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Wirtschaftsexperte erwartet nach Coronakrise große Veränderungen bei globalen Lieferketten

Die Wirtschaft werde sich von den Folgen der Corona-Epidemie so schnell nicht erholen, warnt der Allianz-Chefberater. Angst sei ein möglicher Verstärker.

Der ökonomische Chefberater der Allianz, Mohamed El-Erian, erwartet nach dem Coronavirus große Veränderungen bei den Lieferketten globaler Konzerne. „Sie erkennen, dass diese günstigen Lieferketten, bei denen alles ‚Just in Time‘ ankommt, vielleicht effizient sind, aber zu riskant“, sagte El-Erian im Interview mit dem Handelsblatt.

Der Marktexperte und frühere Chef des Anleiheinvestors Pimco geht daher nicht davon aus, dass sich die Wirtschaft schnell wieder erholen wird, sobald das hochansteckende Virus unter Kontrolle ist. Wer glaube, dass die Wirtschaft zum alten Status Quo zurückkehren könne, „der unterschätzt den wirtschaftlichen Schock, den wir gerade erleben.“

Wohin sich die Produktion verlagern werde, sei derzeit noch nicht genau vorhersehbar. Es gebe schließlich nicht viele Alternativen zu China als Produktionsstandort. „Vietnam ist bereits voll ausgelastet, das wäre die offensichtlichste Lösung. Die Philippinen und andere Länder bauen gerade noch ihre Infrastruktur auf“, gibt El-Erian zu bedenken.

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Er erwartet, dass Regierungen künftig stärker eingreifen werden, um die Unternehmen zu entlasten. In China kaufen Staatsbanken Niedrigzinsanleihen von Unternehmen. Italien hat Steuergutschriften eingeführt. Notenbanken in den USA und Europa sollten dagegen nicht weiter aktiv werden.

„Der Druck auf die Europäische Zentralbank ist enorm hoch, Unternehmensanleihen zu kaufen“, räumte er ein. Dennoch sollte sie davon absehen. „Wenn die Notenbank immer mehr zu einem fiskalpolitischen Akteur wird, riskiert sie ihre Glaubwürdigkeit und ihre politische Unabhängigkeit.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr El-Erian, das Coronavirus und vor allem die Angst davor hat die Märkte in den vergangenen Wochen dominiert. Was für eine Rolle spielt Angst beim Investieren?
Angst wirkt immer als Verstärker. Sie kann den potenziellen Schaden für die Wirtschaft vergrößern, genauso wie das Risiko von finanziellen Verwerfungen.

Was schürt die Angst?
Aus meiner Sicht sind es drei Dinge: die Unsicherheit, die mit dem Virus verbunden ist. Es gibt schließlich viele Dinge, die wir nicht wissen. Hinzu kommt das Gefühl, dass Regierungen nicht Herr der Lage sind und nun Nachholbedarf haben. Und: Die Schutzmaßnahmen, die die Menschen treffen, sind sehr sichtbar, was zusätzlich die Angst vor der Ansteckung schürt.

Haben wir überreagiert?
Die Menschen in ihrem Verhalten: ja, aber das ist sehr verständlich. Die Flughäfen sind leer. Die Stornierungen haben in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen. Konferenzen bis in den Mai fallen aus. In den USA, mehr noch als in Europa, steigt die Angst vor juristischen Folgen: Wenn Reisen und Veranstaltungen nicht abgesagt werden, sind Arbeitgeber und Veranstalter dann haftbar?

Dabei könnte man auch argumentieren, dass das Virus mit den 3000 Toten weltweit bislang noch eines der weniger aggressiven ist.
Es gibt viele Beispiele für die Überreaktion. In Los Angeles gibt es sechs Fälle, und die Verwaltung hat am Mittwoch einen Notfall ausgerufen. Dabei weiß niemand genau, was das eigentlich heißt. Ich war in der Drogerie und wollte Handdesinfektionsmittel kaufen. Die Verkäuferin hat mich ausgelacht, weil die seit sechs Tagen ausverkauft sind. Die Sorge um die eigene Gesundheit und Sicherheit führt zu plötzlichen Stillständen in der Wirtschaft. Ich nenne das Phänomen: „Sudden Stops“.

Was meinen Sie damit genau?
Egal, wie hoch der Preis ist: Die Verbraucher hören auf, an bestimmten wirtschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen. Man kann den Leitzins zum Beispiel so tief absenken und die Leute mit Geld versorgen, wie man will, sie werden nicht reisen, wenn sie Angst vor Ansteckung haben. Das kennt man vor allem von Konflikten aus Entwicklungsländern. Wir erleben das in den westlichen Staaten vor allem an den Finanzmärkten, aber nicht in der Wirtschaft. Ich warne davor schon seit einem Monat. Es startet im Kleinen, aber dann gibt es einen Kaskadeneffekt.

Was heißt das für die Wirtschaft?
Wenn man sich anschaut, was das Bruttoinlandsprodukt antreibt, dann gibt es im Wesentlichen vier Faktoren: Konsum, Investment, Handel und die Regierung. Die ersten drei sind betroffen, was extrem ungewöhnlich ist und zu Multiplikationseffekten führt. Wir konsumieren weniger, also investieren Unternehmen weniger und stellen deshalb weniger Leute ein. Also konsumieren wir noch weniger. Und so weiter.

Wie kommen wir da wieder raus?
Nach den Sudden Stops und einer Phase der Volatilität, die wir jetzt an den Märkten sehen, erreicht man in der Regel irgendwann die Talsohle, zuerst an den Finanzmärkten, dann folgt die Realwirtschaft.

Wie wird die wirtschaftliche Erholung nach so einer Phase aussehen – wie eine V-Kurve: ein schneller Einbruch und eine schnelle Erholung? Oder eher wie ein L: ein schneller Einbruch und dann eine längere Stagnation?
Ich denke, die Erholung wird im besten Fall eher U-förmig verlaufen. Dazu müssen die Verbraucher das Gefühl haben, dass die Verbreitung des Virus eingedämmt ist. Zudem müssen die Folgen einer Erkrankung geringer und die Immunität gesteigert werden. Ein Impfstoff würde diesen Prozess beschleunigen.

Und im schlimmsten Fall?
Wird es eher W-förmig sein. Das ist derzeit ja das große Risiko in China. Das Land will der Welt unbedingt signalisieren, dass es zur Normalität zurückkehrt, jetzt, wo die Menschen zu ihren Jobs zurückkehren. Doch Mediziner sind besorgt, dass sich damit auch die Infektionen wieder ausbreiten könnten.

Der Kongress in den USA hat ein milliardenschweres Hilfspaket verabschiedet. Italien schließt Schulen. Wie gut sind die Regierungen in den USA und in Europa vorbereitet?
Alle haben noch Nachholbedarf. Und das braucht eben Zeit. Wichtig dabei ist, dass die Gesundheitspolitik über die Länder hinweg koordiniert werden muss.

Was werden die langfristigen Folgen des Virus sein?
Der Trend zu weniger Globalisierung wird sich beschleunigen. Unternehmen erkennen, dass diese günstigen Lieferketten, bei denen alles „just in time“ ankommt, vielleicht effizient sind, aber zu riskant. Sie werden ihre Abhängigkeit von bestimmten Lieferketten reduzieren.

Wie wird das konkret aussehen?
Unternehmen werden immer noch eine globale Lieferkette haben, sie werden sich nur weniger stark darauf verlassen. Vieles muss sich erst noch zeigen. Es gibt schließlich nicht viele Alternativen zu China. Vietnam ist bereits voll ausgelastet, das wäre die offensichtlichste Lösung. Die Philippinen und andere Länder bauen gerade noch ihre Infrastruktur auf. Die US-Regierung befasst sich ja schon länger mit der Frage, wie schnell man Produktion zurück ins Land holen kann.

Was keine einfache Frage ist, denn schon jetzt fehlt es ja an qualifiziertem Personal.
Deshalb wird die Erholung auch nicht wie ein V aussehen …

... bei der auf einen schnellen Einbruch auch eine schnelle Erholung folgt.
Jeder, der das glaubt, unterschätzt den wirtschaftlichen Schock, den wir gerade erleben.

Was heißt das für den Welthandel?
Immer, wenn man einen Prozess beschleunigt, wird es schwieriger, zum alten Status quo zurückzugehen. So wird das auch mit dem Handel werden. Ihnen ist sicher nicht entgangen: Die USA waren nicht gerade sehr zuvorkommend darin, die Situation für China einfacher zu machen. Die Strafzölle sind immer noch intakt.

Heißt das, dass Produkte dadurch teurer werden?
Das kommt darauf an, welche. Was das Beispiel der Handdesinfektionsmittel angeht: Ich habe sie dann bei Amazon bestellt, zu einem deutlich höheren Preis. Dagegen werden Airlinetickets jedoch sehr günstig werden. Es ist also nicht ganz so eindeutig, weil die Nachfrage nach einigen Produkten und Dienstleistungen auch eingebrochen ist.

Wie besorgt sind Sie nach den Kursschwankungen der vergangenen Tage über die Finanzmärkte?
Nach einem Schock muss man sich fragen, wo die strukturellen Schwachstellen sind. Und im Markt für Unternehmensanleihen haben sich in bestimmten Teilen eindeutig Schwachstellen gebildet, die man im Auge behalten muss. Unternehmen haben im großen Stil Anleihen begeben, was die Bonität immer weiter nach unten gezogen hat. Deshalb gibt es eine so große Menge an Anleihen, die mit BBB- bewertet sind.

... Jene Bonitätsnote, die gerade noch im sogenannten investierbaren Bereich liegt …
Und wenn sich das Virus weiter auf die Wirtschaft auswirkt, werden die Gewinne der Unternehmen sinken. Dann gerät die Qualität der Kredite unter Druck, es kommt zu Abstufungen in der Bonität.

Die Anleihen würden sich dann im Hochzinsbereich befinden und hätten eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit.
Das muss der Markt jedoch erst einmal absorbieren. Er ist deutlich kleiner als der für investierbare Anleihen. Und sollte der einfrieren, dann würden auch Neuemissionen Probleme bekommen. Das heißt: Airlines, Hotels und Energieunternehmen zum Beispiel werden es schwer haben, neue Kredite zu bekommen.

Gleichzeitig haben Banken auch strengere Vorgaben als früher, wenn es um ihr eigenes Risikomanagement geht.
Deshalb werden wir mehr Regierungen sehen, die eingreifen, um die Wirtschaft zu entlasten. In China begeben Banken und Unternehmen Niedrigzinsanleihen, die von staatlichen Banken gekauft werden. Italien hat Steuergutschriften eingeführt. Der Druck auf die Europäische Zentralbank, Unternehmensanleihen zu kaufen, ist enorm hoch.

Wäre das eine gute Idee?
Die EZB hat sehr wenig Spielraum nach all den Maßnahmen, die sie bereits unternommen hat, und sollte daher nicht eingreifen, nur um zu zeigen, dass sie etwas tut. Sie sollte sich darauf konzentrieren, dass das Finanzsystem funktioniert – und das auch genauso kommunizieren. Wenn die Notenbank immer mehr zu einem fiskalpolitischen Akteur wird, riskiert sie ihre Glaubwürdigkeit und ihre politische Unabhängigkeit.

Die amerikanische Notenbank Fed hat am Dienstag außerplanmäßig mit einer deutlichen Zinssenkung reagiert. Werden weitere folgen?
Vermutlich ja. Was nicht heißt, dass sie das auch tatsächlich tun sollte. Die Fed ist in einer schwierigen Lage. Sie hat mit der Zinssenkung schon wieder die Märkte verunsichert.

Dabei sollte der Schritt doch eindeutig den Märkten und der Wirtschaft helfen.
Eine außerplanmäßige Zinssenkung und dann noch um 0,5 Prozentpunkte signalisiert eine Notsituation. Doch auf der Pressekonferenz versuchte Fed-Chef Jay Powell, den Schritt nur als eine Art Vorsorge darzustellen. Das wurde von den Märkten als Fehlkommunikation eingestuft. Nun fragen sich viele Marktteilnehmer, ob die Fed etwas weiß, was sie nicht wissen. Wenn es nicht die Wirtschaft ist, dann vielleicht etwas über das Finanzsystem? Solche Dinge haben Konsequenzen.

Wie lassen sich die Märkte beruhigen?
Ich würde mir um die Märkte nicht zu große Sorgen machen. Dort geht es nur um die kurzfristigen Forderungen. Daher sind sie nie zufriedenzustellen. Sie wollen stets mehr. Die Investoren haben sofort nach der Zinssenkung am Dienstag weitere Zinssenkungen eingepreist. Es ist erstaunlich, wie wenig die Fed von der Marktpsychologie versteht.

Was sollen Privatanleger in diesen turbulenten Zeiten beachten?
Im vergangenen Jahr hatten wir eine Reihe von Schocks, die darauf schließen ließen, dass unsere Welt unsicherer wird. Es gab den Handelskrieg, ein geringeres globales Wachstum, einen unerwarteten Angriff, der die Ölproduktion in Saudi-Arabien, um die Hälfte reduziert hat. Dennoch haben Investoren traumhafte Zustände erlebt. Der breit gefasste Aktienindex S & P 500 hat rund 30 Prozent zugelegt. Auch sichere Papiere wie Anleihen stiegen im Preis, dabei gab es praktisch keine Volatilität.

Das alles hat die heutige Lage noch volatiler gemacht. Man muss also verstehen, was für eine Art Anleger man ist: Wer ein sehr guter Day-Trader ist, der hat nun viele gute Chancen, Gleiches gilt für Leute, die sich mit Arbitrage auskennen. Alle anderen sollten sich sicher sein, dass sie mit ungewöhnlich hohen Kursschwankungen leben können.

Sie waren in der Finanzkrise 2008 Chef des größten Anleiheinvestors Pimco und haben die Entwicklungen sehr eng verfolgt. Wie besorgt sind Sie persönlich über die derzeitige Lage an den Märkten?
An dem Mittwoch im September, nachdem Lehman Brothers Insolvenz angemeldet hat, rief ich meine Frau von der Arbeit aus an und bat sie, zum Geldautomaten zu gehen und 400 Dollar abzuheben, das war das Tageslimit. Als sie mich fragte, warum, habe ich ihr geantwortet: Ich weiß nicht, ob die Banken morgen aufmachen.

Das klang damals vielleicht verrückt, aber wie wir aus den Memoiren des damaligen Finanzchefs Tim Geithner und des damaligen Notenbankchefs Ben Bernanke wissen, haben sie ernsthaft überlegt, die Banken zuzumachen, um einen Ansturm auf die Banken zu vermeiden. Damals ging es jedoch um die Zahlungs- und Abwicklungssysteme der Finanzinstitute. Es war also eine ganz andere Situation.

Haben Sie Ihre Frau letzte Woche angerufen und zum Geldautomaten geschickt?
Nein! Ich reise auch weiter, ändere mein Verhalten also nicht. Und: Das Bankensystem ist heute deutlich besser aufgestellt.

Herr El-Erian, vielen Dank für das Gespräch.