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Was passiert eigentlich mit der Luca-App? Der Gründer über Shitstorms und Neubeginn

 Wisst ihr noch die Luca-App? Hatte während Corona fast jeder auf dem Handy. War umstritten. Sehr! Jetzt macht der Gründer Patrick Hennig etwas Neues mit genau dieser App. - Copyright: Culture4life
Wisst ihr noch die Luca-App? Hatte während Corona fast jeder auf dem Handy. War umstritten. Sehr! Jetzt macht der Gründer Patrick Hennig etwas Neues mit genau dieser App. - Copyright: Culture4life

Leise ist es in dem geräumigen Großraumbüro des Berliner Software-Startups Nexenio mit Blick über den Berliner Gendarmenmarkt. Halbleer, sowie die meisten Büros in Zeiten hybrider Arbeitsmodelle. Vor zwei Jahren, als die Pandemie Deutschland noch voll im Griff hatte, erster Lockdown, zweiter, dann dritter, da sah das in den Räumen am Gendarmenmarkt noch anders aus. Da war es dort, wo die Luca-App entstand, gar nicht leise und leer.

Ständig klingelte das Telefon. Morddrohungen, Pöbeleien, die Staatsanwaltschaft, diverse Ermittler. Täglich gab Patrick Hennig zwei, drei Interviews. Fast immer waren die Fragen kritisch. Journalisten wollten wissen: Wie sicher sind die Nutzerdaten bei der Luca-App? Wie viel Geld zahlen ihm die Bundesländer eigentlich dafür? Wie war das mit der Urheberrechtsverletzung im Quellcode? Wie kam die Polizei an die Daten von Luca-Nutzern? Und immer wieder: Was bringt die App überhaupt?

Die Risiken von Luca seien "völlig unverhältnismäßig", titelte Zeit Online, "Nutzlos und unsicher“ sei die Anwendung, schrieb das Fachmagazin Techtag, die TAZ verhöhnte das Tool als „Luca-Nepp“. TV-Satiriker Jan Böhmermann nahm sich Luca in seiner Sendung zur Brust, führte vor, wie jedermann mit Fantasienamen nachts im Osnabrücker Zoo einchecken konnte – ohne dort zu sein. Mehrfach sei die Welt gefühlt über ihm zusammengebrochen, erzählt App-Gründer Hennig rückblickend im Gespräch mit Gründerszene. Immer wieder habe er sich gefragt: "Was ist denn hier los?"

Krasse Kritik an Luca-App und ihrem Gründer

Hennig hat viele Shitstorms, Kritik und Häme kassiert. Dabei habe er eigentlich nur helfen wollen. Beim Interview mit Gründerszene sitzt Patrick Hennig an einem hohen Tisch in einem großen Besprechungszimmer, das sie bei Luca den „Design Thinking Raum“ nennen. Von der Decke hängen zahlreiche Pendelleuchten, im Wandregal ist eine kleine Bibliothek eingerichtet, dazu orangefarbene Sitzmöbel. Von hier ginge es auch auf die Dachterrasse, aber dafür ist es an diesem Tag zu kalt.

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Luca-Chef Hennig hat keine Notizen zu dem Gespräch mitgebracht, kein Laptop, nichts. Er sitzt mit sprichwörtlich offenem Visier am Tisch. Ob er sich missverstanden gefühlt habe. „Ja. Aber das passiert. Und sicherlich haben wir auch Fehler gemacht“, gesteht der Berliner Gründer. Über die wilde Achterbahnfahrt der letzten Jahre spricht er mit ruhiger Stimme und weichem Schwäbisch. Wie mit ihm und seinem Unternehmen umgegangen wurde, darüber wirkt er nicht beleidigt. Es scheint, als ginge ihm das damals sicherlich nahe, aber hätte ihn nicht nachhaltig verletzt. Und Groll hat er wohl auch keinen mehr. Denn jetzt sitzt ein Gründer am Tisch, der nach vorne schauen will.

Einchecken in der Gastronomie mit der Luca App. Wir erinnern uns alle. - Copyright: picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON
Einchecken in der Gastronomie mit der Luca App. Wir erinnern uns alle. - Copyright: picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON

Neue Pläne, neues Luca

Patrick Hennig hat nämlich neue Pläne für Luca: Zu Hochzeiten der Pandemie war Luca als eine App auf den Plan getreten, die Gesundheitsämtern zur Kontaktnachverfolgung dienen sollte. Um so das Infektionsgeschehen einzudämmen. Dafür haben Menschen mit der App in Restaurants, Bars, Cafés und auf Events eingecheckt. Jetzt soll Luca so etwas wie eine Ausgeh-Super-App werden. Speisekarten abrufen, Tisch reservieren, Check-in im Hotel – das alles soll Luca bald können. Restaurants suchen und vor allem auch die Rechnung direkt mit einem Klick digital bezahlen – das geht sogar schon. Mehr als 100.000 Zahlung seien damit bereits ausgeführt worden, sagt Hennig. Trotzdem: "Ich bin ein bisschen gehemmt, von einer Super-App zu sprechen." Oftmals sei das nur ein Buzzword.

Für eine Anwendung, deren sicheres Aus eigentlich mit dem Ende der Corona-Schutzmaßnahmen besiegelt war, ist das neue Angebot jedenfalls ziemlich umfassend. Und Hennig hat namhafte Unterstützer für sein Vorhaben gefunden: Im Frühling 2022 bekam die Luca-Mutterfirma Culture4Life ein Investment in Höhe von 30 Millionen Euro. Wesentlich daran beteiligt waren Ramin Niroumand, Gründer des Fintech-Inkubators Finleap, und Julian Teicke von Wefox. Er stieg über seine Beteiligungsfirma The Delta ein. Die beiden Fintech-Größen sitzen auch im Verwaltungsrat und bringen sich aktiv als Berater ein – was Sinn ergibt, schließlich will Hennig eine Payment-Lösung aufbauen.

Außerdem beteiligte sich auch der umstrittene Berliner VC Target Global an Hennigs Firma. Umstritten, weil über dessen Gründer Alexander Frolov vermeintlich russisches Geld in dem Fonds stecken könnte. Der Anteilseigner brachte der App wieder Kritik ein, Hennig musste sich rechtfertigen: Das Investment sei bereits im Januar 2022 zugesagt worden, Wochen vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

Größte Kritik an Luca: vermeintliche Datenlecks und Sicherheitslücken

Die größte Kritik aber, die Luca bis heute anhaftet, ist die, dass die Daten der Nutzer nicht sicher seien. Die kam von vielen Seiten und immer wieder. Besonders die Hackervereinigung Chaos Computer Club warf den Betreibern der App mehrfach öffentlich vor, ein „unfertiges und unbrauchbares“ Produkt auf den Markt geschmissen zu haben, das diverse Möglichkeiten zum Missbrauch biete und über das Bewegungen von Nutzern komplett überwacht werden könnten.

An dieser Stelle ist es dem Gründer, der ja eigentlich nicht beleidigt oder nachtragend wirkt, doch wichtig, einen bestimmten Fall noch einmal aufzurollen und aus seiner Sicht zu erklären. Ein Fall, der diese Kritik noch einmal angefeuert hat: Im Januar 2022 stürzt ein Mann in einer Mainzer Bar und verletzt sich dabei tödlich. Die Polizei steht vor der Frage: War es ein Unfall oder liegt Fremdverschulden vor? Sie sucht nach Zeugen, Menschen, die an diesem Abend in dieser Bar waren – und findet sie über deren Check-ins per Luca-App.

Das aber hätte keinesfalls passieren dürfen. Die Luca-Daten sollten ausschließlich der Nachverfolgung von Infektionsketten dienen. Die Polizei sei auch nur deshalb an diese Daten gekommen, sagt Hennig, weil sie das Gesundheitsamt Mainz „dazu gebracht hat, einen Infektionsfall für den Abend des Todesfalls zu simulieren“. Entsprechend seien alle diejenigen benachrichtigt worden, die sich möglicherweise angesteckt hätten, weil sie zu diesem Zeitpunkt vor Ort waren.

Ermittler wollten immer wieder Daten von ihm

Er selbst und seine Firma hätten aufgrund des komplexen Verschlüsselungssystems hinter Luca nie einsehen können, wer an diesem Abend in der Bar war, sagt Hennig. Das hätten viele Kritiker der Firma nicht verstanden – oder nicht geglaubt. Tatsächlich wurde in der Vergangenheit genau das auch immer wieder von Datenschutzexperten in Zweifel gezogen. Etwa von einer Gruppe unabhängiger IT-Experten, die sich LucaTrack nannte und ihre Kritik wiederholt laut machte. Sie sagten: Natürlich hätten die Luca-Macher solcherlei Informationen ohne großen Aufwand bekommen können. Die Luca-Macher beharrten: Das sei nicht so.

„Wie oft haben wir hier Anrufe bekommen oder E-Mails von Polizeibeamten und Staatsanwaltschaften, die von uns Informationen wollten", so der Berliner. Mit Begründungen, es sei ein Verbrechen passiert. 'Schaut doch mal nach: Wer war in der Nähe?'. Abgesehen davon, dass er keine Antworten auf diese Frage gehabt habe, wie Hennig sagt – für diese Zwecke waren die Luca-Daten schlicht nicht bestimmt. „Aber das sind eben auch nur Menschen, die versuchen, Lösungen zu finden“, sagt Hennig.

40 Millionen mal soll die App runtergeladen worden sein.  - Copyright: picture alliance / Zoonar | Sebastian Boblist
40 Millionen mal soll die App runtergeladen worden sein. - Copyright: picture alliance / Zoonar | Sebastian Boblist

Was wurde aus den 40 Millionen Luca-Nutzern?

Die schiere Menge der Daten, die Luca gesammelt hat, ist immens: Laut Firmenangaben haben 40 Millionen Menschen zu Hochzeiten die App genutzt. Zumindest ungefähr und ohne Gewähr, Aussagen zu der Anzahl der mehrfach Registrierten etwa lassen sich schlicht nicht treffen. Aber grob gesagt, hatte die Hälfte aller Deutschen laut Hennig während der Corona-Pandemie das Luca-Tool auf ihr Handy geladen. Da stellt sich die Frage: Hat er die denn immer noch, diese Nutzerdaten? Auch für das neue Luca? Darf er den Nutzerstamm weiterverwenden? Startet das Gastro-App-Vorhaben also mit einem so großen Vorsprung? Und wenn ja: Wäre das legitim?

Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Hennig holt Luft. Dann wiederholt er: „Wir haben keine Kontaktdaten dieser Nutzer, haben wir nie gehabt. Und die Profile haben wir nach Einstellung der Kontaktnachverfolgung restlos gelöscht.“ Die Tatsache aber, dass die Luca-App auf etlichen Millionen Handys installiert ist, sei ein Vorteil, räumt er ein. „Auch wenn wir nicht wissen, wie viele der 40 Millionen die App noch haben.“ Und dann bräuchten die Menschen ja auch einen Grund, um die alte App zu öffnen. Diese Arbeit liege noch vor ihm und seinem Team.

Ein zweiter Vorteil sei sicherlich auch, dass er bereits die Kontakte zu den Gastronomen hat. Und bei denen sei Luca – anders als bei vielen Nutzern – weitestgehend in guter Erinnerung. Immerhin habe er die App sie von irrwitzig aufwändiger Zettelwirtschaft befreit, sagt Hennig.

Luca-Gründer entscheidet sich gegen Rebranding

Das gute Ansehen bei den Gastronomen sei mit ein Grund gewesen, weshalb Hennig sich bei der Planung der neuen Luca-App bewusst gegen ein Rebranding oder einen Neustart unter neuem Namen entschieden hat. Eine Überlegung sei das durchaus gewesen: Viele assoziierten die Marke Luca mit angeblichen Datenschutzverletzungen und vermeintlichen Sicherheitslücken – will man unter diesem Namen wirklich ausgerechnet so etwas Sensibles wie eine Payment-Lösung launchen?

„Das ist eine valide Überlegung, die wir auch hatten“, sagt Hennig. Aber wichtig ist zu sehen: „Wir haben vielleicht nicht immer alles richtig gemacht, aber trotzdem war es immer das sicherste System in Deutschland und vielleicht sogar das sicherste in Europa.“ Und wieder einmal wiederholt er: „Es wurden Hunderte Millionen Check-Ins damit gemacht. Wir hatten niemals Zugriff auf die Daten und es sind niemals Daten abhandengekommen." Außerdem: „Es hat von Tag Eins an funktioniert und war nie längere Zeit down. Ich würde mir für Deutschland mehr derartige digitale Projekte wünschen.“ Und am Ende des Tages habe für ihn der Gedanke überwogen: Luca – das war mal etwas, das in ganz Deutschland quasi jedem ein Begriff war.

Wie schnell Luca groß wurde

Und das schafft nicht jeder. Patrick Hennig hat ein Vorleben als Gründer, vor dem Coronavirus und vor Luca. Nach seinem IT-Studium am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und gründete gemeinsam mit Philipp Berger aus der HPI heraus 2015 Nexenio. Das Software-Startup liefert Lösungen im Bereich Datensicherheit. Wichtigster Kunde: die Bundesdruckerei. Was Hennig und Berger mit Nexenio bis heute machen, ist komplex. Sie waren schnell erfolgreich – aber komplett unter dem Radar. Das änderte sich schlagartig, als nach Ausbruch der Corona-Pandemie und über Freunde der Kontakt zu Michi Beck und Smudo von der Band Fantastische 4 entstand und die Idee zu Luca aufkam. Eine Million Euro haben die Macher in den schnellen Aufbau der App investiert. Schließlich, betont Hennig, war das ja keine Auftragsarbeit wie etwa die Corona-Warn-App.

Wünscht er sich manchmal in diese ruhige Prä-Corona-Zeit zurück? „Ich bin in den letzten Jahren durch einen bunten Mix aus allem gegangen und möchte nichts davon missen. Auch nicht, was wir über den Umgang mit Fehlern gelernt haben.“ Wirklich schwierig seien die wilden Corona-Jahre vor allem im Privaten gewesen. Als sein privates Umfeld mehr aus den Medien erfahren habe, was bei Luca passiert, als von ihm selbst.

„Ich glaube, ich brauche ein bisschen Spannung und Abenteuer, sonst wird es mir langweilig“, sagt der Luca-Gründer Patrick Hennig. Vermutlich könnte er auch in seiner Heimat in Baden-Württemberg mit einem Job bei SAP glücklich werden, sagt er. „Aber trotzdem bin ich froh, dass ich hier bin, mit meiner eigenen Firma und dem Gefühl, wirklich etwas zu verändern.“