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Klimaklagen: Lässt sich eine andere Klimapolitik gerichtlich verordnen?

Beim Bundesverfassungsgericht liegen mittlerweile vier Klimaklagen. Die Regierung soll demnach zu einer ambitionierten Klimapolitik verpflichtet werden.

Umweltschützer wollen, dass das Verfassungsgericht dem deutschen Gesetzgeber Leitplanken für effektiven Klimaschutz vorgibt. Foto: dpa
Umweltschützer wollen, dass das Verfassungsgericht dem deutschen Gesetzgeber Leitplanken für effektiven Klimaschutz vorgibt. Foto: dpa

Der Stapel der Schriftsätze beim Bundesverfassungsgericht ist wieder ein Stück gewachsen: Es gingen neue Stellungnahmen zu anhängigen Klimaklagen ein. Die Beschwerdeführer pochen auf mehr klimapolitische Maßnahmen der Bundesregierung.

„Es gibt ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum“, erklärt Rechtsvertreter Remo Klinger, der bereits für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Dieselfahrverbote erstritten hat. „Klimaschutz ist deshalb Grundrechtsschutz.“

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Doch ob sich effektiver Klimaschutz in Karlsruhe einklagen lässt, ist umstritten. Insgesamt sind derzeit vier entsprechende Verfassungsbeschwerden anhängig: Schon 2018 beklagte der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und elf Einzelklägern – darunter auch Schauspieler Hannes Jaenicke – die Vernachlässigung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit durch den Klimawandel (Az. 1 BVR 2656/18). Aus Sicht der Kläger ergreift der Gesetzgeber keine ausreichenden Maßnahmen, die den Klimawandel stoppen.

2020 kamen dann drei weitere Beschwerden hinzu: Zwei werden von der DUH unterstützt (Az. 1 BvR 78/20 und 1 BvR 96/20), eine von den Umweltorganisationen Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet (Az. 1 BvR 288/20).

Es sind dabei vor allem Kläger zwischen 15 und 32 Jahren, die die deutsche Klimapolitik vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen wollen. Darunter befindet sich die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, aber auch andere junge Menschen, die aufgrund des Klimawandels schon heute wirtschaftliche Auswirkungen auf die Betriebe ihrer Familien feststellen.

Sie sind der Ansicht, dass die Bundesregierung mit dem Ende 2019 verabschiedeten Klimaschutzgesetz weiterhin nicht genug gegen die Klimakrise tut, also ihrem im Grundgesetz verankerten Schutzauftrag nicht nachkommt.

„Gerichtsbeschlüsse können keinen gesellschaftlichen Umbau anleiten“

Experten sind allerdings skeptisch, ob die Bundesregierung gesetzlich zu mehr Klimaschutz verpflichtet werden kann. Bernhard Wegener, Rechtsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg und Experte für Umweltrecht, versteht den Impuls der Beschwerdeführer, vom Staat im Sinne einer „Schutzpflicht“ einen größeren Beitrag zum Klimaschutz zu fordern, als dieser bislang leistet. Doch so einfach liegen die Dinge aus seiner Sicht nicht.

Wegener verweist auf die Verfassungsbeschwerde zum „sauren Regen“ aus den 1990er-Jahren, um den Staat für das Waldsterben haftbar zu machen. „Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit beschieden, dass der weitergehende Schutz der Umwelt nur bei evidenten staatlichen Pflichtverletzungen eine Angelegenheit der Gerichte sei.“ Dahinter stehe die Auffassung, dass sich die Gerichte nicht einmischen dürfen in das, was der parlamentarische Gesetzgeber entscheide.

Auch Wegener hält die Gerichte für die falschen Adressaten in Sachen Klimaschutz: „Vor allem, weil Klimawandel ein globales Thema ist mit unglaublich vielen Facetten und großer Komplexität.“ Das könne nur gesamtgesellschaftlich verhandelt werden.

„Wer wie ich die Forderungen des Weltklimarats ernst nimmt, der sieht einen riesigen Transformationsprozess“, erklärt der Rechtsexperte. „Das bekommt man nicht über Gerichtsbeschlüsse hin. Die können keinen gesellschaftlichen Umbau anleiten.“

Eine erste Hürde haben die drei Verfassungsbeschwerden aus dem Jahr 2020 jedoch genommen: Das Gericht verschickte sie mit der Aufforderung zur Stellungnahme an Bundestag und Bundesregierung. Beide beteuern in ihren Stellungnahmen indes, die Beschwerden seien unzulässig und unbegründet.

Das sieht Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch, anders. „Das aktuelle deutsche Klimaschutzgesetz sichert keinen ausreichenden Schutz der Freiheitsrechte und des Rechtes auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, sagte er dem Handelsblatt. „Der Gesetzgeber sollte deshalb zur gesetzlichen Neuregelung mit ausreichendem Schutzniveau unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet werden.“

Rechtsanwältin Roda Verheyen, die wie Remo Klinger die Kläger der deutschen Verfassungsbeschwerden vertritt, erklärte, sie halte es für ein „gutes Zeichen“, dass das Gericht Bundestag und Bundesregierung um Stellungnahmen gebeten habe. „Inhaltlich geht es allein um die Frage, wie groß der Ermessensspielraum des Gesetzgebers in dieser Frage ist“, sagte sie dem Handelsblatt. „Wir meinen, der Gesetzgeber muss zeigen, dass er alles tut, was möglich ist, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, also ernsthaft zu versuchen, die globale Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken.“ Das sei momentan einfach nicht der Fall.

Niederlande: Regierung zu mehr Klimaschutz verurteilt

Laut Umweltrechtler Wegener lässt sich das eigentliche Ziel, den Klimawandel zu verlangsamen, nicht einfach aus den Grundrechten ableiten. Beispiel Niederlande: Der Hoge Raad, das oberste niederländische Gericht, verurteilte die Regierung jüngst dazu, die Treibhausgasemissionen des Landes ab Ende 2020 um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.

„Ich sehe solche Urteile kritisch“, sagt Wegener. „Da wird das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit genommen und daraus auf eine konkrete Klimapolitikverpflichtung des Staates geschlossen.“ Dabei seien die Grundrechte etwas Individualistisches.

Es brauche einzelne in ihren Rechten Verletzte. „Überspitzt gesagt: Wer annimmt, Niederländer kämen durch den Klimawandel zu Tode oder würden körperlich verletzt, der sollte die Regierung eher verpflichten, die Deiche höher zu bauen.“ Das sei aus Sicht des einzelnen Niederländers die effektivste Maßnahme. „Das macht klar, dass der Grundrechtsschutz hier nicht das leistet, was wir alle wollen.“

Das Bundesverfassungsgericht teilte auf Anfrage mit, ein Entscheidungstermin oder -zeitraum für die Klimaklagen sei derzeit nicht absehbar.