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Keine Schweizer Aktien in der EU? Was der Börsenstreit für Anleger bedeutet

Ab Montag dürfen EU-Börsen Schweizer Aktien wohl nicht mehr zum Handel anbieten. Bern und Brüssel streiten politisch – die wichtigsten Antworten.

Die Schweiz und die Europäische Union haben schon länger Beziehungsstress. Jetzt hat der Konflikt eine neue Eskalationsstufe erreicht: Nachdem die Europäische Union der Eidgenossenschaft die sogenannte Börsenäquivalenz verwehren will, hat die Schweiz ihren Aktienmarkt mit einer Verordnung abgeschottet. Was heißt das für Anleger? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was genau hat die Schweiz beschlossen?

Das Finanzministerium des Landes will am Montag die sogenannten „Schutzmaßnahmen“ für die Schweizer Börse aktivieren. Wenn es nicht noch zu einer Einigung in letzter Minute kommt, dürfen europäische Handelsplätze die Aktien von Schweizer Unternehmen ab Montag nicht mehr zum Handel anbieten. Die Schweiz droht Handelsplattformen und Börsen mit empfindlichen Strafen.

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Worum geht es beim Börsenstreit?

Die EU will der Schweiz nicht mehr die sogenannte Börsenäquivalenz attestieren. Die Regulierung der Schweizer Börse gilt demnach nicht mehr als gleichwertig mit den europäischen Regeln. Diese Gleichwertigkeit gilt als Bedingung dafür, dass europäische Marktteilnehmer an der Börse in Zürich handeln dürfen. Brüssel hatte die Äquivalenz zuletzt nur noch bis Ende Juni befristet. Weil diese Frist nun abläuft, reagierte die Schweiz ihrerseits mit einer Notverordnung.

Klingt ziemlich kompliziert. Mal ehrlich: Worum geht’s tatsächlich?

Natürlich um Politik. Die EU-Kommission wollte Druck auf die Schweiz aufbauen, damit die ein Rahmenabkommen mit der EU unterzeichnet. Das Abkommen soll die bilateralen Beziehungen auf eine neue Basis stellen. Es klärt etwa, wie Konflikte gelöst werden und wie EU-Recht in der Schweiz übernommen wird. Aus Sicht der EU ist das Abkommen fertig verhandelt. Die Eidgenossen sehen aber weiteren Klärungsbedarf. In dieser vertrackten Situation wurde die Schweizer Börse zum Faustpfand: Die Kommission pochte auf Fortschritte, um die Börsenäquivalenz zu verlängern. Statt einzulenken, schlug die Schweiz mit einem Notfallplan zurück. Ein ziemlicher Schlamassel also.

Warum unterzeichnet die Schweiz das Rahmenabkommen nicht einfach?

Sie will nicht. Die Schweizer Regierung verlangt „Klärungen“ bei drei Streitthemen: den Lohnschutz (Maßnahmen, die das hohe Schweizer Lohnniveau sichern sollen), staatlichen Beihilfen und der sogenannter Unionsbürgerrichtlinie, mit der in der Schweiz arbeitslos gewordene EU-Bürger auf Sozialhilfe pochen könnten. Gewerkschaften und die rechtskonservative SVP lehnen den Deal in der jetzigen Fassung ab. Dazu kommt: Am Ende müssen höchstwahrscheinlich alle Schweizer über das Abkommen abstimmen. Die Regierung könne nicht einfach entscheiden „Es ist so und fertig“, sagte Außenminister Ignazio Cassis am Freitag. Erst müsse mit den Sozialpartnern eine Mehrheit geschaffen werden, mit der das Volk zufrieden sei.

Wie funktioniert der Notfallplan der Schweizer?

Die Regeln sollen bewirken, dass die Aktien von Schweizer Unternehmen ab Montag nur noch in der Schweiz gehandelt werden dürfen. Anlegern aus Europa bliebe damit keine andere Wahl, als ihre Käufe und Verkäufe in Zürich abzuwickeln. Damit, so die Erwartung der Schweizer Regierung, dürften europäische Anleger auch ohne die Anerkennung der Börsenäquivalenz weiter in der Schweiz ihre Geschäfte machen.

Geht der Notfallplan der Schweizer auf?

Das hängt auch von der Reaktion der EU ab. Brüssel ließ sich bislang nicht in die Karten schauen. Große Handelsplattformen haben jedenfalls bereits angekündigt, das Verbot der Schweizer zu befolgen, um keine Strafen zu riskieren.

Um welche Aktien geht es überhaupt – und warum ist das so wichtig?

Die Verordnung aus Bern bezieht sich auf „Beteiligungspapiere von Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz“, und damit auf alle Aktien von Schweizer Firmen, die in der Schweiz notieren. Insgesamt sind an der Börse Six mehr als 200 Schweizer Firmen gelistet, darunter internationale Konzerne wie der Lebensmittelhersteller Nestlé oder die Pharmafirmen Roche und Novartis. Die Aktien der Konzerne gelten als stabile Dividendenbringer und sind bei europäischen Investoren entsprechend beliebt. So zählen Schweizer Aktien auch im europäischen Index Stoxx Europe 50 zu den Schwergewichten.

Wem tun die neuen Regeln weh?

Mit dem Notfallplan trifft die Schweiz in erster Linie außerbörsliche Plattformen, die den meisten Privatanlegern kein Begriff sein dürften. Die Handelsplätze Aquis und CBOE Global Markets sowie die Schweizer Großbank UBS hatten bereits vorgewarnt, dass sie den Handel mit Schweizer Aktien in der EU einstellen, falls der Notfallplan der Schweizer in Kraft tritt. Analysten schätzen, dass an solchen Handelsplätzen derzeit rund ein Drittel des Handelsvolumens bei Schweizer Blue-Chip-Aktien abgewickelt wird.

Gilt das Verbot auch für deutsche Börsen?

Ja, das Verbot gilt auch in Deutschland. Dort werden aber nur wenige Schweizer Aktien gehandelt. „Sollte die Schweizer Börsenäquivalenz von der EU-Kommission nicht verlängert und die angekündigten Gegenmaßnahmen der Schweiz umgesetzt werden, werden die betroffenen Wertpapiere an der Frankfurter Wertpapierbörse vom Handel ausgesetzt“, sagte ein Sprecher der Deutschen Börse. Betroffen wären davon rund 180 Wertpapiere. Im vergangenen Jahr betrug das Orderbuchvolumen mit Schweizer Aktien in Frankfurt insgesamt 2,45 Milliarden Euro. Das entspricht 0,15 Prozent des gesamten Handelsumsatzes an der Frankfurter Wertpapierbörse.

Auch an der deutlich kleineren Börse in Stuttgart werden ab Montag keine Schweizer Aktien mehr handelbar sein, wenn die angedachten Maßnahmen in Kraft treten. „Der Handel mit verbrieften Derivaten, Anleihen, Fonds und ETFs, denen Schweizer Basiswerte zugrunde liegen, ist jedoch weiterhin über die Börse Stuttgart möglich“, sagte der zuständige Manager Richard Dittrich.

Muss ich als Privatanleger mit einer Strafe rechnen, wenn ich eine Schweizer Aktie kaufe?

Nein, keine Sorge. Das Verbot bezieht sich nur auf Börsen und alternative Handelsplätze. Privatanleger können weiter in Schweizer Aktien investieren. „Schweizer Aktien können Anleger prinzipiell weiterhin kaufen und verkaufen – jedoch nur über ihre depotführende Bank, die gegebenenfalls eine Schweizer Korrespondenzbank einschaltet“, erklärt Richard Dittrich von der Börse Stuttgart. „Allerdings können Schweizer Aktien nicht mehr in Euro gehandelt werden, was möglicherweise Intransparenz und zusätzliche Kosten zur Folge haben kann.“

In meinem Fonds liegen Schweizer Aktien. Was ändert sich denn nun im Alltag großer Investoren?

Für Großanleger wie Vermögensverwalter, Versicherungen oder Pensionseinrichtungen dürften sich die Änderungen im Rahmen halten. Denn solche großen Investoren handeln Schweizer Aktien bereits vor allem an deren Heimatmarkt, weil dort die größte Liquidität zu finden ist, wie Jörg de Vries-Hippen, Chef-Anlagestratege für europäische Aktien und Fondsmanager bei der Allianz-Fondstochter Allianz Global Investors, erklärt. Eine Ausnahme bilden demnach fünf Aktien mit einem Doppel-Listing: Lafarge Holcim, ABB, Aryzta, BB Biotech und Cie Financiere Tradition. EU-Investoren können diese Aktien in der EU, aber auch in der Schweiz handeln. Die Schweizer Börse Six dürfte in der Folge künftig mehr Geschäft machen. Doch nicht der gesamte Handel mit Schweizer Titeln wird an die Six gehen. Ein zunehmender Anteil des Handels wird nach Einschätzung von Christoph Hock, Handelschef beim genossenschaftlichen Fondshaus Union Investment, über Broker laufen, die solche Aktiengeschäfte über ihr eigenes Buch abwickeln.

Wird der Handel mit Schweizer Aktien nun teurer, und werden Großinvestoren in der Folge weniger dieser Dividendentitel handeln?

Davon gehen Großanleger eher nicht aus. Einschränken wollen sie den Handel mit Schweizer Aktien jedenfalls nach eigener Aussage nicht. So rechnet Handelschef Hock von Union Investment derzeit nicht damit, dass der Handel spürbar teurer wird. Wenn aber neue Regeln suboptimale Situationen schafften, würde er dies „bei den zuständigen Stellen melden, um darauf hinzuwirken, für Kunden ein optimales Handelsumfeld zu erreichen“.

Was bedeutet der Streit für die betroffenen Unternehmen?

Die Firmen, deren Aktien von den Schutzmaßnahmen betroffen wären, verfolgen die Diskussion zwar aufmerksam. Offiziell geben sie sich aber bislang gelassen. „Wir beobachten die Situation genau“, heißt es etwa beim Nahrungsmittelhersteller Nestlé, dessen Aktie zu den Schwergewichten an der Börse Six zählt. „Wir erwarten keine wesentlichen Auswirkungen auf die Nestlé-Aktie“, sagte ein Sprecher.

Ähnlich äußert sich der Industriekonzern ABB, dessen Aktien an mehreren Handelsplätzen notieren. „Wir beobachten die Situation“, sagte ein ABB-Sprecher. Die Aktien des Industriekonzerns sind an der Schweizer Börse, aber auch an der Nasdaq OMX in Stockholm und der amerikanischen Börse Nyse gelistet. Anleger haben also die Wahl, wo sie die Papiere handeln wollen. „Es könnte sein, dass es beim Handelsvolumen an den verschiedenen Listingplätzen zu Verschiebungen kommt“, heißt es bei ABB.

Was geschieht, wenn der Streit weiter eskaliert?

Dafür gibt es noch keine Anzeichen. Trotzdem warnt Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) vor den Folgen einer Eskalationsspirale. „Es könnte so weit kommen, dass europäische Anleger gar keine Schweizer Aktien mehr handeln könnten, sollte die EU den EU-Händlern den Handel in der Schweiz verbieten.“ Die Schutzgemeinschaft rät Anlegern, sich bei ihrer Depotbank zu erkundigen, welche Kosten mit einem Handel in der Schweiz verbunden sind, und dies bei ihrer Anlageentscheidung zu berücksichtigen.

Analysten halten die Auswirkungen des Streits auf die Börse für begrenzt. Sie warnen aber davor, dass sich der Disput auf weitere Bereiche zwischen der Schweiz und der EU ausdehnen könnte. „Es droht in den Verhandlungen eine Eskalationsspirale, die das Verhältnis der Schweiz mit der EU nachhaltig beschädigen könnte und damit auch wirtschaftliche Unsicherheiten schürt“, schreiben etwa die Experten der UBS.