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Sonderermittler soll Fehler der Behörden aufklären

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft rechtfertigte sich im Landtag zum Fall Anis Amri. Ein Sonderermittler soll bis Ende März ein Gutachten liefern. Aus der Opposition kommt scharfe Kritik.

Wenn Zwischenrufe oder Gemurmel im nordrhein-westfälischen Landtag ertönen, hebt sich die Stimme der SPD-Politikerin. Als es Einwürfe bei den Fragen zu sicheren Herkunftsstaaten gibt, motzt sie den CDU-Politiker in der dritten Reihe an, er solle wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass dies Scheindebatten der Regierung seien, um die Verfehlungen bei wirklich sicherheitsrelevanten Themen zu vertuschen. Applaus von SPD und Grünen, entrüstete Rufe aus den Reihen der Opposition. Wer heute eine sachliche und aufklärungsorientierte Debatte in Düsseldorf erwartet hatte, wird enttäuscht.

Dafür ist sowohl die bevorstehende Landtagswahl im Mai verantwortlich, als auch die anhaltende Diskussion um den Fall Anis Amri. Heute will der Landtag noch einmal auf die Abläufe vor dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten eingehen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte zunächst die Sicht der Regierung dargelegt. Nun muss sie sich den Fragen der Opposition stellen.

Die Ministerpräsidentin gerät beim Thema Innere Sicherheit stark unter Druck, weil sie ihrem nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) immer noch den Rücken stärkt, während die Opposition aus CDU, FDP und Piraten der SPD-Politikerin vorwirft, Fehler im Fall Amri nicht einzugestehen. Der Attentäter Anis Amri hatte zeitweise in Nordrhein-Westfalen gelebt, für sein Asylverfahren waren nordrhein-westfälische Behörden zuständig. Außerdem war der Tunesier auch in NRW als Gefährder eingestuft worden. Die FDP fordert die Entlassung Jägers. Er stehe einer gründlichen Analyse der Fehler im Weg.

Hannelore Kraft betonte in ihrer Rede immer wieder, dass der Terror es nicht schaffen werde „Hass und Zwietracht zu säen“. In Nordrhein-Westfalen sei Weltoffenheit „gelebte Realität“, gleich welcher Herkunft. Zur Aufklärung im Fall Amri kündigte Kraft einen Sonderermittler an, der bis Ende März ein objektives Gutachten liefern soll. Ermitteln wird der Experte für Strafrecht und Strafprozessrecht Bernhard Kretschmer von der Universität Gießen.

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Als erste Lehre aus dem Fall Amri forderte Kraft außerdem niedrigere Hürden für die Abschiebe- oder Sicherungshaft von terrorbereiten Gefährdern in Deutschland. Die Politik sei es den Opfern und Angehörigen schuldig, die Vorgänge um den Anschlag aufzuklären und notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Die Opposition bleibt skeptisch.

Bislang dürfe nur der in Abschiebehaft genommen werden, wer binnen drei Monaten zurückgeführt werden könne, kritisierte Kraft. „Wir brauchen eine flexiblere Regelung, damit die Abschiebung von Gefährdern nicht an dieser Hürde scheitert.“ Der Bund hat bereits angekündigt, die Drei-Monats-Frist zu streichen.

Zugleich rief Kraft dazu auf, die Kritik an den Behörden zu mäßigen. Der Fall müsse hart in der Sache, aber verantwortungsvoller im Ton geführt werden. „Wenn Kritik maßlos und übertrieben wird, dann dient das nicht der Sicherheit in diesem Land“, sagte Kraft. Dies gelte auch in Zeiten des Wahlkampfes.

Armin Laschet, CDU-Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen geht das nicht weit genug, er forderte einen eigenen Untersuchungsausschuss. Auch, so betonte Laschet, damit ein Wahltag nicht noch einmal dazu führe, „dass wir Arbeit einstellen und sagen wir reden nach der Wahl weiter.“ So wie nach beim Loveparade-Unglück in Duisburg vor sechs Jahren, wo nicht alles für eine lückenlose Aufklärung getan worden sei, kritisierte Laschet. Innenminister Jäger warf er außerdem vor, Anis Amri nicht festgesetzt zu haben. Damit habe Jäger den Rechtsstaat beschädigt, nur damit er sich aus der Schusslinie nehmen konnte, ruft Laschet sichtlich erregt. Jäger hatte behauptet, dass man im Fall Amri bis „an die Grenzen des Rechtsstaates gegangen“ sei. Außerdem warf er der Landesregierung mangelnden Aufklärungswillen vor. „Sie haben viele, viele Fragen erneut offengelassen“, sagte Laschet.

Kritik gab es auch von Joachim Stamp, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der NRW-FDP und Mitglied des Innenausschusses. Er forderte zum wiederholten Male den Rücktritt Jägers. Die FDP hatte bereits ein eigenes Gutachten bei einem unabhängigem Rechtsexperten in Auftrag gegeben. Das Fazit des Gutachtens: An die Grenze des Rechtsstaates seien die NRW-Behörden nicht gegangen. Jäger wies die Vorwürfe abermals zurück und verteidigt das Vorgehen seiner Behörden trotz alldem erneut. Das Gutachten der FDP nannte er „unvollständig“. Es habe rechtlich keine Handhabe gegeben, den islamistischen Gefährder aus dem Verkehr zu ziehen, sagte er vor dem Landtag.

Für eine Bewertung sei es noch zu früh, „Schuldzuweisungen sind unseriös, solange keine umfassende Analyse vorliegt“, so Jäger. Um eine Wiederholung eines Falls Amri zu verhindern, sollten rechtsstaatliche Befugnisse „mit Augenmaß“ erweitert werden.

Seit Tagen ringen die Fraktionen von SPD und Grünen um Einigkeit in entscheidenden Fragen beim Thema Innerer Sicherheit, wie einer elektronischen Fußfessel und der Anordnung einer Abschiebehaft für Gefährder. Ein Teil-Kompromiss wurde in der Frage der Abschiebungen nach Afghanistan erzielt. Eine Chartermaschine mit 45 ausreisepflichtigen Asylbewerbern startete am Montag in Deutschland.

Die CDU-Opposition treibt die Rot-Grüne Landesregierung mit einem Zwölf-Punkte-Plan zur Terrorismus-Bekämpfung vor sich her. Dieser wird ebenfalls heute vorgestellt. Das Plenum soll über den Plan abstimmen und stimmt im Wesentlichen mit den Vorschlägen überein, die Laschet vor wenigen Wochen dem Vorstand der CDU-Bundespartei vorgestellt hatte. Hinzugekommen ist aber eine Forderung nach mehr Möglichkeiten für eine Überwachung von Gefährdern: „Nach geltendem Polizeirecht können Gefährder bestenfalls observiert werden“, heißt es in dem CDU-Antrag, der auch neue rechtliche Grundlagen für eine Telefon- und Kontoüberwachung verlangt.

KONTEXT

Was die Behörden im Fall Amri wann wussten

04. April 2011

Amri reist über Lampedusa nach Italien ein. Einen Tag später wird er in Italien unter dem Namen Anis Amri und dem Geburtsdatum 22. Dezember 1994 registriert.

23. Oktober 2011

Amri wird in Catanien wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung, Bedrohung und Unterschlagung festgenommen. Am 14. April 2014 wird er im Gefängnis gegen Beamte gewalttätig. Nach der bis Mai 2015 dauernden Haft kommt Amri in ein Abschiebegefängnis. Weil Tunesien nicht innerhalb von 30 Tagen auf eine Anfrage nach Dokumenten reagierte, wird er am 17. Juni 2015 entlassen.

06. Juli 2015

Erstmals fällt Amri in Deutschland der Polizei im baden-württembergischen Freiburg wegen unerlaubter Einreise auf. Die Polizei nimmt gefälschte Personalien auf - Amri verwendet den Namen Anis Amir und das Geburtsdatum 23. Dezember 1993.

27. Oktober 2015

Erstmals wird Amri wegen Islamismus auffällig. Ein Zimmernachbar will auf dessen Handy Fotos von mit Kalaschnikows bewaffneten Schwarzgekleideten gesehen haben, die mit Handgranaten posierten. Die Polizei legt einen "Prüffall Islamismus" an.

26. Januar 2016

Im LKA Berlin geht ein Tipp des Bundesamt für Verfassungsschutz ein, dass es einen Hinweis gebe, Amri wolle sich Geld zur Vorbereitung eines Anschlags mit Schnellfeuerwaffen beschaffen. Der Berliner Generalstaatsanwalt sieht am 29. Januar keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Einleitung eines Strafverfahrens.

17. Februar 2016

NRW-Behörden stufen Amri als Gefährder ein, von dem jederzeit ein Anschlag ausgehen könnte. Das BKA nimmt Kontakt mit italienischen und tunesischen Behörden auf.

10. März 2016

Amri wechselt seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin, er hat dort mehrere Aufenthaltsorte. Die Berliner Behörden übernehmen die Zuständigkeit und stufen ihn ebenfalls als Gefährder ein.

04. April bis 21. September 2016

Das Landeskriminalamt Berlin beschließt die Observation Amris und überwacht seine Telekommunikation. Dabei zeigen sich einerseits islamistisches Gedankengut und kriminelle Aktivitäten wie Diebstahl und Betrug. Amri pendelt häufig zwischen NRW und Berlin. Kontakte aus Moscheen in Berlin nutzt er meist, um Hilfe bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche zu erhalten. Ab Mitte Mai werden vermehrt Gespräche abgehört, die kriminelle Handlungen thematisieren. Taten seien nicht festzustellen gewesen.

Amri äußert häufiger den Wunsch, nach Tunesien zurückzukehren. Zu Beginn des Ramadans im Juni sei Amri wieder deutlicher religiös geworden. Doch während des Ramadans sei die Religiosität wieder stärker in den Hintergrund getreten, Besuche in Moscheen seien kaum noch feststellbar gewesen. Amri fällt als Kleindealer auf. Nach einer Schlägerei mit anderen Dealern versucht Amri Ende Juli, Deutschland in Richtung Italien und möglicherweise Tunesien zu verlassen.

29. Juli bis 01. August 2016

Nach einem Fahndungshinweis wird er in Friedrichshafen in einem Fernbus in Gewahrsam genommen. Er hat zwei gefälschte italienische Identitätskarten dabei. Ein Haftantrag zur Vorbereitung der Abschiebung wird bis zum 1. August befristet. Weil eine Abschiebung wegen fehlender Reisedokumente nicht möglich ist, wird er entlassen. Er soll sich in Kleve anmelden. Das Verfahren wegen Urkundenfälschung wird vorläufig eingestellt.

20. Oktober 2016

Das tunesische Generalkonsulat lehnt die Ausstellung von Passersatzpapieren ab, weil Fingerabdrücke nicht identifiziert seien.

19. Dezember 2016

Beim Anschlag Amris in Berlin sterben 12 Menschen, rund 50 werden teils schwer verletzt.

21. Dezember 2016

Bei der Zentralen Ausländerbehörde in Köln gehen die Passersatzdokumente aus Tunesien ein.