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Porzellan-Manufaktur Meissen bekommt Steuergelder trotz Millionen-Verlusten

Das Land Sachsen pumpt teils über Umwege Steuergelder in das Unternehmen. Wohin die Gelder fließen, behalten die Verantwortlichen aber für sich.

Der Wochenkurier war ganz aus dem Häuschen. „Meissener Porzellan jetzt heilig“ titelte die Regional-Zeitung im Februar 2018. Die traditionsreiche Manufaktur in Sachsen, bekannt für ihr „weißes Gold“, hatte Papst Franziskus eine Figur des Apostel Petrus zukommen lassen. Der Heilige Vater hatte sie gesegnet.

Meissen-Geschäftsführer Georg Nussdorfer zeigte sich hörbar ergriffen. „Es war eine große Ehre für Meissen und auch für mich persönlich“, sagte Nussdorfer. Die Segnung sei „eine einmalige Wertschätzung unseres künstlerischen Schaffens.“

Doch der heilige Schein in Meissen trügt offenbar. Hinter den Kulissen der traditionsreichen Marke hapert es mit der Einhaltung eines der christlichen Gebote: nicht das Geld anderer Leute zu begehren. In der Manufaktur türmen sich seit Jahren Millionen-Verluste auf. Trotzdem pumpt das Land Sachsen weiterhin Steuerzahlergeld in das Unternehmen, das ihm selbst zu hundert Prozent gehört. Gleichzeitig fließen Millionen ab, ohne dass die Öffentlichkeit ihr Ziel kennt.

Ein Unternehmer aus der Region hat deshalb die Staatsanwaltschaft Dresden eingeschaltet. Doch auch zehn Monate nach seiner Anzeige erklärt die Behörde, sie stecke noch in den „Vorprüfungen“. Es fehle an Belegen für die von ihm genannten Zahlen.

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Der Anzeigenerstatter heißt Dietmar Wagenknecht. Er besitzt eine Firma für Werkzeug- und Vorrichtungsbau in der Lausitz, und er ist nicht verwandt mit der bekannten Linken-Politikerin. Im Dezember 2017 wandte er sich an die Behörde. Und die Zahlen, auf die Wagenknecht verweist und für die die Staatsanwaltschaft keine Belege sieht, finden sich bei genauerem Hinsehen in den Geschäftsberichten der Manufaktur.

Seit vielen Jahren produziert Europas erster Porzellan-Hersteller, der mittlerweile eine GmbH ist, im roten Bereich. Insgesamt haben sich rund 52 Millionen Euro Verluste angehäuft. Bis zum angepeilten Erreichen der Gewinnschwelle im Jahr 2021 seien weitere Verluste zu erwarten, räumt die Manufaktur auf Anfrage ein. Das wären vier weitere Jahre mit einem durchschnittlich zweistelligen Millionen-Minus.

Versuche, das Unternehmen auf die Beine zu bringen, scheiterten. Über Jahre dominierte der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf als Aufsichtsratschef die Manufaktur. Der CDU-Politiker verhinderte, dass der Porzellan-Hersteller privatisiert wurde. Anschließend versuchte der von ihm geholte Geschäftsführer Christian Kurztke, die Manufaktur zu einem Luxuslabel umzubauen. Auch das ging schief. Die Deutschen kauften sich statt teurer Porzellanfiguren, Espressosets und Handtaschen der Marke Meissen lieber einen Thermomix.

Es war der damalige CDU-Finanzminister Georg Unland, der der Luxus-Strategie ein Ende machte, berichten Unternehmensinsider. Im September 2015 verließen Biedenkopf und dessen Stellvertreter Franz Ritter das Unternehmen. Wenige Monate vor ihm war bereits Kurztke gegangen.

Sparsamer ging es an der Talstraße in Meissen trotzdem nicht zu. Nach zahlreichen Darlehn erhielt die Manufaktur 2017 sogar ein großzügiges Geschenk, erneut auf Kosten der Steuerzahler – eine Einmalzahlung des Landes von 28 Millionen Euro in das Eigenkapital.

Laut Mitteilung der neuen Geschäftsführung sollte das Geld den neuen fünfteiligen Zukunftsplan finanzieren, um aus der Manufaktur „ein nachhaltig wirtschaftendes und selbsttragendes Unternehmen“ zu machen. Investitionen wurden angekündigt.

In einem Nachtrag zum Geschäftsbericht steht allerdings etwas anderes: die 28 Millionen Euro seien in die Kapitalrücklage gepackt worden – zum „teilweisen Ausgleich des Bilanzverlustes“.

Wurden Investitionsmittel in Wirklichkeit zur Schuldentilgung eingesetzt? Auf Anfrage gehen weder Manufaktur noch das Land auf diesen Widerspruch ein.

Im Übrigen zeigt sich das Land weiter geduldig. Die öffentlichen Darlehen an die Manufaktur belaufen sich mittlerweile auf 22 Millionen Euro. Der Plan, sie bis 2021 zurückzuzahlen, wurde Ende 2017 kurzerhand aufgegeben. Nun wird das Jahr 2030 angepeilt.

Statt geliehenes Geld zurückzuverlangen, geben die Politiker dem Unternehmen offenbar lieber noch mehr. Neben der Manufaktur existiert seit 2014 auch eine landeseigene Meissen-Porzellan-Stiftung. Die kaufte gleich nach Gründung 9400 historische Museumsstücke aus Porzellan von der ebenfalls landeseigenen Manufaktur – für 15,6 Millionen Euro. Ein stolzer Preis für etwas, das dem Land vorher schon gehörte.

Auf ähnliche Weise generierte das Land auch 2017 Steuergelder für das Porzellan-Unternehmen. Laut Jahresabschluss 2017 verkaufte die Manufaktur für 4,4 Millionen Euro Depotgut – auch dieses an die Stiftung.

Finanzexperten sehen diese interne Verschiebung von Millionen kritisch. „Die Teil-Finanzierung über die Stiftung sieht nach Verschleierung der Finanzierungsquellen aus“, sagt der Münchner Wirtschaftsprüfer Michael Gschrei, früherer Vorsitzender der Wirtschaftsprüferkammer. „Ob die Porzellanwaren zu Marktpreisen verkauft wurden, kann man zudem nicht überprüfen.“

Könnte man vielleicht schon. Der Wert der Gegenstände sei „durch mehrere Gutachter“ festgelegt worden, antwortet Manufaktur-Pressesprecherin Sandra Jäschke auf eine Anfrage des Handelsblatts im Oktober. Vorlegen wollte sie die Gutachten auf Nachfrage aber nicht – Geschäftsgeheimnis.

Dabei ist Jäschke selbst ein gutes Beispiel für die sonderbare Verstrickung von Stiftung, Manufaktur und Landesregierung. Zum Zeitpunkt der Anfrage agierte sie nicht nur als Pressesprecherin der Manufaktur, sondern zugleich auch als Geschäftsführerin der Stiftung. Vor wenigen Tagen wechselte sie dann als Sprecherin in das sächsische Finanzministerium – um in dieser Funktion Handelsblatt-Fragen an Finanzminister Matthias Haß zu beantworten.

Dessen Ministeriumsleiter und einer seiner Staatssekretär sitzen im Aufsichtsrat des Porzellan-Unternehmens. Das Land schiebt damit nicht nur über fragwürdige Konstruktionen Steuergelder nach Meissen – es kontrolliert sich dabei auch weitgehend selbst.

Ominöse Gutachten

Wenn dann doch mal Prüfer von außen ins Haus geholt werden, gilt auch hier strengste Verschwiegenheit. Ende 2017 hatte sich das Finanzministerium auf einen so genannten Private-Investor-Test der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte Test gestützt, um der Manufaktur eine günstige Zukunftsprognose zu bescheinigen.

Ein solcher Test, der nach EU-Recht erlaubt ist, soll wirtschaftliche Aktivitäten auf ihren Sinn hin überprüfen. Der Test habe den Kurs der Geschäftsführung bestätigt, teilte die Manufaktur mit. Durch die neue Strategie werde man ab 2021 schwarze Zahlen schreiben. Öffentlich machen wollen aber weder Land noch Manufaktur den Test. Begründung auch hier: Geschäftsgeheimnis. Der Umgang mit Steuergeldern in Sachsen ist offenbar eine Sache, die den sächsischen Steuerzahler nichts angeht.

Dabei dürften die Bürger viele Fragen haben. Auch diese: Wohin fließen jährlich zweistellige Millionenbeträge, die in den Bilanzen der Manufaktur als „sonstige betriebliche Aufwendungen“ ausgewiesen sind? Zwischen 2011 und 2017 kamen so rund 100 Millionen Euro zusammen. Gelder, die laut Bilanz ausdrücklich nicht zu den normalerweise hohen Personalausgaben zählen.

Aus dem Unternehmen heißt es dazu nur vage, das Geld habe man etwa in „Mieten, Instandhaltung, Beratungsleistungen, Marketing“ gesteckt. Wer da beraten hat? Und warum jährlich? Geschäftsgeheimnis.

Die Geschäfte von Beratern und Werbern mit der Manufaktur scheinen jedenfalls gut zu laufen. Schaut man in die Bilanzen, gab das Unternehmen 2015 rund 3,1 Millionen Euro für Marketing aus und mehr als 1,9 Millionen Euro für Beratung. In den folgenden zwei Jahren wurden die „sonstigen Aufwendungen“ gar nicht erst aufgeschlüsselt, im Jahresabschluss 2017 heißt es allerdings, dass sich die Ausgaben für Prüfung und Beratung und Marketing erhöht hätten – um fast eine halbe Million Euro.

Ein notorisch defizitäres staatliches Unternehmen als Goldgrube für nicht benannte Berater – kann das ewig so weitergehen? Wirtschaftsprüfer Gschrei: „Ohne Finanzierung der Verluste durch den sächsischen Steuerzahler hätte das Unternehmen wohl schon vor Jahren Insolvenz anmelden müssen“.

Ein Fall von staatlicher Insolvenzverschleppung also? Die Staatsanwaltschaft Dresden hat dafür bisher offenbar keine Anhaltspunkte gefunden. Dort deutet man an, in Kürze die Akten in Sachen Meissner Porzellan schließen zu wollen.

Eine Petition von Anzeigenerstatter Wagenknecht an den Sächsischen Landtag wies dieser vor wenigen Tagen ebenfalls zurück. Begründung: auch wenn eine öffentliche Diskussion gewünscht sein möge, sei diese nicht möglich, da das Land ja andernfalls Geschäftsgeheimnisse der Manufaktur verraten müsse.

Aufgeben will Wagenknecht trotzdem nicht. Im Februar fragte der Unternehmer den Aufsichtsratschef der Manufaktur, Stefan Weber, was dieser zu tun gedenke. Und ob er denn angesichts der finanziellen Lage der Manufaktur bereit wäre, eigenes Geld in die Manufaktur zu stecken.

Weber ist im Hauptberuf Vorstand der Sächsischen Aufbaubank, kennt sich also mit Finanzen aus. Eine persönliche Antwort hat Wagenknecht bis heute nicht erhalten.