen nüchternen Ton schlägt der Minister seit Beginn der Krise an. Spahn setzt regelmäßig Statements ab, oft flankiert von Virologen und anderen Experten. Sachverstand gegen Panik und Verschwörungstheorien, das ist die Botschaft.

Die Kompetenzen der Bundesregierung bei der Bekämpfung von Epidemien sind allerdings begrenzt, zuständig sind vor allem die Länder und Kommunen. Doch Spahn ist das Gesicht der staatlichen Corona-Maßnahmen, diese Wahrnehmung hat er selbst befeuert.

Als Anfang Februar beispielsweise die ersten Deutschen aus Wuhan ausgeflogen wurden, war es Spahn, der sich in den Medien als Macher präsentierte. Dabei hatten die Diplomaten von Außenminister Heiko Maas die komplizierte Evakuierung mit einer Bundeswehrmaschine aus dem Seuchengebiet organisiert.

Für Spahn, der sich als Topunterstützer von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet im Rennen um den CDU-Vorsitz Hoffnungen auf den nächsten Karriereschritt macht, ist die Verschärfung der Coronakrise mit großen Risiken behaftet. Je mehr Infektionen bestätigt werden, desto stärker steht die Frage nach dem Krisenmanagement im Raum.

Ausgestanden sind die Gefahren nicht, weder die politischen für Spahn noch die gesundheitlichen für die Bevölkerung. Bei seiner Rede im Bundestag macht der Minister deutlich: „Der Höhepunkt der Ausbreitung ist noch nicht erreicht.“

Wäre Spahn eine Aktie, dann würde sie derzeit nach oben gehen – könnte aber auch jederzeit abstürzen. An keinem anderen Ort der Welt wird Angst so sichtbar wie an der Börse. Dort handeln Anleger aber keine Politikerkarrieren, sondern Anleihen oder Anteile an Aktiengesellschaften.

Dort werden Wetten auf die Zukunft abgeschlossen, die sich oft nicht in Sekunden, sondern Millisekunden verändern. Die Achterbahnfahrt der Kurse in den vergangenen Wochen spiegelt die Seelenlage in Zeiten der Epidemie wider. An den Börsen vernichtet das Coronavirus seit seinem Ausbruch viele Milliarden Dollar – vor allem für Anleger, die nicht mir ihrer Angst klarkommen.

Warren Buffett als Wegweiser

Für Thomas Kleber gibt es einen Gott in der Aktienwelt: Warren Buffett. Wer kennt ihn nicht, den berühmten 89-jährigen Investor mit seiner unendlichen Geduld und messerscharfen Analytik. Kleber ist dagegen noch recht jung, verwaltet als Investmentchef für die New Yorker Vermögensberatung Pecora Capital auch deutlich weniger Geld.

Mit Begeisterung, Leidenschaft und einigem Erfolg verkauft er vielen deutschen Kunden eine Buffett-ähnliche Strategie: Aktien mit niedriger Bewertung und hohem Potenzial kaufen – und möglichst nicht mehr zu verkaufen. „Unsere bevorzugte Haltedauer ist die Ewigkeit“, sagte Buffett einmal.

Leichter gesagt als getan. Vor allem in den vergangenen Tagen, als die Welt unterzugehen schien. Nach einer langen Aufwärtsbewegung in den vergangenen Jahren schalten die Anleger um. „Es kommt nicht oft vor, dass der Markt fünf Tage in Folge heftig abrutscht“, sagt Kleber. Das Telefon klingelte, verängstigte Kunden wollten aussteigen. Der Deutsche redete auf sie ein, nicht die Nerven zu verlieren. „Wir wissen ja nicht, wann es wieder nach oben geht.“

Auch an Kleber ging der Crash nicht vorbei. Er ist ein ruhiger Typ, aber jeden Tag die roten Kurstabellen zu sehen geht an die Nerven. Ein Lichtblick war für ihn mitten in der Krise ein zweistündiges Interview mit Warren Buffett im Fernsehsender CNBC. Natürlich schaute Kleber sich das komplett an.

Wie immer strahlte Buffett Ruhe und Besonnenheit aus, ein Mann, der in seinen 78 Jahren Aktienanlage – er fing mit elf Jahren an zu investieren – viel gesehen hat. „Heute steht das Coronavirus in den Schlagzeilen, in sechs Monaten wird es etwas anderes sein“, sagte Buffett. „Die wirklich wichtige Frage ist: Wo wird das Aktienunternehmen in fünf, zehn und zwanzig Jahren stehen.“

Kleber hat die Woche durchgehalten, ohne der Angst zu erliegen und Aktien zu verkaufen. Am vergangenen Montag hat er dann nachgekauft. Und wenn es noch einmal weiter runtergeht, wird er noch mehr zukaufen.

Ein anderer Wall-Street-Investor hatte da schlechtere Nerven. Der Mann will aus verständlichen Gründen nicht genannt werden, er klagt: „Ich mache es immer falsch. Am Donnerstag und Freitag habe ich zehn Prozent meiner Aktien verkauft. Ich konnte nicht mehr einfach nur zusehen. Am Montag habe ich dann wieder gekauft – natürlich zu einem viel höheren Preis.“

Zwei Anleger, zwei Erfahrungen. Schon im Alltag versagt der Mensch oft an einfachster statistischer Logik, was Experten wie Nobelpreisträger Daniel Kahnemann in zahlreichen Experimenten nachwiesen. Verhaltensökonomen geht es darum, das in den Wirtschaftswissenschaften gebräuchliche Modell eines rational seinen Nutzen maximierenden „Homo oeconomicus“ abzulösen durch ein realistischeres, durch Erkenntnisse der Psychologie und aus Gruppen-Experimenten geprägtes Bild.

So wird der Verlust von Aktien, die man besitzt, höher bewertet als ein gleich hoher entgangener Gewinn. Auch nehmen Kunden ihrem Vermögensverwalter jene Fehler besonders übel, die nur er allein gemacht hat, und verzeihen eher, wenn er genauso falsch gelegen hat wie viele andere auch. Das verstärkt den ohnehin schon vorhandenen Herdentrieb an den Börsen.

Die feine Ironie: Die Verhaltensökonomie will den realitätsfremden Homo oeconomicus überwinden. Aber für ein besonnenes Verhalten gerade in Krisensituationen ist er gar kein schlechtes Vorbild. Entsprechend misstraut Martin Weber, Experte für Verhaltensökonomie an der Universität Mannheim, dem Bauchgefühl: „Ich selbst versuche, mich zurückzuhalten, wenn ich intuitiv handeln möchte. Ich versuche, mich gegen Aktionismus und Furcht zu wehren.“

Dabei kann es ebenso falsch sein, unbedingt an verlustreichen Aktien festzuhalten, wie bei Verlusten auf jeden Fall auszusteigen. Weber rät zu rationalem Verhalten. Und dafür gibt es aus seiner Sicht ein einfaches Rezept: „kaufen und halten“.

Erfahrung hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren. Dan Morgan, Portfoliomanager von Synovus aus Atlanta ist schon seit 34 Jahren im Geschäft. Er hat den „Black Monday“ 1987 erlebt, genauso wie das Platzen der Tech-Blase Anfang der 2000er. „Und ich hatte Fonds, die nur in Technologiewerte investiert waren. Damit bin ich ziemlich auf die Nase gefallen“, erinnert er sich. Die schmerzhaften Erfahrungen helfen ihm heute. „Die letzte Woche war nichts im Vergleich zu den großen Krisen der vergangenen Jahre“, findet er.

Seine Strategie: sich nicht verrückt machen lassen. Er blendet buchstäblich den Lärm aus, schaltet die Börsensender CNBC und Bloomberg gar nicht erst ein, um sich nicht von der Panik anstecken zu lassen. Am Freitag hat er deutlich zugekauft, ausschließlich Technologie-Aktien. „Vielleicht stellen wir in einem Monat fest, dass das eine blöde Idee war“, sagt er, „wir werden sehen.“

Das Spiel der Gefühle schaut sich Nikolai Roussanov, Finanzprofessor an der Wharton Business School in Philadelphia, mit akademischer Distanz an. Börsenturbulenzen sind für ihn wie ein großes Feldexperiment. „Wenn Aktienkurse steigen, dann denken wir nicht viel darüber nach.

Aber wenn die Kurse fallen, dann machen wir uns überproportional viel Sorgen. Das führt nicht zwingend zu guten Entscheidungen.“ Roussanov macht noch auf ein spezielles Problem in dieser Krise aufmerksam: „Die Angst hier könnte noch größer sein als bei anderen Panikphasen in der Vergangenheit. Hier kommt zur Furcht vor den wirtschaftlichen Folgen noch die persönliche Angst vor dem Virus dazu.“

Die doppelte Belastung kennt Christian von Engelbrechten. Der Fondsmanager für deutsche Aktien beim Fondsanbieter Fidelity International befasst sich seit Ende Januar mit dem Coronavirus: „Seit die ersten Nachrichten über eine internationale Ausbreitung aufkamen, ist es für mich wichtig gewesen, ruhig zu bleiben und die Daten zu analysieren.“

Nicht einfach, weil im Hinterkopf ein schlimmer Gedanke rumort. Der 43-Jährige ist seit einigen Wochen Vater eines Sohnes: „Natürlich beschäftigt mich das Thema, weil ich weiß, dass das Immunsystem des Kleinen noch nicht so stark ist.“

Das Coronavirus spielt mit uns allen also ein übles psychologisches Spiel. Wie reagiert man am besten?

Vergleich mit Sars, Vogelgrippe und Ebola

In unsicheren Zeiten wie diesen ist Gregor Gigerenzer ein gefragter Interviewpartner. Der Psychologe ist Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut und schreibt Bücher wie „Risiko – Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“. Er hilft deutschen Managern, amerikanischen Bundesrichtern oder europäischen Ärzten im Umgang mit Risiken und Unsicherheiten.

Angst vor dem Coronavirus hat er nicht. Der nüchterne Umgang ist für Gigerenzer sozusagen eine Sache der Berufsehre. Er habe höchstens Sorge, „dass ein anderer Autofahrer mich ungebremst überfährt, weil er auf sein Handy guckt“. Wenn alles ähnlich verläuft wie es bei Vogelgrippe, Sars, Schweinegrippe oder Ebola verlaufen ist, sagt er, dann werden die Sache und unsere Angst bald vergessen sein.

Der 72-Jährige sieht aber ein Problem: „Aus Angst getriebene Menschen bringen sich oft zusätzlich in Gefahr.“ So hätten nach den Terroranschlägen von 2001 viele Amerikaner das Flugzeug gemieden und seien auf das Auto umgestiegen. Im Straßenverkehr herrscht aber ein höheres Risiko als in der Luft, rein rechnerisch gab es so laut Gigerenzer 1600 Tote mehr.

Das neue Virus weckt Grundängste in uns allen, Entscheidungsträger wie Unternehmer, Politiker oder Anleger müssen reagieren. Veronika Grimm, die neue Wirtschaftsweise Deutschlands, rät, „Handlungsempfehlungen von sachkundiger Seite“ einzuholen.

Das habe mehrere Vorteile, abgesehen von der fachlichen Kompetenz: Zum einen geht der Entscheider kein persönliches Risiko ein. „Das heißt konkret, sein Handeln kann ihm nicht persönlich zum Verhängnis werden, wenn etwas schief läuft“, sagt Grimm. Außerdem ermögliche ein Regelwerk „die Koordination aller Entscheidungsträger“.

Im Fall des Coronavirus sind neben den unmittelbaren Folgen für das Unternehmen oder den Wahlkreis hinaus auch gesamtgesellschaftliche Belange zu bedenken. „Selbst wenn für den Einzelnen gar keine große Gefahr durch eine Ansteckung droht“, sagt Grimm, „kann es für die Gesellschaft als Ganzes sehr wichtig sein, die Verbreitung einzudämmen.“

Zeit gewinnen, das ist der Schlüssel. Je mehr man die Verbreitung des Virus in die Länge ziehen kann – Experten sprechen von einer niedrigen Reproduktionsrate –, desto weniger Menschen werden sterben und Krankenhäuser überfüllt sein. Kommen mit dem Frühling und Sommer wärmere Temperaturen, könne das Virus sich auslaufen. „Wir tun gut daran, die Wellen in die Länge zu ziehen“, sagt Christian Drosten, Virologe von der Charité in Berlin.

Aber es muss dabei eine Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Vielleicht sollte jeder, der sich vor dem Coronavirus fürchtet, sich vor einer Entscheidung den Vergleich von Verhaltensökonom Weber von der Universität Mannheim vor Augen halten.

„Wenn Sie nicht auf die Straße gehen wollen wegen Corona, dann dürfen Sie auch sonst nicht auf die Straße gehen. Denn die Infektionsgefahr ist ähnlich der, bei normalem Weg über die Straße von einem Hund gebissen zu werden – und sich bei einer anschließend nötigen Operation Komplikationen einzuhandeln.“

Das Gefährlichste an Corona scheint momentan die Angst davor zu sein. Die wiederum kann jeder ein Stück weit kontrollieren.

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Nahezu täglich streichen Airlines Flugverbindungen etwa nach Norditalien. Foto: dpa
Nahezu täglich streichen Airlines Flugverbindungen etwa nach Norditalien. Foto: dpa