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Konzerne kennen keine Landesgrenzen, Arbeitnehmerrechte schon: Rechtsgutachten fordert Mitbestimmung

In der globalisierten Welt darf die Mitbestimmung nicht an der Grenze enden, heißt es in einem Rechtsgutachten für die Gewerkschaften. Das Bundesarbeitsgericht sieht das anders.

Mit der Welt des Jahres 1920, der Geburtsstunde der betrieblichen Mitbestimmung, hat die globale Wirtschaft von heute nicht mehr viel gemein. Konzerne kennen keine Landesgrenzen mehr. 3,7 Millionen Beschäftigte in Deutschland arbeiten in einem Unternehmen mit ausländischer Muttergesellschaft. Macht es da noch Sinn, die Anwendung des Betriebsverfassungsrechts räumlich auf Deutschland zu begrenzen?

Ja, sagt das Bundesarbeitsgericht. In mehreren Urteilen haben die Erfurter Richter entschieden, dass für den Geltungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung das sogenannte Territorialitätsprinzip maßgeblich ist.

Nein, sagt Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das Betriebsverfassungsgesetz sei zuletzt vor Jahrzehnten reformiert worden. „Wir brauchen eine klare Regel, dass Mitbestimmung auch greift, wenn die Konzernspitze im Ausland sitzt“, betont Wenckebach.

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Der Göttinger Juraprofessor Olaf Deinert hat für das HSI ein Rechtsgutachten verfasst, das diese Position stützt. Kernaussage: Das vom Bundesarbeitsgericht zugrunde gelegte Territorialitätsprinzip ergebe sich weder zwingend aus der Gesetzeslage, noch sei es in der Praxis widerspruchsfrei anwendbar. Es sei „nicht zu übersehen, dass die territoriale Begrenztheit der Betriebsverfassung in einer derart globalisierten Welt der Effektivität der betrieblichen Interessenvertretung abträglich ist“, schreibt Deinert.

So ist aus seiner Sicht beispielsweise problematisch, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kein Konzernbetriebsrat gebildet werden kann, wenn die Konzernleitung nicht in Deutschland sitzt. „Die Frage, ob die Mitbestimmung an der Landesgrenze haltmacht, ist in der Praxis eine Machtfrage“, sagt HSI-Direktorin Wenckebach.

Denn nur ein Konzernbetriebsrat könne dem Konzernmanagement oberhalb der Ebene der Einzelunternehmen Paroli bieten, schreibt Deinert. Der darf aber nur gebildet werden, wenn zumindest ein Teil der Konzernspitze im Inland sitzt.

Wie problematisch es sei, wenn sich die einzelnen Betriebsräte bei massivem Stellenabbau nicht über einen Konzernbetriebsrat untereinander abstimmen könnten, habe man etwa beim Windkraftanlagenhersteller Enercon gesehen. Schwierig werde es auch, wenn es bei einem Sozialplan um Geld gehe, aber der Zugriff auf die Reserven der Muttergesellschaft fehle, sagt Wenckebach.

Als weiteres Beispiel für eine nicht mehr zeitgemäße Begrenzung der Mitbestimmung führt Deinert Aktienoptionsprogramme internationaler Konzerne für die Beschäftigten ihrer deutschen Tochtergesellschaften an. Die Frage, welche Beschäftigtengruppen Aktienoptionen bekommen und welche nicht, unterliegt der Zustimmung des Betriebsrats. Der jeweilige örtliche Betriebsrat hat aber keinerlei Einfluss darauf, wie die ausländische Mutter das Optionsprogramm ausgestaltet. Auch das könnte nur ein Konzernbetriebsrat.

Das Territorialitätsprinzip erweise sich als „ein Mittel zur partiellen Flucht aus der betrieblichen Mitbestimmung“, heißt es in dem Gutachten. Die höchstrichterliche Rechtsauslegung lade dazu ein, „Mitbestimmungsrechte durch Konzentration von Entscheidungen bei der Konzernmutter auszutrocknen“.

Deinert schlägt stattdessen einen „kollisionsrechtlichen“ Ansatz vor. Nicht die Frage, wo deutsches Recht ende, sei dabei der Ausgangspunkt, sondern die Frage, welches Recht auf einen Sachverhalt mit Auslandsbeziehungen anwendbar sei.

Widerspruch kommt vom Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Gregor Thüsing. Das Territorialitätsprinzip gelte, seit es die Betriebsverfassung gebe – und weder das Bundesarbeitsgericht noch die herrschende Lehre hätten daran gerüttelt. „Das ist systematisch stimmig, und es wäre doch recht kühn, die Uhr 100 Jahre zurückzudrehen“, sagt Thüsing.

Als seiner Herkunft nach öffentliches Recht sei das Betriebsverfassungsrecht räumlich an das Gebiet des Hoheitsträgers gebunden. Unternehmensstrukturen und -entscheidungen, die sich außerhalb Deutschlands abspielten, könnten nicht vom deutschen Recht erfasst werden. Deshalb könne es bei Unternehmen mit ausländischer Konzernspitze keinen Konzernbetriebsrat geben. Und dies dürfte der Gesetzgeber auch nicht ohne Weiteres ändern können, glaubt Thüsing.