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Rasantes Wachstum, wenig Transparenz: Das fällt in der Bilanz von Wirecard auf

Ein Ende des Wirecard-Booms ist nicht in Sicht, zeigt eine Analyse der Kennzahlen. Das komplexe Geschäftsmodell verlangt aber nach mehr Erläuterungen.

Am Mittwoch wird der Bezahldienstleister seine Zahlen fürs dritte Quartal präsentieren. Foto: dpa
Am Mittwoch wird der Bezahldienstleister seine Zahlen fürs dritte Quartal präsentieren. Foto: dpa

Mit gut drei Prozent Kursgewinn gehörten die Aktien von Wirecard am Montag zu den größten Gewinnern im Dax. Vorstandschef Markus Braun hatte im Handelsblatt alle Vorwürfe der Bilanzfälschung seitens der britischen Zeitung „Financial Times“ zurückgewiesen. Braun räumte aber ein, dass er die Investoren künftig besser informieren muss. Bereits für die am Mittwoch anstehende Bilanz zum dritten Quartal kündigte er zusätzliche Kennzahlen an. Diese sind auch nötig, wie der Handelsblatt-Bilanzcheck zeigt.

Wirecard hat 2018 gut zwei Milliarden Euro umgesetzt. Davon blieben 347,4 Millionen Euro Reingewinn übrig. Allein die Tochter Card Systems Middle East in Dubai trug 58,2 Prozent zum Gesamtgewinn bei. Doch ausgerechnet die Geschäfte in Dubai stehen im Mittelpunkt der Vorwürfe der „Financial Times“. Die Zeitung verdächtigt Wirecard, sich Erträge mit Scheingeschäften zu erkaufen. Im Fokus stehen Card Systems und der Partner Al Alam.

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Unerfreulich ist, dass sich weder im Konzernbericht noch in dem der AG Erläuterungen über diese so wichtige Gesellschaft finden. Den ungewöhnlich hohen Anteil am Ergebnis begründet Braun damit, dass in Dubai ein Großteil der technischen Zahlungsabwicklung erfolgt, die eigentliche Leistung aber die Wirecard-Plattform erbringt – einen Großteil davon in Deutschland.

Das Geschäftsmodell bringt es mit sich, dass Umsatz und Gewinn einzelner Töchter nicht immer repräsentativ sind, wenn es um die geografische Zuordnung geht. Das erscheint nachvollziehbar, wenn es darum geht, Erträge beim bargeldlosen Bezahlen im grenzenlosen Internet zu generieren.

Solche Hinweise – warum und wie einzelne Gesellschaften ungewöhnlich hohe Erträge beisteuern – wünscht sich der Aktionär in Quartals- und Jahresberichten. Als vertrauensbildende Maßnahme hat Wirecard die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer unabhängigen Prüfung beauftragt. Die Ergebnisse sollten Anfang 2020 vorliegen.

Der Bilanzcheck und die Relationen finanzmarktrelevanter Kennzahlen, insbesondere zwischen Umsatz, Gewinn und Cashflow aus dem operativen Geschäft, zeigen indes schon jetzt: Wirecard wächst seit Jahren rasant. Mittel sind tatsächlich zugeflossen und Erträge wurden erwirtschaftet.

Hoher Cashflow

Um möglichen Scheingeschäften auf die Spur zu kommen, wie sie zuletzt die „Financial Times“ unterstellt hat, setzen Bilanzprüfer auf Plausibilitätsprüfungen. Das heißt, die Experten schauen, ob die Entwicklung bestimmter Kennzahlen logisch zueinander passt. Sie setzen Konzerndaten in einen Zusammenhang.

Eine Möglichkeit für solch eine Plausibilitätsprüfung ist der Vergleich zwischen Umsatz, Gewinn und Cashflow. Denn Gewinne und Umsätze mögen sich aufblähen lassen, der Cashflow jedoch nicht so einfach. Diese Kennzahl errechnet sich aus dem laufenden Überschuss aus Einnahmen und Ausgaben. Die Entwicklung des Cashflows zeigt, wie viel eine Firma zu verschiedenen Zeiträumen in der Kasse hat.

Wirecard hat seinen Cashflow stetig gesteigert: von 45 Millionen Euro 2011 auf 750 Millionen Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr. Das ist ein Plus von gut 1550 Prozent. Damit einhergehend stiegen auch die Umsätze und Gewinne: der Umsatz um 550 Prozent auf gut zwei Milliarden Euro und der Nettogewinn um knapp 500 Prozent auf 347 Millionen Euro. Solche Relationen erscheinen stimmig, die Kennzahlen entwickeln sich zueinander plausibel. Die außerordentlich starke Entwicklung des Cashflows unterstreicht den hohen und rasant wachsenden Mittelzufluss.

Schlechte Transparenz

Wirecard weist den Umsatz- und Ergebnisanteil seiner Tochtergesellschaften nicht in der IFRS-Konzernbilanz, dafür aber in der Bilanz der AG aus. Demnach hat die Card Systems Middle East FZ LLC in Dubai im abgelaufenen Geschäftsjahr 58,2 Prozent zum Jahresergebnis beigetragen. Das waren 237,5 Millionen Euro. In einer späteren Erläuterung hat Wirecard erklärt, dass die Wirecard-Tochtergesellschaften in Dubai (Card Systems Middle East und Processing FZ LLC) annähernd 200 Mitarbeiter beschäftigen.

Sie bilden demnach eines der globalen Produkt- und Dienstleistungszentren, die lokale Rechenzentren betreiben und vertragliche Vereinbarungen mit Kunden und verschiedenen Partnern haben. Die Umsätze mit Kunden, die über Dubai vertraglich angebunden sind, trugen 2018 demnach knapp 32 Prozent zum Gesamtumsatz bei.

Die nächstgrößeren Gesellschaften sind die Technologies GmbH in Aschheim mit einem Anteil von 31,7 Prozent am Jahresergebnis und die Payment Solutions im irischen Dublin mit 15,3 Prozent. Alle weiteren gut 40 Gesellschaften, darunter in Großbritannien, Gibraltar, Luxemburg, Rumänien, Indien, Myanmar, Mexiko und den USA, haben einen Anteil am Gesamtgewinn von jeweils weniger als zweieinhalb Prozent. Etliche Gesellschaften erwirtschafteten auch Verluste, am meisten die Asia Holding in Singapur mit 20,6 Millionen Euro.

Warum Card Systems eine so herausragende Stellung einnimmt und über die Hälfte des Gesamtgewinns beisteuert, erschließt sich aus der Bilanz nicht. Wirecard merkt dazu in seinem Geschäftsbericht lediglich an, dass einige Gesellschaften, darunter auch Card Systems in Dubai, international mit unterschiedlichen Banken und Finanzdienstleistern zusammenarbeiten, um Dienstleistungen anbieten zu können, für die Wirecard keine eigene Lizenzen hat.

Mehr Aufschluss gab Konzernchef Braun am Montag im Handelsblatt. Demnach übernehmen Partner und Gesellschaften wie in Dubai nur die technische Zahlungsabwicklung, sodass Umsatz- und Gewinnzahlen einzelner Töchter nicht repräsentativ sind.

Rasante Gewinnsprünge

Viele Dax-Konzerne streichen ihre Ertragsziele angesichts der sich eintrübenden Weltwirtschaft zusammen, doch Wirecard hebt sie immer wieder an, zuletzt im Oktober. Der boomende Onlinehandel stimmt den Zahlungsspezialisten fürs Internet zuversichtlicher.

Bis 2025 will der Dax-Konzern seinen Umsatz auf mehr als zwölf Milliarden Euro und den Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen auf mehr als 3,8 Milliarden Euro steigern. Das wäre sechsmal so viel wie 2018. Bislang waren über zehn Milliarden Umsatz und mehr als 3,3 Milliarden Euro Gewinn vorgesehen. Wirecard begründet die deutlich höheren Ziele unter anderem mit den „leistungsstarken Partnerschaften“ wie etwa der japanischen Softbank-Holding. Kaum eine Woche vergeht, in der Wirecard nicht neue Partnerschaften eingeht.

Angesichts der bislang starken Entwicklung erscheinen die Ambitionen gerechtfertigt. Wirecard hat in den vergangenen zehn Jahren seinen Umsatz verneunfacht und den Nettogewinn verachtfacht. 2019 dürfte Wirecard unter dem Strich gut 530 Millionen Euro verdienen. Das wäre ein Plus gegenüber dem Vorjahr von gut 50 Prozent – und eine deutlich stärkere Steigerung als in den Jahren davor.

Ein Ende des Booms scheint nicht in Sicht. Konzernchef Markus Braun geht davon aus, dass einzelne neue Partnerschaften das Potenzial haben, bis zu 30 Milliarden Euro an neuen Transaktionen zu bringen. 2019 dürfte Wirecard mehr Deals mit großen Händlern im Bereich von mehr als einer Milliarde Euro abgeschlossen haben als in allen Jahren davor zusammen.


Wirecard ist an der Börse zwölfmal so viel wert wie vor zehn Jahren

Kopierbares Modell

Wirecard hat den Sprung in die Eliteklasse des deutschen Aktienmarkts, den Dax, geschafft und damit bewiesen, dass auch in Deutschland ein Start-up eine steile Karriere machen kann. Über diese Erfolgsgeschichte sollten die Anleger aber nicht die harte Realität vergessen. Jede Kooperation mit Duty-free-Shops oder einem Uhrenverkäufer, die Wirecard per Ad-hoc-Mitteilung verkündet, feiern Anleger mit Kurssprüngen. Das ist so, als ob SAP vermelden würde, wenn sich ein neues Unternehmen für die Firmensoftware aus Walldorf entscheidet.

Eine der größten Gefahren für den Börsenkurs von Wirecard ist die Tatsache, dass sich die angebotenen Bezahltechniken zumindest grundsätzlich kopieren lassen. Vor gut einem Jahr gab der niederländische Zahlungsdienstleister Adyen sein Börsendebüt, sofort schoss der Aktienkurs um 100 Prozent nach oben.

Viele Anbieter, wie Intercard, Heidelpay und Telecash, buhlen in einem zersplitterten Markt um Kunden. Je mehr Wettbewerber sich durchsetzen, desto stärker drohen die Gebühren, die Wirecard für seine Dienste kassieren kann, unter Druck zu geraten. Das würde weniger Profit bedeuten – und einen fallenden Aktienkurs.

Wirecard ist sich der Vergänglichkeit seiner Technologien bewusst. Konzernchef Braun hat den Anspruch, dass sich der Zahlungsdienstleister immer wieder neu erfindet, weil sich mit Bestehendem nie dauerhaft Geld verdienen lässt. Potenzial steckt beispielsweise in einer integrierten Finanz-App für Privatkunden, die über die üblichen Bankservices deutlich hinausgehen soll.

Hoch bewertet

Mit gut 14 Milliarden Euro ist Wirecard an der Börse zwölfmal so viel wert wie vor zehn Jahren. Die Aktie stieg von 8,50 auf aktuell 119 Euro. Das ist ein Zugewinn von über 1000 Prozent – trotz des jüngsten scharfen Kurseinbruchs. Obwohl die Aktie seit Anfang September in nur zwei Monaten um 40 Prozent eingebrochen ist und sich schlechter als alle anderen Dax-Werte entwickelt hat, zählt sie zu den teuersten Werten im Dax.

Dies macht sie anfällig für Attacken von Leerverkäufern. Diese Investoren setzen auf fallende Kurse, indem sie mit entsprechenden Hebelprodukten wie Optionsscheinen oder Zertifikaten oder mit geliehenen Aktien gegen das Unternehmen spekulieren – und an Kursverlusten verdienen.

Solche Short-Attacken wurden im Zusammenhang mit früheren Berichten der „Financial Times“ über mögliche Bilanzfälschungen zeitweise so groß, dass die Finanzaufsicht Bafin in der ersten Jahreshälfte den Leerverkauf von Wirecard-Aktien für zwei Monate verboten hatte.
Wer heute Wirecard-Aktien kaufen will, bezahlt das 26-Fache des Jahresnettogewinns, wie ihn Analysten für das laufende Geschäftsjahr prognostizieren. Im Durchschnitt sind die 30 Unternehmen im Dax für den 14-fachen Jahresnettogewinn zu haben – also nur rund halb so teuer.

Gemessen an seinem Eigenkapital von knapp zwei Milliarden Euro kostet Wirecard das Siebenfache an der Börse. Diese Diskrepanz zwischen (hoher) Bewertung und erwirtschafteten Gewinnen gilt als wesentlicher Grund dafür, warum sich der Zahlungsdienstleister immer wieder Attacken von Leerverkäufern ausgesetzt sieht.

Daraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: Hohe Bewertungen sind bei reinrassigen Wachstumswerten, wozu Wirecard aufgrund des Geschäftsmodells und der Unternehmensentwicklung im vergangenen Jahrzehnt zählt, nicht ungewöhnlich – doch sie bergen Rückschlagsgefahr. Dieses Risiko dürfte steigen, sobald Wirecard nicht mehr Jahr für Jahr zweistellig wächst – oder ein neuer Verdacht auf Ungereimtheiten in der Bilanz auftaucht.

Sollte es Wirecard allerdings gelingen, das bisherige Wachstumstempo zu halten und die Prognosen der Analysten regelmäßig zu übertreffen, dann erscheint ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 26 gar nicht mehr besonders hoch, sondern angemessen. Gleichzeitig dürfte mehr Transparenz über das komplexe Geschäftsmodell, wie sie Vorstandschef Markus Braun versprochen hat, die Aktie resistenter gegenüber Leerverkaufsattacken und damit Kursschwankungen machen.

Mehr: Markus Braun, Vorstandschef von Wirecard, spricht im Interview über die neuen Vorwürfe gegen sein Unternehmen, die Forderung nach mehr Transparenz und neue, globale Großkunden.