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3,3 Millionen neue Arbeitslose: Das historische US-Hilfspaket könnte zu spät kommen

US-Unternehmen entlassen ihre Mitarbeiter schneller, als es in Europa üblich ist. Die Hilfe ist noch nicht da. Viele Menschen sind schon arbeitslos.

Miranda Miller gehört zu den frühen Opfern der Coronakrise. Ihr Job als Kellnerin in einer Brauerei unweit von Denver war sofort weg, als die Restaurants schließen mussten. „Ich bin noch total geschockt“, erzählt Miller, die nun im Großhandel Costco nach Schnäppchen sucht und dabei gewissenhaft zwei Meter Abstand zu anderen Kunden einhält. Sie umschließt mit beiden Händen ihren Einkaufswagen.

„Meine Kreditkartenrechnung, mein Autokredit und natürlich meine Miete, ich weiß gar nicht, wie ich das alles jetzt stemmen soll.“ Im Februar hat sie sich noch eine teure Couch gegönnt. Das Geld könnte sie jetzt gut auf ihrem Konto gebrauchen. „Ich mache mir große Sorgen“, sagt sie. „Wer stellt denn jetzt noch Leute ein?“

Millionen von Amerikanern haben den durch das Coronavirus ausgelösten wirtschaftlichen Schock unmittelbar zu spüren bekommen. 3,3 Millionen stellten in der vergangenen Woche Antrag auf Arbeitslosengeld, wie das Arbeitsministerium am Donnerstag mitteilte. So viele wie noch nie und fast zwölfmal so viele wie in der Vorwoche. Erwartet worden waren nur 1,5 Millionen Anträge.

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Während die Politiker in Washington noch um die letzten Details eines billionenschweren Rettungspakets ringen, das Unternehmen und Arbeitsplätze sichern soll, haben viele Firmen längst gehandelt und sich von Mitarbeitern getrennt. Es trifft praktisch alle Teile der Wirtschaft: große Hotelketten, Airlines, Restaurants, Veranstalter, Nagelsalons. Hinzu kommen Hunderttausende, die nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen: Haushaltshilfen, Kindermädchen, Hundesitter sowie die Mitarbeiter der sogenannten Gig-Economy, die als Selbstständige arbeiten und somit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.

Und das ist erst der Anfang. James Bullard, der Chef der regionalen Notenbank in St. Louis, rechnet im zweiten Quartal mit einer Arbeitslosenquote von 30 Prozent und einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 50 Prozent. Es ist die bislang pessimistischste Prognose. Doch alle Ökonomen sind sich einig: Amerika steht vor einem nie da gewesenen Einbruch von Angebot und Nachfrage, der eine Kaskade an wirtschaftlichen und menschlichen Tragödien auslösen wird.

Noch lautet das Mantra vieler Marktbeobachter: Es wird nach einem drastischen Einbruch schnell wieder aufwärtsgehen. Doch Kritiker warnen vor zu viel Euphorie. Dass die Erholung V-förmig verlaufen könnte, auf den rapiden Absturz der Konjunktur also eine schnelle Erholung folgt, gilt inzwischen als unrealistisch.

U-förmig, mit einem steilen Anstieg nach einer längeren Schwächephase, wäre schon positiv, glaubt etwa der ökonomische Chefberater der Allianz, Mohamed El-Erian. Das Bestreben von US-Präsident Donald Trump, die Wirtschaft möglichst schnell wieder ans Laufen zu bringen, schürt die Angst vor einem Rückfall, was die Erholung eher W-förmig aussehen lassen und zusätzlichen Schaden verursachen würde.

„Die Lage heute ist nicht wie in einer klassischen Rezession, in der für eine längere Zeit jeden Monat Hunderttausende Stellen gestrichen werden“, gibt Investmentbanker Daniel Alpert zu bedenken, der nebenbei an der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York unterrichtet und einen neuen Arbeitsmarktindikator mitentwickelt hat. „Gerade bei Geringverdienern schlägt der Effekt sofort ein.“

Verglichen mit Deutschland schlagen Nachfrageeinbrüche in den USA besonders schnell auf die Arbeitslosenzahlen durch. Es gibt keinen gesetzlich geregelten Kündigungsschutz. Gerade die Verträge von gering qualifizierten Arbeitskräften können oft von einem auf den anderen Tag beendet werden.

In höher qualifizierten Berufen regelt häufig der Arbeitsvertrag eine beidseitige Kündigungsfrist von zum Beispiel einem Monat. Doch in der Regel werden auch solche Angestellte sofort mit der Kündigung freigestellt und erhalten das noch ausstehende Gehalt anstelle einer Abfindung. Ein Instrument wie die deutsche Kurzarbeit ist in den USA unbekannt.

Für die Parlamentarier in Senat und Repräsentantenhaus war daher klar, dass sie möglichst schnell einen Schutzschirm für die absehbar rasch wachsende Zahl der Arbeitslosen aufspannen müssen. Nicht nur, um den Bürgern selbst zu helfen, sondern auch, um deren Kaufkraft zu erhalten.

Wenn das nicht gelingt, droht aus dem Konjunktureinbruch eine dauerhafte Rezession zu werden. Der Senat verabschiedete in der Nacht zum Donnerstag ein 2,2 Billionen Dollar schweres Corona-Hilfspaket, das auf eine breite Mischung aus Maßnahmen setzt. Eine bessere Absicherung von Arbeitslosen ist dort ebenso enthalten wie Direkthilfen für Unternehmen und die Erlassung von Krediten.

Gerade die vielen notleidenden kleinen und mittelgroßen Unternehmen sollen mit Hilfskrediten entlastet werden. Sie stellen über 80 Prozent der Arbeitsplätze, wie Berechnungen der Deutschen Bank zeigen. Die Rückzahlung der Kredite soll erlassen werden, wenn die Unternehmen das Geld nutzen, um ihre Mitarbeiter während der Krise auf der Gehaltsliste zu halten – eine Art improvisierte Kurzarbeit. Für diese Kredite sind im Hilfspaket 350 Milliarden Dollar vorgesehen.

Den Demokraten ging das nicht weit genug. Sie haben in den Kompromissverhandlungen zusätzlich eine deutliche Aufstockung des Arbeitslosengeldes durchgesetzt: Arbeitslose sollen nun, befristet für die kommenden vier Monate, zusätzlich 600 Dollar pro Woche aus Bundesmitteln erhalten.

Für die USA ist das ein geradezu revolutionärer Schritt. Denn die Arbeitslosenunterstützung wird dort bisher von den einzelnen Bundesstaaten geregelt. Die Höchstsätze liegen je nach Bundesstaat und vorherigem Einkommen bei etwa 400 bis 800 Dollar pro Woche.

Ebenfalls revolutionär: Die 600 Dollar pro Woche sollen auch Soloselbstständige erhalten, also zum Beispiel die Fahrer von Chauffeurdiensten wie Uber oder Lyft. Sie leiden besonders unter der Auftragsflaute. Da sie keinen Anstellungsvertrag haben, qualifizieren sie sich nicht für das bisherige Arbeitslosengeld der Bundesstaaten.

Die neuen Bundeszuschüsse dürften für viele Arbeitslose die wöchentliche Zahlung mehr als verdoppeln. Hinzu kommt noch das „Helikoptergeld“, die einmalige Zahlung von 1200 Dollar für nahezu alle erwachsenen US-Bürger und 500 Dollar für jedes Kind. Washington greift also tatsächlich entschlossen ein, um die Lage der Arbeitslosen in der Krise entscheidend zu verbessern.

Fraglich ist aber bislang, ob das Geld auch rechtzeitig bei den Betroffenen ankommt. „Je länger es dauert, desto tiefer wird der Einbruch für die Wirtschaft“, warnt Torsten Slok, Chefökonom der Deutschen Bank in New York. „Es ist eine riesige logistische Herausforderung, Schecks an 130 Millionen Haushalte zu schicken.“

Für Miranda Miller kann das nicht schnell genug gehen. Am Montag hat sie es endlich geschafft, ihren Antrag auf Arbeitslosenversicherung zu stellen. Die Systeme im Bundesstaat Colorado sind völlig überfordert. Von Montag bis Donnerstag vergangener Woche sind die Anträge auf Arbeitslosengeld um 1450 Prozent auf über 20.000 gestiegen. Bürger, deren Nachnamen mit den Buchstaben A bis M beginnen, dürfen neuerdings ihre Anträge nur noch sonntags, dienstags, donnerstags oder samstags nach 12 Uhr einreichen. „Jeder Dollar zählt“, sagt Miller. Der nächste Schritt sei nun, mit Banken zu verhandeln, Zahlungen aufzuschieben und Strafgebühren zu vermeiden.

Ob die Staatshilfen ausreichen, um eine drohende Welle an Unternehmenspleiten und Privatinsolvenzen aufzufangen, ist ungewiss. Allein der Flugzeughersteller Boeing verlangt 60 Milliarden Dollar Staatshilfe, die Airlines 58 Milliarden Dollar. Die Handelsbranche kam großteils zum Erliegen.

Zwar feierte US-Präsident Donald Trump vor dem Ausbruch des Coronavirus immer neue Rekorde auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote lag noch im Februar mit 3,5 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 50 Jahren. Doch schon damals übertünchten die rosigen Zahlen die eigentliche Stimmung in der Bevölkerung. 40 Prozent haben nicht genügend Ersparnisse, um unerwartete Ausgaben von 400 Dollar oder mehr zu stemmen, wie Daten der Notenbank von 2019 zeigen. Auf lange Verdienstausfälle sind die Amerikaner schlicht nicht vorbereitet.

Gerade in New York, der US-Stadt mit der größten Wirtschaftskraft des Landes, ist die Lage dramatisch. Alle Unternehmen, die nicht lebensnotwendige Produkte herstellen, sind geschlossen. 29 Prozent der Geringverdiener-Haushalte haben mindestens einen Job in der Familie verloren, wie aus einer Studie der City University of New York hervorgeht. Bei Haushalten, die mehr als 100.000 Dollar im Jahr verdienen, gaben 16 Prozent an, dass ein Haushaltsmitglied seinen Job verloren hat.

Eine Einzimmerwohnung kostet in New York im Mittel knapp 3000 Dollar. Der New Yorker Senat hat einen Gesetzesentwurf eingebracht, wonach alle Mietzahlungen für Unternehmen und Bürger ausgesetzt werden sollen, die von der Krise betroffen sind. Die Restaurantkette Cheesecake Factory kündete am Mittwoch an, dass sie ab dem 1. April landesweit keine Mieten mehr bezahlen wird.

Der New Yorker Roberto Bruni hat sich entschlossen, gleich aufzugeben. Er hatte vor einigen Monaten mit Partnern eine Weinbar in Brooklyn eröffnet. Das Geschäft war dabei, richtig anzulaufen. „Wir bemühen uns nicht um die Überbrückungsgelder. Das ist zu riskant. Wir werden das jetzt ganz aufgeben“, sagt Bruni, der seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Damit verlieren auch die Kellner und Köche ihren Job.

Überall im Land gibt es Kaskadeneffekte: Wenn Restaurants schließen, merken das auch die Bäckereien, Blumenhändler und Fischlieferanten, weil ihnen Bestellungen wegbrechen. Mietausfälle treffen Immobiliengesellschaften und Finanzinstitute. Ausbleibende Steuereinnahmen stellen Kommunen vor finanzielle Schwierigkeiten. Die Bonität hochverschuldeter Unternehmen wird herabgestuft, was diese in finanzielle Schwierigkeiten bringt.

Aber es gibt auch Unternehmen, die einstellen: Die Apothekenkette CVS Health hat diese Woche bekanntgegeben, dass sie 50.000 Mitarbeiter sucht. Der Supermarktriese Walmart sucht 150.000 neue Mitarbeiter für seine Läden und für das Onlinegeschäft, und auch Amazon will 100.000 Menschen einstellen.

Gerade bei Amazon war es zuletzt zu mehreren Covid-19-Fällen in den Lagern gekommen. Nach Medienberichten haben die Arbeiter oft nicht einmal Zeit zum Händewaschen. Das ist wohl mit ein Grund dafür, dass sowohl Amazon als auch Walmart zwei bis drei Dollar mehr pro Stunde bieten als sonst.

Auch Miranda Miller überlegt, sich auf einen dieser Jobs zu bewerben. „Ich habe viel Schlechtes über die Arbeitsbedingungen gehört. Daher wollte ich da eigentlich nie hin“, räumt sie ein. „Aber das Geld muss ja irgendwo herkommen.“

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