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Das sind Kramp-Karrenbauers Pläne für ihren Weg ins Kanzleramt

Die Runde schien keinen inneren Zusammenhang zu haben: Auf Einladung von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer versammelten sich in der letzten Sitzungswoche vor Ostern am Mittwochabend rund 30 CDU-Bundestagsabgeordnete, darunter stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Wirtschaftspolitiker, Umwelt- und Agrar- sowie Innen- und Digitalpolitiker oder auch Familienpolitiker aus allen Teilen der Republik.

Und doch gab es einen Grund, warum die Parteichefin gerade sie ins Konrad-Adenauer-Haus eingeladen hatte: Die Abgeordneten gehören zu ihrem Unterstützerkreis, der ihr im vergangenen Jahr geholfen hatte, das Rennen zwischen Friedrich Merz, Jens Spahn und ihr für sich zu entscheiden.

18 Stimmen mehr hatte sie seinerzeit auf dem Bundesparteitag in Hamburg. 18 Stimmen, die ihr nun den Weg ins Kanzleramt ebnen sollen – vielleicht schon nach der Europawahl, spätestens aber 2021 bei der nächsten regulären Bundestagswahl.

Ihre Freunde durften sich über Hähnchen und Wein freuen, während die Saarländerin Kramp-Karrenbauer in ihrem Eingangsstatement gleich klarstellte, dass es ihr um Inhalte gehe. Sie berichtete, dass es ein Werkstattgespräch zum Klimaschutz geben werde und dass ihr Mentor, Klaus Töpfer, eine Kommission leiten und Vorschläge für eine Versöhnung von Ökonomie und Ökologie vorlegen werde. Es ging um Organspenden und um viele andere Fragen, die die Abgeordneten bewegen. Worum es nicht ging: Um Angela Merkel, um einen Wechsel im Kanzleramt, über ein mögliches Jamaika-Bündnis oder: um Friedrich Merz.

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Dabei weiß auch AKK um all die Gerüchte, die von Tag zu Tag zunehmen. Seit Kanzlerin Angela Merkel ankündigte, nicht mehr über 2021 hinaus Kanzlerin sein zu wollen, und im Dezember das Parteiamt abgab. Hatte sie nicht selbst immer gesagt: „Für mich gehören diese beiden Ämter in eine Hand, um auch eine stabile Regierung führen zu können“? Also fragen sich im politischen Berlin alle: Wie lange noch? Wann und wie wird Merkel den Stab an Annegret Kramp-Karrenbauer abgeben, gelingt es überhaupt und – wird Friedrich Merz dabei eine Rolle spielen?

In der CDU-Zentrale versucht man all diese Fragen als Spekulationen des nervösen Berliner Politik- und Medienbetriebs abzutun. Solche Treffen wie das am Mittwoch mache AKK schon länger. Das ist richtig. Aber man kann es auch so deuten: Seit Monaten, eigentlich schon seit Kramp-Karrenbauer im Februar 2018 Generalsekretärin der CDU wurde, bereitet sie sich akribisch auf den Tag vor, an dem sie nicht nur wie im Dezember den Parteivorsitz übernehmen wird, sondern auch die Regierungsgeschäfte.

Alles begann damit, das Kramp-Karrenbauer nach ihrer Wahl dem Wunsch der Partei folgte und die Debatte um ein neues Grundsatzprogramm anstieß. 40 Kreisverbände besuchte sie daraufhin allein auf ihrer als „Zuhörtour“ titulierten Vorstellungsrunde durch die Parteigliederungen.

Es folgten etliche weitere Termine vor Ort, die sie noch weiter intensiviert hat, seit sie die Partei führt. In diesem Jahr wird die „Antworttour“ veranstaltet, bei der sie wieder die Parteibasis besucht. „Sie hat viel Zeit als Vorsitzende, die sie nutzt“, heißt es in der Partei. In der Tat: Sie muss kein Ministerium leiten, Staatsbesuche absolvieren oder als Abgeordnete einen Wahlkreis pflegen. Also nutzt sie die Zeit, um den Wechsel ins Kanzleramt vorzubereiten – und das alles „in gutem Einvernehmen“ mit Merkel, wie in der CDU betont wird.

Weil sie die Wahl so knapp gewonnen hat, muss AKK vor allem den Wirtschaftsflügel der Partei befrieden, der Friedrich Merz nahesteht. Sie nehme „jede Einladung an, die aus der Wirtschaft kommt“, berichten Vertraute. Darüber hinaus hat sie etwa den Parlamentskreis Mittelstand (PKM) direkt im Januar bei dessen Neujahrsempfang besucht. Es ist die größte soziologische Gruppe der Fraktion, in der sich etliche Merz-Unterstützer versammeln.

Deren Chef, Christian von Stetten, gehörte zu den maßgeblichen Merz-Förderern und freut sich, dass seine Gruppe inzwischen 164 der 246 CDU/CSU-Abgeordneten hinter sich schart und entsprechend Macht hat. Ohne den PKM, das weiß auch Kramp-Karrenbauer, wird sie nicht die nötige Mehrheit in der Fraktion bekommen, sollte ihre Wahl zur Kanzlerin doch noch vor einer regulären Bundestagswahl anstehen.

Die Debatte um Merz kommt Kramp-Karrenbauer da nur recht, und auch gemeinsame Auftritte wie kürzlich im Sauerland stören sie nicht. Auch nicht, dass er als designierter Vizechef des Wirtschaftsrats mehr Präsenz zeigt oder gar für die CDU in Thüringen im Europawahlkampf auftreten wird und womöglich im Sommer noch in Sachsen und Brandenburg.

Allerdings lässt sie sich nicht in die Karten schauen, wie ein erstes Kabinett Kramp-Karrenbauer aussehen könnte, mit oder ohne Merz. In ihrem Umfeld heißt es, Merz sei „kein Zauberer der Wirtschafts- und Steuerpolitik“. Auf jeden Fall dürfte es viele neue Gesichter geben, da die aktuellen CDU-Minister bis auf Jens Spahn keine gute Figur machen.

PKM-Chef von Stetten zumindest fordert: „Unserer Partei und unserem Land geht es nicht so gut, dass wir auf jemanden wie Friedrich Merz im Kabinett verzichten können.“ Der Satz heißt aber auch, dass die Merz-Anhänger ihren Frieden mit Kramp-Karrenbauer geschlossen haben und ihren Führungsanspruch akzeptieren.

Man hat die Annäherungsversuche der neuen Parteichefin zufrieden registriert. „Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich bereits großen Rückhalt in der CDU erarbeitet, und zwar flügelübergreifend“, sagt Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, der auch Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU ist. „Dabei geht sie genau richtig vor: Sie versucht bei vielen Themen, einen Schritt weiterzugehen als die Regierung, etwa beim Abbau des Solidaritätszuschlags. Das ist wichtig, damit wir endlich wieder als Partei erkennbar werden und nicht als Erfüllungsgehilfe der Regierung.“

So loben viele in Partei und Fraktion, dass AKK gegen den Widerstand des Kanzleramts ein Werkstattgespräch zur Flüchtlingskrise durchgesetzt und darin klargestellt hat, dass notfalls die Grenzen kontrolliert werden, wenn eine Situation wie 2015 noch einmal eintreten sollte. „Eine 180-Grad-Wendung“ nennen das alle Merkel-Kritiker, womit die neue CDU-Chefin die Innenpolitiker und die gesamte CSU versöhnlich stimmt.

„Sie schreibt mit, fragt nach und tritt nicht als Bundeskanzlerin auf, sondern mit Demut vor dem Amt und dem nötigen Fleiß“, berichtet ein Abgeordneter, der Friedrich Merz auf dem Parteitag seine Stimme gab. Ohnehin hört sie viel zu, telefoniert ohne Unterlass quer durch die Republik. Nach und nach will sie weiter jeweils 30 Abgeordnete zum Essen in die Parteizentrale einladen und trifft sich mit Kritikern sogar auch unter vier Augen oder besucht schwierige Kreisverbände. „Sie ist sich für nichts zu schade“, heißt es.

Bei den Arbeitsgruppen der Fraktion war sie schon, an den Sitzungen des geschäftsführenden Fraktionsvorstands nimmt sie teil, an den Fraktionssitzungen ohnehin und setzt stark auf die jungen Abgeordneten in der Fraktion, die mit ihr natürlich eigene Karrierechancen verbinden. Der Kontakt zu den Ministerpräsidenten sei auch eng.

Darüber hinaus informiert sie sich bei all den Themen, die ihr als ehemalige saarländische Ministerpräsidentin nicht zugetraut werden: Dazu gehört vor allem die Außen- und Sicherheitspolitik. Indes sitzt sie jeden Tag bei der Morgenlage von Kanzlerin Merkel dabei und lernt so als Praktikantin in der Machtzentrale.

Im Koalitionsausschuss bestimmt sie ohnehin inzwischen die Agenda und übt so die Zusammenarbeit mit der SPD ein. Parallel, so berichten Insider, gebe es natürlich Gespräche mit FDP und Grünen, bei denen Schnittmengen, aber auch Menschliches ausgelotet werden. Es soll nichts schiefgehen, wenn der Tag X da ist.

Das ist nicht nur der Wunsch von AKK, sondern auch die Erwartungshaltung ihrer Partei. „Am Tag nach der Europawahl müssen wir anfangen, an unserem Programm für die Bundestagswahl zu arbeiten“, fordert Unionsfraktionsvize Linnemann. „Wann auch immer die stattfindet, wir müssen vorbereitet sein.“ Die Partei müsse noch stärker in die Offensive kommen und eigene Themen setzen. AKK kann das glaubwürdig tun, weil sie eben nicht zur Regierungsmannschaft gehört.

„Wir müssen als Partei noch stärker mit eigenen Themen in die Offensive kommen und eigene Themen setzen“, meint Linnemann. Das Programm für die Bundestagswahl, so der Wirtschaftspolitiker, brauche „unmissverständliche Aussagen, eine klare Prioritätensetzung und den Mut, thematisch zuzuspitzen“. „Da muss der Wirtschaftsflügel mal einen Punkt ohne Abstriche setzen können und ebenso der Arbeitnehmerflügel.“ Das passt zu Kramp-Karrenbauers Strategie, die im Kampf um den Parteivorsitz damit geworben hatte, sie wolle die CDU als Volkspartei der „ganz breiten“ Mitte aufstellen.

Das genaue Datum ihres Rückzugs hat allein Kanzlerin Merkel in der Hand. Vielleicht ist es nach der Europawahl so weit, sollten Stimmverluste Merkel angelastet werden. „Geht die Wahl gut aus, dann wird Kramp-Karrenbauer direkt als Kanzlerkandidatin gehandelt“, heißt es in der Partei.

Käme es zum Wechsel im Amt, dann könnte sich dies positiv auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen auswirken, würde der AfD doch das Feindbild Merkel fehlen. Kramp-Karrenbauer jedenfalls bereitet schon eine Sommertour vor, bei der sie die ländlichen Gebiete aufsuchen will, jene Gebiete der Abgehängten, in denen die AfD Erfolge feiert.

Bleibt die Frage, wie sich etwa die SPD verhält, wenn es zum Schwur käme. Eine Teilantwort ließ sich vor einigen Tagen in Washington finden. Dort traf SPD-Vizekanzler Olaf Scholz bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) die globale Finanzelite, saß am Tisch mit IWF-Chefin Christine Lagarde, sprach mit seinem US-Kollegen Steven Mnuchin. Es ging um die großen Themen, die Weltkonjunktur, Handelskonflikte, eine globale Mindeststeuer. Vor allem ging es Scholz aber auch um: Scholz. Das IWF-Treffen ist eine der Bühnen, auf denen er sich als kanzlertauglich präsentieren kann.

Dass Scholz sich dieses Amt zutraut, daran lässt er keinen Zweifel. Aber die Deutschen muss er auch überzeugen. Angesichts von Umfragewerten der SPD von 18 Prozent, könnte man einwenden, dass die Genossen eigentlich nicht über einen Kanzlerkandidaten nachzudenken brauchen. Doch Scholz’ Leute glauben, dass nach vier Niederlagen gegen Merkel nun alles anders werden könnte, dass es einen echten Vorteil gibt: Scholz kann mit Regierungsverantwortung punkten, AKK nicht.

Und das soll nach Wunsch der SPD so bleiben, weshalb die Antwort, ob die SPD AKK zur Merkel-Nachfolgerin wählen würde, recht eindeutig ausfällt. „Nein“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. „Wir sind eine Koalition unter Angela Merkel eingegangen. Wir haben Angela Merkel gewählt. Damit ist alles gesagt.“

Ist es das? In der Union ist sich da nicht jeder so sicher. Die SPD hatte bei der Bundestagswahl 2017 noch 20,5 Prozent. Nun verharrt sie seit langer Zeit bei unter 20 Prozent. Besserung ist nicht in Sicht. Einige SPD-Abgeordnete müssten also fürchten, bei Neuwahlen ihr Mandat zu verlieren. Würden sie nicht doch im Bundestag AKK wählen?

Ausgeschlossen ist derzeit wenig. Selten gab es in den Berliner Politikgleichungen so viele Variablen, waren die nächsten Schritte so schwer zu kalkulieren. Umso intensiver sind die Vorbereitungen auf den Tag X.