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Streit über EU-Haushalt eskaliert

Die Gespräche zwischen Parlament und deutscher Ratspräsidentschaft sind vorerst ausgesetzt. Die EU-Kommission soll bis Montag neue Ideen liefern.

Das Europaparlament ist frustriert über die Kompromisssuche der deutschen Ratspräsidentschaft beim Corona-Wiederaufbaufonds und beim Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), der das EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 festlegt. Die Verhandlungsgruppe der EU-Vertretung hat die Gespräche bis kommenden Mittwoch ausgesetzt.

Die Gespräche zwischen der Verhandlungsgruppe des EU-Parlaments, Haushaltskommissar Johannes Hahn und dem deutschen Botschafter Michael Clauß als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft waren am Donnerstag bereits nach einer Stunde beendet. „Botschafter Clauß hat klargemacht, dass er sich nicht weiter bewegen kann oder will. Auf dieser Grundlage war es klar, dass es keinen Sinn macht, weiter zu reden“, sagte der Europaabgeordnete Rasmus Andresen dem Handelsblatt. „Das ist kein neues Angebot. Es handelt sich um längst bekannte Positionen der deutschen Ratspräsidentschaft.“ Der grüne Politiker ist der einzige deutsche Parlamentarier im Verhandlungsteam des EU-Parlaments.

Haushaltskommissar Hahn soll nun über das Wochenende technische Vorschläge ausarbeiten, damit schnell Bewegung in die ins Stocken geratenen Gespräche kommt. Das Parlament pocht auf zusätzliches Geld von 39 Milliarden Euro für den vom Rat bereits beschlossenen MFR. Das entspricht zwei Prozent des Mitte Juli von den Staats- und Regierungschefs beschlossenen Finanzpakets aus MFR und Wiederaufbaufonds mit einem Gesamtvolumen von 1,8 Billionen Euro. Die EU-Kommission hat dem Paket den PR-Namen „Next Generation EU“ gegeben.

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Die Europaparlamentarier wollen 15 EU-Programme in den Bereichen Gesundheit, Digitales und Bildung aufstocken. Darunter ist auch das populäre Studentenaustauschprogramm Erasmus. Der Druck auf Hahn bei der Kompromisssuche bis Montag ist dementsprechend groß.

Einigung wird „harte Nuss“

„Ich sehe die Möglichkeit für einen Kompromiss nur dann, wenn sich der Rat substanziell auf uns zubewegt. Was wir vom Rat sehen wollen, ist eine Aufstockung und nicht nur eine bloße Umschichtung der Mittel“, sagte der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) dem Handelsblatt. „Die bisherigen Vorschläge sind schlichtweg kein seriöses Angebot, denn allein mit dem Hin- und Herschieben der Mittel im bestehenden Ratsvorschlag wird sich kein Kompromiss finden lassen“, sagte der Finanzexperte.

„Das wird eine harte Nuss“, prognostiziert auch Europapolitiker Andresen. „Wir wünschen uns, dass in die Gespräche nun endlich Bewegung kommt. Denn wir brauchen politische Fortschritte.“ In den wochenlangen Gesprächen tritt das EU-Parlament nach Ansicht von Insidern in Brüssel ausgesprochen selbstbewusst auf. Das Europaparlament sei kein „Abnickverein“, sagte Andresen.

Ursprünglich sollten die trilateralen Gespräche bereits Ende September erfolgreich zu Ende gebracht werden, damit das Parlament für den EU-Haushalt ab 2021 rechtzeitig grünes Licht geben kann. Doch die vom deutschen EU-Botschafter Michael Clauß vorgelegten Kompromissvorschläge stießen im Haushaltsausschuss des Parlaments auf Ablehnung. „Ich bedauere, dass sich der Rat trotz sechs trilateraler Dialoge nicht bewegt hat“, schrieb Johan Van Overtveldt, Vorsitzender des Haushaltsausschusses, an Clauß.

Besonders missfällt den Abgeordneten, dass nach dem deutschen Vorschlag die Haushaltsreserven genutzt werden sollen, um einige EU-Programme finanziell aufzustocken. Dazu sind die Parlamentarier nicht bereit. „Die knappen Haushaltsreserven sollen angezapft werden, bevor der Haushalt überhaupt verabschiedet ist. Das ist keine solide Haushaltspolitik“, sagte Haushaltsexperte Andresen. „Das haben wir sehr deutlich mitgeteilt.“

Für die Aktivierung der Haushaltsreserven sehen die Abgeordneten beim MFR keinen Spielraum mehr. Denn aus ihrer Sicht werden die Reserven für Notfälle und unerwartete Entwicklungen benötigt. Die Verhandlungsgruppe des Europaparlaments ist sich in dieser Sache über alle Parteigrenzen hinweg sehr einig, berichten Insider in Brüssel.



In der deutschen Ratspräsidentschaft gibt man sich unterdessen gelassen. „Am Ende könnte möglicherweise eine Erhöhung für die gesamte Finanzperiode in Höhe einer oberen einstelligen Zahl (in Milliarden Euro) zur Verfügung stehen“, schrieb Botschafter Clauß an die Haushaltspolitiker des Parlaments. Der erfahrene Diplomat ist zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommen wird.

Schließlich ist der Druck auf die Abgeordneten aus den südlichen EU-Ländern wie Italien oder Spanien groß. „Wenn wir die schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie bekämpfen wollen, müssen wir zu einer raschen Einigung kommen, um diesen massiven europäischen Impuls schnell in Gang zu setzen“, sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. „Jeder Tag, den wir in den Verhandlungen verlieren, ist ein Tag, der den Start des Wiederaufbaufonds verzögert.“

Botschafter Clauß hatte zuletzt in einem Brief an die Verhandlungsgruppe appelliert, „kreative Wege“ zu finden. Beispielsweise könnten Strafzahlungen, die normalerweise in den Kassen der Mitgliedsländer landen, stattdessen in EU-Programme fließen. Angeblich ging es in den Gesprächen nur um eine Differenz von etwa einer Milliarde Euro.

Im Parlament wächst die Forderung, dass sich die Bundesregierung nun in den festgefahrenen Gesprächen einschalten sollte und nicht einem EU-Diplomaten die Gespräche überlässt. „Wenn wir tatsächlich eine spürbare Aufstockung erreichen wollen, müssen die Staats- und Regierungschefs noch einmal nachlegen. Die Aussicht, erst mal keinen MFR zu haben, hat durchaus Drohpotenzial. Insofern sehe ich durchaus die Möglichkeit, dass sich die Mitgliedstaaten bewegen“, sagte CSU-Politiker Ferber.

Die klassischen Instrumente, auf die man normalerweise bei der Kompromissfindung zurückgreift, wie zum Beispiel eine Halbzeitüberprüfung und mehr Flexibilität im Haushalt, würden diesmal nicht ausreichen.

Am Montagabend werden auch die Gespräche zwischen Parlament, Rat und Kommission über die Einführung eines Mechanismus für mehr Rechtsstaatlichkeit beginnen. Die Parlamentarier wollen die Auszahlung von EU-Geldern mit der Einhaltung von rechtsstaatlichen Standards wie der Unabhängigkeit der Justiz oder der Einhaltung der Medienfreiheit verknüpfen. Im Parlament werden schwierige Gespräche erwartet.



Die Chancen auf einen schnellen Erfolg gelten als nicht sonderlich groß. Diplomaten in Brüssel sprachen am Freitag von der „Quadratur des Kreises“. Die Europaabgeordneten geben sich unnachgiebig. „Es geht hier nicht allein um Betrugs- und Korruptionsbekämpfung, sondern auch um die Frage der Einhaltung von Grundwerten in der Europäischen Union. Dieser Aspekt ist dem Parlament sehr wichtig“, sagt der einflussreiche CSU-Europapolitiker Ferber dem Handelsblatt. „Wenn der Rat nicht bereit ist, hier einen Schritt auf das Parlament zuzumachen, sehe ich kaum Chancen auf eine baldige Einigung.“

Bei der Einführung eines Rechtsstaatlichkeitsmechanismus geht es darum, wie künftig die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den 27 Mitgliedsländern bei Fehlverhalten wie beispielsweise in Ungarn oder Polen besser überwacht und geahndet werden kann. Zuletzt hatte die deutsche Ratspräsidentschaft einen aufgeweichten Vorschlag vorgelegt, der auf großen Widerspruch über alle großen Fraktionen hinweg stößt.

Die Staats- und Regierungschefs hatten bei ihrem viertägigen Gipfel Mitte Juli zwar die Einführung eines Mechanismus für mehr Rechtsstaatlichkeit beschlossen, doch über die Umsetzung gibt es Streit. Rechtskonservative Regierungen in Osteuropa lehnen den deutschen Kompromissvorschlag ab. Länder wie die Niederlande drängen dagegen auf eine Verschärfung. In Brüssel wachsen daher die Sorgen, ob der Rechtsstaatsmechanismus überhaupt noch zu Beginn des nächsten Jahres starten kann. Schließlich müssen auch noch 21 Parlamente der 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Haushaltskommissar Hahn zeigte sich zuletzt gegenüber dem Handelsblatt dennoch optimistisch.