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„Das ist keine Rezession, die uns in Angst und Schrecken versetzen müsste“

IfW-Präsident Gabriel Felbermayr erwartet keine tiefe Rezession, aber geringere Wachstumsraten – wegen der ungünstigen Demografie in Deutschland.

Der Ökonom sieht eine positive Entwicklung bei den Handelskonflikten. Foto: dpa
Der Ökonom sieht eine positive Entwicklung bei den Handelskonflikten. Foto: dpa

Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, erwartet wegen der Demografie zwar künftig generell geringere Wachstumsraten in Deutschland. Für die nahe Zukunft ist er aber eher optimistisch – auch weil US-Präsident Donald Trump weniger verbale Angriffe auf Europa startet.

„Der Troublemaker aus dem Weißen Haus hält sich in letzter Zeit merklich zurück“, sagte Felbermayr im Interview mit dem Handelsblatt. Deshalb rechne er nicht mehr damit, dass Trump vor Weihnachten Autozölle gegen die EU verhängen werde.

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Felbermayr erwartet wie die meisten seiner Ökonomen-Kollegen, dass die deutsche Wirtschaft auch im dritten Quartal gegenüber dem zweiten geschrumpft ist und sich damit in einer technischen Rezession befindet. „Aber das ist keine Rezession, die uns in Angst und Schrecken versetzen müsste. Ich würde daher das R-Wort nicht überstrapazieren“, sagte er.

Die Industrie entwickele sich weiterhin zwar schwach, aber es gebe Anzeichen dafür, dass sie die Talsohle erreicht hat. „Dass laut ifo-Umfrage wieder mehr Firmen optimistischer werden, ist ein Zeichen der Hoffnung; bisher allerdings ein kleines: Womöglich war es ja nur ein Messfehler“, so Felbermayr.

Dienstleistungen und Bauwirtschaft würden die Wirtschaft weiterhin stützen. Langfristig rechnet Felbermayr wegen der Alterung der Gesellschaft hierzulande generell mit schwächerem Wirtschaftswachstum. Er glaubt allerdings nicht an eine Dauerstagnation wie in Japan.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Felbermayr, wie schlimm ist der Abschwung?
Es ist relativ wahrscheinlich, dass die Wirtschaft auch im dritten Quartal gegenüber dem zweiten geschrumpft ist. Wir sind also in einer technischen Rezession. Aber das ist keine Rezession, die uns in Angst und Schrecken versetzen müsste. Ich würde daher das R-Wort nicht überstrapazieren.

Sie rechnen jetzt mit Besserung?
Das Bild bleibt gespalten. Die Industrie ist weiter schwach, aber es gibt Anzeichen dafür, dass sie die Talsohle erreicht hat. Dass laut Ifo-Umfrage wieder mehr Firmen optimistischer werden, ist ein Zeichen der Hoffnung, bisher allerdings ein kleines: Womöglich war es ja nur ein Messfehler. Die Dienstleistungen und der Bau aber werden die Wirtschaft weiter stützen.

Wie sehr sind die Schwäche des Welthandels und die Handelskonflikte Ursache für den Abschwung?
Es ist immer schwierig zu trennen, welcher Faktor am stärksten wirkt. Ob es nun die Handelspolitik des Herrn Trump, die wirtschaftliche Abschwächung Chinas oder die Unsicherheit durch die deutsche Klimapolitik ist, die die Wirtschaft bremst. Den Trump-Faktor würde ich mal mit 25 Prozent veranschlagen. Bei der Autoindustrie müssen wir sehen, dass der Absatz überall schwächelt, nicht nur in den USA. Da ist viel technologische Unsicherheit im Spiel, und da wird es darauf ankommen, wie schnell der Autoindustrie ein Umsteuern gelingt.

Die Handelskonflikte gibt es ja bereits seit drei Jahren. Werden sie heftiger?
Nein, da sehe ich eigentlich eher positivere Entwicklungen als noch vor wenigen Monaten. Das Brexit-Gespenst ist zwar nicht komplett verschwunden, aber die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens ist doch deutlich kleiner geworden. Und der Troublemaker aus dem Weißen Haus hält sich in letzter Zeit merklich zurück. Er hat den Airbus-Boeing-Konflikt nicht maximal angeheizt. Ich glaube auch nicht, dass es vor Weihnachten zu Autozöllen kommen wird: Einen Zwei-Fronten-Handelskrieg gegen China und die EU kann Trump nicht wollen. All das stimmt mich optimistisch, dass Deutschland im vierten Quartal nicht tiefer in die Rezession abrutschen wird.

Wenn es auch hausgemachte Ursachen für den Abschwung gibt, welche wären das?
Belastend wirken mehrere Quellen erheblicher Unsicherheit, deren Effekte nur schwer zu quantifizieren sind. In Deutschland ist das vor allem die Energiepolitik. Können wir den Ausbau der Erneuerbaren schnell genug stemmen? Gelingt der Stromnetzausbau? Welche neuen Energien werden zugelassen? Was wird Strom kosten? Diese Unsicherheiten belasten die Wirtschaft. Und dann haben wir das Problem, dass das Trendwachstum stetig zurückgeht, von etwa anderthalb auf etwas unter einem Prozent. Wirtschaftliche Schwächephasen werden damit häufiger.

Muss man das einfach akzeptieren?
Jein. Die Ursache ist die Demografie, und die kann man nur sehr langfristig ändern. Zuwanderung würde helfen. Aber dafür müsste sich Deutschland dann wirklich in den „War for Talents“ begeben und gezielt hochqualifizierte Menschen weltweit anwerben. Flüchtlingseinwanderung hilft dabei eher nicht.

Was könnte die Regierung kurzfristig tun?
Wir brauchen eine neue Form der Angebotspolitik. Wir haben durchaus ein Gulliver-Problem: viele kleine Fäden, die den Riesen am Boden halten. Bisher hat die Große Koalition vor allem Wohltaten verteilt. Zugegeben: Das hilft der Konjunktur zwar im Abschwung. Aber die Regierung sollte jetzt auch den Solidaritätszuschlag für die Unternehmen wegnehmen und Bürokratie abbauen.

Brauchen wir mehr Investitionen?
Ja. Es weiß inzwischen jeder, dass es da einen ganz großen Nachholbedarf gibt. Besonders im digitalen Bereich, aber regional auch bei Straßen. Und wenn wir die Dekarbonisierung wirklich wollen, dann müssen wir Alternativen sehr gezielt aufbauen, damit die CO2-Bepreisung nicht zur Belastung für die Wirtschaft und die Konsumenten wird: erneuerbare Energien, Schiene, Nahverkehr. Und wenn wir auf die Steuerschätzung schauen: Der Bundesfinanzminister hat auch deshalb mehr Geld in der Kasse als erwartet, weil Investitionsmittel nicht abfließen. Die Regierung muss also die Planverfahren beschleunigen und jahrelange Umweltverträglichkeitsprüfungen abkürzen.

Angesichts der Demografie befürchten manche eine Japanisierung Deutschlands ...
Das halte ich für eine ziemlich unsinnige Debatte. Deutschland ist fest in den europäischen Binnenmarkt eingeschraubt, und dieser ist sehr viel diverser als Japan. In vielen europäischen Ländern gibt es noch wirtschaftlichen Nachholbedarf, von dem wir profitieren. Wir haben zwar eine ähnliche Demografie, aber Deutschland ist seit Jahrzehnten Einwanderungsland, was Japan bis heute noch immer nicht ist. Überlegen sollte allerdings die EZB, ob sie weiterhin eine Rezession um jeden Preis verhindern will wie die Bank of Japan. Damit verhindert sie Veränderungen und senkt das langfristige Wachstum.

Wie ist es denn in Deutschland um die Innovationsfähigkeit bestellt?
Da mache ich mir ernste Sorgen. Die Verhaltensökonomie zeigt eindeutig, dass ältere Menschen Risiken stärker scheuen. Ein Land wie Israel, das im Schnitt 20 Jahre jünger ist, wird deshalb immer mehr Unternehmensgründer haben als Deutschland.

Man könnte aber doch auch Ältere besser weiterbilden ...
Die Risikoaversion wird bleiben. Auch deshalb entfachen große Infrastrukturprojekte hierzulande keine Begeisterung. Verständlicherweise befürchten ältere Leute Belastungen wie Baulärm, ziehen aber aus den neuen Möglichkeiten nur wenig konkreten persönlichen Nutzen. Aber natürlich sollte der Staat mehr in Weiterbildung investieren. Die Angebote sind noch viel zu schlecht.

Wenn die Zahl an Arbeitskräften zurückgeht: Könnte es da nicht helfen, die Produktivität der wenigen zu stärken?
Da hilft vor allem Bildung. Ich halte es für ein riesiges Versäumnis, dass in den vergangenen Jahren die Tatsache kleinerer Schülerjahrgänge vor allem zum Kostensparen und nicht für die Verbesserung der Schulen genutzt worden ist. Wichtig wäre auch mehr internationale Arbeitsteilung. Deutschland müsste sich noch viel stärker für mehr Freihandelsabkommen weltweit einsetzen.

Aber es gibt auch in Deutschland Globalisierungsangst ...
Sie scheint mir nicht mehr so stark wie während der Anti-TTIP-Proteste. Es ist aber wichtig, den Menschen diese Angst zu nehmen, etwa durch eine Arbeitslosenversicherung, die nicht nach einem Jahr den Absturz in die Armut bedeutet, sondern mehr Zeit und Unterstützung gibt für Phasen der beruflichen Neuorientierung.