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Visa-Blockade der USA: Fachkräfte müssen draußen bleiben

Talente aus aller Welt zog es über Jahrzehnte in die USA – bis Donald Trump ins Amt kam. Neue Hürden bei der Visavergabe treffen deutsche, aber auch US-Unternehmen hart.

Eine internationale Belegschaft ist in den USA keine Ausnahme, sondern Alltag. „Perspektiven aus aller Welt sind wichtig für ein gutes Business“, sagt Alexander Kraus, der das Washingtoner Büro der Unternehmensberatung Metis Strategy leitet.

Kraus ist vor 18 Jahren in die USA ausgewandert, seine Kollegen und Kolleginnen kommen aus Indien, Korea und Kanada, China und Südafrika, Australien und, wie er selbst, aus Deutschland. Doch die Visapolitik der US-Regierung, erzählt Kraus, sorge für „ganz große Unsicherheit“. Fachkräfte-Visa würden nach langer Wartezeit oder gar nicht mehr ausgestellt. „Es ist unheimlich schwierig geworden.“

Seit Ende Juni ist es für Unternehmen in den USA noch komplizierter geworden, Angestellte aus dem Ausland zu rekrutieren. Präsident Donald Trump hat im Zuge der Coronakrise unter anderem die sogenannten H-1B-Visa, mit denen Facharbeiter drei Jahre für US-Firmen arbeiten können, ausgesetzt.

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Der Stopp gilt auch für L-1-Visa, über die zum Beispiel Führungskräfte von der Muttergesellschaft in die USA entsendet werden. Damit trifft es erstmals die Höchstqualifizierten unter den Visumpflichtigen.

In dieser Woche sorgte eine weitere Einschränkung für Unruhe: So plant die US-Regierung eine Ausweisung aller ausländischen Studenten, die wegen der Pandemie ab Herbst nicht physisch, sondern nur virtuell an Vorlesungen teilnehmen können. Auch diese Regelung trifft mittelfristig den Arbeitsmarkt, denn viele Firmen finden Nachwuchstalente über die Unis. Die US-Eliteuniversitäten Harvard und MIT beantragten am Mittwoch beim Bundesgericht in Boston den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Regelung der Regierung.

Große Belastung für Firmen

Die schwierigere Entsendung in das Land mit der größten Volkswirtschaft der Welt ist auch für die deutsche Wirtschaft ein Problem. „Die verschärften Visaregeln sind ein Schlag ins Kontor vieler der rund 5000 deutschen Unternehmen in den USA“, sagt der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Volker Treier.

„Wenn an unserem größten ausländischen Investitionsstandort die Mobilität der dort dringend benötigten Fach- und Führungskräfte derart eingeschränkt wird, dann leidet das Geschäft, und mögliche Engagements unterbleiben.“ Schon jetzt beklagten 69 Prozent der deutschen Betriebe in den Vereinigten Staaten, die Reiseeinschränkungen seien eine erhebliche Belastung.

Große deutsche Firmen mit einem Sitz in den USA sind gezwungen, ihre Optionen zu prüfen. Siemens, BMW, Merck – sie alle nutzen L-1-Visa, um ihre Beschäftigten über den Atlantik zu holen.

Der Einwanderungsanwalt Greg Siskind schätzt, dass wegen der jüngsten Verschärfungen weltweit eine halbe Million Menschen vergeblich auf ein Visum wartet oder künftig warten wird. „Betroffen sind alle Branchen“, sagt er, von IT-Experten und Ingenieuren bis zu Saisonarbeitern im Hotel und Au-pairs.

Offiziell sind die Maßnahmen eine Reaktion auf die Pandemie, die in den USA eine Massenarbeitslosigkeit ausgelöst hat. Doch Trump schränkte schon lange vor Corona die Möglichkeiten ein, auf legalem Weg ins Land zu kommen.

Nur wenige Tage nach seiner Amtseinführung belegte er Menschen aus überwiegend muslimischen Ländern mit einem Einreiseverbot. Und im Frühjahr dieses Jahres ließ er die Vergabe von Greencards massiv herunterfahren.

Anwalt Siskind spricht von einem Paradigmenwechsel. „In der Vergangenheit wurden Visablockaden gegen Terroristen eingesetzt. Jetzt werden sie für die Innenpolitik genutzt, um den Arbeitsmarkt zu steuern.“ Siskind sieht kaum einen Nutzen darin. „Die meisten Firmen holen Hochqualifizierte aus dem Ausland, weil sie die Stelle lokal nicht besetzen können.“

US-Tech-Chefs reagieren mit scharfer Kritik

Am härtesten trifft das Moratorium den Tech-Sektor. Denn der Grundgedanke hinter der Trump-Politik ist, dass es mehr als genug amerikanische Bewerber gibt, die nur arbeitslos sind, weil ihnen Ausländer für Dumpinglöhne die Jobs wegnehmen.

Doch das spiegelt nicht die Realität in der Branche wider. IT-Spezialisten werden händeringend gesucht. Entsprechend scharf reagierten die Chefs der großen US-Tech-Firmen auf die jüngste Visaverschärfung.

„Einwanderung hat immens zu Amerikas wirtschaftlichem Erfolg beigetragen, das Land zu einem führenden Technologiestandort gemacht, und Google zu dem, was es heute ist“, twitterte Sundar Pichai, Chef der Google-Muttergesellschaft Alphabet.

Der gebürtige Inder profitierte in den 90er-Jahren von der Visumfreiheit und stieg in den Internet-Olymp des Silicon Valleys auf. Microsoft, Facebook und Google gehören zu den größten Arbeitgebern für H-1B-Visahalter in den USA. Pro Jahr werden 85.000 davon vergeben – zumindest bis jetzt.

Es sei „nicht die Zeit, unser Land vom weltweiten Talentpool abzuschneiden und Angst zu verbreiten“, sagte Microsoft-Präsident Brad Smith. Apples CEO Tim Cook zeigte sich „tief enttäuscht“, Amazon nannte die Aktion „kurzsichtig“. 2019 konnte sich das stark im Cloud-Computing expandierende Unternehmen rund 8000 H-1B-Visa sichern.

Können die USA unter diesen Umständen noch das Einwanderungsland sein, von dem die Wirtschaft oft profitierte? Der Standort USA ist unberechenbar geworden, auch durch den Handelskrieg und Personalchaos in den Behörden. Viele Unternehmen blicken wohlwollend auf Steuersenkungen und Deregulierung, doch die Visaprobleme werden zunehmend zum Problem für Personaler, Geschäftsreisende und Angestellte.

Seine Klienten aus der Wirtschaft bekämen „kaum Unterstützung von der Regierung“, sagt Anwalt Siskind. Selbst jene mit gültigem Visum trauten sich nicht auszureisen – aus Angst, dass sie danach nicht mehr ins Land gelassen werden. Einige Klienten säßen außerhalb der USA fest. „Einen Termin im Konsulat kann man gerade vergessen.“

Die US-Handelskammer warnt davor, dass Investoren vergrault, das Wachstum verlangsamt und Jobs gefährdet würden – dass also das Gegenteil dessen eintritt, was Trump verspricht.

In der Tech-Branche sieht man schon jetzt, was passiert, wenn die Politik nicht schnell genug Lücken einer verfehlten Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik schließt. Firmen sehen sich gezwungen, ins Ausland abzuwandern. „Wir werden bald Ankündigungen von Unternehmen hören, die außerhalb der USA einen neuen Standort gründen“, sagt Siskind. Durch den Megatrend Homeoffice werden solche Bewegungen noch beschleunigt.

Kanada als Profiteur?

Jessica Herrera-Flanigan, die bei Twitter für Public Policy zuständig ist, sieht den Tech-Standort USA ernsthaft gefährdet. Trumps Dekret untergrabe „Amerikas größte Stärke, seine Diversität“, die USA würden unattraktiv für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Eine Angst, die auch die Boston Consulting Group teilt. Die Berater fürchten ebenfalls eine Abwanderung von Talenten und Firmen ins Ausland.

Ein großer Gewinner von Trumps Politik könnte deshalb das Nachbarland Kanada werden. Die kanadische Rekrutierungsfirma Mobsquad berichtet von Anfragen von US-Firmen und Visa-Inhabern, die von den USA nach Kanada umsatteln wollen.

Kaz Nejatian, Vizepräsident der kanadischen Erfolgsfirma Shopify, sieht Trumps Entscheidungen als riesige Chance – zumindest für den Tech-Standort Kanada. „Wenn du Software-Ingenieur bist und dein H-1B-Visum in Gefahr ist: Ich kann dir helfen, eine erfüllte Karriere zu finden, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen“, twitterte er.

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