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Unternehmen wünschen sich Berechenbarkeit in der Klimapolitik

Um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, braucht es ein drastisches Umsteuern, so eine Studie der Boston Consulting Group. Unternehmen fordern Planungssicherheit.

Bis spätestens 2038 will Deutschland den Kohleausstieg meistern. Doch um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, ist das zu spät. Foto: dpa
Bis spätestens 2038 will Deutschland den Kohleausstieg meistern. Doch um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, ist das zu spät. Foto: dpa

Die Wirtschaft ist beim Klimaschutz ambitionierter als die Politik. Allein 25 der 30 Unternehmen mit dem höchsten CO2-Ausstoß in Deutschland haben ehrgeizigere Klimaziele als die Bundesregierung. Ihre geplanten Vorhaben zur Emissionsreduzierung gehen über das hinaus, was die Bundesregierung von ihnen verlangt. Die Politik muss nachsteuern. Das ist die zentrale Erkenntnis der Analyse „Alles auf null – Neun neue Perspektiven zum Klimaschutz in Deutschland“ der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG).

„Die 30 größten Emittenten stoßen gemeinsam weltweit etwa halb so viel CO2 aus wie Deutschland insgesamt und sind damit essenziell für das Gelingen der Klimawende in Deutschland und darüber hinaus“, heißt es in der noch unveröffentlichten Analyse, die dem Handelsblatt vorliegt.

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Ende 2015 hatte sich die Staatengemeinschaft auf das Pariser Klimaabkommen geeinigt. Das sieht vor, die globale Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, besser auf 1,5 Grad im vorindustriellen Vergleich zu begrenzen.

Für einen Gesamtüberblick der aktuellen Klimaschutzambitionen der Unternehmen bezogen die BCG-Experten öffentliche Daten zum Beispiel aus den Nachhaltigkeitsreports der 30 größten Emittenten ein. Zu den ambitioniertesten Unternehmen gehören etwa die Energiekonzerne RWE und Eon, der Zementhersteller Heidelberg-Cement oder die Autobauer Daimler und Volkswagen.

Aber auch diese Konzerne haben noch einiges zu tun. Etwa bei den sogenannten Scope-3-Emissionen, die etwa in der Lieferkette oder durch die Nutzung der Produkte der Firmen entstehen. Hier haben laut BCG 20 der 30 Firmen bislang noch gar keine Emissionseinsparziele kommuniziert. „Die wenigsten Unternehmen können sagen, wie viele Emissionen ihre Produkte entlang der gesamten Wertschöpfungskette verursachen.“

Der deutsche Klimaschutzplan strebt aktuell eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 an. Doch wenn Europa bis 2050 klimaneutral werden soll, müssen die Ambitionen steigen. Bis Ende des Jahres wollen sich die EU-Staaten deswegen auf ein neues Klimaziel einigen.

Die bisherige offizielle Zielmarke ist eine Reduzierung der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990. Im Gespräch ist eine Verschärfung des Ziels auf 55 Prozent. Das hätte auch auf Deutschland gravierende Auswirkungen.

Bundesrepublik trägt besondere Verantwortung

„Bei der Umsetzung des EU Green Deal müssten die Emissionen hierzulande um rund 65 Prozent bis 2030 sinken“, sagt BCG-Partner und Klimaexperte Jens Burchardt, einer der beiden Autoren der Analyse. „Das ist das Mindeste, was Deutschland als angemessenen Anteil für einen globalen Zwei-Grad-Pfad zusagen müsste.“

Deutschland ist eine der ältesten Industrienationen der Welt und hatte damit in der Vergangenheit einen erheblichen Anteil an den CO2-Emissionen. Deshalb habe das Land eine besondere Verantwortung, sagt Burchardt. Doch die Politik scheue sich vor weiterer Regulierung. Die aber sei unvermeidlich, denn das Klimapaket reiche nicht aus. „Die Politik ist jetzt gefordert, überall dort bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, wo Unternehmen die gesetzten Ziele ohne politische und regulatorische Unterstützung nicht erreichen können.“

Den für Deutschland beschlossenen CO2-Preis halten die Berater für unzureichend. Ab Januar 2021 wird in den Sektoren Wärme und Verkehr für jede emittierte Tonne CO2 ein Preis von zunächst 25 Euro erhoben. Diese Bepreisung spielt im Klimapaket der Bundesregierung eine zentrale Rolle. Es sei ein CO2-Preisimpuls mit „echter Steuerungswirkung“ notwendig, sagt Patrick Herhold, wie Burchardt BCG-Partner und Autor der Analyse. Das könne zum Beispiel in Kombination mit einer CO2-Grenzübergangsteuer auf europäischer Ebene geschehen, „die unsere Wirtschaft schützt und gleichermaßen zu ambitionierterem Klimaschutz in anderen Regionen anregt“.

Doch die Autoren machen sich für weitere Regulierungsinitiativen und Anstöße stark. Für viele Unternehmen halten sich die Kosten für mehr Klimaschutz in Grenzen. Doch es gibt Branchen, in denen sich CO2-Emmissionen nur schwer reduzieren lassen. Für Sektoren wie Stahl, Zement, Chemie, Luft- und Schiffsverkehr seien die Kosten potenziell existenzbedrohend. Die Berater halten es für nicht unwahrscheinlich, dass Teile dieser Industrien zur Erreichung der deutschen Klimaziele dauerhaft subventioniert werden müssten – auch um sie vor unfairem internationalem Wettbewerb zu schützen.

Deutschland habe über Jahrzehnte den Steinkohlebergbau mit insgesamt mehr als 100 Milliarden Euro subventioniert, um eine möglichst sozial verträgliche Transformation des Sektors und der betroffenen Regionen sicherzustellen. „Nun geht es um die Förderung von Zukunftstechnologien zur Erhaltung wesentlicher Elemente deutscher Industriestruktur“, sagte BCG-Partner Herhold.

„Wir sollten aufhören, über Klimaschutz als Zumutung zu diskutieren, aber gleichsam ehrlicher zu uns selbst werden“, so die Berater. Der Zweigradpfad erfordere in Deutschland in den nächsten zehn Jahren in allen Sektoren deutlich wirksamere Maßnahmen. Der gerade beschlossene Kohlekompromiss sei unzureichend: „Kohlekraftwerke müssten bereits bis Anfang statt Ende der Dreißigerjahre auslaufen.“

Auch im Verkehr und bei den Gebäuden müsse sich Deutschland schneller von fossilen Technologien verabschieden, so die Experten. Autos mit Verbrennungsmotor sollten deshalb spätestens ab Anfang der 2030er-Jahre nicht mehr verkauft werden, Öl- und Gasheizungen sogar schon ab 2025 nicht mehr. Die Dekarbonisierung müsste sich in den kommenden zehn Jahren im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt um den Faktor drei beschleunigen. Weiteres Zögern, so die Mahnung, setze den Wohlstand aufs Spiel.

Stringente Rahmenbedingungen

Erst vergangene Woche hatten Politiker bei der Jahrestagung der Stiftung 2 Grad gemahnt, aus dem europäischen „Green Deal” ein Wachstumsprojekt zu machen. Auch hier forderten Unternehmer Planungssicherheit. „Wir als Unternehmen unterstützen den Green Deal“, sagte Frank Mastiaux, Vorstandsvorsitzender der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Die Ziele seien ambitioniert, aber machbar und auch notwendig. „Für die Wirtschaft bedeutet das Planungssicherheit, wenn man sich auf Umsetzungspfade verständigt“, sagte Mastiaux.

Auch Markus Müller-Drexel, CEO des Entsorgungsdienstleisters Alba Services Holding, forderte „stringente Rahmenbedingungen“, an denen sich die Unternehmen orientieren und Innovationen entwickeln könnten. Die Kreislaufwirtschaft könne maßgeblich zur Reduzierung von Emissionen beitragen, sagte Müller-Drexel. „Unsere Ressourcen sind doch sowieso endlich, je früher wir uns darauf einstellen, desto besser.“

BCG fordert, Klimaschutz in Deutschland anders zu denken. Klimaschutz könne als Chance, als Wirtschaftsprogramm, als Zukunftsvision begriffen werden, sagt BCG-Partner Herhold. „Entgegen der weit verbreiteten Meinung ist Klimaschutz kein Wirtschaftskiller – im Gegenteil.“

Klimavorreiter profitierten am Kapitalmarkt, selbst in stark emittierenden Branchen, sagt auch Studien-Koautor Burchardt. Unternehmen in emissionsintensiven Industrien wie Energie, Stahl, Zement und Chemie, die ihren CO2-Ausstoß reduzieren, erreichten ein um zehn bis 15 Prozent höheres Preis-Umsatz-Verhältnis als der Branchendurchschnitt. Nachzügler werden in ähnlichem Umfang schlechter bewertet. „Es ist also mehr als an der Zeit, die Weichen neu zu stellen.“

Nach Berechnungen von BCG kann Klimaschutz in vielen Ländern das Wirtschaftswachstum beschleunigen. In Deutschland könnte das Bruttoinlandsprodukt um rund ein Prozent steigen, sind die Berater überzeugt. „Erwärmt sich die Erde dagegen unkontrolliert weiter, bedeutet das für die Volkswirtschaften bis zum Ende des Jahrhunderts Einbußen von mindestens 30 Prozent.“