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Für Mannheim ist Abzug der GIs ein Riesenproblem

Die US-Armee zieht bis 2015 aus Mannheim ab. Für die Stadt ein Problem: Eine gigantische Fläche muss neu genutzt werden. Skurrile Vorschläge wie Männerspielplatz oder Baumhaus-Hotel machen die Runde.

Am Haupttor darf keiner fotografieren, Sicherheitsvorschrift. Im Internet sollen nicht irgendwann Bilder auftauchen, die versehentlich Militärgeheimnisse preisgeben. Das gilt auch für den Tower, neben dem ein Black-Hawk-Hubschrauber kreiselt wie eine dicke Hummel. Gehorsam versenken alle ihre iPhones im Jackett. Erst dann rollt der Doppeldeckerbus vorbei an der letzten Panzersperre.

Für die vier Dutzend Mannheimer Lokalpolitiker und ihren Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) ist die Tour in die Coleman Barracks eine Premiere. Nie zuvor haben sie es bis hinter den Stacheldrahtzaun des amerikanischen Militärflughafens geschafft. Coleman, das einst Hermann-Göring-Kaserne hieß und im Dritten Reich den süddeutschen Jagdgeschwadern als Basis diente, liegt zwar komplett auf dem Areal der Stadt. Doch US-Anlagen sind exterritoriales Gebiet und damit "off limits", Zutritt verboten, selbst für den OB. Ein Planungsrecht hat die Kommune auf solchen Arealen schon gar nicht.

In Mannheim ändert sich das aber bald. Daher lädt das Militär an diesem Tag zur Besichtigung. Das Pentagon will seine Truppen bis 2015 aus der Stadt abziehen und die Nachfolger schon mal einen Blick auf das, was zurückbleibt, werfen lassen.

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An acht verschiedenen Standorten in der Stadt werden insgesamt 521 Hektar eine neue Verwendung brauchen. Vor der Stadt liegt damit eine gigantische Aufgabe. Die gesamte City ist gerade mal 100 Hektar groß. Der Chef der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), Axel Kunze, spricht gar von einer problematischen "Klumpenbildung", die schwer zu vermarkten oder bewirtschaften sein wird.

Das ist zunächst einmal tatsächlich ein Problem für die Bima, denn die Anstalt – nicht die Stadt selbst – wird Eigentümer der Gebäude und Flächen, wenn das Militär verschwindet. Insgesamt muss die Bonner Behörde in Deutschland 28.000 Immobilien mit 400.000 Hektar und 44.000 Wohnungen einer "sinnvollen und wirtschaftlichen weiteren Nutzung zuführen". Die Mannheimer Konversion gehört zu den größten und diffizilsten.

Fast nirgends muss eine Stadt so viel Gelände auf einmal verarzten. Und selten liegen die frei werdenden Flächen so nah an der Innenstadt wie in Mannheim. Das hat Vorteile, weil der Zugang zu Autobahnen, zum Rheinhafen oder zum Güterbahnhof Investoren lockt. Doch umso größer ist zugleich die Gefahr, der Stadt und ihrem Lebensgefühl erheblich zu schaden.

In Mannheim fürchten viele, dass die Sache schiefgeht. Dabei hatte sich die Verwaltung vor zwei Jahren, als die Nachricht vom Abzug kam, mit Eifer an die Planung gemacht. Er wolle "auf keinen Fall ein zweites Stuttgart 21 erleben", sagte der Oberbürgermeister damals und holte sich einen Konversionsbeauftragten ins Rathaus: Der Augsburger Ex-Sozialdezernent Konrad Hummel kennt sich mit Stadtentwicklung aus, aber auch mit Bürgerbeteiligung.

Im Internet und per Bürgerforum sammelte Hummels Team bei allen Mannheimern 1000 Ideen ein. Skurriles und Ambitioniertes kam zusammen, vom Männerspielplatz bis zum Solarpark, von der Niedrigenergie-Mustersiedlung über das Baumhaus-Hotel bis zum Guggenheim-Museum. Initiativen entwarfen Pläne mit Parks, Kunst- und Arbeitshöfen, Mehrgenerationenhäusern. Ehrenamtliche "Zukunftslotsen" moderierten Bürgerforen.

Die Stadt lässt sogar begutachten, ob in den Coleman Barracks eine Bundesgartenschau denkbar ist. Das Konzept einer "Ingenieursmeile" gefällt der Wirtschaft, weil High-Tech, Gewerbe und anspruchsvolles Wohnen zusammenfinden.

Mannheims berühmtester Pop-Sohn Xavier Naidoo nimmt schon eine Bühnenauszeit von seiner Band, um in einer Ex-Kaserne ein Studiozentrum für Musik- und TV-Showproduktionen zu planen. Er und sein Manager Michael Heberger träumen von Proberäumen und Bühnen, Fotostudios und Aufnahmetechnik. "Was Köln für TV-Produktionen geschafft hat, das wollen wir für das Live-Segment und für Musik-Shows im Fernsehen schaffen", sagt Naidoo.

Doch die Entwickler-Euphorie, die die ganze Stadt erfasste, könnte böse enden. Denn damit aus den Ideen Wirklichkeit werden kann, muss Mannheim über die Flächen bestimmen können. Das geht jedoch nur, wenn die Bima an die Kommune verkauft, und das ohne Ausschreibung und möglichst günstig.

Wenn die Gelände dagegen wie bei der Bima üblich am Markt angeboten werden, hätte die Stadt wohl zumindest bei Filetstücken nahe der City keine Chance gegen finanzstarke Investoren, meint Oberbürgermeister Kurz. Und sollten dort dann doch wieder nur die üblichen Möbelhäuser oder Bürotempel auftauchen, "dann wäre die Enttäuschung und Empörung der Bürger nach so viel Beteiligung gewaltig", fürchtet er.

Doch Aufgabe der Bima ist es nun einmal, dem Staat Geld einzubringen und nicht, Stadtentwicklung zu betreiben. Die Haushaltsordnung schreibt vor, dass sie Bundesliegenschaften zu Höchstpreisen vermarkten muss und damit dem Staat Geld in die Kasse bringt. "Unsere Arbeit wird von der Rechtsaufsicht und vom Haushaltsausschuss des Bundestages kontrolliert", sagt Michael Scharf, der zuständige Projektleiter: "Wir sind keine Wirtschaftsförderung."

Mannheim könnte sich vor Gericht gegen unliebsame Investorenpläne wehren. Aber das kostet Zeit und Geld. "Und Bürgervertrauen", sagt der Konversionsbeauftragte Hummel. Aber selbst wenn alles glattläuft, wird die Konversion schwierig.

Wie schwierig, wird manchen Räten offenbar erst so recht klar, als der Bus in die Coleman Barracks rollt. Viele schauen erschrocken aus dem Fenster, als sich vor ihnen eine gigantische Fläche auftut, links eine Kompanie Holzbaracken, rechts zahllose Kasernenblöcke aus Sandstein, riesige Lagerhallen, die wirken wie Spielzeug. Und bis zum Horizont grasige Böden oder Betonflächen.

"Von außen hat man ja keine Vorstellung, wie groß das alles ist", staunt ein Bezirksbeirat. "Ich wüsste echt nicht, wer so viel Lagerfläche braucht", zweifelt ein anderer mit Blick auf eine fußballfeldgroße Halle. "Was da allein die Bodensanierung kostet", seufzt es von hinten.

Einhellige Meinung: Der Bedarf an Wohn- und Gewerberaum in Mannheim ist nie und nimmer so groß, dass das alles wirtschaftlich genutzt werden kann. Hinzukommt, dass viele Gebäude in Top-Zustand sind. Die Amerikaner haben kürzlich Millionen in die Sanierung gesteckt. Das wollen sie teilweise kompensiert haben. Und außerdem könne man das alles doch nicht einfach abreißen, sagt OB Kurz. "Das kann ich moralisch-ökologisch nicht verantworten."

Aber brauchen kann Mannheim viele der Gebäude eben auch nicht. Würde die Stadt etwa Soldatenunterkünfte zu Sozialwohnungen umrüsten, kämen Belastungen mit im Gepäck. Denn Kommunen müssen zu einem großen Teil für die Wohn- und Heizungskosten von Hartz-IV-Empfängern aufkommen. Womöglich würde sich die Stadt gar den nächsten sozialen Brennpunkt bauen.

Lahr im Südschwarzwald hat das erlebt. Dort zog Mitte der 90er-Jahre die kanadische Luftwaffe ab, die Wohnkasernen waren flugs zu Mietswohnungen umgerüstet und mit 10.000 Russlanddeutschen gefüllt. Bald hieß der Kanadaring im Ort "Klein Moskau", Klagen über Überfälle und Gewalt häuften sich. Hauptsprache ist bis heute Russisch.

Johannes Walter, einer der Mannheimer Zukunftslotsen, ist daher skeptisch. "Am Ende kommt wahrscheinlich doch ein Investor, der sich alles krallt, und wir stehen im Regen."