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18 zusätzliche ICEs und neue Eurocity-Flotte – Deutsche Bahn startet Offensive im Fernverkehr

Am Freitag vor Pfingsten war es wieder einmal so weit. Die Deutsche Bahn musste ihre allerletzte Reserve mobilisieren. Der nagelneue ICE4 rollte aus dem Hamburger Depot zum Hauptbahnhof der Hansestadt und machte sich als Verstärkungszug auf den Weg nach Karlsruhe. Wegen des langen Wochenendes und der Pfingstferien in einigen Bundesländern war die halbe Republik auf Reisen – und brachte den Staatskonzern an die Grenze seiner Kapazität. Mehr ging nicht. Alle 250 ICEs waren im Einsatz.

Zum Glück lief an diesem Tag alles reibungslos. Kein Zug fiel aus, kein Unwetter blockierte Strecken. Doch so glimpflich kommt die Bahn nicht immer davon. Deshalb setzt Konzernchef Richard Lutz alles daran, die ICE-Flotte schnellstens auszubauen.

Die Bahn braucht aber nicht nur Reserven, die Bahn will wachsen. Ganz im Sinne der Politik. CDU und SPD haben in ihrer Koalitionsvereinbarung das ehrgeizige Ziel vorgegeben, die Zahl der Fernreisenden auf der Schiene bis 2030 zu verdoppeln. Das wären dann 280 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Und dafür braucht die Bahn Züge, viele Züge.

Lutz nannte die Vorgabe der Bundesregierung im Handelsblatt-Interview kürzlich „ausgesprochen sportlich“. Ein Aufsichtsrat meinte gegenüber dem Handelsblatt, den Regierungswunsch bis 2030 umzusetzen sei „sicherlich schwierig“, man müsse über den Zeithorizont reden.

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Lutz’ Plan ist es, zumindest auf 200 Millionen Reisende zu kommen. Immerhin noch 20 Millionen mehr als bisher avisiert. Das geht aus Unterlagen für den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn am 13. Juni hervor, wie das Handelsblatt in Kreisen des Gremiums erfuhr.

Lutz legt Konzept vor

Erstmals wird der Bahn-Vorstand unter Lutz’ Führung sein Konzept vorlegen, wie er die Offensive im Fernverkehr stemmen will. Und der seit gut einem Jahr amtierende CEO und zugleich Finanzvorstand wird erklären müssen, warum noch ambitioniertere Ziele aus seiner Sicht Illusion sind. Der alte Fernverkehrsplan des Staatsunternehmens aus dem Jahr 2015 sah 180 Millionen Reisende vor.

Würde der nun revidierte Plan des zuständigen Personenverkehrsvorstands Bertold Huber voll umgesetzt, könnte die Deutsche Bahn in zwölf Jahren die Zahl der verfügbaren Sitzplätze in der zweiten ICE-Klasse auf rund 200.000 verdoppeln. Dafür braucht sie vor allem mehr, aber auch längere Züge.

Im Detail sieht der Plan vor: Die Bahn will 18 zusätzliche Einheiten des neuen ICE4, 50 zusätzliche Wagen zur Verlängerung bereits bestellter ICEs und eine komplett neue Eurocity-Flotte mit 20 Zügen à zehn Wagen kaufen.

Darüber hinaus prüft der Vorstand, die 58 Einheiten des ICEs der ersten Generation nicht wie bislang gedacht auszumustern, sondern zu modernisieren. Immerhin sind die Züge bald 30 Jahre alt, haben Millionen von Kilometern auf dem Tacho und sollten eigentlich durch die neuen ICEs der vierten Generation ersetzt werden.

Mehr Kapazitäten bringt auch ein zweiter Plan des Bahn-Chefs. Im Januar rief er das Projekt „digitale Schiene“ aus. Durch technische Aufrüstung des Netzes etwa mit dem modernen europäischen Signalsystem ETCS werden 20 Prozent mehr Züge fahren können, ohne dass ein einziger Kilometer Schiene neu verlegt werden muss, lautet das Versprechen. Ob das alles reichen wird, das „werden wir diskutieren“, heißt es noch recht zurückhaltend in Kreisen des Aufsichtsrats.

Größtes Beschaffungsprogramm der Konzerngeschichte

Vor allem aber: Diese digitale Investitionsoffensive wird der Eigentümer Bund bezahlen müssen, denn der ist für die Infrastruktur zuständig. Züge kauft die Bahn aus eigenen Mitteln.

Doch genau deshalb werden die Aufseher Fragen haben. Denn: Derzeit läuft das größte Fahrzeug-Beschaffungsprogramm, das die Deutsche Bahn jemals gestemmt hat. Für knapp sechs Milliarden Euro rollt gerade die vierte ICE-Generation an. Neun Züge sind im Einsatz, 25 sollen es bis Jahresende werden. Insgesamt sieht der Vertrag mit Siemens die Lieferung von 119 dieser ICEs vor. Darüber hinaus werden gerade die neuen Doppelstock-Intercitys in Betrieb genommen. 69 komplette Züge sind bei Bombardier bestellt, Kaufpreis fast eine Milliarde Euro.

Das aufgestockte Beschaffungsprogramm der Bahn würde eine weitere knappe Milliarde verschlingen, heißt es in Kreisen des Aufsichtsrats. Große Hoffnungen setzt der Staatskonzern auf die Verlängerung von Fernverkehrszügen. 50 der georderten ICE4 sollen nun mit 13 statt mit zwölf Waggons geliefert werden, wodurch die Zahl der Sitzplätze in der zweiten Klasse von 830 auf 918 steigt.

Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der Kapazität von fünf Kurzstreckenflugzeugen, wie sie im innerdeutschen Luftverkehr von Lufthansa und Co. eingesetzt werden. Mit den superlangen ICEs, so das Kalkül von Bahn-Chef Lutz, können die Kapazitäten auf den hochbelasteten Strecken aufgestockt werden, wo es fast unmöglich ist, zusätzliche Züge auf die Schiene zu bringen – zum Beispiel zwischen Hamburg und München.

Kern des bereits 2015 beschlossenen sogenannten Metropolennetzes der Bahn ist allerdings ein erheblicher Ausbau des Fernverkehrsangebots bis zum Jahr 2030. Alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern sollen mit ICEs oder ICs erreichbar sein, auf Hauptachsen wie Berlin-Rheinland zwei ICEs pro Stunde, ICs im Stundentakt etwa zwischen Hannover und Leipzig.

Auslastung der Züge steigt

Insgesamt waren damals 50 Millionen zusätzliche Reisende kalkuliert. Doch seitdem werden die Züge gestürmt, die Auslastung der ICEs beispielsweise ist um beinahe zehn Punkte auf fast 59 Prozent gestiegen. Der Bahn-Vorstand ist deshalb optimistischer, die Politik will jedoch weit mehr.

Leider gleicht das 33.000 Kilometer große Netz der Bahn derzeit einer Großbaustelle. Es wird repariert, instandgesetzt und modernisiert, was das Zeug hält. Die Bahn ist nicht einmal mehr in der Lage, die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel des Bundes abzurufen. Hunderte Millionen Euro bleiben stehen.

Das Staatsunternehmen muss zeitgleich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die ICE-Flotte von etwa 370 Einheiten im Jahr 2030 auch fahren kann. Bahnhöfe brauchen genügend (lange) Bahnsteige, stark befahrene Strecken Parallel- und Ausweichgleise. Und selbst auf manchen Hauptlinien muss erst die veraltete Signaltechnik durch elektronische Stellwerke ersetzt werden.

In diesem und im kommenden Jahr wird die Baustellenwelle ihren Höhepunkt erreichen. Die Bahn fährt ihre Investitionen von neun auf elf Milliarden Euro pro Jahr hoch.

Miserable Pünktlichkeitsquote

Die Folgen der Bauwut spüren Reisende jeden Tag. Selbst bei Kaiserwetter fahren Züge Verspätungen ein, bei Unwettern geht dann gar nichts mehr. Daran ändern auch die diversen Taskforces oder das von Bahn-Vorstand Ronald Pofalla eingerichtete Lagezentrum Baustellenkoordinierung nichts.

Die Pünktlichkeitsquoten sind weiter miserabel. Ein einziges Mal, im Januar, erreichte die Bahn 82 Prozent bei den Fernzügen. Das lag am Frost, der die Bauarbeiter stoppte. Seitdem geht es bergab. Im Durchschnitt der ersten vier Monate liegt die Quote nur bei 78,55 Prozent, mehr als ein Fünftel der ICEs und ICs fährt also über sechs Minuten hinter dem Fahrplan her.

Der Frust sitzt inzwischen tief selbst bei den Bahn-Mitarbeitern, weil einfach keine Besserung in Sicht ist. Führungskräfte des Bundesunternehmens dürfte das umso mehr schmerzen, weil die Boni seit zwei Jahren an die Pünktlichkeit der Fernzüge gekoppelt sind. Doch das Ziel von 82 Prozent liegt in unerreichbarer Ferne.

Der Vorstand um Richard Lutz wird sich zudem auf die Predigt des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Odenwald einstellen müssen. Der ehemalige Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium ist bekannt dafür, dass er Ausreden in Sachen Verspätungen nicht akzeptiert.