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„Redet die Lebensversicherung nicht tot!“ – Allianz-Chef warnt vor Panikmache

Drei Jahre ist Allianz-Chef Oliver Bäte nun im Amt. Er hat den größten Teil seiner Agenda zur Erneuerung des Münchener Versicherungsgiganten bereits umgesetzt. Jetzt setzt er zum nächsten Schritt an: einem neuen Strategieplan, den er noch in diesem Jahr vorstellen will.

Das Geschäftsmodell der Versicherer ist nicht nur wegen der zunehmenden Digitalisierung im Wandel. Auch die anhaltende Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) trifft die Assekuranz hart – insbesondere bei Lebensversicherungen.

Trotz der Probleme bekennt sich der Allianz-Chef zur Lebensversicherung. Einen Verkauf von Altbeständen, wie ihn zuletzt die Generali angekündigt hatte, schließt er für Deutschland aus.

Zum Interview gibt sich Oliver Bäte leger. Dabei ist die modisch ein wenig steife Versicherungsbranche einer der letzten Horte für absolute Krawattenpflicht. Der Vorstandschef der Allianz SE, Europas größtem Versicherungskonzern, erscheint zum Treffen in Berlin zwar im schwarzen Anzug mit blütenweißem Hemd, aber eben ohne Krawatte. Schließlich sei er hier zu Hause, scherzt er.

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Der Blick aus dem Besprechungsraum in der Allianz-Repräsentanz reicht über den Pariser Platz hinaus bis zum Brandenburger Tor. Der 53-jährige Schnellsprecher und -denker nimmt sich Zeit, um mit dem Handelsblatt über die Probleme der Lebensversicherung und die Sicherheit der privaten Altersvorsorge in Deutschland zu sprechen.

Herr Bäte, wie viele Lebensversicherungen hat der Allianz-Chef persönlich?
Ich habe mehrere Policen, natürlich auch, um die Familie abzusichern. Ich finde, dass es kein anderes Produkt gibt, das so gut unterschiedliche Komponenten der Altersvorsorge vereint. Erst gibt es eine relativ attraktive Ansparphase, dann verfügt es über die Versorgungssicherheit des Rentenprodukts, und darüber hinaus haben wir in Deutschland eines der am besten gemanagten Kapitaldeckungsmodelle, weshalb immer sehr langfristig agiert wird.

Ganz ehrlich: Würden Sie heute einem guten Freund empfehlen, eine neue Lebensversicherungspolice abzuschließen?
Ja, aber ich würde keine klassische Garantiezinspolice mehr empfehlen. Denn in Zeiten von Ultraniedrigzinsen, die ja so niedrig sind, weil sich die Europäische Zentralbank entschieden hat, Geld umzuschichten – vom Norden in den Süden –, wird eine Zinsgarantie einfach ökonomisch zu teuer. Dadurch fallen die Renditen für unsere Kunden zu stark.

Was ist ökonomisch für Kunden und für Sie sinnvoll?
Wenn wir nur noch eine Kapitalgarantie abgeben und bei der Anlage im Gegenzug mehr Freiheitsgrade haben. Wir haben da beispielsweise viel aus den USA gelernt. Ein Produkt wie Indexselect, das wir heute anbieten, basiert ursprünglich auf einer Vorlage aus den USA und wurde hier mit dem deutschen Sicherungsvermögen kombiniert. Meines Erachtens ist das ein hervorragendes Produkt.

Viele Deutsche verabschieden sich dennoch von dem Vorsorgemodell. Im Gegensatz zur Allianz sinkt bei den deutschen Lebensversicherern das Prämienvolumen branchenweit. Ist das frühere Lieblingsprodukt der Deutschen ein Auslaufmodell angesichts von 0,9 Prozent Garantiezinsen?
Nein, das denke ich nicht. Versuchen Sie einmal, zu einer Bank zu gehen, und sagen Sie dort, dass sie Ihnen den Werterhalt Ihres Portfolios zu 100 Prozent garantieren soll. Und dann fragen Sie doch mal, was Sie das an Renditeverzicht kostet. Wenn da noch viel übrig bleibt bei dem, was die Bank Ihnen dafür abnimmt, würde ich mich wundern. Bei uns bekommen Sie diese Absicherung zu konkurrenzlos niedrigen Kosten, weil das Kollektiv der Versicherten dies aus dem Sicherungsvermögen trägt. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Deshalb ärgere ich mich, wenn wir unsere Lebensversicherungsprodukte so totreden.

Aber schwächelt die Branche etwa nicht?
In der Krise gibt es immer Leute, die Risiken gut über lange Zeiträume managen. Aber es gibt auch welche, die das nicht tun. Die können ihre Versprechen eben nicht einhalten. Das gibt es aber nicht nur bei Finanzdienstleistern, sondern überall in der Industrie. Deshalb müssen sich die Kunden bei langfristigen Schuldversprechungen besonders gut überlegen, zu wem man denn sein Geld bringt – um es mal ganz vorsichtig zu formulieren.

Die Finanzaufsicht Bafin fürchtet, dass mittel- bis langfristig mehr als jeder dritte Lebensversicherer Probleme bekommen könnte. Wie ernst sind die Probleme am Markt?
Ja, die Bafin schaut hin, aber wir dürfen deshalb nicht die Lebensversicherung totreden. Es gibt auch in der Autoindustrie Firmen, die Geld verdienen – und andere, die aus dem Wettbewerb ausscheiden. Auch im Bankensektor mussten einige Anbieter abgewickelt werden. Aber würden Sie deshalb sagen: Ich mache kein Konto mehr auf oder ich eröffne kein Sparbuch mehr, weil es ein paar Banken gibt, die zugemacht werden mussten? Das habe ich noch nie gehört. Deshalb verstehe ich die Debatte überhaupt nicht. Es gibt auch Fondsanbieter, die in Probleme geraten sind, weil sie hohe Mittelabflüsse haben. Dennoch sagt niemand, schafft doch bitte die private Geldanlage ab – das wäre ja auch ziemlicher Unsinn. Das, was man den Kunden und Beratern sagen muss, lautet: Bitte bringt das Geld zu seriösen Unternehmen.

Was haben denn die weniger seriösen Versicherer falsch gemacht?
Ich werde nicht über einzelne Firmen sprechen. Aber grundsätzlich kann man festhalten, dass Firmen, wenn es schlecht läuft, versuchen, über das Einkaufen von Volumina, sprich das Zahlen höherer Vertriebskosten, gegenzusteuern. Die höheren Vertriebskosten gehen dann jedoch über lange Sicht zulasten der Anlagerendite. Der zweite Fehler, den man strukturell machen kann, ist, wenn man zu viel Geld kurzfristig ausschüttet.

Wozu führt das?
Wenn ich immer wieder zu viel Substanz ausschütte, ist irgendwann die Widerstandskraft für die Krise weg. Viele dieser Modelle beruhten allerdings ursprünglich auf rational gestalteten Zinsszenarien, die durch die aktuelle Zinspolitik über den Haufen geworfen wurden.

An der Misere der Versicherer ist also vor allem Mario Draghi schuld?
Wenn Sie auf einmal die Grundlagen einer Industrie verändern, weil eine Zentralbank sagt, Volkswirtschaft interessiert mich nicht, dann ist darauf auch ein einigermaßen gut geführtes Unternehmen nicht immer vorbereitet. Der normale Zinssatz wäre heute ja anderthalb bis zwei Prozent höher, als er ist. Das Geschäftsmodell der Versicherer ist nicht für künstlich erzeugte Zinsen gemacht. Das ist die wichtigste Nachricht. Darum bitte nicht auf der Industrie herumhauen.

Sondern?
Da müssen Sie nach Berlin oder Frankfurt gehen und fragen, wer denn die Zinspolitik macht. Und die wird bewusst so gemacht. Weil man sich entscheidet, dass es günstiger ist, quasi auf Rendite bei den Sparern zu verzichten, als viel, viel mehr Geld zu den Schuldnern schicken zu müssen.

Allerdings haben die Versicherer langfristige Versprechen abgegeben. Wenn der Rivale Generali vor wenigen Tagen rund vier Millionen Policen verkauft und in die Hände von Finanzinvestoren legt, empfinden Verbraucher dies als Wortbruch der ganzen Branche. Haben Sie dafür Verständnis?
Nein, das verstehe ich nicht. Also, ich verstehe das schon, dass sich Verbraucher verschaukelt fühlen. Aber in den USA würde niemand auf die Idee kommen, wenn ein einzelner Lebensversicherer ausscheidet, dafür eine ganze Branche in Sippenhaft zu nehmen. Allianz Leben hat einen Run-off klar ausgeschlossen. Wie gesagt: Wenn ein Fondsanbieter ausscheidet, sagt auch niemand, die Fondsbranche ist eine Katastrophe oder die Autoindustrie muss geschlossen werden. Das verstehe ich nicht. Dahinter steckt auch das Denken, dass Papa Staat doch bitte aufpassen soll, dass so etwas nicht passiert. Das hat aber mit Marktwirtschaft nicht viel zu tun. Vielleicht waren wir in der Vergangenheit allerdings nicht offen genug, darüber zu sprechen, dass es auch in der privaten Altersvorsorge Risiken gibt, die unterschiedlich sind.

Aber es ist aus Sicht der Bürger doch noch ein Unterschied, ob ein Dieselauto bei Abgaswerten versagt oder die ganze Altersvorsorge gefährdet ist.
Absolut. Deshalb müssen die Verbraucher auch geschützt werden. Jetzt muss man nur sagen, es besteht auch kein Anlass zur Panikmache. Dadurch, dass ein Versicherer seinen Bestand an Lebensversicherungspolicen verkauft, ist schließlich nicht die Altersvorsorge weg. Die Damen und Herren bei der Bafin sind wirklich hochqualifiziert und sehr stark im Einsatz. Die Aufseher passen schon auf, dass kein Unsinn passiert. Da muss man auch ein bisschen Vertrauen haben. Aber es gehört natürlich auch zur Wahrheit dazu, dass unter dem neuen Regelwerk Solvency II die Kapitalanforderungen an solche Beständen so hoch sind, dass sich Unternehmen mit der Frage, was mache ich mit unprofitablen Altbeständen, intensiver beschäftigen müssen. Wir dagegen haben immer gesagt, dass wir das weltweit nach Möglichkeit nicht machen werden – und für Deutschland schließen wir es grundsätzlich aus.

Also nur nach Möglichkeit?
Wir haben das nicht vor. Ich wäre aber unseriös, wenn ich eine Aussage mache für die nächsten zwanzig Jahre. Wer weiß, was passiert, wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt ... Aber es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir unsere Versprechen für die Kunden aufrechterhalten. Man muss aber auch sicherstellen, dass die Industrie keinen Schaden nimmt. Man muss den Menschen sagen, dass es keine Rendite ohne Risiko gibt. Sonst müssen wir alles verstaatlichen und erklären, Papa Staat haftet für alles.

Was könnte schlimmstenfalls mit den intensiv beobachteten Versicherern passieren?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wir hatten ja bereits einmal den Fall der Insolvenz der Mannheimer Lebensversicherung. Damals ist der branchenweite Sicherungsfonds Protektor eingesprungen. Kein einziger Kunde hat seine Lebensversicherung verloren und seine Garantiezinsen nicht bekommen. Insofern mache ich mir da – zum heutigen Datum – keine großen Sorgen. Ich habe ein Riesenvertrauen in unsere Regulatoren und Aufseher, dass sie das im Griff haben. Es gibt dann für die betroffenen Kunden halt keine Sonderrendite mehr. Die Garantien werden aber bezahlt, dafür sind sie da, und das Kapital ist auch sicher – es gibt überhaupt keinen Grund für Panik.

Die Politik ist in Sachen Run-off gleichwohl alarmiert. Das Finanzministerium wies gerade darauf hin, dass die Regierung „das Thema weiter intensiv“ beobachte und sich vorbehalte, „erforderlichenfalls gesetzliche Regelungen vorzuschlagen“. Rechnen Sie mit einer Verschärfung der Gesetzeslage?
Schwer zu sagen. Wir sind ja momentan in Zeiten teilweise künstlicher Aufregung unterwegs. Das Wichtige aus meiner Sicht ist: Wer einen Versicherer hat, der ordentlich mit dem Geld umgeht, eine hohe Kundenzufriedenheit hat und über eine starke Kapitalbasis verfügt, muss sich keine Sorgen machen.

Ihnen geht es um eine Differenzierung?
Ja, wogegen wir uns meiner Meinung nach zu Recht wehren, ist Sippenhaftung. Einfach von den Banken zu sprechen, von der Versicherungsindustrie allgemein: Das ist einfach falsch. Es gibt gut geführte Häuser, und es gibt nun mal nicht so gut geführte Häuser. Wir machen ja nicht alles immer nur gut, aber die Kollegen der Lebensversicherung in Stuttgart sind Weltklasse, glauben Sie mir.

Der Bund will zumindest die Anforderungen für den Sicherungsfonds der Versicherer verschärfen. Ist das ein Alarmsignal für die Branche?
Ich glaube, wir haben bereits jetzt alle Mechanismen, die man braucht, um mit einer möglichen finanziellen Schieflage eines Versicherers umzugehen. Dieses permanente Schreien nach mehr Regulierung halte ich für falsch. Regulierung ist kein Selbstzweck. Wegen der neuen Anforderungen durch Solvency II sind die Kapitalanforderungen an die langfristigen Zinsversprechungen schon jetzt enorm hoch – und sie sind richtigerweise so hoch.

Andere Manager stöhnen eher. Wieso Sie nicht?
Unser größtes Risiko ist die Absicherung der langfristigen Zinsversprechungen. Deswegen haben wir uns als Allianz 2010 nach der Erfahrung mit der Dresdner Bank entschieden, dass wir keine unabsicherbaren Zinsversprechungen geben. Wir machten die sogenannte Durationslücke zu. Das hat viele Jahre gedauert, und das war sehr schmerzhaft. Andere haben das nicht gemacht, sondern auf steigende Zinsen gewettet – und dafür muss man dann zahlen, wenn es schiefgeht.

Passen in die Niedrigzinswelt noch Provisionen von bis zu fünf Prozent und Zahlungen an Vertriebspartner von 13,9 Milliarden Euro, wie sie die Allianz 2017 weltweit gezahlt hat?
Okay, gute Frage. Ich fange mal mit den positiven Sachen an: Wir haben ein sehr gutes Vehikel, um das in den Griff zu bekommen, und das ist die betriebliche Altersversorgung, weil sie sehr geringe Vertriebskosten hat. Etwa 50 Prozent weniger kostet der Erwerb einer Altersvorsorge über den Arbeitgeber im Vergleich zu einem selbst erworbenen Produkt. Einzelberatung ist nun einmal sehr teuer. Aber ich wehre mich trotzdem gegen Pläne, die Provisionen zu deckeln.

Warum?
In Großbritannien hat man ein Provisionsverbot verhängt, und als Konsequenz geht kaum ein Berater mehr in den Norden Englands, wo die Armut am höchsten ist. Trotzdem ist der Punkt richtig. Man muss sich überlegen, wie man bei niedrigeren Renditen nicht nur die Verwaltungskosten senkt, sondern auch die Vertriebskosten reduzieren kann – ohne die Beratungsqualität zu verringern.

Sie müssen nicht nur Vertriebskosten senken, sondern auch wegen der Demografie mit einer schrumpfenden Zahl von Kunden kalkulieren. Das kostet die Branche bis 2030 rund sechs Milliarden Euro an Prämien. Muss der Vertrieb nicht deutlich schlanker werden?
Ich wäre immer vorsichtig mit branchenweiten Durchschnittszahlen. Ich glaube in der Tat, dass es ein Ausdünnen im Vertrieb geben wird. Wir sehen aber gerade, dass unser Marktanteil auf allen Vertriebskanälen derzeit steigt. Es könnte also sein, dass es eine größere Konzentration gibt. Nicht wegen Marktmacht, sondern wegen Qualität. Wir haben ja noch eine irre Menge an Vielfalt im Vergleich zu anderen Industrien.

Sie sind sehr vom Thema persönliche Beratung überzeugt?
Ja, denn der Staat wird sich zurückziehen müssen. Dieses permanente Füllhornausschütten ist nicht durchhaltbar. Unsere Kinder werden das nicht finanzieren können. Es geht nicht nur um Altersvorsorge, sondern auch um die Themen Pflege und Berufsunfähigkeit. Es gab noch niemals so viel Bedarf für gute Beratung wie heute. Aber Sie haben recht: Es könnte effizienter gemacht werden.

Die persönliche Beratung bleibt wichtig trotz des massiven Trends zur Digitalisierung?
Ja, absolut. Wenn wir etwas tiefer reinschauen, erkennt man aber, dass viele Berater sehr viel Zeit mit Administration und Verwaltung verbringen. Das ist der Vorteil der Themen, die wir nun umsetzen wollen. Der Anteil, der für Verwaltung aufgewandt wird, wird immer geringer werden. Das ermöglicht Konzentration auf Beratung und Kundenakquisition. Viele Menschen informieren sich zwar online, sie schließen aber nach einer guten Beratung letztlich offline ab. Der Bedarf, diesen Prozess zu verbessern, wird steigen, da sie heute eine Kakofonie an unverständlichen Informationen aus dem Netz holen können. Eine Marke zu haben, der man vertraut, ist da sehr wertvoll. Die Leute laufen uns in Deutschland derzeit die Bude ein.

Allerdings kommt die Digitalisierung bei der Allianz nicht so voran wie gewünscht. Von der Konkurrenz hört man, Bäte hat sich viel vorgenommen, aber der Tanker ist schwerer als gedacht ...
Ja, der Tanker ist auch schwer, aber das macht ja nichts. Man muss sich viel vornehmen, sonst kommt man überhaupt nirgendwo hin.

Intern haben Sie sich eine neue Einfachheit auf die Fahnen geschrieben, vor allem in der wichtigsten Sparte Sachversicherung. Dabei werde es nicht immer geräuschlos zugehen, haben Sie auf der Hauptversammlung angekündigt. Rechnen Sie mit einem Konflikt mit den Arbeitnehmern?
Unsere Arbeitnehmervertreter wissen, dass dieser Schritt wichtig für unsere Zukunftsfähigkeit ist, und unterstützen ihn deshalb.

Das hören wir aber auch anders …
Überhaupt nicht. Dass es in den Ländergesellschaften immer mal Ärger gibt, weil man die IT falsch einpflegt, das darf auch nicht sein. Das hat aber mit der Ausrichtung nichts zu tun. Wir haben uns im Strategieprogramm „Renewal Agenda“ fünf Themen gegeben. Richtig Gas haben wir beim Thema Kundenzentrierung gegeben. 2015 waren nur 50 Prozent unserer Gesellschaften weltweit besser als der Markt. Das ist schrecklich. Letztes Jahr waren es 60 Prozent. Ob wir dann in diesem Jahr die 75 Prozent schaffen oder nur 72, ist für mich unerheblich. Die schlechtesten Noten bekommen wir immer noch bei der Frage, ob ein Produkt für den Kunden intuitiv und verständlich ist.

Die IT ist in vielen Branchen die Achillesferse. Wie viel Geld investieren Sie in diesen Bereich?
Wir sind einer der führenden Investoren im Bereich IT und haben zum Beispiel im Jahr 2017 insgesamt 3,7 Milliarden Euro ausgegeben. Erst letztes Jahr gab es eine große Bestandsaufnahme mit externen Beratern.

Und was kam dabei raus?
Die erste Erkenntnis war, dass unsere beiden Plattformen viel, viel besser sind, als die Leute sagen. Unser Problem ist aber die Implementierung. Hier packen wir viel zu viel Komplexität rein. Richtig gut läuft es, wo die Führungskräfte auf Vertriebsseite gute IT-Experten sind. Bei der Allianz Leben in Stuttgart macht die IT genau das, was bestellt ist. Auch die Vorstände der Allianz müssen künftig zu Technologen werden. Ich verbringe einen Tag in der Woche nur mit Technologiefragen.

Was ist Ihr Ziel mit den Plattformen?
Demnächst haben wir 75 Prozent unserer Prämien weltweit auf einer Plattform. Deswegen werden wir diese auch am Drittmarkt anbieten. Wir spüren schon jetzt sehr viel Nachfrage.

Das heißt, Sie verkaufen dann Lizenzen?
Ganz genau. Wir werden das ab September mit sehr starken Partnern machen. Es gibt führende Technologieunternehmen der Welt, die uns sagen, das Ding fliegt. Sie kommen im Wesentlichen aus den USA und auch aus Europa.

Die Digitalisierung dürfte viele Jobs überflüssig machen, vor allem im Vertrieb. Wie viele der rund 140.000 Jobs im Konzern können Sie garantieren?
Ich kann gar keinen Job garantieren – inklusive meines eigenen. Versuchen kann man aber, Beschäftigbarkeit zu ermöglichen. Wir müssen viel stärker in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter investieren. Zum einen möchten wir wissen, welche Jobs wir in drei Jahren brauchen. Daraus folgt: Wen wollen und können wir umschulen oder weiterbilden? Zudem wollen wir die Mitarbeiter weltweit per Aktienprogramm am Produktivitätsgewinn beteiligen. Hinzu kommt Allianz Aspiration. Hier soll zusammengeschrieben werden, warum sich diese ganze Anstrengung lohnt.

Scheitert die Allianz, wenn der Konzern bei der Digitalisierung scheitert?
Wie wir mit dem Thema Digitalisierung umgehen, stimmt mich nicht zufrieden. Wir haben es so betrieben, als machten wir einen neuen Vertriebskanal auf. Wir haben Komplexität aufgebaut, statt sie zu reduzieren. Doch wir haben nun verstanden, dass es nicht um Technik, sondern um eine Veränderung des Geschäftsmodells geht. Erstmals umgesteuert haben wir im Herbst 2017 mit der neuen Autoversicherung für den deutschen Markt. Damit waren wir erfolgreich wie seit 16 Jahren nicht mehr.

Trotz mehrerer Versuche ist es beim Thema Akquisition bei der Allianz vergleichsweise ruhig. Sie haben zuletzt öffentlich über eine Fusion nachgedacht. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie in nächster Zeit einen großen Deal verkünden?
Es war ein Fehler, die Frage nach der theoretischen Möglichkeit einer Fusion, die mir jüngst im Interview gestellt wurde, überhaupt zu beantworten.

War es inhaltlich falsch, dass sich nur eine Fusion unter Gleichen rechnet?
Nein, das war inhaltlich genau richtig. Großinvestitionen gehen nur freundlich und dann, wenn die Bewertungsverhältnisse zueinanderpassen. Also faktisch nur bei einem Merger of Equals.

Ihren ersten Strategieplan haben Sie so gut wie abgearbeitet. Eine Vertragsverlängerung Ihres bis Ende September 2019 laufenden Vertrags gilt als sicher. Werden Sie dann neue Ziele verkünden?
Ja, wir arbeiten derzeit bereits in der Organisation daran und werden die Ergebnisse Ende November vorstellen. So wollen wir die nächste Stufe beim Thema Kundenzufriedenheit erreichen, sodass jeder Bereich eine Bewertung über Marktniveau erhält und idealerweise Marktführer ist. Wir werden die Latte noch einmal anheben. Dann soll es wirkliche Produktvereinfachungen geben, die auch global funktionieren sollen. Wenn Uber oder JD.com künftig fragen, mit wem sie arbeiten wollen, dann sollen sie sagen: Am besten mit der Allianz! Das ist die Wette. Ich glaube, dass wir einer der wenigen sind, die das überhaupt schaffen können.

Wie sehr würde die Allianz ein Handelskrieg treffen?
Uns nur indirekt über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Wir sind auch für einen Handelskrieg gut aufgestellt. Selbst wenn andere in die Knie gehen, können wir verlässlicher Partner unserer Kunden bleiben. Wir haben zum Beispiel unsere Aktien im Portfolio gehedgt, wenn es also eine große Korrektur geben sollte, sind wir gut abgesichert.

Und wie gefährlich ist ein Handelskrieg zwischen China und den USA für die globalen Märkte?
Natürlich ist das für die Märkte sehr gefährlich. Und es gibt Warnzeichen, etwa für eine Immobilienblase in China. Es gibt zudem hoch aufgepumpte Bilanzen, die gegenüber einem Handelskrieg außergewöhnlich empfindlich sind. Die Risiken für die Märkte sind enorm – und so stellen wir uns auf. Wir müssen beweisen, dass wir uns auch in einer Krise extrem gut schlagen können.

Herr Bäte, vielen Dank für das Interview.