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Jens Spahn zeigt seine zwei Gesichter

Im Wettbewerb um den CDU-Vorsitz versucht Jens Spahn, beim Thema Migration zu punkten. Als Minister konzentriert er sich darauf, den Koalitionsvertrag abzuarbeiten.

Der Gesundheitsminister sitzt in einem kargen Konferenzraum, ein Projektor wirft ein verworrenes Schaubild über weltweite Lieferketten bei Medikamenten an die Wand. Jens Spahn möchte erklären, warum er nach einer Reihe von Skandalen eine Reform des Arzneimittelgesetzes angeht.

Als sich der Minister später vor die Kameras stellt, wird er aber nicht nur nach Gesundheitsthemen gefragt. „Sehen Sie mir nach, ich mache hier gerade die Vorstellung eines Gesetzentwurfs“, antwortet er. „Ich möchte gerne, dass das im Mittelpunkt der Berichterstattung steht.“

Einige Tage später steht Spahn im Mittelpunkt der Berichterstattung, allerdings zu einem anderen Thema. Als Kandidat für den CDU-Vorsitz hat er der „Bild am Sonntag“ ein Interview gegeben, in dem er eine Abstimmung auf dem Parteitag über den UN-Migrationspakt fordert. Notfalls müsse Deutschland seine Zustimmung zu der internationalen Vereinbarung verschieben.

Die Kritik an Spahns Vorstoß ist deutlich, auch aus der eigenen Partei. Baden-Württembergs Innenminister und CDU-Bundesvize Thomas Strobl warnte: „Wir sollten uns von der populistischen Hysterie von rechts nicht verrückt machen lassen.“

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Jens Spahn ist derzeit in doppelter Ausführung in der Bundespolitik unterwegs. Als Gesundheitsminister, der beinahe streberhaft den Koalitionsvertrag abarbeitet und eine beachtliche gesetzgeberische Schlagzahl vorlegt. Und als Parteipolitiker, der nach der Rückzugsankündigung von Angela Merkel nach dem CDU-Vorsitz greifen will. Die Trennung zwischen beiden Rollen ist allerdings nicht ganz einfach.

Der Kandidat Spahn setzt stark auf ein Thema, mit dem er sich den Ruf des konservativen Merkel-Kritikers erworben hat. Als einer der ersten bedeutenden CDU-Politiker war das Präsidiumsmitglied im Herbst 2015 auf Distanz zur Flüchtlingspolitik gegangen und hatte bei der Migration „eine Art Staatsversagen“ beklagt.

Ein Jahr später sprach sich der CDU-Parteitag auf Spahns Betreiben für eine Verschärfung der Regeln zur doppelten Staatsbürgerschaft aus.

Daran knüpfte der 38-Jährige an, als er kurz nach der Ankündigung seiner Kandidatur in einem Gastbeitrag kritisierte, dass Deutschland „weiterhin eine jährliche ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock“ erfahre. Diese gelte es zu begrenzen und besser zu steuern.

Nun nimmt sich Spahn den UN-Migrationspakt vor. Bei dem Papier handelt es sich um eine nicht bindende politische Absichtserklärung der Vereinten Nationen, die früher allenfalls Diplomaten und Völkerrechtler zu lebhaften Fachdiskussionen angeregt hätte. Heute ist der Pakt, in dem es um weltweite Standards im Umgang mit Arbeitsmigranten und Flüchtlingen geht, eine Projektionsfläche für Sorgen vor einer Masseneinwanderung.

Rechtspopulisten stellen ihn als globale Verschwörung zur Öffnung der Grenzen dar. Einige EU-Staaten mit rechtsgerichteten Regierungen wie Österreich, Ungarn und Polen haben sich von der Vereinbarung mittlerweile distanziert. Die AfD fordert, dass auch Deutschland den Pakt ablehnt.

Spahn sagt nicht, dass er gegen den UN-Migrationspakt ist. Doch er sieht weiteren Gesprächsbedarf. „Alle Fragen der Bürger gehören auf den Tisch und beantwortet, sonst holt uns das politisch schnell ein“, mahnte er. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass Spahn ein erneutes Kommunikationsdefizit wie bei der Flüchtlingspolitik von 2015 vermeiden wolle.

Auch damals sei die Stimmung in der Gesellschaft und in der Partei falsch eingeschätzt worden. Und der Minister hat den Eindruck, dass es an der Basis wieder brodelt. Einige Landes- und Kreisverbände der CDU haben sich bereits gegen den Migrationspakt positioniert.

Aus den höheren Parteiebenen schlägt Spahn dagegen vor allem Unverständnis entgegen. Einige vermuteten ein taktisches Manöver des Kandidaten, der im Rennen um den CDU-Vorsitz deutlich hinter den Konkurrenten Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz zurückliegt.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erinnerte daran, dass die Unionsfraktion im Bundestag bereits über den UN-Migrationspakt diskutiert habe. Es habe eine breite Mehrheit gegeben, „dass wir uns hier von populistischen Kräften nicht in Bockshorn jagen lassen“. Zudem habe er nicht den Eindruck gehabt, dass sich Spahn bei der Fraktionssitzung „in der Weise“ geäußert habe wie jetzt, sagte Altmaier im ZDF-Morgenmagazin.

Für den parteiinternen Wahlkampf hat Spahn ein Team aus langjährigen Vertrauten zusammengestellt. Der Vizechef der Leitungsabteilung im Gesundheitsministerium, Marc Degen, hat sich bis zum Parteitag im Dezember beurlauben lassen, um die Kampagne seines Chefs zu organisieren.

Die CDU im münsterländischen Borken, Spahns Heimatverband, richtete zur Finanzierung einen Sondertopf ein. Die Mitarbeiter der CDU-Kreisgeschäftsstelle Borken stehen Spahn auch organisatorisch zur Seite. Sein Team erklärt, dass Spahn daneben auch von „vielen Freiwilligen“ unterstützt werde, etwa bei seiner Präsenz in den sozialen Medien.

Das Gesundheitsministerium betont unterdessen, dass es „keine Personal- oder Sachressourcen“ für die parteipolitischen Ambitionen des Ressortchefs einsetze. „Sofern Mitarbeiter Herrn Spahn unterstützen, erfolgt dies außerhalb ihrer dienst- oder arbeitsvertraglichen Verpflichtungen“, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit.

Die Trennung von Amt und Kandidatur sei in der Praxis ohnehin eingeübt, da Minister neben ihrer Regierungsverantwortung oft auch politische Mandate ausübten, etwa als Bundestagsabgeordneter oder Parteifunktionär.

Während sich Spahn auf den Regionalkonferenzen der CDU und in Zeitungsinterviews an die Parteitagsdelegierten richtet, achtet er genau darauf, dass er sich in seinem Ministerium nicht öffentlich zu seiner Kandidatur äußert. Der Minister macht deutlich, dass sein Haus weiter an den Themen arbeite, „die wichtig sind für die Gesundheitsversorgung im Land“.

Als Journalisten ihm nach einem Pressestatement zu besseren Bedingungen für die Organspende in Krankenhäusern Fragen zu seiner Kandidatur zuriefen, verließ Spahn fast fluchtartig das Podium.

Inhaltlich ist die Abgrenzung aber nicht immer ganz klar. Spahn weiß, dass er mit seinem Ministeramt einen Trumpf hat, über den Kramp-Karrenbauer und Merz nicht verfügen. Gut eine Woche nach der Ankündigung, den CDU-Vorsitz anzustreben, widmete er sich als Gesundheitsminister einem Thema, das die Gemüter erregt. Seit Monaten gibt es Forderungen auch aus der CDU, Betriebsrentner bei den Krankenkassenbeiträgen zu entlasten. Lange wiegelte Spahn mit der Begründung ab, dass dafür kein Geld da sei. Nun skizzierte er in einem Brief Reformvorschläge, die denen ähneln, die der Wirtschaftsflügel der CDU auf dem Parteitag zur Abstimmung stellen will.

Bei der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union (MIT) kam dieses Signal aber wohl nicht an. Bei einer Sitzung des MIT-Bundesvorstands am Montag in Berlin sprach sich eine Mehrheit dafür aus, Merz bei seiner Kandidatur für den CDU-Vorsitz zu unterstützen.