S & K-Verfahren könnte teilweise platzen
Die S&K-Hauptverhandlung ist ab sofort um einen Angeklagten ärmer, aber zugleich um ein prozessuales Problem reicher: Wie soll die 28. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt gleichzeitig die Hauptverhandlung gegen die nunmehr fünf Angeklagten im Betrugsprozess um die Frankfurter Immobiliengruppe S&K führen und zugleich ein separates Verfahren gegen den sechsten Angeklagten voranbringen? Darüber wurde in der Verhandlung am Dienstag heftig diskutiert, doch die Frage könnte sich in wenigen Wochen von selbst erledigen.
Am Montag hatte das Handelsblatt erfahren, dass das Verfahren gegen Hauke B., den ehemaligen Geschäftsführer des Hamburger Fonds-Emissionshauses United Investors, abgetrennt wird. Er war in den vergangenen Wochen mehrfach nicht verhandlungsfähig gewesen. Einige Verhandlungstermine mussten deshalb verkürzt werden oder fielen aus. Wie das Gericht am Dienstag in der Verhandlung mitteilte, hat eine Sachverständige den Angeklagten für unbestimmte Zeit für nicht verhandlungsfähig erklärt – allerdings nicht dauerhaft. Er leide unter Schlafstörungen und könne nicht lange sitzen. Zuletzt hätte sich sein körperlicher und psychischer Befund noch verschlechtert.
„Weiteres Zuwarten“, so der Vorsitzende Richter Alexander El Duwaik, halte die Kammer nicht für zumutbar. Mehrere Angeklagte hätten wegen den Verzögerungen schon Entlassung aus der Untersuchungshaft beantragt. Der Beschleunigungsgrundsatz gebiete es, dass die Hauptverhandlung ohne Hauke B. fortgesetzt werde. Die Verhandlung läuft bereits seit mehr als einem Jahr. Die S&K-Gründer Stephan Schäfer und Jonas Köller sowie vier weitere Männer sind wegen schweren bandenmäßigen Betrugs und ebensolcher Untreue angeklagt. Mit einem verschachtelten Firmen- und Beteiligungssystem sollen sie etwa 11.000 Anleger um mindestens 240 Millionen Euro gebracht haben.
Erst kürzlich hatte die Beweisaufnahme mit der Anhörung des ersten Zeugen begonnen. Zuvor hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft eine mehr als 1.750-seitige Anklageschrift vorgetragen und einige Angeklagte hatten dazu teils ebenfalls sehr ausführliche Stellungnahmen angebracht.
Zur Abtrennung des Verfahrens äußerten sich einige Verteidiger am Dienstag verständnislos. „Ich halte den Beschluss für falsch“, sagte etwa der Schäfer-Verteidiger Ulrich Endres. Er forderte Informationen zum weiteren Fortgang der Verfahren gegen B. und gegen die restlichen fünf Angeklagten. Doch El Duwaik hielt sich mit konkreten Antworten zurück: „Wir sind der Meinung, dass eine Abtrennung erforderlich ist. Wie das praktisch umzusetzen sein wird, wird man sehen.“ Er habe „kein Patentrezept“ und wisse auch noch nicht, ob sich die Problematik einer doppelten Verhandlung überhaupt stelle, denn: „Wenn Hauke B. nicht bald wieder vernehmungsfähig ist, ist das Verfahren gegen ihn geplatzt“, so der Vorsitzende Richter.
Gegenüber dem Handelsblatt erklärte auch der zuständige Staatsanwalt Noah Krüger: „Falls der Angeklagte noch lange Zeit nicht verhandlungsfähig ist, wäre das Verfahren auszusetzen und B. müsste aus der Untersuchungshaft entlassen werden.“ Ginge es nach der Verteidigerin von B. sollte das Gericht sofort handeln: „Unserer Ansicht nach müsste das Verfahren gegen Herrn B. sofort eingestellt werden und er müsste umgehend aus der Haft entlassen werden“, so Anwältin Iris Killinger gegenüber dem Handelsblatt. Eine schnelle Genesung innerhalb der Haftanstalt hält sie nicht für möglich. „Vor der Inhaftierung war unser Mandant komplett gesund, doch die völlig unverhältnismäßig lange Haft und die Trennung von seiner Familie haben ihn so krank gemacht, dass er nicht mehr an der Verhandlung teilnehmen kann.“
Verteidiger fordern Fahrplan für Beweisaufnahme
Sollte das Verfahren gegen B. tatsächlich „platzen“, könnte es später wieder aufgenommen werden, wenn die Hauptverhandlung gegen die übrigen fünf Angeklagten abgeschlossen ist. Alles, was bisher vorgetragen wurde, wäre dann hinfällig und müsste erneut erörtert werden. Gängige Meinung ist jedoch, dass mit einem Ende der Hauptverhandlung vor Ablauf von ein oder sogar zwei Jahren nicht zu rechnen ist.
Doch auch eine andere Möglichkeit ist denkbar: „Die Anklage gegen B. könnte reduziert werden und die Kammer könnte relativ zeitnah auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung ein Urteil fällen“, sagt Staatsanwalt Krüger. Wie die Kammer am Dienstag mitteilte habe es zu einer etwaigen Beschränkung der Anklage zwischen einer der zuständigen Richterinnen und einem Staatsanwalt bereits ein Gespräch gegeben. Sogenannte „Verständigungen“ gebe es aber nicht.
Im weiteren Verlauf der Verhandlung diskutierten die Streitparteien über die Notwendigkeit eines klaren Fahrplans zum weiteren Ablauf der Beweisaufnahme. Ursprünglich hätte der erste Zeuge, ein Polizeibeamter, der im Vorfeld an Vernehmungen beteiligt war, erneut gehört werden sollen. Schon 14 Mal war er in den vergangenen Wochen vor Gericht erschienen, doch erst zwei Mal kam er kurz zu Wort. Am Dienstag aber, war er krank und die Kammer hatte kurzfristig keinen weiteren Zeugen erreicht.
Alternativ wollte sie nun Tonbänder aus der Telekommunikationsüberwachung vorspielen, doch das passte den Verteidigern nicht: Sie hätten sich darauf nicht vorbereitet. Das beharrliche Abwehren einiger Verteidiger brachte dann Staatsanwalt Krüger zu dem Vorwurf, sie würden „obstruieren“, also den Fortgang des Verfahrens behindern. Das erhitzte mache Verteidiger umso mehr. Gewohnt gelassen blieb indes Richter El Duwaik: „Es ist ein Verfahren von außerordentlichem Umfang“, kommentierte er.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die S&K-Immobiliengruppe insbesondere durch die Partybilder der Unternehmenschefs Schäfer und Köller bekannt. Sie zeigen das, was die Staatsanwaltschaft als „ausschweifenden Lebensstil“ bezeichnet: mit dem ins Büro, Übernachten in der Hugh-Hefner-Suite, Feiern mit Elefanten.
Im Februar 2013 hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt ihren Geschäften mit einer Großrazzia ein Ende bereitet. Damals waren etwa 1200 Ermittler und 15 Staatsanwälte in sieben Bundesländer ausgerückt, um gegen die Bande mutmaßlicher Anlagebetrüger vorzugehen. Erst knapp zwei Jahre später stand die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Im September 2015 begann die Hauptverhandlung vor dem Frankfurter Landgericht. Seit mehr als dreieinhalb Jahren befinden sich die Angeklagten in Untersuchungshaft. Nur einer war in Mai dieses Jahres nach einem Geständnis entlassen worden.
KONTEXT
S&K in Zahlen
240.000.000
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt sollen die S&K-Gründer und ihre Komplizen Anleger um mindestens 240 Millionen Euro gebracht haben.
11.000
Die S&K-Unternehmensgruppe verfolgte unterschiedliche Geschäftsmodelle. Beispielsweise wurden geschlossene Fonds aufgelegt und Rückzahlungsansprüche von Lebensversicherungskunden erworben. Laut Staatsanwaltschaft Frankfurt sollen rund 11.000 Anleger geschädigt worden sein.
3150
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt umfasst 3150 Seiten. Darin wurden sieben Personen angeschuldigt. Das Verfahren gegen den Rechtsanwalt und Notar Igor P. wurde vom Landgericht Frankfurt jedoch abgetrennt.
2200
Nach Angaben hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt wurden bei den Ermittlungen 2200 Bankkonten ausgewertet.
1774
Zu Beginn der Hauptverhandlung muss ein Teil der Anklageschrift verlesen werden. Dieser sogenannte Anklagesatz umfasst rund 1774 Seiten.
1200
Am 19. Februar 2013 waren 1200 Ermittlungsbeamte und 15 Staatsanwälte zu einer deutschlandweiten Razzia gegen die S&K Unternehmensgruppe und verbundene Unternehmen ausgerückt.
150
Zur S&K-Gruppe sollen 150 verbundene Unternehmen gehört haben.
50
Bei Eröffnung der Hauptverhandlung hat die 28. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt zunächst 50 Verhandlungstage angesetzt.
22
Laut Aushang am ersten Verhandlungstag werden die sechs Angeklagten insgesamt von 22 Anwälten vertreten.
9
An der Hauptverhandlung nehmen neun Richter teil: drei Berufsrichter - der Vorsitzende und zwei beisitzende Berufsrichterinnen - sowie zwei Schöffen (Laienrichter). Zudem sind zwei weitere Berufsrichter als sogenannte Ergänzungsrichter und zwei weitere Schöffen als Ergänzungsschöffen vor Ort.
6
Auf der Anklagebank sitzen die beiden S&K-Gründer Stephan Schäfer und Jonas Köller und vier weitere Beteiligte: Der ehemalige leitende S&K-Angestellte Marc-Christian S., der Unternehmer Daniel F. sowie Hauke B. und Thomas G., ehemals Geschäftsführer des Hamburger Fondsemissionshauses United Investors.
KONTEXT
S&K - Was seit der Razzia geschah
19. Februar 2013
1200 Ermittlungsbeamte und 15 Staatsanwälte rücken zu einer deutschlandweiten Razzia gegen die S&K Unternehmensgruppe und verbundene Unternehmen aus.
April 2013
Die Immobilienfonds der S&K-Gruppe beantragen ein Insolvenzverfahren.
März 2013
Acht Gesellschaften der United Investors Gruppe aus Hamburg melden Insolvenz an, darunter auch die Holding und das Emissionshaus.
10. September 2013
Im Bundesanzeiger werden die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Vermögenswerte S&K-Gründer und weiterer Verantwortlicher veröffentlicht. Darunter finden sich unter anderem teure Uhren von Hublot oder Rolex, Goldbarren, Motorräder, gepfändete Konten und Versicherungsverträge.
27. September 2013
Stephan Schäfer springt bei einer Verhandlung in einem Zivilverfahren mit Handschellen aus dem ersten Stock des Frankfurter Landgerichts und verletzt sich schwer.
20. Januar 2015
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt gibt bekannt, dass sie gegen sieben mutmaßliche Hauptverantwortliche der S&K-Unternehmensgruppe Anklage erhoben hat.
10. Juni 2015
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen den TÜV Süd wegen des Verdachts der Beihilfe.
28. Juli 2015
Die 28. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt lässt die Anklage der Staatsanwaltschaft teilweise zu.
August 2015
Mehrere Gesellschaften der Unternehmensgruppe melden Insolvenz an: Zuerst die S&K Immobilienhandels GmbH und die S&K Sachwert AG, etwas später die S&K Real Estate Value GmbH.
24. September 2015
Auftakt der Hauptverhandlung, Raum I, Gebäude E des Frankfurter Landgerichts. Nach nicht einmal zwei Stunden wird die Verhandlung vertragt, da der Anwalt einer Nebenbeteiligten einen Befangenheitsantrag gegen die drei Berufsrichter gestellt hat.
29. September 2015
Am zweiten Verhandlungstrag wird die Entscheidung der Vertreter Kammer verkündet: Die Richter hätten im Eröffnungsantrag einen "Flüchtigkeitsfehler" gemacht, doch die Sorge der Voreingenommenheit sei nicht stichhaltig. Danach folgt ein Antrag der Verteidiger auf den nächsten. Ist die 28. Wirtschaftskammer überhaupt zuständig? War die Besetzung der Schöffen rechtens? Drei Aussetzungsanträge zielen auf mangelhafte Akteneinsicht und Unvollständigkeit der Ermittlungsakte ab.
Danach folgt ein Antrag der Verteidiger auf den nächsten.
01. Oktober 2015
Hauptthema am dritten Tag der Hauptverhandlung ist die Anklageschrift - die Verteidiger kritisieren insbesondere den zu verlesenden 1700-seitigen Anklagesatz. Ein Problem ergibt sich daraus, dass die 28. Wirtschaftsstrafkammer die Anklage in Teilen nicht zugelassen hat. Dennoch möchte die Staatsanwaltschaft den kompletten Schriftsatz vortragen. Weiterer Kritikpunkt der Verteidiger: Der Anklagesatz sei mit sogenannten Beweiswürdigungen durchsetzt.
Hauptthema am dritten Tag der Hauptverhandlung ist die Anklageschrift
02. Oktober 2015
Auch am vierten Verhandlungstag dreht sich alles um die Frage, ob der Anklagesatz in der bisherigen Version verlesen werden darf. Auf dem Höhepunkt des Streits fordert ein Verteidiger, dass die Staatsanwälte abgelöst und durch "rechtstreue Staatsanwälte ersetzt werden".
fordert ein Verteidiger, dass die Staatsanwälte abgelöst
06. Oktober 2015
Es hätte der fünfte Prozesstag werden sollen, doch das Landgericht Frankfurt hat die Verhandlungstermine für die komplette Woche abgesagt. Eine Ergänzungsrichterin sei erkrankt, hieß es zur Begründung. Zudem wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft am Vortrag doch eine neue, gekürzte Version des Anklagesatzes vorgelegt hat.
Staatsanwaltschaft am Vortrag doch eine neue, gekürzte Version des Anklagesatzes vorgelegt
13. Oktober 2015
Am 13. Oktober sollte die Verhandlung eigentlich fortgesetzt werden, doch die Ergänzungsrichterin ist weiterhin krank.
15. Oktober 2015
Erneut ein kurzer Verhandlungstag. Nach dem Verlesen einiger Stellungnahmen beendet der Vorsitzende Richter die Sitzung: "Gut Ding will Weile haben."
"Gut Ding will Weile haben."
16. Oktober 2015
Nach erneuten Protesten der Verteidiger und mehreren Pausen dürfen die Staatsanwälte doch noch mit dem Verlesen der Anklage beginnen. Nach Seite zwölf ist aber Schluss. Abseits des Verfahrens wird die Privatinsolvenz des ehemaligen S&K-Anwalts Igor P. bekannt.
Seite zwölf ist aber Schluss. Abseits des Verfahrens wird die Privatinsolvenz des ehemaligen S&K-Anwalts Igor P. bekannt
04. November 2015
Nach zwei Wochen Herbstferien wird die Hauptverhandlung fortgesetzt.
18. Dezember 2015
Der letzte S&K-Termin vor der Weihnachtspause: Inzwischen gab es 23 Verhandlungstage. Noch immer wird die Anklage verlesen - unterbrochen von Anträgen der Verteidiger.
11. Januar 2016
Nach der Weihnachtspause wird der Mammut-Prozess fortgesetzt.
18. Januar 2016
Es ist vollbracht. Die Staatsanwälte haben den 1774-seitigen Anklagesatz vollständig verlesen.
20. Januar 2016
Nach dem Verlesen der Anklage könnte eigentlich mit der Beweisaufnahme begonnen werden, doch zuvor stellen die Verteidiger noch zahlreiche Anträge. Unter anderem: Der Anwalt des S&K-Gründer Stephan Schäfer fordert Haftentlassung für seinen Mandanten.