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Mehrwertsteuersenkung zeigt kaum Wirkung – Verband fordert dennoch eine Verlängerung

Es gibt keine Belege dafür, dass Konsumenten und Konjunktur von der Steuersenkung profitieren. In einer Branche stiegen sogar die Preise deutlich.

Im Lebensmittelhandel stiegen die Preise schon vor der staatlichen Maßnahme deutlich. Foto: dpa
Im Lebensmittelhandel stiegen die Preise schon vor der staatlichen Maßnahme deutlich. Foto: dpa

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat schon mehrfach eine Verlängerung der temporären Senkung der Mehrwertsteuer gefordert. Und nun setzt HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Genth noch einen drauf. Er bringt eine zunächst unbefristete Senkung der Steuersätze ins Spiel: „Die gesenkten Sätze sollten solange beibehalten werden, bis die Pandemie zuverlässig überwunden ist“, sagte Genth der „Welt“.

Der HDE greift in der Coronakrise offenbar nach jedem Strohhalm. Dabei müsste auch dem Verband klar sein, dass die Wirkung der Steuersenkung im besten Fall begrenzt ist. Genth selbst hatte schon vor der Einführung gewarnt: „Für die einzelnen Handelsunternehmen bringt das eher kaum spürbare Effekte.“

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Ende August bestätigte der HDE in einer Mitteilung, von der Steuersenkung gehe „kein starker Nachfrageeffekt aus“. Das hinderte Genth jedoch nicht daran, in der gleichen Mitteilung erstmals eine Verlängerung der Maßnahme zu verlangen.

Im Grunde gibt es jedoch keinerlei echte Belege für eine Wirksamkeit der Steuersenkung, die beim Staat nach eigener Einschätzung zu Einnahmeausfällen in Höhe von 20 Millionen Euro führen dürfte. Nach Einschätzung vieler Ökonomen, Händler und sogar der Kunden selbst verpufft die Wirkung.

Schon vor der Einführung waren laut ZDF-Politbarometer 85 Prozent der Konsumenten überzeugt, die Senkung helfe der Wirtschaft nicht. Und die Erfahrungen der ersten Wochen haben sie weiter desillusioniert: Bei einer Befragung Mitte August sagten gerade einmal zehn Prozent, dass sie durch die Steuersenkung mehr Lust hätten, einzukaufen – die restlichen 90 Prozent ließ die Maßnahme kalt. Und zwei Drittel der Befragten vermuteten, dass eher der Handel davon profitiere als die Konsumenten.

Doch auch bei den Händlern hält sich die Begeisterung in Grenzen. Einer der vehementesten Kritiker der Steuersenkung ist Drogerieunternehmer Raoul Roßmann. „Von ihr wird kein wirklicher Impuls ausgehen“, prophezeite er im Juni im Interview mit dem Handelsblatt. Letztlich werde die Mehrwertsteuersenkung wegen der allgemeinen Kaufzurückhaltung nur die Sparquote erhöhen.

Rossmann nimmt Rabatt zurück

Trotzdem zeigte seine Drogeriekette guten Willen und stockte die Senkung, die beim vollen Steuersatz bei knapp 2,5 Prozent gelegen hätte, sogar auf einen Rabatt von drei Prozent auf. Doch damit ist jetzt wieder Schluss: Seit Kurzem gibt Rossmann nur noch die tatsächliche Steuersenkung an die Kunden weiter.

Raoul Roßmann zeigte sich in seiner Ahnung bestätigt. „Wir halten nicht an Dingen fest, die viel Geld kosten und keine Wirkung haben“, sagte er der „Lebensmittelzeitung“. Die Senkung sei letztlich viel zu gering gewesen, um die Umsätze zusätzlich anzukurbeln. Auch zahlreiche andere Händler sehen kaum Effekte des Steuergeschenks.

Geradezu vernichtend fiel eine Umfrage des Steuersoftwareanbieters Lexware unter 2300 Kleinunternehmen und Selbständigen Ende September aus: 82 Prozent der Befragten sahen keine Auswirkung der Steuersenkung, sieben Prozent meldeten sogar geringere Ausgaben ihrer Kunden. Dabei hatten zwei Drittel der befragten Kleinunternehmen angegeben, dass sie die Steuersenkung komplett an ihre Kunden weitergeben – auch wenn viele von ihnen von der Wirkung nicht überzeugt sind.

Diesen Eindruck bestätigen auch Wirtschaftswissenschaftler: Eine Studie des IMK-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam zu dem Ergebnis, dass knapp 75 Prozent der Verbraucher trotz der geringeren Steuer ihr Konsumverhalten im zweiten Halbjahr 2020 nicht ändern wollen. „Der Konsumeffekt der Mehrwertsteuersenkung wird durch die Kaufzurückhaltung der Konsumenten beschränkt“, fürchtet auch Lars Feld, der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen. Er wies darauf hin, dass es keine eindeutigen Ergebnisse der empirischen Forschung gebe, ob die Senkung überhaupt in den Preisen weitergegeben werde.

Wie schwierig es ist zu beurteilen, ob die Kunden tatsächlich profitieren, zeigt sich beispielsweise im Lebensmittelhandel. So überboten sich die Händler schon im Juni mit Ankündigungen, dass sie die Mehrwertsteuersenkung vollständig an ihre Kunden weitergeben wollten, einige zogen die Senkung sogar freiwillig vor. Doch zugleich meldete das Statistische Bundesamt (Destatis) steigende Preise für Lebensmittel.

So legten die Lebensmittelpreise laut der Destatis-Statistik schon im April, Mai und Juni jeweils um mehr als vier Prozent zu, im Juli stiegen sie noch mal um ein Prozent. Erst in den Folgemonaten wurde der Anstieg auf 0,6 Prozent gebremst. Ob eine Mehrwertsteuersenkung dort Konjunkturwirkung gehabt hat, darf bezweifelt werden.