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Neues Bangen um die Lufthansa: Warum die Rettung durch den Staat plötzlich wackelt

Der Unternehmer und Lufthansa-Großaktionär Heinz Hermann Thiele fordert Änderungen am Hilfspaket. Die Politik lehnt dies ab, der Vorstand ist alarmiert – und warnt vor den Folgen.

Der erfahrene Unternehmer will die Airline ohne staatliche Intervention sanieren. Foto: dpa
Der erfahrene Unternehmer will die Airline ohne staatliche Intervention sanieren. Foto: dpa

Die mühsam ausgehandelte Rettung der Lufthansa wackelt – und das eine Woche vor der entscheidenden Hauptversammlung. Heinz Hermann Thiele, streitbarer Unternehmer und neben Knorr-Bremse und Vossloh auch Großaktionär bei Europas bedeutendster Fluglinie, fordert Nachbesserungen von der Bundesregierung. Er kritisierte unter anderem, dass die Regierung in ihrer Rolle als Anteilseigner den Abbau von Stellen und damit die Sanierung erschweren könnte.

Thiele kann nach der Aufstockung seiner Beteiligung von zehn auf 15 Prozent mit einem Veto das Rettungspaket und damit auch die Hilfen in Höhe von neun Milliarden Euro womöglich blockieren, wenn die Aktionäre auf der Hauptversammlung am 25. Juni darüber abstimmen. Angesichts der für gewöhnlich schwachen Aktionärspräsenz bei Hauptversammlungen der Lufthansa geht im Konzern nun eine gewisse Furcht vor dem 79-Jährigen um.

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Noch am Mittwoch wollten Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Personalvorstand Michael Niggemann nach Handelsblatt-Informationen zu Thiele reisen, um das Rettungspaket nochmals im Detail zu erläutern. Gleichzeitig will die Lufthansa laut Branchenkreisen versuchen, Thiele und den Bund an einen Tisch zu bekommen.

Ob der Konflikt beigelegt werden kann, ist offen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte auf Nachfrage: „Das ist verhandelt. Punkt.“ Wegbegleiter von Thiele schließen allerdings nicht aus, dass er im Zweifel sogar dazu bereit wäre, den Eigenkapitalanteil des Bundes in Höhe von fünf Milliarden Euro zu übernehmen. Der Lufthansa-Vorstand warnte indes vor den Folgen eines möglichen Vetos: „Dies würde bedeuten, dass die Lufthansa möglicherweise zeitnah ein insolvenzrechtliches Schutzschirmverfahren beantragen müsste.“

Eines hat Heinz Hermann Thiele jedenfalls schon erreicht. Nicht mehr die Bundesregierung ist diejenige, die über die Rettung von Lufthansa entscheidet. Es ist der Unternehmer mit Wohnsitz in München. Er ist der entscheidende Akteur, wenn am Donnerstag kommender Woche die Aktionäre in einer virtuellen Versammlung über das milliardenschwere Rettungspaket der Bundesregierung abstimmen werden. Bei der erwarteten Beteiligung dürfte Thiele eine Sperrminorität haben.

Der deutsche Staat wird bei Annahme des Pakets einen Anteil von 20 Prozent an Europas umsatzstärkster Airline-Gruppe erhalten – zum Vorzugspreis. Der Bund wird die Aktien zum Bruchteil des Betrags erhalten, den Thiele bezahlt hat. Dieser Umstand störe den 79-Jährigen erheblich, wie es in informierten Kreisen heißt. Im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bezweifelte der Unternehmer zudem die Eignung eines Staats im Generellen, der richtige Eigentümer zu sein.

Wenn nun die Aktionäre über die Rettung abstimmen, dann wird entscheidend sein, wie das Votum von Thiele ausfällt. Er selbst sieht sich bislang nicht ausreichend über die Einstiegspläne des Bundes informiert. Es ist für ihn fraglich, ob die Verhandlungsführer der Lufthansa auch wirklich das Beste herausgeholt haben.

Ob er am Donnerstag kommender Woche zustimmt oder nicht, darüber schweigt Thiele sich auf Anfrage des Handelsblatts aus. Lehnt er das Paket ab, dann platzt der Deal mit der Bundesregierung. Das Management der Lufthansa müsste wohl unverzüglich die Zahlungsunfähigkeit erklären. Die Lufthansa sähe sich dann allein schon aus dem laufenden Geschäft heraus mit hohen Forderungen konfrontiert, die sie nicht bedienen könnte. Für diesen Fall will der Konzern das sogenannte Schutzschirmverfahren beantragen, also eine Sanierung in Eigenregie.

Im Sinn von Thiele kann das nicht sein. Am Dienstagabend hatte der umtriebige Unternehmer bekanntgegeben, dass er seinen Anteil an Lufthansa von zehn auf 15 Prozent aufgestockt hat. Mit der Nachricht überraschte er Vorstand und Aufsichtsrat. Zumal er das zusätzliche Investment – das ihn rund 250 Millionen Euro gekostet haben dürfte – mit einer deutlichen Kritik an der Konzernführung und am geplanten Rettungspaket verband.

Spohr habe die Rettung mit dem Staat nicht intensiv genug verhandelt, bekräftigte Thiele und forderte, das Paket noch einmal zu öffnen. Auch sei die nun geplante Lösung als alternativlos dargestellt worden, andere Möglichkeiten seien nicht ausgiebig genug erörtert worden. „Die Lufthansa braucht für Sanierung und Gesundung keine Staatsbeteiligung“, sagte er. Mit der Staatsbeteiligung könnte die notwendige Sanierung erschwert werden.

Das sind gewichtige Worte, das weiß auch Vorstandschef Carsten Spohr. Thiele gilt als jemand, der seine Ziele recht rücksichtslos durchsetzen kann. Das hat er mehrfach bewiesen. Vielleicht will er sich nun zum Retter der „Hansa“ machen. Langjährige Wegbegleiter halten das nicht für ausgeschlossen.

Teil des neun Milliarden Euro schweren Rettungspakets sind zum einen eine stille Einlage des Bundes in Höhe von 4,7 Milliarden Euro, die bilanziell als Eigenkapital gewertet wird. Zum anderen zahlt der Bund 300 Millionen Euro für 20 Prozent an dem Unternehmen. Beide Posten – also fünf Milliarden Euro – könnte Thiele selbst übernehmen. Der Staat wäre damit raus. Doch dabei spielt der Bund wohl nicht mit.

Politik hält am Rettungspaket fest

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte am Mittwoch am Rande einer Veranstaltung, dass er kein Scheitern der Rettung fürchte. Er sei mit der Vereinbarung „sehr zufrieden“. Die Zustimmung der Aktionäre hält er für sicher, auch ohne Nachbesserungen zugunsten der Eigentümer. Die Bürger hätten sich aus der Zeit der Finanzkrise eine „berechtigte Empörung bewahrt“. Der Staat habe in der Finanzkrise mit Steuergeld viel gerettet, es könne aber nicht sein, dass er nur für Risiken und Verluste zuständig sei. „Das kann nicht noch mal so laufen.“ Daher handle es sich um „eine gut abgewogene Lösung“, sagte Scholz.

„Thiele ist ein wertkonservativer Unternehmer. Und Knorr-Bremse reicht ihm nicht, er will auch bei Lufthansa zeigen, wie wichtig echtes Unternehmertum ist“, sagte ein Wegbegleiter. Zudem schätzt er das Unternehmen, zählt zu den besten Kunden der „Hansa“ in der First Class.

Doch seine Verbalattacken kommen in einer äußerst sensiblen Phase. Sollte die Präsenz bei dem Aktionärstreffen unter 50 Prozent liegen, ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Die könnte Thiele mit seinen 15 Prozent unter Umständen blockieren. Beim letzten Aktionärstreffen Anfang Mai betrug die Präsenz bescheidene 33 Prozent. Für das neue Treffen geht man intern bei Lufthansa davon aus, dass es erneut kaum mehr als 40 Prozent des Grundkapitals werden.

Gegenwind braucht Thiele auf dem Treffen eigentlich nicht zu fürchten. Die meisten Fonds haben ihre Beteiligung aufgelöst oder abgebaut. Die Profianleger aber wären die, die das Management wohl noch am ehesten vom Rettungspaket überzeugen könnten. Nun aber ist der Anteil der Privatanleger auf gut 60 Prozent gestiegen. Das macht die Sache riskant, denn viele werden wohl nicht teilnehmen.

Dass Thiele selbst nichts zu seinem Abstimmungsverhalten sagt, macht es kompliziert. Die Aufstockung sei kein Signal, auf der Hauptversammlung gegen irgendetwas zu stimmen, erklärte er lediglich. Er habe sich noch keine abschließende Meinung gebildet. „Ich werde aber sicherlich hier nicht blockieren oder ausbremsen. Ich hoffe vielmehr, dass noch im Vorfeld etwas bewirkt und in Bewegung gebracht werden kann“, sagte der Unternehmer im Interview mit der „FAZ“.

Es seien nicht alle Möglichkeiten bei der Rettung des Unternehmens berücksichtigt worden. Und schließt eine Insolvenz dabei ausdrücklich mit ein: „Es könnten sich daraus ebenso neue Möglichkeiten ergeben, auch wenn natürlich das Risiko steigt.“

Die Lufthansa hat indes sehr wohl verschiedene Szenarien geprüft. Neben einer Beteiligung des Staats hatte das Management als Alternative eine Insolvenz in Eigenverwaltung durchgespielt. Dieses sogenannte Schutzschirmverfahren wäre die Option gewesen, wenn das Geld knapp geworden wäre, hieß es in Konzernkreisen. Allerdings wäre auch dann ein staatlicher Kredit nötig gewesen, der auch noch schnellstmöglich zurückgezahlt werden müsste. Löhne, Schulden und auch die sonstigen Verträge könnten nachverhandelt, die Kostenbasis könnte erheblich gesenkt werden.

Viel Zeit für eine Lösung bleibt nicht mehr

Der Nachteil, so die interne Analyse: Die Aktionäre würden de facto enteignet werden. Zudem wäre der Bestand der Lufthansa als Gruppe gefährdet, und die Folgen auf das operative Geschäft wären nicht kalkulierbar. Es gäbe nur Verlierer – auch Thiele selbst, wie es hieß.

Außerdem hatte das Konzernmanagement zwischenzeitlich eine Lösung angeboten, bei der der Staat mit zehn Prozent direkt beim Unternehmen einsteigt. Das hätte einen Beschluss der Hauptversammlung überflüssig gemacht.

Denn beim letzten ordentlichen Aktionärstreffen hatte sich das Management einen Vorratsbeschluss über Kapitalmaßnahmen im Volumen von zehn Prozent des Grundkapitals absegnen lassen. Den Schutz vor Übernahmen, der Teilen der Bundesregierung wichtig ist, hätte man vertraglich regeln können. Doch am Ende scheiterte auch diese Variante, nicht zuletzt am Widerstand der SPD.

Mit dem Vorpreschen von Thiele steigt nun der Druck, die Kosten schnell zu senken. Seit Wochen wird über das Thema verhandelt. 22.000 Vollzeitstellen werden in den kommenden Jahren im Konzern zu viel sein, weil die Nachfrage sich erst langsam wieder erholen wird.

Die Hälfte davon entfällt auf Deutschland. Allein bei der Kernmarke Lufthansa sind knapp 5000 Stellen betroffen, davon die von 600 Piloten, 2600 Flugbegleitern und 1500 Bodenmitarbeitern. Hinzu kommen 1400 Stellen in der Administration. Ähnlich sieht es bei Tochtergesellschaften wie AUA, Swiss, Brussels, Lufthansa Technik oder dem Cateringbereich aus.

Bis kommenden Montag, so fordert es das Management, muss feststehen, welchen Beitrag das Personal zur Sanierung leistet. Die Forderungen sind massiv. Um möglichst viele Jobs zu erhalten, sollen die Mitarbeiter auf bis zu 30 Prozent des Einkommens verzichten, kürzer arbeiten und auch Zugeständnisse bei der Altersvorsorge machen. Für die Gewerkschaften, Betriebsräte und letztlich vor allem für die 138.000 Mitarbeiter des Konzerns ist das äußerst schwere Kost.

Mit seiner Aufstockung und der harschen Kritik am Verhandlungsergebnis bringt Thiele eines zum Ausdruck: Er ist unzufrieden mit dem bislang Erreichten. Und er wurde offenbar nicht ausreichend von der Lufthansa-Leitung über die Entwicklungen informiert. Direkte Gespräche hatte es selten geben. Wohl auch, weil die Furcht vor ihm in der Führung umging. In den wenigen Kontakten habe Thiele zum Ausdruck gebracht, dass er gegen das Rettungspaket klagen könnte.

Um diese Kommunikationslücke zu überbrücken, könnte der frühere Airbus-Chef Tom Enders einspringen. Er ist zugleich Vertrauter des Milliardärs und Aufsichtsrat der Fluggesellschaft. Außerdem sitzt er in dem Kontrollgremium bei Knorr-Bremse, einer von Thiele kontrollierten Firma. Der Manager votierte gegen das Paket im Aufsichtsrat, er ist als solcher aber auch verpflichtet, das Beste für das Unternehmen herauszuholen. Dazu könnte er vermitteln zwischen den Parteien.

Lufthansa-Chef Spohr dürfte über das eine oder andere kritische Wort auch in seine Richtung gar nicht so böse sein. Der früherer Pilot hat selbst immer wieder dafür plädiert, den Einstieg des Staats möglichst niedrig zu halten. Doch am Ende war es vor allem die SPD mit Olaf Scholz, die auf einer Sperrminorität von am besten 25 Prozent pochte.