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Bundesbank-Chef Weidmann sieht nach Karlsruher Urteil EZB am Zuge

Der Chef der Bundesbank findet, dass die Europäische Zentralbank Adressat eines Urteils aus Karlsruhe sei. Und die AfD kündigt eine neue Klage gegen die Notenbank an.

Gut sechs Wochen ist es her, da sorgte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zu den Anleihekäufen der EZB für Aufsehen. Die Karlsruher Richter verlangen, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Anleihekäufe binnen drei Monaten besser begründe. Sonst darf die Bundesbank nicht weiter an einem derartigen Programm, das unter dem Kürzel PSPP bekannt ist, teilnehmen.

Notenbanker und Politiker rätseln seither, wie sie das Urteil umsetzen können. Dabei steht viel auf dem Spiel: Seit März hat die EZB allein über ihr Kaufprogramm für die Coronakrise, PEPP genannt, für über 200 Milliarden Euro Anleihen der Euro-Länder gekauft.

Viele Ökonomen glauben, dass der Euro ohne diese Hilfen zerbrechen würde. Die Käufe wickeln die nationalen Notenbanken im Auftrag der EZB ab. Sollte die Bundesbank als größte nationale Notenbank im Euro-Raum daran nicht mehr teilnehmen dürfen, könnte das zu Verwerfungen an den Finanzmärkten führen. Das Urteil richtet sich zwar nur gegen PSPP, aber die AfD will nun auch gegen PEPP klagen.

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Die Umsetzung des Urteils ist kompliziert. Bundestag und Bundesregierung sollen darauf hinwirken, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Anleihekaufprogramme darlegt. Doch für die EZB ist es schwer, der Aufforderung aus Karlsruhe Folge zu leisten. Damit würde sie die Tür zu Forderungen auch anderer nationaler Gerichte öffnen. Die Bundesbank sträubt sich aber ebenfalls dagegen, diesen Part zu übernehmen.

Am Mittwoch sollte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in einer nicht-öffentlichen Anhörung vor dem Europaausschuss des Bundestags für mehr Klarheit sorgen. Nach Informationen aus Teilnehmerkreisen machte er dabei deutlich, dass er vor allem die EZB am Zuge sieht. Aus seinen Aussagen lässt sich jedoch auch erkennen, wie ein Ausweg aus der vertrackten Lage aussehen könnte.

Kompromiss scheint möglich

Weidmann argumentierte demnach, dass nicht die Bundesbank der Adressat des Urteils sei, sondern Bundesregierung, Bundestag und EZB. Er stellte klar, dass die geldpolitischen Entscheidungen einzig im EZB-Rat fallen. In dem 25-köpfigen Gremium sitzen die 19 nationalen Notenbankchefs der Euro-Länder und die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums, das die Geschäfte der Notenbank führt. Aus Sicht Weidmanns kann die Bundesbank daher keine eigene Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen.

Wenn sich die Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht lösen lässt und das Bundesverfassungsgericht der Bundesbank die Teilnahme an PSPP verbietet, käme Weidmann in eine schwierige Situation. Laut Europarecht wäre die Bundesbank verspflichtet, an der Politik der EZB teilzunehmen, und zugleich wäre es ihr als deutsche Behörde nach dem Urteil des Verfassungsgerichts verboten.

Zwischen den Zeilen deutete Weidmann an, wie ein möglicher Kompromiss aussehen könnte. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung muss aus seiner Sicht erstens die Notwendigkeit der Geldpolitik darlegen. Laut ihrem Mandat ist die EZB primär dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet, die sie bei einer Inflation von knapp unter zwei Prozent gewährleistet sieht.

Seit vielen Jahren liegt die Inflation im Euro-Raum unter dieser Marke. Zweitens geht es darum aufzuzeigen, dass die eingesetzten Mittel adäquat sind, also dazu beitragen, das Ziel zu erreichen. Drittens geht es darum, die Ausgestaltung der Käufe darzustellen, also zum Beispiel Prinzipien, nach denen sie sich richten, wie etwa für die älteren Kaufprogramme die Bindung der Käufe an den EZB-Kapitalschlüssel.

Weidmann hob zwar hervor, dass die Bundesbank diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht selbst vornehmen kann. Er betonte aber, dass sie den Bundestagsabgeordneten dabei helfen könne, an die Informationen zu kommen.

Eine denkbare Variante wäre, dass der EZB-Rat Dokumente freigibt und an die Bundesbank weiterleitet, die diese dann dem Bundestag zur Verfügung stellt. In ihrer Pressekonferenz am 4. Juni hatte EZB-Chefin Christine Lagarde sehr stark die Rolle der Sitzungsprotokolle hervorgehoben.

Darin werde es eine ausführliche Analyse über Kosten und Nutzen der Anleihekäufe und über deren Effektivität und Effizienz geben. Diese Protokolle werden ohnehin veröffentlicht, aber die EZB könnte noch weiteres Hintergrundmaterial zu ihren Entscheidungen zugänglich machen.

Zu viel Flexibilität kritisiert

Am Mittwoch kündigte außerdem die AfD-Bundestagsfraktion an, dass sie gegen das PEPP-Programm klagen will. Dieses Anleihekaufprogramm hatte die EZB im März aufgelegt, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzumildern. Anders als bei den älteren Programmen hat sich die EZB hier mehr Flexibilität vorbehalten.

So kann sie dabei auch von Prinzipien wie der Bindung der Käufe an den EZB-Kapitalschlüssel zumindest vorübergehend abweichen. Dieser bemisst sich nach Wirtschaftskraft und Bevölkerungsgröße der Euro-Länder. Hält sie sich strikt daran, muss sie zum Beispiel stets mehr deutsche als italienische Staatsanleihen kaufen. Von der aktuellen Krise sind aber besonders Länder wie Italien und Spanien besonders betroffen.

Die AfD argumentiert, das Krisenprogramm verstoße gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung. Die EZB habe sich bei PEPP entgegen den bisherigen Anleihekaufprogrammen „weder die Einhaltung einer Obergrenze bezüglich der zu kaufenden Anleihen noch ein Mindestrating der Anleihen, noch eine Einhaltung des eigentlich zwingend einzuhaltenden Kapitalzeichnungsschlüssels auferlegt“, so der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Peter Boehringer.

Anders als bei den bisherigen Verfahren zur EZB vor dem Bundesverfassungsgericht will die AfD-Bundestagsfraktion nun das Mittel einer Organklage gegen die Bundesregierung und den Bundestag nutzen. Sie wirft diesen „Untätigkeit bezüglich der Mandatswidrigkeit des PEPP-Programms“ vor.