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War das nicht zu verhindern?

Der angekündigte Stellenabbau ist der wohl tiefste Einschnitt in der mehr als vierjährigen Amtszeit von Siemens-Chef Joe Kaeser. Was zu diesem Einschnitt führte.

Man muss die Zahlen einfach mal zusammenaddieren: Etwa 2600 Arbeitsplätze will Siemens in seiner Kraftwerkssparte in Deutschland abbauen. Dazu kommen nochmal 3600 im Ausland, unter anderem in den USA, außerdem 760 Arbeitsplätze in der Sparte Prozessindustrie und Antriebstechnik.

Rechnet man zu diesen fast 7000 noch die 6000 Stellen hinzu, die in den kommenden Jahren beim deutsch-spanischen Windkraft-Joint-Venture Siemens Gamesa wegfallen sollen, dann haben die Münchner binnen zehn Tagen einen Kahlschlag von fast 13.000 Jobs verkündet: Deutschlands wichtigster Industriekonzern speckt ab, und zwar massiv.

Um auf das maue Geschäft mit großen Gas- und Dampfturbinen zu reagieren, will Siemens sogar ganze Werke stilllegen. Die Fertigungen in Görlitz und Leipzig wird es wohl bald nicht mehr geben. Für viele langjährige, altgediente Siemensianer brechen harte Zeiten an – und für die Manager in München turbulente. Denn die Arbeitnehmer und die IG Metall werden ihre Wut nun auf die Straße tragen.

Vor vielen Werken dürfte es lautstarke Kundgebungen geben, möglicherweise über Wochen. Und viele Betroffene werden sich fragen: Hätte man solche tiefen Einschnitte nicht vermeiden können?

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Die Konzernspitze, das muss man sagen, hat früh das Gespräch mit den Arbeitnehmervertretern zu den anstehenden Einschnitten gesucht. Schon im Mai war die kränkelnde Kraftwerkssparte Thema in einer Aufsichtsratssitzung. Man suchte nach einvernehmlichen Lösungen. Doch die Arbeitnehmer sollen zunächst beruhigt haben und auf den Mega-Auftrag aus Ägypten verwiesen haben.

Nach dem Ägypten-Megadeal fehlen Folgeaufträge

Drei Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 4,4 Gigawatt bauen die Deutschen dort. Der Auftrag hat ein Volumen von acht Milliarden Euro, der größte Einzelauftrag in der Konzerngeschichte. Doch die letzten Turbinen werden gerade ausgeliefert. Dann war es das.

In Mitteleuropa waren viele Experten noch vor fünf Jahren davon überzeugt, dass die Zukunft der Energieversorgung im Gas liege. Doch irgendwann, um das Jahr 2015 herum, erlebten die Erneuerbaren Energien ihren Durchbruch. Im Geschäftsjahr 2011 (Ende 30. September) wurden weltweit noch 249 große Gasturbinen mit einer Leistung von mehr als 100 Megawatt verkauft. Im Geschäftsjahr 2017 waren es noch 122. In den kommenden Jahren dürfte sich die weltweite Nachfrage bei gut 100 großen Turbinen einpendeln; die Kapazität liegt bei 400 Stück. „Die Energieerzeugungsbranche befindet sich in einem Umbruch, der in Umfang und Geschwindigkeit so noch nie dagewesen ist“, sagt Siemens-Energievorstand Lisa Davis. Dabei haben bis vor zwei Jahren fast alle Hersteller ihre Kapazitäten noch ausgeweitet, bis eben der Durchbruch der Erneuerbaren kam.

In Afrika, Asien und dem Nahen Osten läuft das Geschäft mit großen Turbinen noch halbwegs. Nur eben nicht in Deutschland und Europa. Hierzulande wurden in den vergangenen drei Jahren gerade noch zwei große Turbinen verkauft. Der Wandel im Geschäft mit Anlagen zur Energieerzeugung vollzieht sich rasant, über Nacht kam er aber nicht. Schon vor drei Jahren hatte Siemens im Rahmen seines Programms PG 2020 den Abbau von mehr als 2000 Arbeitsplätzen angekündigt. Der dramatische Einbruch in den vergangenen zwei Jahren war damals so nicht absehbar.

Siemens glaubt an Turbinen – möglicherweise mit anderem Geschäftsmodell

Siemens ist trotz der einsetzenden Flaute 2015 noch hart geblieben und hat die Kilowattstunde Leistung weiter tapfer für rund 600 Dollar verkauft. Der US-Konkurrent General Electric hat im schärfer werdenden Wettbewerb gnadenlos die Preise gesenkt, zum Teil bis auf 400 Dollar für die Kilowattstunde und hat auf die Marge verzichtet.

Trotzdem: „Wir glauben an die Zukunft der Geschäfte“, sagt Siemens-Personalvorstand Janina Kugel. Der Konzern will darum weiter in die Forschung und Entwicklung bei großen Turbinen investieren und denkt auch über neue Geschäftsmodelle bei der Stromerzeugung nach. So könne man künftig nicht mehr nur die Turbine verkaufen, sondern auch die Einspeisung und Verteilung des erzeugten Stroms erledigen, also eine Art Betreibermodell. In den Beratungen mit den Arbeitnehmern haben diese auch darauf gepocht, der aktuelle Abbauplan müsse die Wettbewerbsfähigkeit der Sparte in Deutschland sicherstellen.

Alles darf passieren. Nur nicht, dass Siemens in einigen Jahren einen weiteren Kahlschlag vornehmen muss.

KONTEXT

In welchen Sparten Stellen wegfallen

Power and Gas

Die Kraftwerkssparte „Power and Gas“ gehört zu den umsatzträchtigsten Geschäftsfeldern von Siemens und soll nun den Löwenanteil der Stellenstreichungen tragen. 6100 Jobs sollen hier wegfallen. Im Schlussquartal des abgelaufenen Geschäftsjahres steuerte die Sparte 3,65 Milliarden Euro zum Konzernumsatz von 22,3 Milliarden Euro bei. Weltweit arbeiteten dort Ende September 46.800 Beschäftigte, in Deutschland waren es 16.100. Die Zahlen an deutschen Standorten mit über 200 Mitarbeitern verteilten sich gerundet wie folgt: Mülheim 4500, Berlin 3700, Erlangen 2800, Duisburg 1800, Görlitz 700, Offenbach 700, Erfurt 600, Leipzig 200.

Prozessindustrie und Antriebe

Im Geschäftsfeld Prozessindustrie und Antriebe beschäftigte Siemens zum Stichtag Ende September weltweit rund 44.800 Leute, davon 15.400 in Deutschland. Dieses Geschäft schwächelt seit einiger Zeit. Im Schlussquartal 2017 konnte Siemens erste Erfolge jüngster Einsparungen erzielen: Der Bereich kehrte im Vergleich zum Vorjahr wieder in die schwarzen Zahlen zurück. Mit 2,39 Milliarden Euro war der Umsatz im Schlussquartal zwei Prozent geringer als im Vorjahreszeitraum. Die Beschäftigungszahlen an deutschen Standorten mit über 200 Mitarbeitern verteilten sich gerundet wie folgt: Nürnberg 3400, Karlsruhe 2600, Erlangen 1700, Bocholt 1500, Voerde 1400, Ruhstorf 1000, Berlin 800, Penig 600.