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Die Porsche-Logik bringt Berlin auf Crashkurs mit Brüssels Klimazielen

(Bloomberg) -- Eine Vollbremsung musste die Europäische Kommission da hinlegen — Schleudertrauma inklusive. Auf den letzten Metern stellte sich der deutsche Verkehrsminister in den Weg der schon längst verabschiedet geglaubten Verordnung zum Verbot für Neuwagen mit Verbrennermotoren ab 2035 und forderte Nachbesserungen. Das Prestigeprojekt von Klimakommissar Frans Timmermans steht in Frage — und könnte am Sonntag zur Chefsache von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande der Kabinettsklausur in Meseberg werden.

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Bedanken können sich die Klimapolitiker der Union für den Rückschlag nicht nur bei Volker Wissing von den deutschen Liberalen, sondern nicht zuletzt auch bei zwei Traditionsfirmen, die zwar nur Nischenmärkte bedienen, aber weit darüber hinaus Einfluss entfalten: Der Stuttgarter Sportwagenschmiede Porsche und der noch einen Tick exklusiveren italienischen Ferrari, deren Rechtsaußen-Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni beim Verbrenner-Thema schon länger auf Krawall gebürstet war.

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Anders als die meisten Massenhersteller haben die beiden den Traum noch lange nicht aufgegeben, den Verbrennermotor zu retten, so lange er mit synthetischem Treibstoff — E-Fuel — betrieben wird, das als klimaneutral angesehen werden kann. Die Forderung, diese Möglichkeit noch in der Verordnung zu verankern, stoppte den Gesetzgebungsprozess auf den letzten Metern und löste in Brüssel leichte Schockwellen aus — und warf erneut tiefgreifende Fragen nach den wirtschaftlichen und sozialen Treibern der Debatte um die Klimapolitik in der Union auf.

Kein europäisches Land ist so stark mit Wohl und Wehe der Autoindustrie verknüpft wie Deutschland, weswegen das Thema hier mit besonders großer Verve und Emotionalität diskutiert wird. Und wenn der ikonische röhrende Neunelfer aus Zuffenhausen auf dem Spiel steht, trägt das auch nicht gerade zur Versachlichung bei.

Dabei haben die Verfechter des E-Fuel-betriebenen Verbrenners nicht mal die ganze Autoindustrie hinter sich. Andere Hersteller, die bereits stärker im batterieelektrischen Bereich unterwegs sind, zeigten sich eher genervt von der Verzögerung und wären wenig erfreut, wenn ihre Milliardeninvestitionen im Batteriebereich plötzlich von einer Alternativtechnologie bedroht wären.

“Die Industrie und die Politiker sollten endlich ein klares Zeichen geben, wohin die Reise geht”, stöhnt Thomas Ingenlath, Chef der Volvo-E-Luxusmarke Polestar. “Dass der deutsche Verkehrminister das zum Thema macht und deswegen die EU-Sache stoppt — das ist doch fast schon peinlich.”

Während die meisten Autobauer Dutzende von Milliarden in die Umstellung auf Elektroautos investieren, hat Porsche eben auch in ein Werk für synthetische Kraftstoffe in Chile investiert. Unter anderem auch deswegen, weil der Hersteller — der mit dem Taycan durchaus auch einen Stromer im Programm hat — nicht vorhat, seinen Bestseller 911 auf Batterie umzustellen.

Allerdings betont Porsche, dass es beim Einsatz für E-Fuels nicht nur um das eigene Interesse gehe. Der klimaneutrale Betrieb von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor könne sogar dazu beitragen, die Dekarbonisierung des Verkehrssektors zu beschleunigen, erklärt der Konzern. Der bestehende Fahrzeugbestand sollte in die Bemühungen um eine schnellere Senkung der CO2-Emissionen einbezogen werden, wozu eben E-Fuels nötig wären, so Porsche.

Befürworter von E-Fuels sagen, dass es sich im Wesentlichen um erneuerbare Elektrizität handelt, die in einen brennbaren, flüssigen Kraftstoff umgewandelt wurde. Dazu kombinieren Wissenschaftler abgeschiedenes Kohlendioxid mit Wasserstoff, der in einem mit erneuerbarer Energie betriebenen Prozess aus Wasser abgespalten wurde, und erzeugen so einen synthetischen Kohlenwasserstoffkraftstoff. Bei der Verbrennung in einem Verbrennungsmotor entsteht Kohlendioxid. Da er jedoch aus zuvor abgetrenntem CO2 hergestellt wurde, ist er ihrer Meinung nach klimaneutral.

Dass die synthetischen Kraftstoffe gerade in Deutschland so tief verwurzelt sind, hängt wohl auch mit der Historie zusammen. Das Fischer-Tropsch-Verfahren, immer noch prinzipielle Grundlage der aktuellen Produktion, wurde 1925 in Deutschland patentiert und von der IG Farben industriell weiterentwickelt, vor allem auch zur Produktion von Ersatzbrennstoffen aus Kohle unter den Nazis im 2. Weltkrieg.

Die höhere Leistungsdichte solcher Kraftstoffe im Vergleich zu Lithium-Ionen-Batterien in Elektrofahrzeugen würde bedeuten, dass weiterhin leichte Sportwagen gebaut werden könnten, die mit röhrenden Motoren und krachenden Auspuffanlagen durch die Gegend kurven.

Die Formel 1, der wichtigste Motorsportwettbewerb der Welt, wird ab der Saison 2026 auf synthetische Kraftstoffe umsteigen. Auch wenn sich dadurch die Gesamtemissionen des Sports — die zu 99% aus anderen Quellen als den Rennwagen stammen, überwiegend von dem anreisenden Fans — nicht verringern werden, so werden sie doch dazu beitragen, zu beweisen, dass synthetische Kraftstoffe leistungsstarke Automotoren antreiben können.

‘Nicht mehr aufzuhalten’

Für Verbrennungsmotoren schlägt die letzte Stunde, es sei denn, sie werden durch E-Fuels gerettet. Während bei der Mercedes-Benz AG und der BMW AG Teams an einer neuen Generation von Verbrennungsmotoren arbeiten, um die 2025 in Kraft tretende Euro-7-Abgasnorm zu erfüllen, gibt es keine Pläne oder Finanzmittel für eine Generation darüber hinaus.

“Der Elektrifizierungstrend in der Automobilindustrie ist im Moment nicht mehr aufzuhalten”, sagte Roberto Vavassori, ein leitender Angestellter des italienischen Bremsenherstellers Brembo SpA, in einem Interview. “Die Hauptfrage ist, wie und wo wir all die saubere Energie finden werden, die der elektrische Übergangsprozess benötigt.” Ob Europa 2035 schon bereit dafür ist, sei durchaus fraglich.

Einige in der Branche befürchten, dass eine Ausnahmeregelung für E-Kraftstoffe — selbst wenn sie nur auf Sportwagen beschränkt ist — den (gewünschten) Effekt eines klaren Verbots von Verbrennungsmotoren im Jahr 2035 verwässern könnte. Im Energiesektor haben harte Fristen für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen den Rückzug beschleunigt, da Unternehmen in einen sterbenden Sektor nicht mehr investieren und Arbeitnehmer in andere Branchen abwandern.

Derzeit gibt es nur wenige Ausnahmen von den neuen EU-Vorschriften. Einigen konnten sich die Mitgliedstaaten und das Parlament auf Nischenhersteller — wozu noch Lamborghini zählt, aber nicht mehr Porsche und Ferrari —, die nur eine kleine Anzahl von Fahrzeugen produzieren, einen geringen Aufschub von einem Jahr erhalten.

In Deutschland sind E-Fuels Teil eines umfassenderen Vorstoßes zur Entwicklung von flüssigen und festen Kraftstoffen, die erneuerbare Energie speichern, aber keine statischen Batterien sind. Zu den Power-to-X-Projekten gehören ein Pilotprojekt am Karlsruher Institut für Technologie und ein geplantes Projekt von Dow Chemicals in Stade.

Porsche folgt diesem Beispiel. Porsche ist mit 12,5% an HIF Global beteiligt, einem Hersteller von E-Fuels, der eine globale Pilotanlage im chilenischen Haru Oni betreibt. In der Pilotphase plant das Unternehmen die Produktion von rund 130.000 Litern pro Jahr. Der Kraftstoff soll zunächst in Projekten wie dem Porsche Mobil 1 Supercup und in Porsche Experience Centern eingesetzt werden. Bis zur Mitte des Jahrzehnts soll das Projekt in Chile auf 55 Millionen Liter pro Jahr ausgeweitet werden. Etwa zwei Jahre später rechnet das Unternehmen mit einer Produktionskapazität von 550 Millionen Litern pro Jahr.

Für Ferrari ermöglicht die Entwicklung von E-Fuels, “die Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig weiterhin Verbrennungsmotoren zu verwenden, die unser Erbe bewahren”.

Das könnten Politiker der autofreundlichen FDP nicht besser formulieren. Finanzminister und Parteichef Christian Lindner ist ein bekennender 911-Fan und kam ins Gerede, weil er sich mit Porsche- und VW-Chef Oliver Blume während der deutschen Koalitionsverhandlungen regelmäßig per SMS austauschte.

Hinzu kommt nach einer Serie von Wahlniederlagen der Liberalen der Druck, stärker Kante zu zeigen. Dass Umfragen zufolge drei Viertel der Deutschen als ihr nächstes Auto wieder einen Verbrenner wollen, wird kaum dazu beitragen, die FDP von ihrer Haltung abzubringen.

Trotz offiziell erklärter Einigkeit in der Frage ist der Konsens in der Koalition zu dem Thema brüchig. Die Grünen stehen klar hinter der EU-Vereinbarung. Informierten Kreisen zufolge ist Bundeskanzler Olaf Scholz zumindestens skeptisch bezüglich der Effizienz von E-Fuels.

Wissing nahm in einer Rede am Freitag die EU in die Pflicht, eine Ausnahmeregelung für E-Treibstoffe zu finden. “Es ist widerspruechlich wenn die EU-Kommission einerseits hohe Klimaschutzziele fordert, andererseits aber das Erreichen dieser Ziele durch überambitionierte Regulierung erschwert”, sagte er.

Überschrift des Artikels im Original:Porsche, Ferrari E-Fuel Push at Heart of EU Engine Debate

--Mit Hilfe von Daniele Lepido, Iain Rogers, Josefine Fokuhl, Julius Domoney und Rafaela Lindeberg.

©2023 Bloomberg L.P.