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Das Jahr der Streaming-Wars: Alle jagen Netflix

2020 wird das Jahr multimilliardenschwerer Attacken von Disney, Apple und anderen. Doch mit Abos allein rechnen sich die meisten Videodienste bislang nicht. Ist Werbung die Lösung?

Eine Phalanx von US-Konzernen schickt sich an, den Fernsehkonsum von Abermillionen Menschen in aller Welt zu verändern. Nicht mehr linear sollen ihre Nutzer Filme, Shows und Serien schauen – sondern jederzeit, bei Bedarf – via Netz. Vom Krieg der Streaminganbieter ist bereits die Rede. Dieser Wettstreit milliardenschwerer Riesen steht auch bei der diesjährigen Consumer Electronics Show (CES) im Fokus.

Pionier Netflix hat es vorgemacht, der Onlinehändler Amazon zog mit seinem Angebot Prime Video nach. Kürzlich gesellten sich Disney und Apple zu den Anbietern auf dem neuen Markt. Die Newcomer investieren gewaltige Summen in neue Shows, Filme und Serien.
Auf der CES präsentierte sich nun ein neuer Anbieter, der zwar noch klein ist, aber einen neuen Markt erschließen will: Streaming auf Smartphones. Das US-Start-up Quibi will mit einer Technologie überzeugen, die Filme auf mobilen Endgeräten – die mal hochkant, mal im Querformat gehalten werden – passgenau abspielt. „Wir haben uns gefragt, wie ein Streamingdienst aussähe, der nicht einfach den Fernseher 1:1 aufs Smartphone überträgt“, so Quibi-CEO Meg Whitman, die frühere Ebay-Chefin.

Der Kurzfilm, den Quibu auf der CES präsentiert, ist auf den ersten Blick unspektakulär. Die Besucher sehen, wie eine junge Frau auf dem Sofa sitzt. Es klopft an ihrer Haustür. Ein Blick auf ihr Handy verrät, dass ein grauhaariger Mann ein Paket abliefern will. Möglich macht dies die smarte Kamera-Türklingel der Google-Tochter Nest. Die Frau bittet den Boten, das Paket auf die Schwelle zu legen, er aber will, dass sie die Tür öffnet. Es kommt zum Streit.

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Die Szene ist Teil der Serie „Nest“, die ab April auf dem Kurzfilm-Streamingdienst laufen wird. Sie zeigt, dass Technologie auch die Art verändern wird, wie Filme konsumiert werden. Der Star des Clips ist nämlich kein Schauspieler, sondern die neue Videotechnologie: Dank des „Turnstyles“ (Drehkreuz) sieht der Nutzer unterschiedliche Ausschnitte, wenn er sein Smartphone hochkant oder quer hält.

Hochkant sieht er das Handydisplay der Frau: Kamerablick oder ihr Gesicht in der Chat-App, während sie erfolglos versucht, ihren Vater anzurufen. Im Querformat ergibt sich ein Panorama des Moments, in dem sie verängstigt durch das Haus läuft. Der Nutzer hat es in der Hand.

„Fortschritt in der Unterhaltung wurde immer vom Zusammenspiel von Kreativität und Technologie getrieben“, sagt Jeffrey Katzenberg auf der Bühne der Elektronikmesse CES in Las Vegas. Die Menschen sähen sich immer mehr Videos auf ihren Smartphones an. Diesen Trend will das Start-up Quibi nutzen – und sich damit von anderen Streamingdiensten wie Netflix abgrenzen, die stets denselben Bildausschnitt ausspielen, unabhängig von der Position des Endgeräts.

So, wie Quibi dabei das „Gyroskop“, einen Sensor zur Lagebestimmung im Handy, einsetzt, sollen auch Touchscreen, Kamera, GPS-Signal, Uhrzeit und Lichtverhältnisse die Inhalte beeinflussen: Schon länger ist bekannt, dass Steven Spielbergs Kapitel-Thriller „After Dark“ nur abgespielt werden kann, wenn es dunkel ist.

Wenn Katzenberg, Mitgründer und Chairman von Quibi, redet, hört Hollywood zu. Als Chairman des Unterhaltungskonzerns Disney in den 90er-Jahren war er für die Wiedergeburt des „House of Mouse“ verantwortlich, für Zeichentrickfilme wie „Arielle“ oder „König der Löwen“. Später gründete er die Produktionsfirma Dreamworks („Shrek“, „Madagascar“). Und nun Quibi.

David gegen Goliath – Wer Netflix herausfordert

Das Selbstbewusstsein der Macher von Quibi, einem Winzling im Markt der Streaminganbieter, ist groß. Quibi steht für „Quick Bites“, „schnelle Happen“. Im April soll die Plattform in den USA starten, später auch weltweit. Es soll dort Filme geben („Movies in Chapters“), Serien („Episodic Shows“) und Nachrichten („Daily Essentials“). Aber alles in Clips von maximal zehn Minuten Länge, die die Nutzer auf die Schnelle konsumieren können.

Katzenberg spricht über den Schriftsteller Dan Brown, der die 464 Seiten des „Da Vinci Code“ (in Deutschland als „Sakrileg“ erschienen) in 105 Kapitel zerlegte und so an unseren immer stärker zerhackten Alltag anpasste.

Mit diesem Ansatz will Quibi einen Platz im umkämpften Streamingmarkt bekommen. Der steht mächtig unter Druck. Pionier Netflix zählt nach eigenen Angaben rund 158 Millionen Mitglieder in 190 Ländern. Die Marke ist etabliert und hat sogar auf Fernbedienungen von TV-Geräten einen eigenen Netflix-Button. Diesen Vorsprung gilt es für Wettbewerber aufzuholen. Amazon Prime Video gilt als zweiter starker Anbieter – allerdings ist der Streamingbereich für den Onlinehändler mehr Kundenbindungsinstrument als Kerngeschäft.

Im vergangenen Herbst startete in den USA die Verfolgungsjagd. Apple brachte im November einen eigenen Streamingdienst zu einem Kampfpreis von fünf Dollar im Monat auf den Markt. Hinzu kommt: Käufer von Apple-Geräten – jedes Jahr werden etwa 245 Millionen Stück verkauft – können den Dienst ein Jahr lang kostenlos nutzen.

Apple TV Plus startete zunächst mit nur neun Produktionen, acht Serien und Filmen sowie einer Doku. Das ist wenig im Vergleich zu den etablierten Konkurrenten Netflix und Amazon Prime Video.

Im selben Monat stieg auch der mächtige Unterhaltungskonzern Disney in den Streamingmarkt ein. Disney Plus hat Experten zufolge das breiteste Spektrum an eigenen Inhalten. Der Unterhaltungskonzern ist weit mehr als Mickey Mouse – das Animationsstudio Pixar, der Comicverlag Marvel und die Star-Wars-Produktionsfirma Lucasfilm gehören ebenfalls dazu. Zudem hat Disney Teile des Medienunternehmens 21st Century Fox gekauft und sich die Rechte an Produktionen wie den Simpsons oder der Avatar-Filmreihe gesichert.

Die Inhalte sind die Währung in der Welt der Streamingdienste. Die Investitionen in Produktionen sind dementsprechend hoch: Netflix soll laut Branchenschätzungen 15 Milliarden Dollar pro Jahr für eigene Produktionen ausgeben. Amazon und Apple sollen beide jeweils sechs Milliarden Dollar investieren. Bei Disney sind es den Schätzungen zufolge etwa 2,5 Milliarden Dollar.

Das Start-up Quibi muss in diesem Rennen bestehen – und heuert die Großen der Branche an. Steven Spielberg dreht einen Thriller, Tina Fey eine Comedyshow, Idris Elba eine Stuntshow, Wolfgang Puck eine Kochshow. Bill Murray, Reese Witherspoon, Christoph Waltz, Ben Stiller oder Will Smith spielen in verschiedenen Projekten mit. Katzenbergs Adressbuch und die 1,4 Milliarden Dollar, die unter anderem große Hollywoodstudios wie Disney, Warner oder Sony in Quibi gesteckt haben, zeigen offenbar Wirkung.

Wachstum nur noch auf Kosten der anderen

Im ersten Jahr will Quibi mehr als ​175 neue Shows​ und 8 500 „Quibis“ produzieren, Komödien und Thriller, Kochshows, Talkshows, Nachrichtensendungen. Mehr als drei Stunden Inhalte pro Tag, für fünf Dollar mit und acht Dollar ohne Werbung.
Noch eine Streaming-App? 2020 wird das Jahr der „Streaming Wars“, auch in Deutschland. Doch wer soll all das anschauen? Mark Mulligan, Chef der Medienanalysefirma Midia, spricht schon jetzt von „Peak Attention“: Das Maximum an Zeit, das Nutzer mit Videostreaming verbringen wollten, sei erreicht – gerade wenn man soziale Medien wie Instagram, Snapchat oder Tiktok dazurechne, sagt er. Das heißt: Was ein Konkurrent gewinnt, geht auf Kosten eines anderen.

Und der Wettbewerb ist nicht fair, nicht einmal für den weltweiten Marktführer. Netflix verdient sein Geld fast ausschließlich mit dem Verkauf von Abos, lediglich Product-Placement-Deals bringen ein bisschen was nebenbei. Disney hingegen kann seinen Dienst mit dem erfolgreichen Kinogeschäft, seinen Freizeitparks und Kreuzfahrten quersubventionieren. Auch Apple und Amazon müssen mit Streaming kein Geld verdienen, sondern nutzen Serien zur Kundenbindung.

Selbst Quibi hat sich schon mit T-Mobile zusammengetan und wird in den Läden der Telekom-Tochter im Bündel mit einem Mobilfunkvertrag verkauft, wie der neue Chef Mike Sievert auf der CES-Bühne in Las Vegas erzählt. „Netflix sieht langsam ziemlich einsam aus mit seiner Strategie“, schrieb Matthew Ball, Industrieanalyst und Ex-Strategiechef von Amazons Filmstudio kürzlich in einer Analyse.

Auch in Deutschland ist der Trend zu Streamingdiensten ungebrochen. In einer Studie fand die Unternehmensberatung Roland Berger in Zusammenarbeit mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im vergangenen Jahr heraus, dass nur noch die Hälfte der Sehzeit (54 Prozent) in klassisches Fernsehen fließt.

Stattdessen würden die Deutschen mit Netflix (10,3 Prozent Sehanteil) mehr Zeit als mit irgendeinem TV-Sender verbringen. Insgesamt, so die Schlussfolgerung der Studienautoren, werde das Publikum des traditionellen Fernsehens immer älter und kleiner. Unter den jungen Zuschauern hätten bereits 85 Prozent einen Zugang zu einem Streamingangebot.

Fernsehkonzerne unter Druck

In Deutschland rüsten sich auch die großen TV-Konzerne für das Rennen um die Aufmerksamkeit der Zuschauer jenseits des Berieselungsfernsehens. Die Unternehmen haben jahrzehntelang hohe Erlöse aus den Werbeeinnahmen des klassischen Fernsehens erzielt – es ist nach wie vor die Werbeform Nummer eins. Doch die Zukunft ist düster.

Die RTL Group baut konsequent ihr Streamingangebot TV Now aus. Zu den jüngsten Quartalszahlen Anfang November hatte der TV-Konzern, der zu Bertelsmann gehört, insgesamt 1,4 Millionen Abonnenten von TV Now und dem niederländischen Pendant Videoland genannt. TV Now bietet derzeit rund 34 000 Programmstunden an – mit überwiegend lokalen Inhalten. Das Monats-Abo kostet 4,99 Euro und liegt unter dem Abo-Preis der internationalen Streaminganbieter.

Konkurrent Pro Sieben Sat 1 will bis Mitte 2020 seinen Dienst Joyn voll einrichten, dann mit der Maxdome-Filmbibliothek und Eurosport. Anders als die anderen Anbieter setzt der Münchener TV-Konzern in der Standardversion von Joyn auf Werbefinanzierung und verzichtet auf Abo-Gebühren. Erst in gehobenen Angeboten (Joyn Plus) werden Kosten für die Nutzer fällig.

Die beiden deutschen TV-Konzerne finanzieren sich vor allem durch das Fernsehgeschäft – und dessen Werbeblöcke. Doch der Werbemarkt verändert sich zusehends: Tech-Plattformen wie Facebook und Google ziehen immer mehr Werbegeld ab. Inzwischen dominieren sie den digitalen Werbemarkt. Eine Gefahr für die deutschen Fernsehkonzerne und ihre Streamingpläne?

Jeff Green glaubt das nicht: „Google und Facebook haben keinen Zugriff auf Premiuminhalte“, sagt der Chef von „The Trade Desk“. Das Unternehmen aus der Nähe von Los Angeles bringt Werbetreibende und Sender zusammen, um Spots möglichst vor den passenden Zuschauern zu platzieren.

Galt es früher schon als „Targeting“, während einer Sportsendung für Bier zu werben, könne man dank smarten Fernsehern nun auch dort Werbung ähnlich gezielt ausspielen wie die Silicon-Valley-Giganten mit all ihren Nutzerdaten: So könne in den letzten Minuten eines Basketballspiels in Echtzeit um die Werbeplätze geboten werden – ist das Spiel bis zur letzten Sekunde spannend, steigen die Preise. Ist es entschieden, sind sie günstiger zu haben.

RTL und Pro Sieben zählen zu Greens Kunden. Beide Sender würden sehr aktiv und aggressiv daran arbeiten, ihre Inhalte besser zu monetarisieren, findet Green. „RTLs Entscheidung, keine Inhalte mehr auf Youtube zu laden, ist strategisch sehr interessant.“
Die TV-Vermarkter der deutschen privaten Fernsehkonzerne müssen sich wappnen. So haben sie sich im vergangenen Jahr sogar zusammengetan, um das neue Trendthema Addressable TV gemeinsam zu bearbeiten.

Der Bertelsmann-Vermarkter Ad Alliance hat gemeinsam mit dem Pro-Sieben-Sat 1-Vermarkter Sevenone Media die neue D-Force geschmiedet: eine Einheit, die Werbung im Bewegtbild gezielt aussteuert. Denn klar ist auch: Reklame bleibt auch in Zeiten des Streamings ein wichtiger Pfeiler ihrer Erlöse. Damit heben sie sich ab von vielen anderen Streamingdiensten, die hinter Bezahlschranken verschwinden.

Für den Ansatz, Werbefinanzierung mit Bezahlmodellen zu verbinden, gibt es einige Fans. So will auch Bezahlfernsehen-Pionier Sky seine Werbemöglichkeiten im Live-Sport-Streaming ausbauen, wie Ralf Hape, Vice President Sales Sky Media, im Fachblatt „W & V“ mitteilte.

Werbefinanzierung versus Bezahlmodelle – Wer macht am Ende das Rennen?

Eine Umfrage, die Trade Desk in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass mehr als die Hälfte der US-Bürger nicht mehr als 20 Dollar für Streamingabos ausgeben wollen – mit Netflix und Amazon ist das Budget schon ausgeschöpft. Green muss das sagen, es ist sein Geschäft.

Doch man muss ihm lassen, dass das Geschäft auch sehr gut läuft: Seit Trade Desks Börsengang 2016 hat sich der Kurs verzehnfacht – mit gezielter Werbung ist noch viel Geld zu verdienen, umso mehr, je stärker die Budgets vom linearen Fernsehen zum Streaming wandern.

Oder mit intelligenterer Werbung: Die Technologie, die Branchenneuling Quibi unter der Ägide von Ex-Ebay- und Beinahe-Uber-Chefin Meg Whitman entwickelt hat, lässt sich auch für ungewöhnliche Spots einsetzen. Die veränderten Ausschnitte je nach Smartphoneposition setzt Quibi nicht nur ein, um schnell zwischen Nahaufnahmen und Panoramen zu wechseln. Whitman zeigt auch einen schnell geschnittenen Pepsi-Spot, in dem man eine Dose ausleert, wenn man das Handy um 180 Grad dreht – oder sie umwirft und das Display mit Cola flutet, wenn man es quer legt.

Zu den ersten Werbekunden zählen Konzerne wie T-Mobile oder Procter & Gamble. Sie hätten bereits alle Werbeplätze im ersten Jahr aufgekauft, sagt Whitman stolz, und zahlen Quibi dafür 150 Millionen Dollar. Auch Google zählt dazu. Die „Nest“-Serie ist auch Product-Placement für die Smarthome-Geräte des Suchmaschinenkonzerns. Die Nest-Kamera ist live dabei, als der grauhaarige Mann zurückkehrt und die Haustür einschlägt.