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Die unmögliche Aufholjagd der SPD

Die SPD präsentiert neue Teile ihrer Wahlkampfkampagne, die Parteiführung übt sich in Unverdrossenheit – trotz der schlechten Umfragewerte fünf Wochen vor der Wahl. Doch die Experten sind nicht auf ihrer Seite.

15 Sekunden vor Schluss taucht Martin Schulz dann doch noch auf. Der SPD-Kanzlerkandidat kommt im Anzug die Straße entlang und beteuert: „Gerechtigkeit wird immer ein Thema sein. Denn nur eine gerechte Gesellschaft hat eine Zukunft“.

Dass es sich bei der Sequenz um den ersten TV-Wahlspot der Sozialdemokraten handelt, weiß der Zuschauer nur durch eine kurze roten Einblendung zu Beginn. Dann sind vor allem Kinder zu sehen: Eisessende Kinder, schaukelnde Kinder, Kinder im Bach mit Flaschenpost. Schulz‘ Stimme dringt nur aus dem Off: „Manche behaupten ja, Gerechtigkeit sei heute kein Thema mehr“, tönt es da. „Wenn dem so wäre, warum ist dann eins der ersten Dinge, die wir unseren Kindern beibringen, gerecht zu teilen?“

Freundlicher Applaus kommt auf, als SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Montagnachmittag den Spot und damit den zweiten Teil der SPD-Kampagne zur Bundestagwahl im Berliner Willy-Brandt-Haus präsentiert. Im Publikum sitzen vor allem Neumitglieder in roten T-Shirts, die gleich in den Tür-zu-Tür-Wahlkampf geschickt werden sollen. Doch vorher verbreitet Heil noch Zuversicht.

Das ist auch nötig, hängt die SPD doch in den Umfragen seit Wochen zwischen 22 und 25 Prozent und liegt damit maximal 18 Prozentpunkt hinter der Union. Egal, ob Schulz sich in vielen Wahlkampfterminen abrackert und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) derweil im Urlaub verschwindet. Effekt in den Umfragen: Keiner. Schulz‘ Popularität steigt nach dem abgeklungenen Hype vom Anfang seiner Kandidatur nicht wieder. Die Zuneigung der Wähler zur SPD auch nicht. Für die Genossen ist es schier zum Verzweifeln.

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„Die SPD geht geschlossen und entschlossen in diesen Wahlkampf“, verkündet Heil trotzdem. Die SPD habe ein klares Programm und eine klare Nummer Eins mit Martin Schulz. „Das Rennen zur Bundestagswahl ist nach wie vor offen.“ Dann stellt er die drei Motive für die Großflächenplakate vor, die ab der kommenden Woche die Republik pflastern sollen.

Sie zeigen Martin Schulz mit den drei zentralen Botschaften: für Zukunft, für Gerechtigkeit, für Europa. „Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt“, heißt es da in einem roten Textkasten. „Eine Gesellschaft ist nur dann gerecht, wenn alle die gleichen Chancen haben“ und „Es wird Zeit, die Probleme in Europa wieder zu lösen, statt sie auszusitzen.“ Keine Revolution also, rund fünf Wochen vor der Bundestagswahl, sondern bekannte Genossen-Rhetorik. Aber der Kandidat soll nun im Mittelpunkt stehen. Anfang August hatte Heil den ersten Teil der Kampagne präsentiert. Seinerzeit waren das Themenplakate zu Arbeit, Rente, Familie und Bildung. Von Schulz keine Spur.

Das wird nun anders. Und auch der Ton wird etwas rauer. Heil teilt fleißig Seitenhiebe auf die Union aus. Die SPD habe klare Inhalte und werde diese im Wahlkampf zuspitzen. „Wenn Sie keine Vorstellung von der Zukunft des Landes haben, weil Sie nach zwölf langen Jahren in Kanzleramt vielleicht ein bisschen ideenlos geworden sind, dann müssen Sie anders vorgehen“, ätzt er in Richtung Merkel. Die Kanzlerin „verschwurbele“ nur noch. „Mir kommt die CDU manchmal vor wie ein leeres Warenhaus, ohne Inhalte im Regal.“


24 Millionen für die Kampagne

Insgesamt 24 Millionen Euro gibt die SPD für ihre Kampagne aus. Doch dass die Plakate, die TV-Spots und die Internetaktivitäten auf Facebook, Twitter, Instagram und Snapchat wirklich eine Aufholjagd möglich machen, dass glauben selbst viele Genossen hinter vorgehaltener Hand nicht mehr. Beim Gang durch die „Kampa“, die SPD-Wahlkampfzentrale, gibt Heil indes den Unverdrossenen. Zwischen Plakaten mit Mutmacher-Aufschriften wie „100 Prozent Mobilisierung“ und „100 Prozent Druck machen“ erklärt er: „Wir sind sehr zuversichtlich da Bewegung reinzubringen, weil wir wissen, dass ein Großteil der Menschen sich noch nicht entschieden hat.“

Dann verweist Heil auf die Wahlen in Rheinland-Pfalz oder Mecklenburg-Vorpommern, wo Malu Dreyer und Erwin Sellering erst hinten gelegen und dann die Landtagswahlen noch für die SPD gewonnen hätten. Er führt sogar Negativbeispiele an, um seine These von der offenen Wahl zu untermauern: In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hätte es geheißen, die SPD gewinne auf jeden Fall, und dann sei es anders ausgegangen. „Wir wissen alle nicht, wie die Wahl ausgeht. Auch die Meinungsforschungsinstitute nicht, die das prognostizieren“, resümiert Heil.

SPD-Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert gibt ähnliche Durchhalteparolen aus: „Wir haben bei den Wahlen in Großbritannien und Frankreich gesehen, dass sich in den letzten Wochen noch sehr viel drehen kann.“ Es sei viel Bewegung im Wählermarkt. „Das ist Ansporn für uns, bis zur letzten Minute zu kämpfen“, sagte Seifert.

Ab Montag bis zur Wahl will Kanzlerkandidat Schulz rund 40 Großkundgebungen in ganz Deutschland absolvieren. Los geht es in Bremen. Dazu kommen über 50 weitere Termine, etwa bei Betrieben oder Einrichtungen. Nach den Worten von SPD-Generalsekretär Heil sollen die Großkundgebungen „auf Augenhöhe“ mit dem Bürger stattfinden, was ein deutlicher Kontrast sei „zur abgehobenen Bühne“, die die Kanzlerin etwa in Cuxhaven habe aufbauen lassen. „Merkel geht ja vor allem an Orte, an denen sie sicher sein kann, dass es nicht anstrengend wird“, stichelte Heil. „Wir gehen überall hin.“ Schulz selbst beteuerte in mehreren Interviews, zuversichtlich zu sein, die Wahl zu gewinnen und Bundeskanzler zu werden.

Parteienforscher haben da indes große Zweifel. „So hart es für die SPD auch ist: Es geht für die Partei nur noch darum, mit Anstand zu verlieren“, meint etwa der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. „Die Funktionäre haben das schon eingepreist, auch wenn sie es natürlich nicht offen zugeben.“ Bei den für die Wahlentscheidung wichtigen Faktoren wie Sachkompetenz, Glaubwürdigkeit, Führungsqualität und Sympathie liege Merkel bei den Wählern deutlich vorn. „Die Kanzlerin müsste drastische Fehler machen, um das umzukehren“, sagt Niedermayer. Wenn nicht etwas äußerst Unerwartetes passiere, sei eine Aufholjagd der SPD darum unwahrscheinlich.

KONTEXT

Das steht in Schulz' Zukunftsplan

Zehn Punkte auf 36 Seiten

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat seinen Zukunftsplan für ein modernes Deutschland vorgestellt. Die Zehn-Punkte-Broschüre fast im Wesentlichen farbig und mit Bildern versehen auf 36 Seiten das drei Wochen zuvor von einem Parteitag verabschiedete Wahlprogramm zusammen. Einige Punkte etwa in der Europapolitik und eine Investitionspflicht des Staates sind aber neu. Eine Übersicht.

Zehn Ziele für das moderne Deutschland

In drei Kapiteln zu Zukunft, Gerechtigkeit und Europa werden unter zehn Punkten zahlreiche Vorhaben genannt. Sie reichen von "Vorfahrt für Zukunftsinvestitionen" über "Eine Bildungsoffensive starten" bis hin "Zu mehr Frieden in der Welt beitragen".

Investitionspflicht

"Wir werden eine Investitionsverpflichtung des Staates einführen, die fest in der mittelfristigen Finanzplanung verankert wird." Sie werde die Schuldenbremse ergänzen und sich "an den Spielräumen des Haushalts orientieren". Es soll eine Innovationsallianz für die Industrie geben. Die SPD verspricht Hilfe beim Aufbau einer Batteriezellenproduktion für Elektrofahrzeuge in Deutschland.

Deutschlandportal

"Ich will, dass der Staat online geht. Und zwar 24 Stunden am Tag", sagte Schulz. Sein Zukunftsplan sieht vor, dass Bürger binnen fünf Jahren alle Verwaltungsfragen mit Bund, Ländern und Kommunen auch online erledigen können.

Chancenkonto

"Wir werden dafür sorgen, dass es eine Qualifizierungsgarantie und ein Chancenkonto für Erwerbstätige gibt", heißt es im Zukunftsplan. Das Chancenkonto werde mit einem "staatlichen Startguthaben" ausgestattet. Es könne für Weiterbildung und Qualifizierung, aber auch für Gründungen und den Übergang in die Selbstständigkeit genutzt werden.

Europa

"Eine Priorität unserer europapolitischen Anstrengungen wird der Kampf gegen den unlauteren Wettbewerb durch Steuerdumping sein." Eine solidarische Flüchtlingspolitik bedeute auch, Flüchtlinge "fair auf unserem Kontinent zu verteilen". Die Finanzplanung soll als Solidaritätspakt formuliert werden. Deutschland müsse bereit sein, "mehr in Europa zu leisten, und unter Umständen auch mehr zum EU-Haushalt beitragen". Gleichzeitig müssten Länder, "die Solidarität in wichtigen Fragen verweigern, finanzielle Nachteile in Kauf nehmen".

Quelle: Reuters