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Die Ambivalenz der Shortseller

Shortseller, die von fallenden Kursen profitieren, sind umstritten: kriminelle Manipulatoren oder Garanten von Transparenz und Preiseffizienz? Welche Regeln für sie gelten, was Anleger für ihre Strategie wissen sollten.

Ein Leerverkauf liegt wirtschaftlich vor, wenn sich eine Aktie zum Zeitpunkt ihres Verkaufs nicht im Eigentum des Verkäufers befindet – etwa wenn der Verkäufer sich diese nur „geliehen“ hat (Wertpapierleihe). Mit Leerverkäufen können Investoren von fallenden Aktienkursen profitieren. Sie verkaufen Aktien „leer“ und gehen damit eine sogenannte Shortposition ein, um die Aktien später zu niedrigeren Preisen wieder zurückzukaufen. Die Differenz verbleibt (abzüglich eines Entgelts für die Leihe) als Gewinn beim Leerverkäufer.

Dieser durch tatsächliche Leihe gedeckten Form steht der ungedeckte oder „nackte“ Leerverkauf gegenüber. Hier hat der Leerverkäufer zum Zeitpunkt des Verkaufs (noch) nicht die Verfügungsmacht über die leer verkauften Aktien. Dies ist zum Beispiel denkbar, wenn dem Leerverkäufer bis zur Erfüllung des Leerverkaufs zwei Börsentage Zeit zur Verfügung stehen. Somit ist bei ungedeckten Leerverkäufen das Kursverfallsrisiko faktisch etwas größer, da mehr Aktien zeitgleich am Markt verkauft werden können, was das Angebot nochmals aufblähen kann. Leerverkäufe sind an sich weder gut noch schlecht. So wie Marktteilnehmer von steigenden Kursen (durch Kauf) profitieren können, sollte dies bei fallenden Kursen auch möglich sein.

Regulierung von Leerverkäufen

Schon in der Finanzkrise 2008 waren am Beispiel Lehman Brothers Bedenken laut geworden, dass Leerverkäufe in Krisenzeiten eine Abwärtsspirale der Aktienkurse verstärken und die Lebensfähigkeit von Emittenten bedrohen könnten. Die EU-Staaten ergriffen seinerzeit – mehr oder weniger über Nacht – unterschiedliche Maßnahmen. Der daraus entstandene Flickenteppich wurde später durch die EU-Leerverkaufs-Verordnung harmonisiert. Diese führt unter anderem für Leerverkaufspositionen von an einem EU-Handelsplatz gehandelten Aktien ein zweistufiges Transparenzregime ein und verbietet ungedeckte Leerverkäufe. Hinzu treten anlassbezogene Leerverkaufsverbote für einzelne Aktien.

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Transparenzregime

Die Melde- und Offenlegungspflichten der Leerverkaufs-Verordnung sollen Aufsichtsbehörden ein Verständnis für die aus Shortpositionen resultierenden (System-) Risiken vermitteln sowie Marktteilnehmern Transparenz über Marktentwicklungen und -positionen verschaffen. Diesen Zielen dient eine Meldepflicht gegenüber der BaFin für Investoren, die in einem Einzeltitel eine Netto-Leerverkaufsposition (NLP) von mindestens 0,2 Prozent – aktuell coronabedingt sogar nur 0,1 Prozent – der ausgegebenen Aktien halten. Hinzu tritt eine Veröffentlichungspflicht für NLP ab 0,5 Prozent der ausgegebenen Aktien. So ist zum Beispiel im Fall Grenke dem Bundesanzeiger zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der aktuell diskutierten Finanzanalyse von Viceroy Research zahlreiche Unternehmen in Grenke „short“ waren. Dies gilt ausweislich ihrer Finanzanalyse auch für Viceroy.

Verbot ungedeckter Leerverkäufe

Die Leerverkaufs-Verordnung verbietet den Leerverkauf von Aktien nicht per se, sondern untersagt lediglich ungedeckte Leerverkäufe. Hier steht das Risiko im Vordergrund, dass Leerverkäufer gegebenenfalls nicht liefern können, weil ihnen die Aktie fehlt. Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe beschränkt die Leerverkäufer auch darin, in unbegrenztem Umfang „auf den Markt zu werfen“ und damit womöglich massive Kursstürze auszulösen – denn sie müssen sich zuvor mit einer entsprechenden Menge an Aktien „eindecken“. Im Einzelfall kann die BaFin Leerverkäufe anlassbezogen verbieten.

Ein solches Verbot sprach die BaFin am 18. Februar 2019 per Allgemeinverfügung temporär in Bezug auf die Wirecard AG aus. Gehen Marktteilnehmer davon aus, dass Aktien am Markt weiter fallen werden, können sie versuchen, durch Leerverkäufe am weiteren Kursverfall mitzuverdienen. Die dann getätigten Verkäufe erhöhen das Angebot der Aktien am Markt erneut und tragen damit ihrerseits weiter zum Kursverfall bei. Damit steht weniger der Schutz eines Einzelemittenten im Vordergrund als das Risiko, dass eine Abwärtsspirale den Gesamtmarkt erfasst. So argumentierte die BaFin, dass der Wertverlust bei Wirecard das Marktvertrauen in Deutschland ernsthaft bedrohe und massive Unsicherheiten an den Finanzmärkten auslöse.

Die potenziell dunkle Seite des Shortselling

Vor den Kursstürzen bei sowohl Wirecard als auch Grenke waren Informationen verbreitet worden, auf die dann weitere Marktteilnehmer mit (Leer-) Verkäufen reagierten. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob diesen Negativmeldungen fundierte Finanzanalysen seriöser Akteure zu Grunde liegen oder ob – im anderen Extrem – kriminelle Scharlatane versuchen, die Aktienkurse gesunder Unternehmen zu drücken, um vom selbst ausgelösten Kursverfall zu profitieren. Diese Frage lässt sich nur für den Einzelfall beantworten. Bei Wirecard weiß man heute, dass viele der ursprünglich – insbesondere durch die Financial Times – erhobenen Vorwürfe zutrafen.

Wichtig ist festzuhalten, dass die Verbreitung von Falschinformationen und Gerüchten über Emittenten verboten ist. Auch Insiderinformationen dürfen weder verbreitet noch in veröffentlichten Finanzanalysen genutzt werden. Insiderinformationen über ein Unternehmen sind solche, die nicht öffentlich bekannt sind, aber bei Bekanntwerden den Aktienkurs erheblich beeinflussen können. Ebenso wie die Manager und Mitarbeiter eines Unternehmens sollen auch einzelne Marktteilnehmer, die Insiderinformationen erhalten, von diesen nicht auf Kosten des Gesamtmarkts profitieren dürfen.


Leerverkäufer als Korrektiv

Das Geschäftsmodell des gezielten Streuens unseriöser Negativmeldungen über Unternehmen, die man selbst leerverkauft hat, ist damit verboten. Dem von einer solchen „Short-Attacke“ betroffenen Unternehmen hilft dies jedoch zumindest kurzfristig eher wenig: Der Aktienkurs stürzt ab und die gegebenenfalls gebotenen Gegendarstellungen binden wichtige Ressourcen. Der Staat steht in solchen Fällen häufig vor einem Dilemma: Entweder liegt der Negativmeldung eine Straftat zugrunde oder beim betroffenen Unternehmen liegt tatsächlich einiges im Argen. Ermittlungen werden daher oft in mehrere Richtungen erforderlich sein. Aus kriminalistischer Sicht kann es zweckmäßig sein, erst gegen den Analysten/Leerverkäufer zu ermitteln. Rechtlich ist für die initiale Ermittlungsrichtung jedoch ausschlaggebend, in welche Richtung ein Anfangsverdacht führt.

Interessenkonflikte und Offenlegung

Sollte die Verbreitung von negativen Finanzanalysen generell verboten sein, wenn der Analyst bei Veröffentlichung selbst „short“ ist? Hier würde der Analyst von seiner eigenen Analyse profitieren und daher bei deren Erstellung einem Interessenkonflikt unterliegen – selbst wenn die Analyse seriös ist. So war Viceroy Research bei Veröffentlichung ihrer Finanzanalyse zu Grenke tatsächlich „short“. Nach der EU-Marktmissbrauchs-Verordnung ist ein solches Vorgehen zulässig, wenn die Shortposition in der Finanzanalyse vermerkt ist. Dadurch soll der Interessenkonflikt offengelegt und Lesern ermöglicht werden, diesen in ihre Meinungsbildung über die Qualität der Analyse einfließen zu lassen.

Das EU-Recht sieht in dem Vorgang also nur dann eine strafbare Marktmanipulation, wenn auf den Interessenkonflikt nicht hinreichend hingewiesen wird. Diese Wertung ist nachvollziehbar: Überall an den Kapitalmärkten werden dort Überrenditen erzielt, wo sich jemand überlegenes Marktverständnis und -wissen erarbeitet hat – Warren Buffett lässt grüßen.

Bewertung und Fazit

Gleichwohl wird das „Wetten gegen Unternehmen“ per Leerverkauf in Teilen der Öffentlichkeit als anrüchige Geldgier zu Lasten Dritter empfunden. Es scheint, als prägten die oben erwähnten schwarzen Schafe das öffentliche Bild des Shortselling allgemein. Das positive Narrativ zu diesem „Geschäftsmodell“ klingt dagegen wie folgt: Indem sie mit Sachverstand sowie unter hohem persönlichen Einsatz Leichen in den Kellern windiger Unternehmen aufspüren, schaffen Analysten Transparenz, wirken der Blasenbildung entgegen und nehmen damit eine Schlüsselrolle am Kapitalmarkt ein – von der sie als Leerverkäufer selbst profitieren können. Nicht nur Investoren wie Warren Buffett vertreten diese Ansicht und verweisen auf die wichtige Rolle von Leerverkäufern bei der Aufdeckung von Bilanzskandalen wie beim Energiehändler Enron oder dem chinesischen Starbucks-Imitat Luckin Coffee.

Auch die wissenschaftliche Forschung stützt mehrheitlich dieses positive Bild. So reduziert Shortselling zukünftige positive Überrenditen, wirkt also als Korrektiv für Preisübertreibungen in Bullenmärkten. Regulatorische Einschränkungen von Shortselling unterdrücken diesen Effekt und tragen dementsprechend zu überhöhten Aktienkursen bei. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein Feldexperiment der US-Börsenaufsicht SEC. Diese hatte 2005 in einem Pilotprogramm (Regulation SHO) Shortselling-Einschränkungen für eine zufällig ausgewählte Gruppe von Aktien aufgehoben, um aussagekräftige wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Shortselling zu ermöglichen – ein bis heute nahezu einmaliger Vorgang. Wie zahlreiche Studien nahelegen, hatte die Deregulierung positive Effekte, u.a. auf die Preiseffizienz, und löste kein missbräuchliches Shortselling aus.

Besser als ihr Ruf?

Sind Leerverkäufer also besser als ihr Ruf? Wir meinen ja. Von schwarzen Schafen abgesehen tragen Leerverkäufer auf der Basis fundierter Analysen zur Korrektur übertriebener Aktienkurse bei. Der bestehende regulatorische Rahmen erscheint im Großen und Ganzen hinreichend und wirksam – auch wenn missbräuchliches Shortselling im Einzelfall erheblichen Schaden anrichten kann.

Mehr zum Thema: Tesla, Nikola, Grenke: Spekulanten, die auf fallende Kurse wetten, sind das neue Feindbild von Managern und Anlegern – dabei halten sie die Börse sauber. Ein Inside-Report.