Werbung
Deutsche Märkte schließen in 7 Stunden 49 Minuten
  • DAX

    18.035,07
    +33,47 (+0,19%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.925,67
    +4,19 (+0,09%)
     
  • Dow Jones 30

    38.675,68
    +449,98 (+1,18%)
     
  • Gold

    2.325,40
    +16,80 (+0,73%)
     
  • EUR/USD

    1,0768
    +0,0001 (+0,01%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.851,65
    +547,55 (+0,92%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.371,32
    +58,69 (+4,47%)
     
  • Öl (Brent)

    78,80
    +0,69 (+0,88%)
     
  • MDAX

    26.413,74
    +112,92 (+0,43%)
     
  • TecDAX

    3.266,03
    -0,19 (-0,01%)
     
  • SDAX

    14.454,47
    +23,23 (+0,16%)
     
  • Nikkei 225

    38.236,07
    -38,03 (-0,10%)
     
  • FTSE 100

    8.213,49
    +41,34 (+0,51%)
     
  • CAC 40

    7.967,98
    +10,41 (+0,13%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.156,33
    +315,33 (+1,99%)
     

Jüdische AfD-Mitglieder wollen parteinahe Vereinigung gründen

AfD-Mitglieder jüdischen Glaubens planen ab Oktober eine bundesweite Gruppierung. Vertreter jüdischer Gemeinden reagieren mit Unverständnis.

AfD-Mitglieder jüdischen Glaubens wollen eine bundesweite Vereinigung „Juden in der AfD“ (JAfD) gründen. Das Vorhaben, über das zuerst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet hatte, wird jetzt konkret. Die Gründungsversammlung ist demnach für den 7. Oktober im hessischen Offenbach geplant.

Die Räume seien angefragt, aber noch nicht bestätigt, sagte Gründungsmitglied Dimitri Schulz. Über den endgültigen Namen werde noch entschieden, vorläufig nenne man sich „JAfD“. Zur Gründungsveranstaltung werden die AfD-Bundesvorstandsmitglieder Beatrix von Storch und Joachim Kuhs erwartet. Laut Schulz sollen auch der hessische AfD-Sprecher Robert Lambrou und die ehemalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach ein Grußwort sprechen.

Laut Kuhs handelt es sich bei der Gruppierung um eine AfD-nahe, aber unabhängige Vereinigung. Wie viele jüdische Mitglieder die AfD tatsächlich hat, müsse man nach dem 7.Oktober sehen, sagte Kuhs „RTL.de“. Er schätzt die Zahl auf bundesweit etwa 1.400.

Das Vorhaben löste Befremden bei Vertretern jüdischer Gemeinden aus. Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, schaltete sich ein.

WERBUNG

Die Motivationslage für das Engagement von Juden innerhalb der AfD werfe „einige Fragezeichen“ auf, sagte er der „Bild“-Zeitung. Zumal die Partei in ihren Reihen antisemitische Ausfälle wie die Relativierung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen dulde.

Die Einschätzung Kleins deckt sich mit einer kürzlich veröffentlichten Allensbach-Umfrage. Danach nimmt der Antisemitismus in Deutschland insgesamt ab, nur bei den Anhängern einer Partei nicht – der AfD.

In der Umfrage, die in der ersten Junihälfte unter 1279 Bundesbürgern für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ durchgeführt worden ist, wurde etwa gefragt: „Wenn jemand sagt: ‚Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss.‘ Würden Sie sagen, das stimmt, oder das stimmt nicht?“ 22 Prozent Befragten stimmten der These zu.

Unter den Parteianhängern der SPD und Die Linke schwankte der Wert zwischen 16 (SPD) und 20 Prozent (Die Linke). Nur bei Sympathisanten der AfD lag der Wert deutlich höher. 55 Prozent von ihnen meinten, Juden hätten auf der Welt zu viel Einfluss.

Juden- und Islamfeindlichkeit stehen offenbar nicht im Widerspruch zueinander

Auch bei einer ähnlich lautenden Frage, ob Muslime auf der Welt zu viel Einfluss hätten, weicht die Ansicht der AfD-Anhänger deutlich von der der anderen Befragten ab: Sie stimmten der These zu 54 Prozent zu, während es bei den Anhängern der anderen Parteien zwischen 22 und 35 Prozent waren.

Der Allensbach-Experte Thomas Petersen zog daraus den Schluss: Juden- und Islamfeindlichkeit stehen offensichtlich nicht im Widerspruch zueinander.

Diese These ist eine mögliche Erklärung dafür, dass sich Juden auch in der AfD engagieren. Zumindest sehen das manche Vertreter der Partei so. Bei der Bundestagswahl 2017 kandidierte beispielsweise für die AfD in Baden-Württemberg Wolfgang Fuhl, Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Lörrach. Fuhl schaffte es zwar nicht in den Bundestag, mit der „JAfD“ hat er aber ein anderes Betätigungsfeld gefunden – auch er ist bei der Gründungsversammlung dabei.

Der Sprecher des hessischen AfD-Landesverbandes Lambrou betonte, dass es überhaupt keinen Widerspruch zwischen der Mitgliedschaft in der AfD und dem jüdischen Glauben gebe. Vielmehr schließe eine antisemitische Haltung die Mitgliedschaft in der Partei aus. Neumitglieder, die sich judenfeindlich äußerten, würden umgehend aus der Partei ausgeschlossen.

Jüdisch und AfD-Mitglied zu sein, sei kein Widerspruch, findet auch „JAfD“-Gründungsmitglied Schulz. „Dass sich in den Reihen der AfD einzelne tatsächliche Antisemiten (...) finden, leugnen wir nicht; nur wird in der öffentlichen Wahrnehmung der Einfluss dieser einzelnen Mitglieder maßlos überschätzt.“

Das sehen Vertreter jüdischer Gemeinden anders. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte dem Evangelischen Pressedienst, die Haltung der AfD sei mit christlichen und jüdischen Werten nicht vereinbar. Im Landtagswahl-Programm der bayerischen AfD etwa werde ein Beschneidungs- oder ein Schächtverbot gefordert. Insgesamt strebe die AfD eine Einschränkung der Religionsfreiheit an.

Es sei ihr „völlig unverständlich“, wie „jüdische Menschen ihre Mitgliedschaft in einer solchen Partei vor sich selbst rechtfertigen können“, sagte auch die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. „Die AfD ist und bleibt eine Partei, in der Antisemiten sich pudelwohl fühlen können“, so Knobloch in der „Bild“-Zeitung.

AfD verwendet Kampfbegriffe der Nazis

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hält die AfD als Ganzes zwar nicht für antisemitisch. Sie dulde aber antisemitische Ausfälle wie die Relativierung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Das Engagement von Juden innerhalb der AfD werfe daher „einige Fragezeichen auf“, sagte Klein der „Bild“-Zeitung.

Die AfD steht schon länger wegen Äußerungen einzelner Funktionäre zur Nazi-Vergangenheit Deutschlands in der Kritik. Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke hatte etwa 2017 mit der Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ heftige Debatten ausgelöst. Mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin hatte er erklärt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Selbst die Parteiführung neigt zu eigentümlichen Geschichtsbildern. So sagte Bundesparteichef Alexander Gauland Anfang Juni: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Gauland hatte seine Äußerung allerdings später als „missdeutbar und damit politisch unklug“ bezeichnet.

Die AfD schreckt auch vor der Verwendung von Kampfbegriffen der Nationalsozialisten nicht zurück, wie kürzlich im Bundestag zu beobachten war. „Selbst der Verfassungsschutz soll jetzt gleichgeschaltet werden“, sagte der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio kürzlich in der Debatte über die umstrittenen Äußerungen von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz.

Mit dem Begriff „Gleichschaltung“ verharmlosten die Nationalsozialisten nach ihrem Aufstieg zur Macht 1933 die Vereinheitlichung von Gesellschaft und Politik. Dazu gehörte auch die Entfernung von Juden und Oppositionellen aus Behörden und Institutionen.

„Niemand sollte in die AfD eintreten, ein Jude erst recht nicht“

Mit Blick auf zwei Asylbewerber, die verdächtigt werden, Ende August in Chemnitz einen Deutschen getötet zu haben, sagte Curio: „Den Deutschen wird in Chemnitz wie anderswo ihr täglicher, friedlicher Lebensraum genommen.“ Unter anderem mit der Schaffung von „Lebensraum“ rechtfertigten die Nazis den Angriff auf die Sowjetunion 1941.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte jüngst zu den Einlassungen der AfD zur deutschen Geschichte, er schäme sich für derartige Äußerungen. „Die Verhöhnung der Opfer, die darin zum Ausdruck kommt, ist unerträglich. Ich habe den Eindruck, dass alle, die so reden, gar nicht wissen, wie viel Anerkennung und Reputation, die Deutschland in Jahrzehnten bei seinen Nachbarn aufgebaut hat, dadurch zerstört wird.“ Man dürfe nicht vergessen, dass das verantwortungslose Wort auch zur verantwortungslosen Tat führen könne. „Das wissen gerade wir Deutsche gut“, so Steinmeier.

Immer wieder für Aufsehen sorgt der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon. Zuletzt forderte er ein Ende der Stolperstein-Aktionen zum Gedenken an NS-Opfer, mit der Begründung, dass es „angemessenere Arten des Gedenkens im Rahmen von Gedenkstätten“ gebe, „von denen wir hier genügend haben“. Stolpersteine werden seit vielen Jahren deutschlandweit verlegt. Sie erinnern an die Opfer der NS-Herrschaft – in der Regel jeweils vor dem letzten Wohnsitz der Betroffenen.

Der Arzt Gedeon gilt auch parteiintern einigen als Antisemit. Ein Landesschiedsgericht der AfD hatte ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn im Dezember 2017 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Der Abgeordnete bleibt im Landtag aber aus der Fraktion ausgeschlossen; er sitzt dort als Einzelabgeordneter.

Dass sich vor diesem Hintergrund dennoch Juden für die AfD begeistern können, stößt denn auch verständlicherweise auf Kritik. Maram Stern vom Jüdischen Weltkongress warnte davor, dass Juden die AfD mit der Gründung einer parteiinternen Vereinigung legitimieren könnten. „Ich glaube nicht, dass man der AfD einen Koscherstempel geben sollte“, sagte er.

„Vernunftbegabter Demokrat hat in der AfD nichts verloren“

Der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, bezeichnete die AfD in der als „menschenverachtende, demokratiefeindliche Partei“. „Niemand sollte in die AfD eintreten, ein Jude erst recht nicht“, sagte Friedman.

Kritik kam auch vom Historiker Julius H. Schoeps. „Wie die AfD in fünf oder zehn Jahren aussieht, darüber kann man wohl nur spekulieren. Aber dort zum jetzigen Zeitpunkt ein jüdisches Forum zu gründen, halte ich für höchst problematisch“, sagte der Gründungsdirektor des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und Vorstandsvorsitzende der Moses-Mendelssohn-Stiftung dem Handelsblatt. Er könne nicht erkennen, wo ein spezifisch jüdisches Anliegen in diese Partei eingebracht werden könnte. „Umgekehrt wäre die Gefahr einer Instrumentalisierung jüdischer Mitglieder aber sehr groß“, warnte Schoeps.

Aber grundsätzlich müsse jede Jüdin und jeder Jude in Deutschland für sich selbst entscheiden, wo er oder sie sich politisch engagieren wolle und wo nicht. „Ich mag da keine Vorschriften“, fügte der Historiker hinzu. Allerdings, gab er zu bedenken, gehörten der AfD Mitglieder an, „die sich rassistisch, islamophob und eben auch antisemitisch äußern“.

Kritisch äußerte sich Schoeps in diesem Zusammenhang zu führenden AfD-Politikern wie Höcke und Gauland, der für eine Neubewertung der Leistungen der deutschen Soldaten in beiden Weltkriegen geworben hatte. Da frage er sich schon, „was dort ein vernunftbegabter Demokrat verloren hat - egal ob, Jude, Christ, wer auch immer“, so Schoeps.

Experte sieht Vereinsgründung als Teil einer „janusköpfigen Strategie“

Der Rechtspopulismus-Forscher Matthias Quent vermutet taktische Motive hinter der geplanten Vereinigung „Juden in der AfD“. Die Gruppengründung sei Teil einer „janusköpfigen Strategie“, sagte der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena dem Handelsblatt. Einerseits würden antisemitische Karikaturen, Stereotype und Verschwörungstheorien von AfD-Funktionären verbreitet, andererseits werde das Verhältnis zu Juden instrumentalisiert. „Man nutzt sowohl die Juden in Deutschland als auch den Staat Israel, um antimuslimischen Rassismus mit Verweis auf den islamischen Antisemitismus zu rechtfertigen“, sagte Quent.

Dabei hätten „Einstellungsstudien“ gezeigt, dass Antisemitismus in der Wählerschaft der AfD „signifikant weiter verbreitet ist, als bei den anderen Parteien und im Bevölkerungsdurchschnitt“. Aus Quents Sicht sei zudem der „anti-antisemitische Konsens der Berliner Republik“ wiederholt durch „Nazijargon und geschichtsrevanchistische Äußerungen aus den Reihen der AfD“ aufgekündigt worden.

Er warnte vor diesem Hintergrund, dass die für die Arbeit der AfD so wichtige „Konstruktion von Sündenböcken“, sofern es gesellschaftlich erfolgversprechend erscheine, jederzeit von Flüchtlingen, Muslimen und anderen Minderheiten auf Juden umschlagen könne. Die Gruppengründung sei daher vor allem „taktisch motiviert“, betonte Quent. Wer Personen wie Gedeon, Gauland oder Höcke dulde, „kann sich in meinen Augen überhaupt nicht glaubhaft vom Antisemitismus distanzieren“.