Werbung
Deutsche Märkte schließen in 4 Stunden 3 Minuten
  • DAX

    18.782,80
    +96,20 (+0,51%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.088,23
    +33,82 (+0,67%)
     
  • Dow Jones 30

    39.387,76
    +331,36 (+0,85%)
     
  • Gold

    2.380,60
    +40,30 (+1,72%)
     
  • EUR/USD

    1,0779
    -0,0005 (-0,04%)
     
  • Bitcoin EUR

    58.446,54
    +1.922,23 (+3,40%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.302,85
    -55,16 (-4,06%)
     
  • Öl (Brent)

    79,87
    +0,61 (+0,77%)
     
  • MDAX

    26.867,05
    +158,15 (+0,59%)
     
  • TecDAX

    3.398,03
    +13,73 (+0,41%)
     
  • SDAX

    14.892,54
    +110,71 (+0,75%)
     
  • Nikkei 225

    38.229,11
    +155,13 (+0,41%)
     
  • FTSE 100

    8.440,89
    +59,54 (+0,71%)
     
  • CAC 40

    8.242,80
    +55,15 (+0,67%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.346,26
    +43,46 (+0,27%)
     

Vier Tipps für Führungskräfte: Wie der Kulturwandel gelingen kann

Ein Forschungsprojekt zeigt: In großen Unternehmen gibt es meist nicht eine, sondern mehrere Unternehmenskulturen. Was bedeutet diese Erkenntnis für Manager?

Als Michael Dahlmann* seinen neuen Job als Bereichsleiter bei einem großen Automobilkonzern antrat, fühlte er sich ein wenig wie in einer Behörde. Vorgezeichnete Karrierewege, klare Zuständigkeiten, strenge Hierarchien. Und bürokratisch ging es auch zu: Projekte waren auf 48 Monate angelegt, die technischen Entwickler hielten sich an die Vorgaben der mehreren Hundert Seiten dicken Handbücher, dokumentierten penibel jeden Fortschritt – eben weil es schon immer so gemacht wurde.

Dahlmann erkannte, dass zahlreiche Mitarbeiter über diese Prozesse unglücklich waren, weil zu viel Zeit für die Dokumentation draufging und für die eigentliche Entwicklung fehlte. „Wir sind einfach zu langsam“, sagte ihm ein Entwicklungsingenieur mit Blick auf den US-Wettbewerber Tesla. „Wir sehen neue Konkurrenten, die aus dem Nichts kommen und anscheinend ganz anders arbeiten als wir.“

Um den Standort effizienter zu machen, wollte Dahlmann ebendiese Arbeitsweisen kopieren: mehr Austausch, mehr Selbstbestimmung – und weniger Hierarchie.

WERBUNG

So wie Dahlmann krempeln Führungskräfte gerade in vielen Firmen die Art der Zusammenarbeit um. Ob es bunte Post-its mit kurzen Botschaften sind, die an Flipcharts hängen, oder die Tatsache, dass Mitarbeiter sich über Chat-Tools wie Slack austauschen – das Ziel dieser Maßnahmen ist immer das gleiche: mehr Agilität. Die meisten Firmen singen ein Loblied auf diese flexiblen Arbeitsweisen. Was sie mitunter vergessen: Solche Veränderungen greifen tief in die Unternehmenskultur ein.

Wenn man Managementratgeber liest, kann man bisweilen den Eindruck gewinnen, dass die Kultur etwas ist, das Führungskräfte einer Organisation verordnen können wie ein neues SAP-System: ein klein wenig an der Kulturschraube drehen – schon läuft die Firma wieder. Für Guido Möllering, Direktor des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke, ist die Unternehmenskultur hingegen über viele Jahre gewachsen – und, wenn überhaupt, nicht durch schnelle Handgriffe zu verändern.

Möllering: „Der Begriff meint die Art und Weise, wie ein Unternehmen seinen Weg gefunden hat, mit Problemen umzugehen. Es sind die informellen Regeln der Zusammenarbeit, die nicht niedergeschrieben, aber doch jedem bekannt sind.“

Das Reinhard-Mohn-Institut und die Universität Hamburg haben einen großen Autokonzern anderthalb Jahre lang erforscht. Möllering hat dazu nun gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung eine Studie veröffentlicht. Die Automobilfirma will ihren Namen weder in der Studie noch in der Zeitung lesen, zu heikel sind dem Unternehmen die Erkenntnisse. Dafür sind sie umso interessanter.

In der Studie bestätigte sich, was die Forscher schon vorher vermuteten: Typischerweise gibt es pro Unternehmen nicht nur eine Firmenkultur, sondern parallel mehrere Subkulturen. Diese Erkenntnis hat tief greifende Auswirkungen darauf, ob und wie ein Kulturwandel gelingen kann.

„Innerhalb einer Firma haben sich in einzelnen Abteilungen teils völlig verschiedene Arbeitsweisen etabliert, um die Aufgaben zu bewältigen – und damit auch unterschiedliche Kulturen“, sagt Clemens Wagner, der an der Feldforschung der Studie beteiligt war. Beispiel: Die IT arbeitet agil, während es in der Buchhaltung vor allem darauf ankommt, dass Mitarbeiter keine Fehler machen.

Verschiedene Kulturen in einem Unternehmen seien unproblematisch, sofern sie für die Aufgaben der jeweiligen Abteilung passende Lösungen böten, schreiben die Autoren. „Überall dort jedoch, wo Mitglieder verschiedener Subkulturen zusammenarbeiten sollen, drohen Konflikte“ – etwa wenn die agile IT-Abteilung ausgerechnet mit der hierarchischen Buchhaltung ein Projekt realisieren muss.

Auch wenn die Beobachtungen der jetzt veröffentlichten Studie vor der Coronakrise gemacht wurden, sind ihre Erkenntnisse aktueller denn je. Denn die Pandemie habe die Kulturen weiter vervielfältigt, sagt Möllering. Auf absehbare Zeit wird die neue Normalität sein, dass Teile der Belegschaft im Homeoffice sind. Gerade die Facharbeiter sind allerdings weiter auf die Maschinen in der Firma angewiesen, können nicht zu Hause arbeiten. „Die aktuelle Situation“, sagt Möllering, „wird die kulturellen Unterschiede in Unternehmen weiter verstärken.“

Und so ist die Feldforschung bei „CAR“, wie die Forscher die untersuchte Automotive-Firma anonymisieren, ein Lehrstück für alle Manager. Vier Ratschläge lassen sich aus der Studie ableiten, wie Führungskräfte mit verschiedenen Subkulturen in ihrem Betrieb umgehen sollten.

Lehre 1: Laborsituation schaffen, um Vielfalt zu ermöglichen

Es brauchte schon das Projekt des neuen Bereichsleiters Dahlmann, um die starren Strukturen bei CAR etwas aufzuweichen. Sein Ziel: Die Mitarbeiter sollten ein Produkt entwickeln und dabei eine andere Arbeitsweise kennenlernen. Dutzende Freiwillige machten mit, was zeigt, wie groß der Wunsch nach Veränderung war. Für das Projekt bekamen die Mitarbeiter nur ein grobes Briefing – und viele Freiheiten: keine Projektvorgaben, keine Vorgesetzten, keine festen Zuordnungen.

Der Start war chaotisch, denn viele waren mit der neu gewonnenen Verantwortung überfordert. Doch das Projektergebnis erstaunte – vor allem jene, die sich nicht beteiligt hatten. Fast ohne eigenes Budget, mehr oder weniger nebenbei, entstand in nur wenigen Monaten ein Modell des neuen Produkts, auf das sogar der Konzernvorstand aufmerksam wurde. Eine Befragung zeigte, dass die Mitarbeiter im Projektteam viel motivierter waren als jene Kollegen, die weiter klassisch arbeiteten.

Zugegeben: Der Erfolgsdruck war klein, weil das agil geplante Produkt nicht Teil der Konzernstrategie war. Doch genau solche Laborsituationen seien der richtige Weg, wenn Firmen neue Arbeitsweisen ausprobieren wollten, sagt Forscher Wagner: „Darauf kann man dann aufbauen, wenn man größere Projekte angeht, bei denen mehr auf dem Spiel steht. Gleich mit Prestigeprojekten anzufangen ist keine gute Idee, wenn die bestehende Kultur sehr stark ist.“

Viele Berater propagieren Agilität hingegen als Allheilmittel für alle Abteilungen, um Unternehmen produktiver zu machen – und um die eigenen Beratungsaufträge zu verkaufen. Die Erkenntnisse der CAR-Studie legen hingegen nahe, dass Manager gut beraten sind, die etablierten Arbeitsweisen durch agile Formen nicht komplett zu ersetzen, sondern lediglich zu erweitern.

„Die Stärke einer vielfältigen Unternehmenskultur besteht darin“, so das Fazit der Forscher, „die vielfältigen Probleme auf unterschiedliche Weise bearbeiten zu können.“ Manager sollten sich nicht mehr fragen, „wessen Arbeitsweise die beste ist“. Eher hilft es, die Frage zu stellen: Wie machen wir es in diesem Fall?

Lehre 2: Schnittstellenmanagement nicht unterschätzen

Der Erfolg des ersten Projekts bestärkte Bereichsleiter Dahlmann darin, künftig immer nach den dabei erprobten Methoden zu arbeiten. Doch das sahen längst nicht alle so, als es um ein Entwicklungsprojekt ging, von dem womöglich die Zukunft des Standorts abhing. Zuständigkeiten offenlassen und auf Vorgaben verzichten – das sei auf der Spielwiese möglich gewesen, in dem ernsthaften Projekt allerdings viel zu gefährlich, meinte eine Führungskraft.

So kam es bei CAR immer wieder zum Clash der Kulturen: Einige Manager wollten Agilität als Teil der neuen Kultur verankern, andere nur minimale Veränderungen zulassen – „ein Kampf zwischen der alten und neuen Welt“, wie es die Beteiligten nannten.

Dabei entsprach die agile Arbeitsweise dem Zeitgeist. Das Topmanagement propagierte daher öffentlich Agilität, ohne allerdings einen konkreten Plan zu haben, wie solche Arbeitsweisen etabliert werden könnten. Schließlich orientierte sich das neue Projekt am althergebrachten Prozess, versuchte allerdings, den Mitarbeitern mehr Verantwortung und Freiräume zu überlassen.

Dabei gab es gerade an den Schnittstellen zu anderen Abteilungen Probleme, berichtet eine CAR-Personalexpertin. „Wir waren unterschiedlich schnell, und mitunter fehlte das gegenseitige Verständnis für die Arbeitsweisen der anderen.“ Daraus hat das Projektteam gelernt, zukünftig bei agilen Projekten auch andere Abteilungen stärker einzubinden. „Das Schnittstellenmanagement stand damals nicht so im Fokus, das war auch eine Schwäche“, gibt die Managerin zu. „Es mag wie eine Ausrede klingen, doch wir waren schon voll damit beschäftigt, unser eigenes Projekt am Laufen zu halten.“

Das Beispiel zeigt, wie fordernd es ist, seine eigene Arbeitsweise zu verändern und gleichzeitig andere Abteilungen einzubinden. Führungskräfte sollten darauf vorbereitet sein, dass Kulturen gegeneinander arbeiten können und dass es dabei zu Konflikten kommt.

„Manager müssen Brückenbauer zwischen den Subkulturen sein“, sagt Günther Ortmann, Professor für Führung an der Universität Witten/Herdecke. Sie sollten ihren Mitarbeitern die unterschiedlichen Arbeitsweisen vermitteln und für gegenseitiges Verständnis werben: „Hilfreich ist, wenn Manager ihre Mitarbeiter Teilaufgaben aus der anderen Abteilung erledigen lassen, damit sie die verschiedenen Kulturen kennenlernen.“

Nach dieser Maßgabe kooperierte die technische Entwicklung bei CAR mit den Kollegen der Qualitätssicherung. Regelmäßig tauschten sich beide Abteilungen in Reflexionsmeetings aus, sprachen Probleme an, adaptierten Teile der anderen Kultur. Doch gerade mit den klassisch organisierten Zulieferbetrieben gab es in der Zusammenarbeit Probleme – zu unterschiedlich waren die Kulturen.

Obwohl sich das zweite Projekt als erfolgreich erwies, gelang es den Mitarbeitern oftmals nicht, die Spannungen zwischen Agilität und Bürokratie aufzulösen, so die Wissenschaftler. Im Gegenteil: „Die Agilen gegen die Normalen – das war das Szenario.“

Lehre 3: Mittelmanager stärker einbeziehen

Schon als Dahlmann das erste agile Projekt vorstellte, saßen ihm viele Mittelmanager mit verschränkten Armen gegenüber – ein Symbol der inneren Ablehnung. So überraschte es nicht, dass die Projektteilnehmer nicht aus dem Management, sondern hauptsächlich aus den nachgeordneten Rängen kamen.

Die Skepsis der Manager wurde besonders im dritten und letzten Projekt von Dahlmann deutlich. Trotz aller Vorbehalte wurde es zwar agil aufgezogen – sogar mit Unterstützung einer Beratungsfirma. Ein „Scrum-Master“ sorgte dafür, dass alle Aufgaben in „Sprints“ aufgeteilt wurden. Ein „Product-Owner“ behielt die Wünsche des Auftraggebers im Blick.

Doch diese Rollen stießen bei vielen Managern auf Ablehnung. Einer sagte: „Einige Mitarbeiter erwarten wieder den klassischen, starken Projektleiter, der die wichtigen Entscheidungen trifft.“ Immer häufiger war in den Werkshallen zu hören, dass Agilität vielleicht zum Silicon Valley passe, aber keinesfalls für die komplexen Produkte von CAR geeignet sei. Unter dem Widerstand vieler Manager litt die Stimmung.

Rückblickend sagt Dahlmann: „Uns ist nicht immer gelungen, die mittlere Führungsebene mitzunehmen.“ Dabei gab es mehrere Workshops, um Agilität zu erklären. Dahlmann: „Wir hätten deren neue Rollen noch besser definieren und ihre Ängste stärker antizipieren müssen.“

Nicht nur bei CAR blockiert das Mittelmanagement neue Arbeitsweisen. Insbesondere angesichts agiler Methoden befürchten viele Führungskräfte, nach mitunter jahrzehntelanger Karriere im Unternehmen nicht mehr gebraucht zu werden und ihre Statussymbole wie Sekretärin oder Eckbüro zu verlieren. Das bringt die Studienautoren zu der Aussage: „Führungskräfte bilden meist eine eigene Subkultur, die nicht selten als notorisch abgekapselt gilt.“

Die Situation wird dadurch erschwert, dass sich Manager bei kulturellen Veränderungen auch selbst umstellen müssen. „In agilen Prozessen und auch sonst sollten Führungskräfte vermitteln und nicht mehr Anweisungen, sondern Anregungen geben“, sagt Professor Möllering. Das neue Mantra: Coachen statt Führen. Bei CAR ist das vielen schwergefallen.

Lehre 4: Neue Kulturen brauchen starke Manager

Kurz vor Ende des dritten Projekts verließ Dahlmann den CAR-Standort und kehrte wie geplant an seinen ursprünglichen Standort zurück. So, wie der Ingenieur die agilen Arbeitsweisen angestoßen hatte, so endeten sie auch mit seinem Abgang wieder. Dahlmanns Nachfolger legte Wert auf klassische Strukturen.

Heute ist an dem CAR-Standort die Hierarchie zurück, die dicken Projektbücher liegen wieder auf den Tischen – sehr zum Bedauern jener Mitarbeiter, die sich für die agilen Arbeitsweisen starkgemacht hatten.

Das zeigt, wie groß der Einfluss der Führungskräfte auf die im Unternehmen gelebte Kultur ist. Forscher Wagner: „Führungskräfte sind immer selbst in die Kultur eingebettet, aber sie tragen stark dazu bei, wie sich Arbeitsweisen verändern.“

Insbesondere in lang gewachsenen Kulturen braucht es starke Manager mit einem langen Atem, wenn sie neue Arbeitsweisen etablieren wollen. „Neue Führungs- und Arbeitsformen entstehen selten in der Organisation selbst, sondern werden meist in sie hineingetragen“, schreiben die Forscher.

In Firmen, in denen sich traditionelle Strukturen etabliert haben, sollten Manager versuchen, mit kleinen Projekten zu starten, damit neue Arbeitsweisen eine Chance haben, sich zu bewähren. In Firmen mit offeneren Kulturen, in denen Mitarbeiter etwas ausprobieren möchten, wie zum Beispiel in Start-ups, können Manager auch offensiver neue Arbeitsformen von oben verschreiben, so die Experten.

Doch in beiden Fällen braucht es eines, um die kulturellen Veränderungen durchzusetzen: Führungskräfte, die sich für eine neue (Sub-)Kultur im Unternehmen starkmachen. Und wie das Beispiel CAR zeigt, reicht selbst das nicht immer aus.

*Name von der Redaktion geändert