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„Auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“: Grüne finden Kompromiss im Klima-Streit

Teile der Basis wollen die Klimaschutzziele strenger als der Bundesvorstand formulieren. Nun berichtet Parteichefin Annalena Baerbock von einem Kompromiss.

Die Co-Bundesvorsitzende warnt davor, am Pariser Vertrag zu rütteln. Foto: dpa
Die Co-Bundesvorsitzende warnt davor, am Pariser Vertrag zu rütteln. Foto: dpa

In den Verhandlungen zum neuen Grundsatzprogramm hat die Grünen-Spitze eine besonders heikle Klippe umschifft. Parteichefin Annalena Baerbock handelte am Samstag einen Kompromiss mit Kritikern von der Parteibasis aus, die ein noch ehrgeizigeres Bekenntnis zum Klimaschutz gefordert hatten. Streit auf offener Bühne und das Risiko einer Abstimmungsniederlage konnte die Parteiführung damit gerade noch vermeiden.

Parteichef Robert Habeck unterstrich den Machtanspruch seiner Partei – ein Wort, das bei den Grünen nicht allzu beliebt ist, Habeck sprach gar von einem „Igitt-Begriff“.

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„Optimistisch arbeiten wir an Lösungen. Und für diese Lösungen kämpfen wir um die Macht“, sagte er. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik kämpfe eine dritte Partei ernsthaft um die Führung dieses Landes.

Nach dem Auftakt am Freitag stiegen die Grünen am Samstag tief in die inhaltliche Debatte ein – den Anfang machte ihr Kernthema Umwelt- und Klimaschutz. Im Vorfeld hatten unter anderem Mitglieder der Klimabewegung Fridays for Future den Entwurf des Bundesvorstands für das neue Grundsatzprogramm als zu wenig ehrgeizig kritisiert.

Ein Antrag, über den eigentlich abgestimmt werden sollte, verlangte, das sogenannte 1,5-Grad-Ziel zur „Maßgabe“ grüner Politik zu machen, also das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.

Das sei aber „ohne soziale und wirtschaftliche Verwerfungen praktisch nicht mehr zu schaffen“, erklärte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung den Delegierten. Im Kompromiss heißt es nun, es sei „notwendig, auf den 1,5 Grad-Pfad zu kommen“.

Die führende Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, selbst Grünen-Mitglied, zeigte sich zufrieden: „Die Grünen haben auf Druck von breiten gesellschaftlichen Bündnissen heute einen wichtigen Schritt gemacht“, schrieb sie auf Twitter.

Unabhängig davon nahm die Aktivistin Leonie Bremer die Partei in ihrem Redebeitrag ins Gebet: „Ihr profiliert Euch am meisten über Klimaschutz, also müsst ihr beweisen, dass ihr Politik und Kompromisse auf dem 1,5-Grad-Ziel aufbauen könnt - und dass ihr das vor allem auch wollt.“

Beim Wandel jeden mitnehmen

Habeck mahnte wie am Vortag schon Baerbock, beim Wandel müssten alle mitgenommen werden. Viele Menschen fänden sich nicht mehr zurecht in der beschleunigten Wirklichkeit, sagte er.

„Und je fragiler das Leben, je verletzter und verletzlicher es ist, desto stärker werden Veränderungen als Bedrohung empfunden. Veränderungen bedeute auch „Verlust oder die Angst vor Verlust“ – konkret nannte er etwa „die Autobauerin, die fürchtet, in ein paar Jahren auf der Straße zu stehen“, und den „Kohlearbeiter, dessen Tagebau schließt“.

Die Grünen haben sich das erklärte Ziel gesteckt, die Union als führende Kraft abzulösen. In Umfragen stehen sie derzeit bei etwa 18 bis 20 Prozent und damit deutlich hinter CDU und CSU, die gemeinsam auf 35 bis 37 Prozent kommen.

Beim digitalen Bundesparteitag geht es weder um die Frage der Kanzlerkandidatur noch das Wahlprogramm, sondern um das vierte Grundsatzprogramm der Grünen in ihrer 40-jährigen Parteigeschichte.

Eigentlich sollte der Parteitag in Karlsruhe stattfinden, wo die Grünen 1980 gegründet worden waren. Wegen der Corona-Pandemie wurde fast alles ins Netz verlegt. In der Berliner Sendezentrale lasen Habeck und Baerbock ihre Reden vom Teleprompter in die Kamera – typische Parteitagsstimmung kam dabei nicht auf.

Grüne wollen Wahlalter „deutlich absenken“

Die Grünen wollen das Wahlalter im Bund senken – und legen sich dabei nicht auf die Grenze von 16 Jahren fest. Der digitale Bundesparteitag entschied sich am Sonntag gegen den Vorschlag des Bundesvorstands, der „im nächsten Schritt ein bundesweites Wahlrecht ab 16 Jahren“ und „weitere Beteiligungsmöglichkeiten auf allen Ebenen“ gefordert hatte. Im neuen Grundsatzprogramm wird es nun heißen, man wolle „Wahlhürden schrittweise abbauen, das Wahlalter deutlich absenken und weitere Beteiligungsmöglichkeiten auf allen Ebenen ausbauen“.

In der Begründung des Änderungsantrags hatten Kritiker argumentiert, das Wahlalter von 16 erscheine „für ein Grundsatzprogramm auf längere Sicht zu wenig engagiert“. Eine konkrete Zahl werde auch der innerparteilichen Diskussion nicht gerecht, „die bis hin zu völlig anderen Altersgrenzen und Umsetzungsmöglichkeiten beim Wahlrecht reicht“. Die Partei solle sich Spielraum lassen.

Grüne weichen strikte Ablehnung neuer Gentechnik ein wenig auf

Am Samstagabend stimmte der digitale Bundesparteitag außerdem einer Passage für das neue Grundsatzprogramm zu, die betont, dass auch in diesem Bereich die „Freiheit der Forschung zu gewährleisten“ sei. „Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum.“ Bei der Anwendung müssten Gefahren ausgeschlossen werden, heißt es dort auch, strenge Zulassungsverfahren, das Vorsorgeprinzip, Risikoprüfungen und eine Regulierung seien nötig. Endgültig verabschiedet werden soll das Grundsatzprogramm am Sonntag.

Das unterscheidet sich rhetorisch von früheren Programmen – vor der Bundestagswahl 2017 hieß es etwa: „Mit uns gibt es gutes Essen ohne Gift und Gentechnik“ oder „Wir werden ein Gentechnikgesetz auflegen, das unsere Äcker und unsere Teller frei von Gentechnik hält, auch wenn sie sich als „neu“ tarnt.“ Gemeint ist damit die sogenannte Genschere Crispr/Cas.

Das Thema war vor dem Parteitag umstritten. Im ursprünglichen Vorschlag des Bundesvorstands hatte es geheißen: „Forschung zu neuer Gentechnik soll ebenso gestärkt werden wie alternative Ansätze, die auf traditionelle Züchtungsverfahren setzen.“ Das ging Gentechnik-Kritikern in der Partei zu weit.

Der Vorstand änderte noch vor dem Parteitag seinen Vorschlag ab in die Fassung, die dann auch angenommen wurde. Darin wird nun nur noch die Stärkung der Risiko- und Nachweisforschung sowie der Forschung zu traditionellen und ökologische Züchtungsverfahren gefordert. Parteichef Robert Habeck selbst warb bei den Delegierten für den Kompromiss.

Auf dem Parteitag hatten noch zwei Anträge zur Abstimmung gestanden, von denen einer die „historische Chance“ neuer Gentechnik-Verfahren betonte und einer die Förderung der Forschung an neuen Gentechnik-Methoden ausschloss und betonte, es dürfe „keine Gentechnik auf dem Acker und im Essen“ geben.

Kostenlose Kitas und Schulen

Die Grünen wollen sich künftig für kostenlose Kitas und Schulen einsetzen. Ein entsprechender Antrag der Grünen Jugend bekam am Samstagabend während dem digitalen Bundesparteitag eine Mehrheit unter den Delegierten und steht damit im neuen Grundsatzprogramm, das der bis Sonntag dauernde Parteitag beschließen wollte.

Zudem sollen Lernmittel für Lernende und Lehrende kostenlos werden, „einschließlich digitaler Endgeräte, benötigter Software und Internetzugang“. Endgeräte können zum Beispiel Tablets oder Laptops sein. Dies hatte auch der Bundesvorstand vorgeschlagen - allerdings nicht den generell freien Zugang zu Schulen und Kitas.

Bildung soll zukünftig mit einem Zuschuss gefördert werden, der von Eltern, Alter und Leistungen unabhängig ist. Die Empfänger sollen die Unterstützung nicht zurückzahlen müssen, wie der digitale Grünen-Parteitag am Samstagabend beschloss. Der Zuschuss soll zudem unabhängig vom Bildungszeitraum gewährt werden.

Die Forderung wird nun Teil des neuen Grundsatzprogramms, das die Grünen bei ihrem Parteitag verabschieden wollten. „Niemandem dürfen aufgrund prekärer Beschäftigung die Möglichkeiten essenzieller Qualifikation verwehrt sein“, heißt es weiter.

Scharfe Kritik von CDU-Vorstandsmitglied Bareiß

Der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), übte scharfe Kritik am neuen Grundsatzprogramm. „Im Kern bleiben die Grünen eine Verbotspartei“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium dem Handelsblatt. „Zusammengefasst wollen die Grünen weniger Industrie, weniger Autos, weniger Urlaub, weniger Fleisch oder besser gesagt: der Bürger muss auf Wohlstand verzichten.“

Bareiß, der auch Mitglied im CDU-Bundesvorstand ist, hält viele Punkte im Grünen-Programm für unbezahlbar. Das belaste die Wirtschaft und gefährde Arbeitsplätze. Gerade in er heutigen Zeit gehe das Programm an der Realität vorbei. „In den nächsten Jahren braucht es mehr denn je eine Politik, die unsere Wirtschaft und Industrie nicht zusätzlich belastet, sondern stark und wettbewerbsfähig macht.“

Bareiß sieht die Grünen auch weit vom Status einer Volkspartei entfernt. Das Grundsatzprogramm bleib bei vielem offen. „Demgegenüber muss eine Volkspartei die ganze breite unseres Lebens aufgreifen“, sagte der CDU-Politiker. „Davon sind die Grünen weit entfernt.“