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Wie Lidl in den USA doch noch durchstarten will

Unter neuem Management findet der deutsche Discounter im US-Markt doch noch den Erfolgsansatz. Dabei galt Lidls US-Strategie schon fast als gescheitert.

Es ist eigentlich ein erfreuliches Ereignis. Am kommenden Mittwoch wird das Band vor dem neuen Markt in der Mount Holly Road in Burlington, New Jersey, zerschnitten. Doch Lidl kann diese 104. Neueröffnung in den USA nicht so unbeschwert feiern, wie es das Unternehmen gerne getan hätte. Zwar nennt der Händler die Zeremonie „Grand Opening“, doch die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften in der Coronakrise lassen nur wenig Feierliches zu.

Es wird die obligatorischen Luftballons in den Firmenfarben blau, gelb und rot geben. Die ersten 100 Kunden, die um acht Uhr morgens ins Geschäft strömen, bekommen Gutscheine im Wert zwischen fünf und 100 Dollar geschenkt. Doch dann wird die Mannschaft des Discounters relativ schnell wieder zur Tagesordnung übergehen.

Der US-Chef von Lidl, Johannes Fieber, hat ohnehin keine Zeit zum Feiern. Er hat alle Hände voll zu tun, die Expansion des Händlers in den USA doch noch zum Erfolg zu führen. Lange sah es so aus, als ob dieser Ausflug in die Neue Welt für den so erfolgsverwöhnten Händler sogar zum Flop werden könnte. Doch nun scheint sich das Geschäft stabilisiert zu haben. „Wir setzen auf ein langfristiges Wachstum in den USA“, sagte Fieber kürzlich fast trotzig.

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Nach Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Ascential wird Lidl in diesem Jahr in den USA einen Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar erzielen. Im vergangenen Jahr waren es erst 1,18 Milliarden Dollar. Eine stürmische Entwicklung sieht anders aus.

Doch die Experten wollen das nicht als Misserfolg werten. „Das Unternehmen wird auch in den USA seinen Weg gehen“, prognostiziert Boris Planer, Handelsexperte von Ascential. „Man sollte die Startschwierigkeiten nicht überbewerten“, sagt er, die seien jetzt überwunden.

Dabei war Europas größter Händler mit viel höheren Erwartungen in den USA gestartet. „Das Tempo wird sehr hoch sein, wir wollen wachsen, die USA sind ein strategischer Markt für uns“, hatte der damalige Lidl-Chef Sven Seidel im Handelsblatt-Interview angekündigt. Ein Budget im hohen dreistelligen Millionenbereich war veranschlagt, Anfangsverluste zugunsten von schneller Expansion einkalkuliert.

Hundert Läden sollten schon im ersten Jahr entstehen, große Glaspaläste, die die Kunden begeistern und die Konkurrenz das Fürchten lehren. Experten hatten damit gerechnet, dass der Discounter schon in wenigen Jahren mehr als 500 Märkte in den USA haben werde.

Doch die Operation stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Als Lidl im Juni 2017 wirklich loslegte, war Seidel schon nicht mehr mit von der Partie. Er hatte sich mit dem Chef des Mutterkonzerns Schwarz-Gruppe, Klaus Gehrig, überworfen und musste das Unternehmen verlassen.

Schnell zeigte sich, dass die Expansion in den USA überhastet geplant und schlecht an die Marktbedingungen angepasst war. Die Läden waren zu groß, viele Standorte falsch gewählt, und beim Sortiment hatte sich Lidl zu wenig an den Wünschen der US-Kunden orientiert. Viel Geld wurde verbrannt mit dem Kauf von Dutzenden Grundstücken, die später doch nicht gebraucht wurden. Das Unternehmen hatte sich schlicht verhoben.

Harte Eingriffe ins Filialnetz

Mahnendes Beispiel für Lidl ist der britische Lebensmittelriese Tesco. Er wollte die USA 2007 schon im Sturm erobern mit seinem Konzept „Fresh & Easy“. Doch 2013 musste die US-Tochter in Gläubigerschutz gehen. Die Kette wurde verkauft und gab 2015 endgültig auf. Auch hier lag es am falschen Sortiment und an ungünstigen Standorten. Tesco soll damals eine Milliarde Dollar verloren haben.

Schwarz-Chef Gehrig zog bei Lidl deutlich schneller Konsequenzen, um ein komplettes Scheitern zu verhindern. Er tauschte das Management aus und entsendete Fieber, bis dahin Lidl-Chef in Schweden, als neuen CEO in die USA. Später kam noch Roman Heini als Chairman dazu, ein erfahrener Handelsmanager, der zuvor beim Konkurrenten Aldi Karriere gemacht hatte.

Die beiden Neuen schreckten auch vor harten Entscheidungen nicht zurück. Sie bremsten nicht nur das Expansionstempo, sie schlossen sogar bereits eröffnete Läden wie beispielsweise in Rockingham und Kinston in North Carolina, die zu den ersten der US-Expansion gehörten.

Statt wie anfangs Grundstücke zu kaufen und die Läden neu zu bauen, werden jetzt auch bestehende Gebäude genutzt. Die Märkte sind deutlich kleiner, müssen nicht mehr allein stehen, auch Miete ist möglich. Um die Kosten niedrig zu halten und trotzdem rascher Fortschritte zu erzielen, übernahm der Discounter 27 Best-Market-Läden in New York und baute sie zu Lidl-Märkten um.

Das Lidl-Prinzip, mit dem der Händler dem Discount-Erfinder Aldi in Europa über Jahrzehnte erfolgreich Paroli geboten hat, ist zwar auch Discount – aber eben viel schöner dargeboten und mit mehr Markenartikeln. Nun wird es amerikanisiert – mit anderen Produkten, aggressiveren Preisen, weniger Schnickschnack.

Gleichzeitig entwickelt der Discounter die Logistikinfrastruktur weiter. Ende März hat das Unternehmen sein drittes regionales Verteilzentrum in Cecil County in Maryland eröffnet. In dieses 65.000 Quadratmeter große Lager und das angeschlossene regionale Headquarter hat das Unternehmen 100 Millionen Euro investiert. Von dort werden Läden in Maryland und New York beliefert. „Das wird unsere Expansionspläne in der Region unterstützen“, sagte CEO Fieber bei der Eröffnung.

Und die Expansion ist damit noch lange nicht abgeschlossen. Weitere 100 Millionen Euro investiert das Unternehmen in ein Regionalverteilzentrum in Georgia, das mit 86.000 Quadratmetern noch mal größer werden wird als das in Maryland. Dabei ist Lidl in Georgia bisher erst mit sechs Läden im Geschäft.

Nach der Eröffnung des Regionallagers in Maryland befinde sich Lidl jetzt auf einem schnellen Expansionspfad, urteilt Maxime Delacour, Handelsanalyst des Beratungsunternehmens IGD. „Es sieht so aus, als ob Lidl jetzt das richtige Modell für die USA gefunden hat“, so Delacour. „Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Neueröffnungen in den kommenden Monaten und Jahren zunehmen wird.“

Auch Handelsexperte Planer sieht Schritte in die richtige Richtung. „Unter dem neuen Management hat Lidl den richtigen Zugang zum US-Markt gefunden“, sagt er. „Die Einkaufsgewohnheiten der Kunden in den USA unterscheiden sich deutlich von denen in Deutschland“, nennt er als weiteren Grund für Startschwierigkeiten. Doch Lidl habe eine hohe Kompetenz, sich an andere Rahmenbedingungen in neuen Märkten anzupassen.

Erfahrungen aus Großbritannien helfen

Das hat der Händler bereits bei seiner Expansion in Großbritannien gezeigt. Genau wie Aldi hatte Lidl anfangs Schwierigkeiten, die britischen Konsumenten für sich zu gewinnen. Beide Discounter haben daraus die Konsequenz gezogen, das Sortiment massiv zu verändern, um es den Wünschen der Kunden anzupassen.

Heute halten Aldi und Lidl zusammen bereits 13,6 Prozent des britischen Marktes und setzen die etablierten Händler gewaltig unter Druck. Lidl hat gerade erst angekündigt, bis 2022 weitere 1,3 Milliarden Pfund in Großbritannien zu investieren. Bis Weihnachten will Lidl dort 25 neue Läden eröffnen. Auch Aldi investiert massiv in Großbritannien und will bis 2025 sein Filialnetz von jetzt knapp 900 auf 1200 Läden ausdehnen.

Ein interessantes Detail: Der Architekt der erfolgreichen Aldi-Strategie in Großbritannien war Roman Heini, der die dortige Landesgesellschaft bis 2015 geleitet hatte. Jetzt kann er seine Erfahrungen in den Turnaround von Lidl in den USA einbringen.

Teil dieser Strategie war auch eine auffällige Offenheit für Marketing und Kommunikation. Während in Deutschland Manager von Aldi und Lidl sich eher die Zunge abbeißen, bevor sie sich in der Öffentlichkeit äußern, gab Heini in seiner Aldi-Zeit in Großbritannien bereitwillig Interviews und ließ sich auf gesellschaftlichen Veranstaltungen sehen.

Eine ähnliche Politik der Präsenz betreiben Heini und sein Mitstreiter Fieber jetzt auch für Lidl in den USA. Sie äußern sich sogar auf Social Media – und da auch zu gesellschaftlichen Themen. So bezog beispielsweise CEO Fieber auf LinkedIn Position zu den Unruhen nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz.

Er betonte in einem Post, es brauche mehr als Lebensmittel, um ein gesundes und positives Leben zu führen. Und er bezeichnete den Tod von Floyd als „Symbol für den Mangel an Fairness und Gerechtigkeit“. Diese Sätze, die für einen Lidl-Manager in Deutschland undenkbar wären, zeigen, dass die Führungsspitze des Discounters mittlerweile in den USA angekommen ist.

Hohes Wachstumspotenzial für Discounter

Dabei werden gerade die gesellschaftlichen Verwerfungen und auch die Folgen der Corona-Pandemie in den USA die Position der Discounter stärken. „Die Erosion der Mittelschicht wird noch zunehmen, die Rezession wird das Problem der Arbeitslosigkeit verschärfen“, beobachtet Handelsexperte Planer. All das werde dazu führen, dass die Menschen noch stärker Qualitätsprodukte zu günstigen Preisen suchen. „Das spielt Lidl und Aldi in die Karten“, so Planer.

Auch Aldi hat dem Angriff von Lidl in den USA nicht tatenlos zugesehen, sondern die eigene Expansion dort massiv verschärft. So hat Aldi mittlerweile mehr als 2000 Läden in den USA. In diesem Jahr dürfte Aldi Süd dort nach Zahlen von Ascential auf einen Bruttoumsatz von rund 20 Milliarden Dollar kommen – und könnte damit erstmals knapp vor dem Umsatz des Discounters im Heimatmarkt Deutschland liegen.

Doch auf die Expansion von Lidl hat der Erfolg des Rivalen keinen Einfluss. „Im US-Markt ist so viel Platz und so viel Wachstumspotenzial, dass sich Lidl und Aldi nicht in die Quere kommen“, sagt Handelsexperte Planer. Die Marktbedingungen in den USA seien für beide hervorragend. „Der Lebensmitteldiscount ist dort bisher schon schnell gewachsen“, sagt der Experte, „und das wird sich durch die Coronakrise noch mal beschleunigen.“