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Kommt die Inflation? Ein Streitgespräch zwischen den Ökonomen Bofinger und Mayer

Thomas Mayer fürchtet eine Lohn-Preis-Spirale. Peter Bofinger hält von dieser Theorie nichts. Ein Interview über die drohende Inflation, die Rolle der Notenbanken und den Aktienboom.

Seit vergangenem Jahr ist die Ökonomin Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank. Foto: dpa
Seit vergangenem Jahr ist die Ökonomin Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank. Foto: dpa

Für Thomas Mayer ist die Sache klar: Deutschland wird nach Einschätzung des 67-Jährigen eine „trabende Inflation“ erleben. Es drohten Preissteigerungsraten von fünf Prozent. Im Streitgespräch mit dem Ökonomen Peter Bofinger über die drohende Inflation verweist der Leiter des Forschungsinstituts der Kölner Vermögensverwaltung Flossbach von Storch auf stark steigende Rohstoffpreise und auf die hohen Summen, die politisch gesteuerte Zentralbanken ins System pumpten.

Mittelfristig würden dann Arbeitskräfte knapp, das führe zu einer Lohn-Preis-Spirale, erklärt der einstige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, ein eingefleischter Monetarist, wie er sich im Streitgespräch selbst nennt.

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Von dieser Theorie hält Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre in Würzburg, überhaupt nichts. Im Doppelinterview mit dem Handelsblatt sagte er, dass es aus demografischen Gründen keine Hyper-Inflation geben werde. Viele Menschen in Afrika würden zum Beispiel gerne bei uns arbeiten, führt der 66-Jährige aus.

Auch gebe die derzeitige Arbeitsmarktlage wenig her für starke Lohnsteigerungen. Man erlebe nur „temporäre Preissteigerungen“, meint der ehemalige Wirtschaftsweise, derzeit gebe es einige Sondereffekte wie die höhere Mehrwertsteuer oder die CO2-Bepreisung.

Für die Zukunft setzt der Keynesianer weiter auf eine kluge Steuerung der Inflationserwartungen durch unabhängige Notenbanken. Die derzeit hohe Sparquote erkläre sich, weil Begüterte ihre Ausgaben streckten: „Im Grunde müsste man Konsumgutscheine für Nicht-Reiche ausgeben.“

Auch Bofinger erlebt im Alltag, dass sich die Deutschen um den Wert des Geldes sorgen und sogar von einer möglichen Währungsreform reden. Grund sei, dass zu wenige Bürger Immobilien besäßen und auf großen Geldsparposten säßen, die nichts bringen, so der Professor. Bofinger: „Aber die Leute gruseln sich gern. Sie zahlen auch für die Geisterbahn.“ Wegen der Ereignisse vor 1933 müssten wir eigentlich mehr Angst vor Deflation haben.

Dagegen analysiert Mayer, dass der von den Notenbanken geschaffene große Geldüberhang längst in Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien gewandert sei. Dort gäbe es schon mehr als sechs Prozent Inflation.

Und wenn der Lockdown erst einmal vorbei ist, wollten sich die Menschen wieder etwas leisten, erläutert der Volkswirt. Irgendwann wolle das Geld raus, zumal die Banken ja zusehends Gebühren und Negativzinsen nehmen. Mayer: „Den Leuten mit etwas mehr auf dem Konto brennt schon jetzt das Geld ein Loch in die Tasche.“

Lesen Sie hier das ganze Doppelinterview:

Herr Bofinger, Herr Mayer, die Ökonomen debattieren plötzlich über eine Rückkehr der Inflation. Für Deutschland rechnet Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in der zweiten Hälfte 2021 schon mit einer Teuerungsrate von drei Prozent und mehr. Wie groß ist die Gefahr wirklich?
Peter Bofinger: Im Jahresdurchschnitt werden wir in Deutschland vermutlich bis zu zwei Prozent Inflation haben. Das liegt an einer Reihe von Sondereffekten: der höheren Mehrwertsteuer, der CO2-Bepreisung, den anziehenden Energiepreisen. Alles nichts Dramatisches. Inflation ist nicht gleich Inflation.

Thomas Mayer: Es könnte aber dramatisch werden. Denn die notwendigen Bedingungen für eine hohe Inflation sind erfüllt. Die Containerfrachtraten ziehen um 40 Prozent an, Stahl wird um bis zu 39 Prozent teurer, Kupfer um 51 Prozent. Und wir sehen einen starken Geldüberhang. Die Geldmenge M3 liegt um zwölf Prozent über dem Vorjahr, obwohl die Wirtschaft schrumpfte. Das ist eine unheimliche Spreizung. Eine Inflation zieht bisher trotz solcher Gefahren nicht wirklich an, da die Löhne als Treiber ausfallen. Die Bedingungen sind noch nicht hinreichend, wenn Sie so wollen.

Die große Frage ist: Bleibt das so? Oder kommen Inflationsraten von bis zu sieben Prozent, so wie in den 1970er-Jahren?
Mayer: Da bin ich im Kern bei Charles Goodhart. Der britische Ökonom sieht, dass mittelfristig in den entwickelten Industriestaaten die Arbeitskräfte aufgrund der Überalterung knapp werden. Dann könnten die Löhne in der Tat stark steigen – ein Turbo für Inflation. Zudem hat sich das politische Umfeld gewandelt, Lohnerhöhungen gelten als politisch korrekt. Das sieht man an der internationalen Tendenz zu stattlichen Mindestlöhnen.

Bofinger: Das überzeugt mich nicht. In Afrika zum Beispiel gibt es viel mehr Menschen, als der Kontinent vertragen kann und die gerne bei uns arbeiten würden. Nein, aus demografischen Gründen wird es keine Hyper-Inflation geben. Dazu müssten wir Lohnsteigerungen wie in den 1970er-Jahren haben. Bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage ist eine Lohn-Preis-Spirale wenig wahrscheinlich. Auch einen anhaltenden Aufwärtstrend bei den Energiepreisen sehe ich nicht. Das aber waren die Ursachen für die globalen Inflationswellen vor 40, 50 Jahren. Was wir heute erleben, sind nur temporäre Preissteigerungen.

Mayer: Moment, ein Szenario wie in den Siebzigern ist gut vorstellbar. Zwar wird es keine „galoppierende Inflation“ geben, wohl aber eine trabende Inflation – mit Preiserhöhungen im mittleren einstelligen Bereich.

Bofinger: Einspruch. Fürs Protokoll: Nichts geht über drei Prozent hinaus.

Auch nicht durch „Corona-Effekte“ – weil die Menschen nach Ende des Lockdowns wieder mehr konsumieren und die Nachfrage sprunghaft steigt?
Bofinger: Das spielt keine große Rolle. Die Leute kaufen ja jetzt schon im Internet sehr viel. Zudem hat mancher den Job verloren oder ist in Kurzarbeit, das dämpft die Konsumlust. Die derzeit hohe Sparquote in Deutschland erklärt sich, weil begüterte Menschen ihre Ausgaben strecken. Im Grunde müsste man Konsumgutscheine für die Nicht-Reichen ausgeben.

Bei Dienstleistungen und Reisen wird es vermutlich doch einen Preisschub geben. Und alles kann man ohnehin nicht online kaufen.
Bofinger: Nehmen Sie die Touristik. Einem Plus bei Urlaubsreisen wird ein Minus bei Geschäftsreisen gegenüberstehen. Früher habe ich solche Streitgespräche vor Ort in Redaktionsbüros geführt, jetzt geht es auch über Zoom.

Mayer: Sie liegen falsch! Wenn der Lockdown vorbei ist, wollen die Menschen sich wieder etwas leisten. Die derzeit hohen Sparquoten sind nicht von Dauer. Irgendwann will das Geld raus. Den Leuten mit etwas mehr auf dem Konto brennt schon jetzt das Geld ein Loch in die Tasche. Die Banken nehmen ja zunehmend Gebühren und Negativzinsen. Derzeit geht das Geld vor allem in Vermögenswerte wie Immobilien, Aktien, Oldtimer oder Kunst.

Üblicherweise messen wir die Inflation mit der Veränderung des Verbraucherpreisindexes. Trends bei solchen Vermögenswerten gehen da nicht ein. Nutzen wir noch das richtige Maß?
Bofinger: Es ist absurd, den eigengenutzten Wohnraum in den Preisindex zu integrieren, wie einige Experten es fordern. Wer vor zehn Jahren in Berlin eine Immobilie gekauft hat, hat seitdem nichts für das Wohnen gezahlt, sondern einen riesigen Vermögenszuwachs erlebt. Auf der anderen Seite haben wir viele Güter und Dienstleistungen, die wir umsonst bekommen …

. . . für die wir im Internet nicht mit Geld zahlen, sondern mit Daten, die eine neue Form von Geld sind.
Bofinger: Aber das tut mir nicht weh. Vor 20 Jahren war eine Stunde Ferngespräche sündhaft teuer, da habe ich bei der Abrechnung immer Ärger mit der Verwaltung bekommen. Heute ist eine Stunde Bildtelefonie zunächst mal gratis. Früher kostete eine LP rund 20 Mark, heute zahlen wir für ein Spotify-Abonnement nahezu nichts.

Mayer: Klar, solche Entwicklungen bescheren uns eine geringere Teuerung. Das hat der technische Fortschritt im 19. Jahrhundert auch bewirkt. All diese Preisindizes wollen jedoch am Ende etwas objektivieren, was nicht zu objektivieren ist. Der typische durchschnittliche Konsument, den sich das Statistische Bundesamt mit guten Absichten konstruiert, gibt es nicht. Inflation wird subjektiv erlebt. Der Inflationsindikator ist nicht aussagekräftig – und die Wirtschaft nicht steuerbar wie eine Maschine. Wir kennen die Zusammenhänge nicht gut genug. Deshalb funktioniert auch der Trick der inszenierten finanziellen Repression nicht …

… dass also Schuldenstaaten versuchen, die Zahllast durch Inflationierung erträglich zu machen.
Mayer: Man versucht es, kriegt es aber nicht hin, weil man die Inflation nicht so genau steuern kann. Das zeigen uns die Zentralbanken seit Jahren.

Das klingt wie eine Generalabsage an die Politik.
Mayer: Nein. Man muss einfach schauen, dass Geld ein knappes Gut bleibt.

Bofinger: Über was reden wir hier eigentlich? Die Inflationsrate im Euro-Raum hat sich bisher unglaublich stabil entwickelt. In Zeiten der von vielen zurückersehnten D-Mark ging es dagegen fröhlich hoch und runter. Nicht geklappt hat der Versuch, die Geldmenge M3 im Euro-Raum zu steuern, was aber der Preisstabilität nicht geschadet hat. Dieses monetaristische Konzept, das schon bei der Bundesbank gescheitert war, ist eine Mitgift des einstigen EZB-Chefökonomen Otmar Issing gewesen.

Mayer: Eine Geldmengensteuerung wie damals kann nicht klappen, da im bestehenden System der Privatsektor definiert, was Geld ist. Gegenwärtig ist es eben so, dass der riesige Geldüberhang in die Vermögensmärkte rutscht. Nach den Erkenntnissen unseres Instituts steigen die Preise hier um mehr als sechs Prozent. Das ist eine ausgewachsene Vermögenspreisinflation, im Kern eine Immobilieninflation.

Bofinger: Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine Blase haben. Die Bundesbank veröffentlicht seit 2013 fortlaufend Analysen, die mit schöner Regelmäßigkeit feststellen: Die Preise für Immobilien sind um 15 bis 30 Prozent überhöht. Auch wenn die Preise etwas sinken sollten, wäre das kein Unglück. Immobilienbesitzer würden dann einen Teil ihrer Bewertungsgewinne wieder verlieren.

Wie kann man überhaupt von Inflation sprechen, wenn die Wohnungsbesitzer reicher werden?
Mayer: Steigt der Preis eines Gebrauchsguts, stört mich das, wenn ich es nicht habe. Wenn ich es aber besitze, profitiere ich davon. Fast 60 Prozent der Deutschen besitzen keine Wohnung und erleben nun, dass dieses Gut aufgrund der höheren Preise für sie unerschwinglich wird. Nur die anderen 40 Prozent werden reicher. Wir messen in unserem Institut auch die „Aktienpreisinflation“ mit einem Vermögenspreisindex. Es kann übrigens ungesund sein, wenn Aktien zu hoch steigen.

Keine Zentralbank der Welt verlässt sich mehr auf die Steuerung der Geldmenge. Auch die Strategie, bestimmte Inflationszahlen zu erreichen, ist weg. Man begnügt sich mit „forward guidance“, dem Managen von Inflationserwartungen. Brauchen wir ein neues geldpolitisches Leitbild?
Mayer: Wir hatten vor 50 Jahren den Textbuch-Keynesianismus unter dem Doppelminister Karl Schiller. Nach seinem Scheitern rutschte alles in den Sumpf der Stagflation. Dann kam die Gegenbewegung der Abstinenz, die von Milton Friedman geprägte Schule des Monetarismus. Und schließlich erreichte der US-Zentralbankchef Alan Greenspan mit Zinssenkungen und „inflation targeting“ einen geldpolitischen Systemwechsel. Mit der Finanzkrise 2008/09 war auch diese Magie verflogen. Jetzt gilt die „Modern Monetary Theory“: Zentralbanken finanzieren, trotz aller Dementi, die Defizite der Staatshaushalte. Und sie stehen unter fiskalischer Dominanz, sprich staatlicher Kontrolle.

Und da sehen Sie ein Problem für die Inflationsbekämpfung?
Mayer: Für die Anhänger der „Modern Monetary Theory“ ist alles ganz einfach. Bei steigender Inflation erhöht der Staat die Steuern, senkt die Ausgaben und macht Budgetüberschüsse, so das Konzept. Das Geld wird wieder eingesammelt. Ich möchte aber mal den Staat erleben, der in der Realität so handelt. Den Wählern ist das nicht zu vermitteln.

Bofinger: Anders als Sie halte ich die aktuelle Geldpolitik für gelungen. Da es lange dauert, bis sich die Wirkungen in der Politik manifestieren, ist es naheliegend, sich systematisch an den Inflationserwartungen zu orientieren. Wenn diese deutlich über das Inflationsziel hinausgehen, muss die Notenbank aktiv werden. Natürlich finanziert die EZB derzeit die Staaten zu 100 Prozent und mehr. Andernfalls hätten die Regierungen ihre Hilfsprogramme gar nicht durchfahren können. Deflation wäre die Folge gewesen. Die „Modern Monetary Theory“ verlangt vom Staat, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage symmetrisch an das Angebot anzupassen, zur Not auch zu drosseln. Das ist keine Theorie für Inflationisten. Jeder Politiker weiß ja, dass beim eigenen Nichthandeln die Notenbank die Zinsen erhöhen muss. Diese Drohung wirkt. Die unabhängigen Geldpolitiker sitzen am längeren Hebel.

Ist es wirklich denkbar, dass angesichts der enorm gewachsenen Staatsschulden die EZB die Zinsen erhöht? Man wird doch eher das Inflationsziel aufweichen.
Bofinger: Die EZB hat immer gesagt, dass sie mittelfristig ihr Ziel erreichen will. Kurzfristig kann das bedeuten, dass die Inflationsrate mal unter, mal über dem Zielwert liegen kann.

Mayer: Die Zentralbank ist nicht so unabhängig, wie Herr Bofinger tut. Sie ist vielmehr Teil des Staates. Der US-Notenbankchef Paul Volcker konnte das alte Geldsystem 1981 noch retten, indem er die Zinsen auf 20,5 Prozent setzte. Heute sind die Zentralbanken sehr nahe an die Regierungen gerückt. In den USA hat die Fed die eingeleitete Zinswende noch vor Corona aus politischen Rücksichten abgebrochen. Bei der EZB wirkt die Personalpolitik als Einfallstor. Frankreichs Präsident hat sehr geschickt die frühere französische Ministerin Christine Lagarde ganz oben platziert. Sie setzt die etatistische Position um. Und die Deutschen haben mit Isabel Schnabel eine Person ins Direktorium entsandt, die ganz auf Linie liegt.

Bofinger: Im Sachverständigenrat hat Frau Schnabel die kritische Position des Rates gegenüber der EZB mitgetragen. Sie hat mich mit meiner anderen Sicht der Dinge stets allein gelassen. Und glauben Sie im Ernst, die für acht Jahre gewählte Frau Lagarde will als Verantwortliche für zehn Prozent Inflation als „lahme Ente“ in die Geschichte eingehen?

Für wie stabil halten Sie das Geldsystem eigentlich?
Mayer: Wenn mir jemand im Januar 2020 erzählt hätte, dass die Wirtschaft um fünf Prozent sinkt und der Aktienmarkt dennoch deutlich steigt, hätte ich das für unmöglich gehalten. Ohne die Zentralbanken wäre es nicht so gekommen. Sie haben enorm viel Geld ins System gepumpt.

Bofinger: Nein, es war die Fiskalpolitik, die all die Kurzarbeit- und Nothilfen geleistet hat – und es war die Geldpolitik, die diese Transfers finanzierte. Die Schulden, die diese Krise macht, nimmt der Staat erst auf sein Konto und dann auf das Konto der Notenbank.

Mayer: Ohne die Notenbanker wären die Zinsen gestiegen und die Aktienmärkte weiter gefallen. Wir erleben eine monetär finanzierte Ausweitung der Staatsdefizite. Der Geldüberhang wird immer größer.

Kritiker warnen, damit würde die Inflation wahrscheinlicher. Eine nötige Zinserhöhung brächte dann einen Kollaps an den Börsen.
Bofinger: Es ist immer gut möglich, dass der Aktienmarkt crashen kann. Das ist volkswirtschaftlich nicht so wichtig. Das ist nur schlecht für alle, die Aktien haben. Lustig ist im Übrigen, dass vor einem Jahr die ganz großen Crash-Propheten sehr lautstark unterwegs waren. Und was geschah? Das Finanzsystem hat die gewaltige Corona-Belastung gut verkraftet.

Und nun ist das Thema „Inflationsangst“ wieder aufgetaucht. Hat das mit der deutschen Hyper-Inflation von 1923 und der Währungsreform 1948 zu tun?
Bofinger: In Deutschland hat die Angst vor Inflation vor allem damit zu tun, dass im europäischen Vergleich nur wenige Bürger eigene Immobilien haben – das Ergebnis verfehlter Vermögensbildung. Jetzt sitzen die Leute auf großen Geldsparposten, die nichts bringen. Da ist natürlich die Altersvorsorge in Gefahr. Man wird nervös. Aber die Leute gruseln sich gern. Sie zahlen auch für die Geisterbahn. Wenn wir in die deutsche Geschichte schauen, müssten wir wegen der Ereignisse vor 1933 eigentlich mehr Angst vor Deflation haben.

Mayer: Genau diese Furcht vor einer wirtschaftlichen Flaute ist in den USA immer ein Thema. Die Große Depression nach dem Wall-Street-Crash von 1929 hat sich ins Gedächtnis eingebrannt. Derzeit nehmen aber auch dort die Ängste vor Inflation zu. Man fürchtet: Womöglich ist das Konjunkturprogramm von Joe Biden ja doch zu groß – und die Notenbank nicht in der Lage, die lockere Geldpolitik zu beenden. Hierzulande sind die Inflationserzählungen ohne Frage ein nationales Trauma. Das wird von Generation zu Generation weitergetragen.

Für eine weitaus größere reale Inflationsgefahr in den USA spricht, dass die Kurse der amerikanischen Staatsanleihen zuletzt stark sanken.
Mayer: Ja, die haben mehr Benzin im Tank.
Bofinger: Der Inflationsdruck in den USA ist da. Schon die Regierung von Donald Trump hat die Leute mit Transfers geradezu zugeschüttet. Aber auch dort werden die Preise jetzt nicht um zehn Prozent steigen.

Vereinzelt wird in der Bevölkerung sogar befürchtet, das Geld könne auf einmal nichts mehr wert sein.
Bofinger: Die Leute diskutieren sogar über eine mögliche Währungsreform, vor der sie wirklich Angst haben.

Mayer: Die Kernfrage ist, wie man das Geldsystem wieder fest verankern kann. Ich bin allerdings skeptisch, ob die Zentralbanken den Kurswechsel gegen die trabende Inflation wirklich hinbekommen. Ob sie also ihre Laisser-aller-Politik beenden und wieder wirklich unabhängig werden. Es bräuchte einen neuen Paul Volcker. Aber den sehe ich nicht.

Bofinger: Wenn die EZB ihre Zinsen mal wieder erhöht, ist das noch keine „neue Verankerung“. Und wenn die Preise wirklich einmal um vier Prozent stiegen, würde die Zentralbank das nicht hinnehmen.

Herr Bofinger, Herr Mayer, vielen Dank für dieses Interview.