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„Wir können VW ja nicht verarmen“ – Dieselskandal ist für den Konzern noch längst nicht ausgestanden

Volkswagen zahlt jetzt auch in Deutschland eine Milliardenstrafe. Damit ist jedoch nur ein Bruchteil der Ermittlungen beendet. Ein Überblick.

Volkswagen zahlt wegen der Dieselaffäre nun auch in Deutschland eine Geldbuße von einer Milliarde Euro. Damit ahndet die Staatsanwaltschaft Braunschweig „Aufsichtspflichtverletzungen“ im Abgasskandal, wie am Mittwochabend bekannt wurde. „Das ist eine Menge Geld, und wir sind zufrieden damit“, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe am Donnerstag. Es sei das „höchste jemals gegen ein Unternehmen verhängtes Bußgeld in der Bundesrepublik“.

Formal handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit; die Buße setzt sich aus dem gesetzlichen Höchstbetrag von fünf Millionen Euro sowie einer Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile in Höhe von 995 Millionen Euro zusammen, wie Volkswagen am Mittwochabend mitteilte.

Dies spiegele den Betrag wider, den VW hätte aufwenden müssen, um ordnungsgemäße Autos auf den Markt zu bringen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Zudem habe man bei der Höhe berücksichtigt, dass noch eine Reihe von zivilrechtlichen Klagen laufen, bei denen ein weiterer Milliardenbetrag für den Konzern im Feuer steht. „Wir können ja VW nicht verarmen und die zivilrechtlichen Klagen dann ins Leere laufen lassen“, sagte Ziehe.

Der Autobauer verzichtet nach eigenen Angaben darauf, Rechtsmittel einzulegen „und bekennt sich damit zu seiner Verantwortung“. Das Geld muss innerhalb von sechs Wochen an das Land Niedersachsen gezahlt werden. Damit ist der Dieselskandal für den Autobauer allerdings noch längst nicht ausgestanden. Diese sieben Probleme bleiben den Wolfsburgern erhalten.

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1. In Braunschweig wird weiter ermittelt

Auch nach der Bußgeldentscheidung laufen die wesentlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft weiter, wie diese am Donnerstag bestätigte. Derzeit werden die Akten so aufbereitet, dass den Beschuldigten und ihren Verteidigern in einigen Wochen Akteneinsicht gewährt werden kann. Die Unterlagen werden gescannt, um die Akte zu digitalisieren. Dies soll im Sommer so weit sein.

Alle Beschuldigten sollen die Unterlagen zum gleichen Zeitpunkt erhalten, obwohl es um unterschiedliche Straftatbestände geht und jeweils andere Verdächtige im Fokus stehen. Kern der Anklage dürfte der Verdacht auf Betrug und strafbare Werbung mit Diesel-Pkw sein. Deren Motoren wurden mittels einer Software so manipuliert, dass sie zwischen Straße und Prüfstand unterscheiden konnten. Im Straßenbetrieb stießen die Selbstzünder viel mehr giftige Abgase aus als suggeriert.

Dieses Verfahren richtet sich gegen 39 Beschuldigte. Der prominenteste von ihnen ist Ex-VW-Chef Martin Winterkorn. Federführend in dieser Sache ist Staatsanwältin Elke Hoppenworth.

Ihre Kollegin Hildegard Wolff kümmert sich um die Frage, ob die VW-Oberen sich der Marktmanipulation schuldig gemacht haben. Haben Winterkorn, der damalige Finanzvorstand und heutige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sowie VW-Konzernchef Herbert Diess – damals nur Markenvorstand – die Aktionäre über den Skandal wissentlich im Dunkeln gelassen? Erst am 22. September 2015 verschickte der Konzern eine Ad-hoc-Mitteilung, der Aktienkurs war da bereits in die Tiefe gestürzt.

Unter Verteidigern war der Unmut zuletzt lauter geworden. „Unser Mandant weiß bis heute nicht, was ihm konkret vorgeworfen wird. Es ist unsäglich, den Beschuldigten bei so einer langen Verfahrensdauer jeglichen Zugang zu Informationen zu verweigern“, sagt ein mit dem Fall befasster Anwalt.

Die Staatsanwaltschaft dagegen will die Ermittlungen nicht gefährden. Ein Vorfall Anfang des Jahres 2017 sorgte bei den Ermittlern für Aufregung – und womöglich für zusätzliche Vorsicht. Damals fanden sie im Rahmen einer Durchsuchung beim Ex-CEO Winterkorn Auszüge von Zeugenaussagen eines VW-Managers.

Die Öffnung der Akten für die Beschuldigten bedeutet nicht, dass die Ermittlungen bald abgeschlossen sind. Zunächst haben die Verteidiger die Möglichkeit, innerhalb einiger Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Womöglich gibt es dann auch weitere Zeugenvernehmungen.

Im Betrugsverfahren wird es in diesem Jahr voraussichtlich nicht mehr zu einem Abschluss kommen, wie die Staatsanwälte auch am Donnerstag bestätigten. Der Fall der Marktmanipulation dagegen ist weniger komplex, hier sind die Ermittler schon weiter. „Wir sind noch nicht an der Ziellinie, aber wir biegen in das Stadion ein“, sagte der Sprecher der Behörde am Donnerstag.

2. Porsche-Manager im Visier

Seit knapp einem Jahr ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft auch bei der VW-Tochter Porsche. Es geht um den Verdacht des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Manipulation der Abgasnachbehandlung.

Richteten sich die Ermittlungen zunächst gegen unbekannte Mitarbeiter, gerieten später ein aktuelles Vorstandsmitglied, ein leitender Mitarbeiter und ein früherer Porsche-Beschäftigter ins Visier. Vor knapp zwei Monaten durchsuchten Ermittler die Konzernzentrale im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen sowie weitere Standorte und nahmen den leitenden Mitarbeiter wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft.

Im Sommer 2017 hatte Porsche zunächst rund 21.500 Geländewagen vom Typ Cayenne mit Drei-Liter-Motor wegen einer vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandeten illegalen Abschalteinrichtung zurückrufen müssen. Vor knapp einem Monat folgte ein Zwangsrückruf für weitere gut 6750 Cayenne mit 4,2-Liter-Motor sowie für gut 52.800 Exemplare des kleineren Geländewagen Macan mit Drei-Liter-Motor.

3. Audi-Chef Stadler unter Verdacht

Die Tochterfirma lieferte erst an diesem Montag einen weiteren Höhepunkt im Dieselskandal des VW-Konzerns. Die Münchner Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen Audi-Chef Rupert Stadler ein und durchsuchte seine Wohnung. Sie legt ihm und einem namentlich nicht genannten Audi-Vorstand „Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung“ zur Last. Die beiden hätten Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung in Europa in den Verkehr gebracht.

Die Zahl der Beschuldigten bei Audi ist damit laut Staatsanwaltschaft auf 20 gestiegen. Als einziger von ihnen sitzt ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand in Untersuchungshaft. Er war im September 2017 verhaftet worden. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft wieder freigekommen.

Bei Audi hat das KBA bisher für 216.000 Diesel-Autos quer durch die Modellpalette einen Rückruf angeordnet, zuletzt ging es Anfang Juni um rund 60.000 Exemplare der Oberklasse-Typen A6 und A7.

4. Auch gegen den VW-Großaktionär wird ermittelt

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart geht wie die in Braunschweig ebenfalls dem Verdacht nach, dass Aktionäre der Porsche SE zu spät über das Dieseldesaster informiert wurden. Auch hier stehen Hans Dieter Pötsch und Martin Winterkorn im Fokus. Ebenfalls beschuldigt wird der frühere Volkswagen-Chef Matthias Müller, der auch im Vorstand der Porsche SE saß. Die Porsche SE hält die Mehrheit am Volkswagen-Konzern.

Die Stuttgarter Ermittler behalten sich ausdrücklich auch das Einleiten von Bußgeldverfahren gegen alle bei ihr in Dieselermittlungen verwickelte Unternehmen vor. Neben der Porsche SE sind das Daimler, Porsche und Bosch.

5. Geschädigte Diesel-Fahrer verklagen den Konzern

Viele Tausend VW-Besitzer fühlen sich betrogen und haben ihre Händler sowie den Hersteller VW verklagt. Sie wollen den Kauf ihrer Autos rückgängig machen. Es gibt bereits zahlreiche Urteile von Landgerichten, teils im Sinne der Kläger, teils im Sinne von VW.

Erst in dieser Woche stärkte das Landgericht Augsburg die Rechte von Verbrauchern, die ein Dieselfahrzeug mit manipulierter Abgasvorrichtung aus dem VW-Konzern besitzen. Es erklärte als erstes deutsches Gericht einen Kaufvertrag zwischen dem Besitzer eines VW Passat und einem VW-Vertragshändler für nichtig.

Nach Angaben von Mai liegen bislang mehr als 2600 Urteile vor, davon endeten rund 70 Prozent mit einer Klageabweisung. Insgesamt sind dem Vernehmen nach etwa 17.000 Kundenklagen anhängig, zudem habe es zehn Entscheidungen von Oberlandesgerichten gegeben.

Entscheidend für die Anwälte ist die Frage, ob die von VW ausgestellte Bescheinigung zur Übereinstimmung mit der Typgenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamts korrekt ist. Die US-Kanzlei Hausfeld, die viele Autobesitzer vertritt, geht davon aus, dass dies nicht der Fall ist – denn der Einbau von Abschalteinrichtungen sei nicht gestattet. Allerdings: Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Schleswig entschieden, dass die Übereinstimmungsbescheinigungen wirksam seien.

6. Aktionäre fordern Schadenersatz

Der Abgasskandal hat viel Geld gekostet – nicht nur Volkswagen, sondern auch Investoren. Nachdem die US-Umweltbehörde EPA am 19. September 2015 über die Manipulationen berichtet hatte, war der Aktienkurs eingebrochen – zeitweise verloren die Vorzugspapiere fast die Hälfte ihres Werts. Daher verlangen Investoren wie die Sparkassentochter Deka, die als Musterklägerin auftritt, Schadenersatz. Der Vorwurf auch hier: VW habe die Märkte zu spät informiert.

Das Musterverfahren am Oberlandesgericht Braunschweig dreht sich früheren Angaben zufolge um Schadenersatzansprüche von 3,1 Milliarden Euro. Rund 1600 Klagen wurden bisher am Landgericht Braunschweig ausgesetzt. Insgesamt belaufen sich die Forderungen der 1650 eingereichten Klagen überwiegend institutioneller Anleger auf mehr als neun Milliarden Euro. Die erste Anhörung beginnt am 3. September.

7. Was mit dem VW-Bußgeld passieren soll

Die Strafzahlung des Konzerns geht zunächst an das Land Niedersachsen, das gleichzeitig Großaktionär des Konzerns ist. Der Landtagsabgeordnete Stefan Wenzel (Grüne) bezweifelt allerdings, dass das Geld in voller Höhe in die Landeskassen fließen wird. „Wenn es sich um eine zusätzliche Einnahme des Landes handelt, dürfte es in den Länder-Finanzausgleich fließen; rechnerisch würden dann möglicherweise zehn Prozent zurückbleiben.“

Die Verbraucherzentrale Bundesverband regte an diesem Donnerstag in diesem Zusammenhang einen Fonds für die Hardware-Nachrüstung von Dieseln an, die wegen der Abgasmanipulationen bald mit Fahrverboten belegt werden könnten. So könnten Verbraucher von solchen Hersteller-Geldern profitieren, betonte Verbandschef Klaus Müller.