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Martin Suter startet die „Business Class“ neu

Der Schweizer Autor lässt seine berühmte Management-Kolumne wiederauferstehen – mit den Mitteln der Jetztzeit: Crowdsourcing, Social Media und Paid Content.

Führungskräften im deutschsprachigen Raum sagt man vieles nach. Selbstironie gehört eher nicht dazu. Und doch muss ein gewisses Talent durchaus vorhanden sein, über die eigenen Unzulänglichkeiten (oder wenigstens die der blöden Kollegen beziehungsweise Vorgesetzten) lachen zu können.

Sonst wäre Martin Suters „Business Class“ wohl kaum zur beliebtesten Kolumne rund ums gehobene Management avanciert. 15 Jahre lang hielt der Künstler den kleinen und großen Chefs den Spiegel ihrer eigenen Eitelkeiten und Wichtigtuereien vor, bis die Reihe im Jahre 2007 endete – aus mehreren Gründen.

Nach über 750 Kolumnen hatte sich Suter weitgehend ausgeschrieben, was den Wahnsinn in den Chefetagen angeht. Seine vielfältigen schriftstellerischen Arbeiten ließen zudem immer weniger Zeit für die Fron einer wöchentlich wiederkehrenden kleinen Form. Suter schreibt ja nicht nur Romane („Small World“, „Der Koch“, „Elefant“), sondern längst auch Drehbücher, Theaterstücke und, und, und ...

Vor allem aber: Die Medienkrise sorgte dafür, dass Suters Zeitungsabnehmer ihm seine einst ausgehandelte Traumgage von 2400 Schweizer Franken pro Kolumne schlicht nicht mehr zahlen konnten. Also schloss er sein Bestiarium von Vorstandsviechern lieber ganz. Der Diogenes-Verlag schaffte es dennoch, den „Business Class“-Enthusiasmus mit immer neuen Sammelbändchen am Köcheln zu halten.

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Nun aber soll das alte Projekt neu belebt werden – durchaus mit den Flipchart-Worthülsen moderner Markenkommunikation: Crowdfunding, Social Media, Paywall, Flatrate. Auf der Website martin-suter.com wird der Inhalt, Pardon: Content, ab Donnerstag zum Geschäftsmodell: Zweimal pro Monat soll auf dieser Bühne eine neue „Business Class“-Kolumne veröffentlicht werden.

Einmal pro Monat will Suter seinen ebenfalls einst erfolgreichen Kolumnenstar Geri Weibel reanimieren. Daneben könnte das virtuelle Schatzkästlein einzelne Kapitel künftiger oder nie erschienener Bücher, unveröffentlichte oder neue Texte präsentieren sowie Briefwechsel aus jener Zeit, als Suter auf dem Weg in seine dritte Karriere die erste mit der zweiten tauschte.

Der gebürtige Züricher war zunächst als Werber sehr erfolgreich und in der Branche schon mit Mitte 20 ein Star. Man muss das ja erst mal schaffen, dass der große Max Frisch einen der eigenen Werbesprüche kritisiert: „Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten. Sie arbeiten schließlich auch für Ihr Geld“, hatte sich Suter für eine Bank ausgedacht.

Und auch wenn er sich selbst als Agenturchef „viel zu weich und großzügig“ fand und gerade die Finanzbranche längst sehr kritisch sieht – damals verschaffte ihm sein Werbejob doch auch Zugang zu jenen Vorstandsetagen, die dann Bühne und Referenzpunkt seiner „Business Class“ werden sollten.

Nach dem Verkauf seiner Agentur machte Martin Suter als Kolumnist und Journalist weiter und begann schließlich sein drittes Leben als Schriftsteller. Schon mit seinem ersten Roman „Small World“ gelang der Durchbruch. Längst ist Suter einer der meistverkauften deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart.

Er will unterhalten, was ihn für manche im Literaturbetrieb durchaus verdächtig macht. Auch Verkaufszahlen als Maß eigener Popularität sind ihm durchaus wichtig. „Ich gehöre nicht zu den Autoren, denen es egal ist, von wie vielen Leuten sie gelesen werden“, schmunzelt er in seinem ruhigen Schweizer Timbre.

Umso alarmierter ist Suter, dass auch er sich nicht gegen die strukturellen Umwälzungen im Buchmarkt stemmen kann. „Platz eins auf der ,Spiegel‘- Bestsellerliste bedeutet heute weit weniger verkaufte Exemplare.“ Die Verkäufe gehen auf breiter Front zurück. Die Autoren, die Verlage, die Buchhändler, die Kritiker – alle verlieren an Relevanz. Und vor allem: Die Leser wandern ab: „Wenn ich heute in die Straßenbahn steige, starren dort alle nur noch auf ihre Handys oder Tablets“, resümiert Suter.

Man muss sich noch keine Sorgen um seine finanzielle Zukunft machen. Sein Anwesen auf Ibiza hat er zwar verkauft. Doch er besitzt noch immer einen Hof in Guatemala. Und vor Kurzem hat er sich ein Haus in Marrakesch gegönnt, auch wenn er mit Frau und Tochter mittlerweile die meiste Zeit in Zürich lebt. Suter gehört zu den Spitzenverdienern seiner Branche. Aber er merke es an sich selbst: „Von Netflix bis zur ‚New York Times‘ schaue ich mir heute fast alles auf dem Computer an.“

Wenn also die Leser nicht mehr im gleichen Maße wie früher zu ihm finden, will er ihnen eben entgegenkommen. So begann das Projekt Website, für das sich der 70-Jährige im vergangenen Jahr auch mit Twitter anfreundete – bis zu einer kleinen Affäre, die er selbst kaum zu erfinden gewagt hätte, so absurd klingt sie: Im November begann er, jeden Morgen kleine Gedichte zu twittern, die er sich morgens beim Rasieren ausdenkt.

Nach wenigen Tagen war plötzlich Schluss, der Account gesperrt. Moritz Bleibtreu und andere Künstlerfreunde Suters machten mobil, bis sich herausstellte, dass ausgerechnet Diogenes die Sperrung initiiert hatte. Im Verlag hatte man die Tweets für einen Fake gehalten, was dem Hause mittlerweile sehr peinlich ist.

Literatur als Digitalabo

Von solchen Widrigkeiten lässt sich Suter nicht aufhalten auf seinem Weg ins digitale Zeitalter. Er gründete eine GmbH für die neue Website. Und er holte sich die Designer der bekannten Agentur Hinderling Volkart zu

Hilfe. Nun steht das Projekt und wartet auf zahlende Kunden. Fünf Euro beziehungsweise sechs Franken in der Schweiz kostet die monatliche Suter-Flatrate. Das seien ja „nicht mal vier Liter Diesel oder eine Schachtel Zigaretten. Umweltfreundlicher und gesünder sind meine Kolumnen auch.“ Im Jahres-Abo wird’s noch billiger: 50 Euro oder 60 Franken.

Das Projekt ist nicht nur finanziell spannend, sondern inhaltlich ebenso. Immerhin hat sich auch in der „Business Class“ allerhand verändert, seit sie ihre großen Erfolge feierte: Vor 15, 20 Jahren gab es noch keine Weltfinanzkrise, keine Dieselaffäre, kein Faszientraining, iPhone, Design Thinking oder #MeToo. Da ist also eine Menge neuer Stoff entstanden, wenngleich Suter glaubt, dass sich die Führungskräfte in ihrem Wesen am Ende „erstaunlich wenig“ verändert hätten.

In einem Jahr will er schauen, ob sein selbst gestecktes Ziel an Abonnenten, das allerdings auch Suter nicht verraten möchte, erreicht sein wird. Eine fünfstellige Zahl von Fans dürfte man schon brauchen, um das Projekt dauerhaft rentabel zu machen. Andererseits gibt es heute ja Influencer mit einer Fanbase von Abermillionen. Und das sind Stars, die noch nicht mal geboren waren, als Suter schon seine „Business Class“ schrieb.

Noch ist die Website samt digitalem „Business Class“-Abo mehr ein Experiment als ein Distributionskanal. Aber Suter wäre nicht Suter, wenn er nicht auch dieses Projekt mit großer Lust an Perfektion angehen würde. Auch da ist er eine Ausnahmeerscheinung. Künstlern im deutschsprachigen Raum sagt man vieles nach. Ein Faible für Ökonomie gehört eher nicht dazu.

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