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Wie sich Manager beim Antiterrortraining auf den Ernstfall vorbereiten

Ein leises Geräusch lässt die Geschäftsleute erzittern. Durch die dünnen Wände des Hotels hören sie noch, wie vor der Tür die Waffe entsichert wird. Ein Klick, dann hallt ein Schuss durch die Gänge. Drinnen sprintet jemand zur Tür, stapelt Tische und Stühle notdürftig aufeinander, um den Zugang zu verriegeln. Andere stehen auf der Stelle oder laufen orientierungslos im Kreis.

„Hilfe!“, schallt es von draußen. „Das ist mein Kollege!“, ruft einer der Geschäftsleute und will die Möbelbarrikade wieder auseinanderbauen. Ein anderer Unternehmer hält ihn davon ab: „Nein, lass das!“ „Stopp!“, ruft David Hartmann. Der Ausbilder steht auf Gittern über dem Hotelzimmer und beäugt das Geschehen.

Alle atmen auf, obwohl der Terrorangriff nur gespielt war – als Teil eines Sicherheitstrainings. „Gut gemacht“, lobt er. „Die meisten machen die Tür auf.“ Ein Fehler. Dann wären auch die Angreifer im Hotelzimmer gewesen. Hartmann blickt auf die Gruppe. „Ihr braucht eine Struktur.“

Erste Erkenntnis: Nicht nur im Geschäft, sondern auch in Gefahrensituationen muss ein Team funktionieren – und einer die Führung übernehmen. Zweite Lehre: leise sein – auch wenn es in einer Extremsituation schwer sein mag. „Ihr seid viel zu laut gewesen“, schimpft Hartmann.

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Fünf Mal spielen die Manager den Überfall durch. Das hat einen durchaus ernsthaften Hintergrund. Vergangene Woche hatte ein Attentäter in Christchurch zwei Moscheen angegriffen und 50 Menschen umgebracht. In Utrecht starben zu Wochenbeginn drei Personen, weil ein Mann in einer Straßenbahn um sich schoss.

Die Teilnehmer des Sicherheitstrainings lernen, wie sie sich in solchen Situationen richtig verhalten. Sie wollen verstehen, wie Terrorristen taktieren. Das Ziel: einen Anschlag während einer Geschäftsreise möglichst unbeschadet überleben. Muss es zur Vorbereitung der Auslandsreise gleich ein Antiterrortraining sein?

„Das Risiko, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist minimal“, sagt Martin Bauer, der nach seiner Laufbahn beim US-Militär und dem diplomatischen Dienst nun Sicherheitsberater bei den Reisedienstleistern International SOS und Control Risks ist. Daher sollten Reisende sich zuerst über vergleichsweise banale, aber wichtige Probleme wie kulturelle Unterschiede oder die Gefahren des Straßenverkehrs im Zielland informieren.

In einem zweiten Schritt können Manager brenzligere Situationen durchspielen – zum Beispiel einen Terroranschlag. Oft genug stehen westliche Geschäftsleute im Fokus von Geiselnahmen und Entführungen. Erst im Januar hat die Terrormiliz Al-Shabaab ein Luxushotel in Kenia angegriffen und 21 Menschen getötet. In dem Gebäude hat auch der deutsche Softwareriese SAP seine Büros.

Die Mitarbeiter blieben zwar unbeschadet, doch der Fall zeigt: „Deutsche Manager werden in einigen afrikanischen und südamerikanischen Staaten als wertvolles Ziel angesehen“, sagt Christian Schaaf, Chef der Sicherheitsfirma Corporate Trust und zuvor Ermittler beim Bayerischen Landeskriminalamt. Entweder als Terrorziel oder um „sehr viel Geld zu erpressen“.

Das Interesse steigt

Trotz der Risiken sind Dienstreisen für hiesige Firmen unerlässlich. Schließlich beruht der Wirtschaftserfolg des Exportweltmeisters Deutschland auf Geschäften, die im Ausland geschlossen werden. 17,5 Millionen Geschäftsreisen in andere Länder zählte der Verband Deutsches Reisemanagement zuletzt. Unternehmen sind bei der Reiseplanung im Zwiespalt: Dort, wo es die wirtschaftlich interessantesten Projekte gibt, ist es häufig auch besonders gefährlich.

Und die Sorge über die Gefahren wächst: Seit zweieinhalb Jahren bietet Jörg Dreger verschiedene Sicherheitstrainings an. 750 Führungskräfte hätten im vergangenen Jahr mitgemacht, 300 mehr als im Jahr zuvor. Die neun Teilnehmer des heutigen Seminars, ausschließlich Männer, trotten vorbei an alten Fässern und einem ausrangierten Panzer zurück in den Besprechungsraum.

Das Übungsgelände ist mit Zäunen und Hecken abgeschirmt, liegt am Ende eines Feldwegs in der Provinz nahe dem Frankfurter Flughafen. Den Ort sollen nur wenige kennen, eigentlich trainieren hier Spezialeinheiten der Polizei und der Bundeswehr. Heute proben Geschäftsführer, leitende Angestellte und Unternehmer den Ernstfall.

So wie Jürgen Zinecker. Der 54-Jährige ist Chef von Axsol. Das Start-up entwickelt und produziert mobile Solarstromsysteme. Die werden vor allem dort gebraucht, wo es keine stabile Stromversorgung gibt. Deshalb ist Zinecker regelmäßig in Afrika – „ein Zukunftsmarkt“, sagt er. Aber mitunter gefährlich.

Vor einigen Monaten erlebte der Unternehmer an der Grenze zu Eritrea einen Schusswechsel, erzählt er, nur wenige Hundert Meter von ihm entfernt. Er blieb unverletzt. Seitdem dreht sich bei ihm das Gedankenkarussell: „Du musst dich damit auseinandersetzen, dass dir was passieren kann.“

Zinecker schaut in die Runde. In den Ecken stehen Puppen in Militärausrüstung, an den Wänden hängen Waffen, in Glasvitrinen liegen Projektile. Zu Zineckers Linken hat ein Mittelständler aus der Sicherheitsbranche Platz genommen. Er plant zwar nicht, in gefährliche Länder zu reisen, will aber verstehen, wie Terroristen ticken.

Ein Beamer projiziert die „Travel Risk Map“ an die Wand. Dunkelrot sind die Länder eingefärbt, in die eine Reise besonders gefährlich ist: Somalia, Afghanistan, Syrien, die Ostukraine. Afrika und Südamerika schimmern rot-orange. Europa, China und Nordamerika fallen durch ihre grün-gelbliche Färbung auf. Genauso wie Neuseeland. Hier müssen sich Reisende eigentlich nur wenig Sorgen machen. Doch ein Restrisiko gibt es überall.

Während sich Dax-Konzerne ganze Abteilungen für die Sicherheit ihrer Angestellten leisten und die Prozesse in Gefahrensituationen fast automatisiert ablaufen, fehlt kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dafür Zeit und Geld. Sie haben nur die Möglichkeit, sich extern weiterzubilden – und Seminare wie das von Dreger zu besuchen. „Handlungsfähig in unsicheren Zeiten“ hat er sein Antiterrortraining genannt.

„Das Thema Sicherheit wird ein entscheidender Wirtschaftsfaktor werden“, sagt Dreger. Irgendwie muss er das ja auch sagen. Mehr als 400 Euro kostet das Tagesseminar, im Schnitt sind zehn Teilnehmer dabei. Die Schlagzeilen in den Zeitungen sind gut für sein Geschäft. Früher hat er bei IBM gearbeitet und dort etwa das Mittelstandsgeschäft in Russland verantwortet. Das Land war damals unsicher, also spezialisierte sich Dreger auf das Thema.

Nun steht Terrortheorie auf der Agenda. Niemand redet, nur David Hartmann. Der wuchtige Mann mit dem Kurzhaarschnitt hat 17 Jahre in der israelischen Armee gedient, dort verschiedene Missionen geleitet, war im Staatsdienst tätig und leitet heute in Afrika eine Sicherheitsschule. „Bei Anschlägen in Schwellenländern sind westliche Ausländer oft das erste Ziel. Sonst würde niemand darüber berichten.“

Er zeigt Bilder von den Anschlägen im indischen Mumbai. 2008 kam es dort zu zahlreichen Explosionen, Morden und Geiselnahmen. Eine Situation, die seitdem als Blaupause für Anschläge wie etwa 2015 in Paris gilt. „Wenn ihr Fluchtwege plant, dann nicht durch den Supermarkt. Dort sind alle“, sagt er. „Besser ist ein Antiquitätengeschäft, dafür interessiert sich in der Krise niemand.“ Auch der Markt kann gefährlich werden. Denn bei einer Explosion wirken trockene Hülsenfrüchte wie zusätzliche Geschosse.

Scharfer Schuss zum Abschluss

Ausbilder Hartmann holt eine Kalaschnikow aus dem Nebenraum, 100 Millionen Mal produziert – „die opferreichste Waffe der Welt“. Auch in Mumbai kam sie zum Einsatz. Hartmann zeigt den Seminarteilnehmern, wie sich die Waffe mit wenigen Handgriffen unschädlich machen lässt, friemelt erst das Magazin, dann Verschlussfeder und Führungsstange und schließlich den Schlagbolzen aus der Waffe.

„Wenn ihr den habt, geht von der Waffe keine Gefahr mehr aus.“ Ein Ratschlag für Nervenstarke. Auch die nächste Übung ist heftig: Die Teilnehmer sollen einen Angreifer entwaffnen. Unternehmer Zinecker schlägt mit der Hand gegen den Lauf des Gewehrs und presst den Unterarm auf sein Gegenüber. Seminarleiter Dreger scheint zufrieden. Natürlich will er nicht, dass sich Geschäftsreisende in der Praxis den Terroristen im Nahkampf stellen.

Aber: „Wir wollen nichts ausschließen.“ Das Ziel der Übungen: Die Teilnehmer sollen über ihre Abwehrmöglichkeiten nachdenken – und die Scheu vor dem Kontakt mit der Waffe verlieren. Dazu dient auch der Abschluss des neunstündigen Trainings: 30 Minuten in der Schießhalle. In dem engen, fensterlosen Raum ziehen die Manager Gehörschutz und Schießbrille auf.

Jeder schießt mit der halbautomatischen Kalaschnikow. Scharf. Hartmann gibt Zinecker zehn Patronen, beobachtet, wie er sie ins sichelförmige Magazin einführt. Zineckers Zeigefinger drückt auf den Abzug. Das Gewehr knallt. Alle im Raum zucken zusammen. Der Unternehmer trifft neunmal ins Ziel. „Nicht schlecht“, sagt Hartmann.

Der Unternehmer nickt und verrät dann, dass er Jäger ist. Bei anderen landet die Kugel nur dreimal im Ziel. „Das ist egal“, sagt Dreger, der mit einigen Metern Abstand zuguckt. Ihm geht es darum, dass die Teilnehmer wissen, wie ein Schuss klingt und wie sich eine Waffe verhält.

Das zumindest dürfte etwas Sicherheit geben. Abschlussbesprechung. Alle sind erschöpft auf ihren Stühlen zusammengesackt. Zinecker packt seinen Block in die Tasche. Seine zehn Mitarbeiter will er zum nächsten Seminar schicken – „damit sie in einer Extremsituation nicht kollabieren“.