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Neun Regeln für die Nachfolge: Dieses Unternehmen macht vor, wie der Generationswechsel gelingt

Der frühere Verbandspräsident und seine Tochter führen den Motorenhersteller Henkelhausen gemeinsam. Ein klar definierter Prozess hilft ihnen dabei.

„Das Wasser war kühl, aber nicht kalt.“ So fasst Eva Valentina Kempf die gut anderthalb Jahre zusammen, seitdem die 28-Jährige gemeinsam mit ihrem Vater, Lutz Goebel, den Motorenspezialisten Henkelhausen in Krefeld führt.

Das Unternehmen mit rund 90 Millionen Euro Umsatz lässt sich als Teil der Old Economy bezeichnen. Aber es sei profitabel und gut durch das Jahr 2020 gekommen, sagen Vater und Tochter. Der Serviceanteil liegt bei 40 bis 50 Prozent. Henkelhausen projektiert, betreibt und wartet große Motoren, die Schiffe oder Landmaschinen antreiben, anschieben oder laufen lassen, dazu auch Notstromanlagen.

Es geht bei Henkelhausen um Motoren, um Diesel und um harte Arbeit. „Wir sind in unserer Branche sehr technik- und männerlastig“, bestätigt Kempf. Anfangs habe sie sich als Tochter des Chefs in der Firma schon kritisch beäugt gefühlt. Dabei brachte sie wichtige Fähigkeiten ins Unternehmen mit.

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Sie hatte bereits woanders bewiesen, dass sie viel arbeiten und Entscheidungen treffen kann. Als Digital Native hatte sie keine Berührungsängste beim Thema digitale Transformation. Im Gegenteil: Ihr Vater, früher Präsident des Verbands der Familienunternehmer, hatte sie eigens dafür in die Firma geholt.

Beim Generationswechsel lauern für Familienunternehmen viele Fallstricke. Goebel und seine jüngere Tochter sind den Prozess sehr strukturiert angegangen. Daraus lassen sich neun Regeln ableiten, die auch anderen Unternehmern helfen können.

Regel 1: Keinen Druck ausüben, aber Signale setzen

Lutz Goebel, der sich ab 2011 als Verbandschef öffentlich für die Belange der Familienunternehmen starkmachte, verließ 1989 die elterliche Firma. Auch weil er selbst nicht nachfolgen konnte, lebte sein Traum vom eigenen Familienunternehmen weiter. Neun Jahre später, nach mehreren Stationen auch in der Beratung, übernahm er zusammen mit der Beteiligungsgesellschaft Hannover Finanz im Rahmen eines Management-Buy-in (MBI) die Firma Henkelhausen.

Er musste Investoren damals mit reinnehmen, sonst hätte er die Übernahme nicht stemmen können. Die Erfahrungen zeigten ihm, dass es sinnvoll ist, wenn Investoren und ein gut besetzter Beirat die Unternehmer immer wieder hinterfragen. Er weiß, dass das längst nicht überall der Fall ist.

All dies trug auch dazu bei, dass er keinen Druck auf seine beiden Töchter ausübte. Er signalisierte ihnen aber früh: „Ich freu mich, wenn eine mir nachfolgt.“ Evas ältere Schwester suchte sich ein anderes Betätigungsfeld im Personalwesen außerhalb des Unternehmens.

Regel 2: Karriereerfolge außerhalb des Unternehmens sammeln

Eva Kempf studierte schon mal das Richtige: Wirtschaft an der WHU Otto Beisheim School of Management, ihren Master machte sie an der London Business School. Englisch hatte sie schon zuvor im Internat gelernt, als sie mit 16 erstmals allein nach Großbritannien ging. Praktika bei anderen großen Familienunternehmen wie Trumpf und Miele und eine kurze Station bei Henkel gehörten zum Studium dazu.

Dann ging sie in die Beratung, wo sie drei Jahre arbeitete, zuletzt als Senior Consultant bei Capgemini Invent. Ihr Spezialgebiet: Strategie und digitale Transformation. Es gab ihr ein gutes Gefühl, dass sie sich dort beweisen musste, bevor sie ins Familienunternehmen eintrat. So habe sie auch selbst „strukturierter in das Unternehmen hereingeschaut“.

Dennoch zieht sie aus ihrer Zeit als Beraterin das Fazit: „Den letzten Schritt, die Entscheidung und die Umsetzung, kann man dort nicht mitgehen.“ Im Familienunternehmen aber ist das möglich. Darin liege auch der Reiz für die heutige Nachfolgergeneration, die eigentlich überall Karriere machen kann.

Regel 3: Den Übergabeprozess professionell begleiten

Eva Kempf und Lutz Goebel investierten Zeit und Geld in das Thema Firmenübergabe und ließen sich von spezialisierten Beratern durch den Nachfolgeprozess begleiten. Goebel sagt, bei dem Prozess sei es weniger um die Inhalte im Unternehmen gegangen als vielmehr um die Familie und wie die Aufteilung in der Geschäftsführung aussehen soll. Dabei wollten sie gerade die Details richtig hinbekommen.

Eine Expertin für das Thema ist Beatrice Rodenstock. Ihr Ururgroßvater hatte den Brillenhersteller Rodenstock vor 140 Jahren gegründet. Die Familie aber beschloss 2003, das Familienunternehmen an Permira zu verkaufen. Sie kennt das Dilemma, in dem Familienunternehmen in der Generationenfolge stecken, und gibt seit mehr als 15 Jahren vor allem beim Thema Nachfolge und Familienchartas ihren Rat weiter.

„Selbst wenn die Konstellation der beiden Generationen sehr harmonisch ist, sollte ein klarer und von außen begleiteter Nachfolgeprozess aufgesetzt werden“, sagt Rodenstock. Ganz am Anfang stehe, dass es klar nachvollziehbar sein muss, wie es um die Qualifikation und Erfahrungen der Nachfolger bestellt sein muss. „Und diese Regeln müssen für alle potenziellen Nachfolger gleichermaßen gelten“, unterstreicht sie.

Regel 4: Sich Zeit für die Mitarbeiter nehmen

Ganz am Anfang sprach Eva Kempf viel mit den rund 300 Mitarbeitern in der Henkelhausen-Gruppe. „Man muss zuhören, was die Leute wirklich beschäftigt“, sagt sie und ergänzt dann diesen wichtigen Satz: „Strategie und Digitalisierung sind wichtig, aber für die Umsetzung muss man die Leute auf seiner Seite haben.“

Bei Henkelhausen gebe es wie bei vielen Unternehmen im Mittelstand Spezialisten, die wahnsinnig tief in ihren Fachgebieten drin sind. Da gehöre schon Fingerspitzengefühl dazu, ins Unternehmen auch die neuen Impulse hineinzutragen, sagt Kempf. Es habe vorher wenig systematischen und regelmäßigen Austausch zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen und zu übergreifenden, strategischen Themen gegeben. „Das gehen wir jetzt sukzessive an.“

Regel 5: Klare Rollenverteilung

Lutz Goebel und Eva Kempf haben sich die Rollen klar aufgeteilt. Er ist für den Realismus, sie für die Zukunftsperspektive da. Der Vater sieht auch die Fortschritte bei den Dieselmotoren, die dank neuer Technologie nun um 97 Prozent sauberer sind. Seine Tochter treibt nun auch das Thema Elektromobilität voran.

„Wir sind uns einig: Für viele Anwendungen macht der Dieselmotor weiterhin Sinn und ist vorerst schwer zu ersetzen, aber man sollte da technologieoffen rangehen“, sagt Goebel. Neben Elektro- und Hybridantrieben kommen für sie auch synthetische Kraftstoffe, Wasserstoff und Brennstoffzelle infrage.

Hinzu kommt, dass Remote-Dienstleistungen für Henkelhausen eine klare Zukunftsperspektive im wichtigen Wartungsgeschäft aufzeigen. In Zukunft erhoffen sich die beiden, durch Konnektivität mehr Geräte aus der Zentrale zu steuern und erste Probleme vom Schreibtisch aus zu lösen. Das spare Zeit und Reisekosten der wertvollen Techniker und sei umweltfreundlicher.

Regel 6: Eigene Strukturen schaffen

Als Unternehmertochter hat Kempf einen klaren Vorteil: Gläserne Decken gibt es für sie eigentlich nicht. „Heute sind Töchter als Nachfolger genauso gern gesehen wie Söhne“, bestätigt Tom Rüsen, Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen. „Vor allem bei den mittelgroßen Unternehmen.“ Goebel sieht sogar einen echten Vorteil von Vätern und Töchtern: „Es knirscht bei Vätern und Söhnen öfter, während die Töchter froh sind, dass der Vater noch da ist.“

Das bestätigt auch Rüsen: „Töchter präferieren die Tandemperspektive“, sagt der Wissenschaftler. „Nachfolgerinnen setzen auch mehr auf Teamstrukturen.“ Gerade wenn die Tochter eine eigene Familie habe, sei es wichtig, dass sie ein Geschäftsführungssystem um sich herum bauten, erklärt Rüsen.

Eva Kempf sieht noch einen weiteren Vorteil: „Die Mitarbeiter haben nicht so ein vorgefertigtes Bild, bei einer Frau ist ja sowieso alles anders.“ Eine Frauenquote lehnt sie ab: „Ich frage mich eher: Warum sind da so wenige Frauen an der Spitze?“ Ihrer Ansicht nach möchten manche Frauen nicht in diese Top-Positionen, zum anderen fehle es oft an attraktiven Rahmenbedingungen und Flexibilität. „Es ist sicher auch eine Einstellungsfrage von Führungskräften, Frauen aktiv zu fördern“, sagt Kempf.

An ihrer Seite hat die 28-Jährige einen Ehemann, der jedenfalls mit dem richtigen Mindset ausgestattet ist. Er ist Partner bei McKinsey und hat dort den Female Sponsorship Award gewonnen. „Ich will etwas dafür tun, dass mehr Frauen bei Henkelhausen arbeiten, insbesondere in Führungspositionen“, sagt Kempf. „Derzeit bin ich die einzige weibliche Führungskraft bei uns.“

Regel 7: Eigene Netzwerke außerhalb des Unternehmens weiterpflegen

Das Netzwerk des Vaters reicht dank seiner langjährigen Verbandstätigkeit weit. Aber auch seine Tochter hat sich durch Studium, Beratungstätigkeit und Auslandserfahrungen in London, Madrid, Dubai, Norwegen oder Kanada eigene Kontakte aufgebaut.

Gerade das Netzwerk der Management-Hochschule WHU ist weit und wertvoll. Dadurch bekommen die Absolventen tiefe Einblicke in Start-ups und Familienunternehmen über Branchen hinweg. Wenn man wie Eva Kempf selbst in die Verantwortung geht, ist der Austausch mit anderen Nachfolgern und Gründern in ähnlichen Situationen wichtig und hilfreich. So saß Kempf auch beim letzten Kongress für Familienunternehmen auf dem Podium zum Thema Generationswechsel.

Regel 8: Nicht vor Dritten streiten, regelmäßige Treffen einhalten

Kempf ist ein Thema besonders wichtig: die Nachhaltigkeit. Das hat sie neu ins Unternehmen gebracht und fordert ihren Vater auch schon mal heraus – allerdings nach klar definierten Regeln. Die sind für den Nachfolgeprozess besonders wichtig.

Beraterin Rodenstock betont, dass Unternehmer und Nachfolgerinnen immer ein gemeinsames Verständnis von Regeln, Absprachen und Meilensteinen brauchen. Wie sind eigentlich regelmäßige Jour fixes definiert; einmal am Tag, in der Woche, im Monat?

Darüber hinaus sind auch klare Regeln wichtig, wie man im Konfliktfall miteinander umgehen soll. „Man muss auch Eskalationsstufen einbauen“, erklärt Rodenstock. „Und auch die Möglichkeit eines Ausstiegs für die Nachfolger nicht vergessen.“

Goebel sagt, bei Henkelhausen sei es ganz klar, dass er und seine Tochter nicht vor Mitarbeitern oder anderen streiten, das müssen sie schon zu zweit tun. Möglichkeiten gibt es genug: Einmal pro Woche treffen sie sich ganz professionell zum Jour fixe.

„Dann wird schon mal inhaltlich diskutiert und Eva will gewisse Dinge fundamental ändern“, gibt Goebel zu. „Ich habe mich immer darum gekümmert, dass Umsatz und Ergebnis stimmen. Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Kommunikation waren mir nicht so wichtig, Eva schon.“ Auch Mitarbeitergespräche gehörten früher nicht zum regelmäßigen Pflichtenheft, sind heute aber Standard.

Regel 9: Klares Ausstiegsszenario festlegen

Goebel hat sich vorgenommen, in zwei Jahren die Führung abzugeben. Das ist wichtig, denn ein klares Ausstiegsszenario zeigt den Nachfolgern an, dass die gemeinsame Zeit endlich ist und eine klare Perspektive auf mehr Verantwortung für die Nachfolger berechenbar ist, sagt Rodenstock. Darüber hinaus sei es auch wichtig, zu regeln, ob und wie die Anteile der Nachfolger an der Gesellschaft mit der Verantwortung steigen.

Ihre Erfahrung lautet, dass zwar immer mehr Familienunternehmen über eine Familienverfassung oder Charta verfügen, „diese aber zum Teil zu wenig konkret ausgestaltet sind, wenn es wirklich zu Krisen und Konflikten kommt. Auch für diese Situationen braucht es einen Fahrplan“, lautet ihre Erfahrung.

Die 48-jährige Beraterin weiß: „Die Erarbeitung einer Familiencharta dauert schon ein halbes bis ein Jahr.“ Es ist also sinnvoll, früh genug damit anzufangen.