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Schwellenländer drängen bei Twitter, Facebook und Co. auf mehr Zensur

Der Streit um die Meinungsfreiheit in Schwellenländern wird zum Geschäftsrisiko für soziale Medien. Die Türkei mahnt Millionenstrafen an. In Indien droht Twitter-Managern sogar Haft.

Der indische Premierminister brandmarkt die Kritik der Bauern als Hetze und will, dass Twitter daran beteiligte Accounts löscht. Foto: dpa
Der indische Premierminister brandmarkt die Kritik der Bauern als Hetze und will, dass Twitter daran beteiligte Accounts löscht. Foto: dpa

Der Kurznachrichtendienst Twitter muss um die Sicherheit seiner Mitarbeiter in Indien fürchten. Die Regierung von Premierminister Narendra Modi drängt das US-Unternehmen dazu, Kritik zu sperren, die sie als Hetze brandmarkt. Twitter will sich jedoch nicht zum Zensor legitimer Meinungsäußerungen machen lassen. Im Versuch sich durchzusetzen, drohen Indiens Behörden den lokalen Vertretern von Twitter nun sogar mit Haft.

Zwischen dem Unternehmen und der indischen Regierung ist zuvor ein Konflikt um die Grenzen der Meinungsfreiheit ausgebrochen. Modis Regierung ist in den vergangenen Jahren verstärkt gegen Kritiker vorgegangen. Jüngst entzündete sich der Konflikt mit Twitter an Massenkundgebungen von Bauern: Sie protestieren seit Monaten gegen Modis Landwirtschaftsreformen, die sie als existenzgefährdend ansehen. Die Bauern stürmten kürzlich das „Rote Fort“, eine historische Palastanlage in Delhi – es kam dabei auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auf Twitter wurde die Wut der Landwirte unter dem Hashtag „Modi plant den Bauern-Genozid“ begleitet.

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Wie Regierungen eigenmächtig bestimmen, was in sozialen Medien zu lesen sein darf und was nicht, entwickelt sich für die Betreiber in Schwellenländern mit autoritären Tendenzen zunehmend zur existenziellen Frage. Von Vietnam über Thailand bis zur Türkei geraten Facebook, Twitter und Co. wegen regierungskritischer Inhalte massiv unter Druck der Behörden. Den Umgang der Social-Media-Konzerne mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington und die anschließende Sperre des Ex-Präsidenten Donald Trump betrachten die Regierungen dabei als argumentativ hilfreichen Präzedenzfall.

Indiens Regierung wirbt für Twitter-Alternative

Indiens Regierung wertete die Botschaften bei den Bauerprotesten als hetzerisch und als Gefahr für die öffentliche Ordnung. Sie forderte Twitter auf, mehr als 1100 Nutzerkonten mit entsprechenden Inhalten zu sperren. Erst nach tagelangem Druck willigte Twitter in dieser Woche ein, „mehr als 500 Accounts“ zu sperren. Im Fall von Journalisten, Aktivisten und Politikern weigerte sich das Unternehmen jedoch, der Anordnung nachzukommen – „gemäß unseres Prinzips, die Redefreiheit zu verteidigen“, wie Twitter mitteilte.

Indiens Regierung erklärte daraufhin, sie sei von Twitter zutiefst enttäuscht. Das zuständige IT-Ministerium kritisierte, dass der Konzern im Umgang mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington und den Protesten in Delhi komplett unterschiedliche Maßstäbe anlege. Beigelegt ist der Streit nicht – bis zu sieben Jahre Haft werden lokalen Twitter-Managern deshalb angedroht.

Gleichzeitig versucht die Regierung offenbar Twitters Popularität in dem Land zu untergraben: Mehrere Minister warben in den vergangenen Tagen für eine indische Twitter-Kopie mit dem Namen Koo und versprachen, dort „exklusive Updates“ zu veröffentlichen. Das Unternehmen meldete daraufhin eine Verdopplung bei der Zahl seiner aktiven Nutzer von 1,5 auf drei Millionen innerhalb weniger Tage.

Für Twitter, das in Indien seinen drittgrößten Markt hat, könnte sich das Unternehmen zum ernsthaften Konkurrenten entwickeln: Der US-Dienst hat in dem Land laut Marktforschern 18 Millionen aktive Nutzer.

Scharfe politische Auseinandersetzungen mit erheblichen Geschäftsrisiken erlebten westliche Social-Media-Konzerne auch in anderen Teilen Asiens. Ende des vergangenen Jahres drohte das kommunistische Regime in Vietnam Facebook mit einer landesweiten Sperre, sollte das Unternehmen nicht deutlich mehr regierungskritische Einträge blockieren als bisher.

Thailands Regierung, die seit einem Putsch im Jahr 2014 von einem ehemaligen Militärchef geführt wird, starte ebenfalls vor wenigen Monaten ein Verfahren gegen Facebook und Twitter, nachdem sich die Unternehmen geweigert hatten, Veröffentlichungen von Dissidenten aus dem Netz zu nehmen. Die Militärjunta in Myanmar, die sich Anfang Februar an die Macht putschte, ließ Facebook und Twitter zeitweise von lokalen Providern sperren.

In der Türkei drohen Millionenstrafen

Auch die türkische Regierung erhöht den Druck auf Social-Media-Plattformen, sich schärferen Kontrollgesetzen zu beugen. Unter einem neuen Gesetz müssen die rechtlichen Vertreter vor Ort binnen 48 Stunden auf Anfragen antworten, bei denen es um eine angebliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten geht. Wird der betreffende Beitrag nicht gelöscht, muss das jeweilige Netzwerk eine detaillierte Begründung vorlegen. Im Fall einer Klage kann das Netzwerk haftbar gemacht werden, wenn der Beitrag nicht innerhalb von 24 Stunden gelöscht wird. Außerdem sieht das Gesetz vor, dass die Social-Media-Giganten alle Daten aus der Türkei auch in dem Land speichern.

Über das Gesetz hatte das türkische Parlament bereits im Juli 2020 abgestimmt. Hintergrund waren Beiträge, die gegen Familienangehörige von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gerichtet waren. „Solche Plattformen passen nicht zu unserem Land und unseren Menschen“, meinte Erdogan, bevor das Parlament über das Gesetz entschieden hatte.

Zu den Social-Media-Plattformen, die inzwischen einen Repräsentanten für die Türkei ernannt haben, zählen neben der Streaming-Plattform Netflix auch Spotify, Amazon Prime Video, die Video-Plattform Dailymotion sowie das russische Kontaktnetzwerk VKontakte. Kurz bevor eine weitere Frist abgelaufen war, hatte auch das Karrierenetzwerk LinkedIn einen Repräsentanten für das Land ernannt. Twitter dürfte die letzte große Plattform sein, die sich bislang weigert, einen Repräsentanten zu ernennen.

Inzwischen steigt der Druck auf die Konzerne, die sich bislang geweigert hatten, die neue Rechtslage umzusetzen. Bereits seit Herbst vergangenen Jahres hat die türkische Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (BTK) Strafen in Gesamthöhe von 50 Millionen Lira – umgerechnet rund 5,4 Millionen Euro – erlassen.

Oberstes Gericht befasst sich in Indien mit Meinungsfreiheit

Mit Blick auf die Entwicklungen in Ländern wie der Türkei und Vietnam warnte Facebooks Cheflobbyist Nick Clegg zuletzt davor, dass eine zunehmende Anzahl von Ländern versuche, Chinas Internetzensur nachzuahmen. Ein jährlich erstellter Bericht der Denkfabrik Freedom House stellte im Dezember zum zehnten Mal in Folge einen Rückgang der globalen Internetfreiheiten fest.

Menschenrechtsorganisationen sehen dabei auch die Rolle der Social-Media-Konzerne kritisch: Während etwa Vietnams Regierung den Unternehmen zu geringe Kooperation vorwarf, beklagte Amnesty International im Dezember, dass sich Facebook und Youtube zu sehr zu Komplizen der Zensoren in Vietnam machen ließen.

In Indien beschäftigt der Streit um die Meinungsfreiheit nun das oberste Gericht des Landes. Es forderte am Freitag Twitter dazu auf, zu einer Petition aus Modis hindu-nationalistischer Partei BJP Stellung zu nehmen, die stärkere Einschränkungen für Hassbotschaften fordert.

Am Vortag hatte bereits Justiz- und IT-Minister Ravi Shankar Prasad im Parlament eine scharfe Warnung an die Social-Media-Konzerne gerichtet: „Ihr habt Millionen Nutzer in Indien und seid frei, hier Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen“, sagte er. Das gelte allerdings nur, solange sich die Unternehmen an die indischen Regeln hielten.