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"Guttenberg 2.0": Wie die Euphorie über Pistorius in Verteidigungsministerium verschwunden ist

Boris Pistorius (SPD) ist seit Mitte Januar neuer Verteidigungsminister - Copyright: picture alliance/dpa | Heiko Becker
Boris Pistorius (SPD) ist seit Mitte Januar neuer Verteidigungsminister - Copyright: picture alliance/dpa | Heiko Becker

Es war Freitag, der 13. Januar 2023, als für viele Soldaten und Beamte abends eine geradezu erlösende Nachricht kam. Denn da sickerte durch, dass Christine Lambrecht (SPD), zuvor ein Jahr lang Verteidigungsministerin mit vielen Pleiten, Pech und Pannen, ihr Amt aufgeben will. Vor allem im Bendlerblock, dem Berliner Sitz des Verteidigungsministeriums, atmeten viele Bundeswehr-Angehörige auf. Keine Peinlichkeiten mehr, keine desinteressierte Ministerin mehr, keine liegenbleibenden Entscheidungen. Ab jetzt, so die Hoffnung, könnte es nur besser werden.

Als dann Kanzler Olaf Scholz den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (beide SPD) zum neuen Verteidigungsminister machte, schien sich die Hoffnung zu bestätigen. Der Niedersachse schlug schnell die richtigen Töne in der Truppe an: Offen, direkt, authentisch. Bei manchen wurden so Erinnerungen an den legendären Verteidigungsminister Peter Struck wach, der mit seiner seiner Art in der Truppe äußerst beliebt war.

Guttenberg-Vergleich macht die Runde

Fast 100 Tage später, heute, ist von der Anfangs-Euphorie jedoch nicht mehr viel zu spüren. Statt Struck macht ein anderer Vergleich die Runde: "Das ist Guttenberg 2.0", so ein Beamter knapp.

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Karl-Theodor zu Guttenberg war von 2009 bis 2011 Verteidigungsminister der CDU und zeigte anfangs ebenfalls vieles von dem, was Bundeswehr-Angehörige gern mögen: Wertschätzung für die Truppe, Authentizität, Engagement. Er setzte auf die Macht guter Bilder, zeigte sich oft umringt von Soldaten, inszenierte sich als einer von ihnen. Am Ende stolperte Guttenberg zwar über seine Plagiate in seiner Doktorarbeit. Doch letztlich scheiterte der Politiker auch am eigenen Haus. Denn mit PR allein konnte er auf Dauer keine Loyalität im Ministerium schaffen.

Guttenberg 2010 im Feldlager der Bundeswehr im afghanischen Kundus - Copyright: picture alliance / dpa | Maurizio Gambarini
Guttenberg 2010 im Feldlager der Bundeswehr im afghanischen Kundus - Copyright: picture alliance / dpa | Maurizio Gambarini
Der Minister präsentierte sich auf Fotos gern lässig, umringt von Soldaten - Copyright: picture alliance / dpa | Michael Kappeler
Der Minister präsentierte sich auf Fotos gern lässig, umringt von Soldaten - Copyright: picture alliance / dpa | Michael Kappeler

Guttenbergs Problem: Seine Bundeswehr-Reform , die unter anderem die Aussetzung der Wehrpflicht zur Folge hatte, blieb größtenteils Kosmetik. Die grundlegenden Planungs- und Organisationsprozesse im Ministerium änderte er nicht, stattdessen blieben die verkrusteten Bundeswehr-Strukturen – allem voran im Beschaffungswesen – erhalten. Das Haus behielt so sein Eigenleben, arbeitete gern mal auch gegen den Minister, was sich darin äußert, dass Internas an die Öffentlichkeit dringen. Der CDU-Politiker konnte so am Ende kaum wirkliche Erfolge als Minister in die Waagschale legen, als er wegen der Plagiatsaffäre unter Druck stand. Der Rücktritt war auch deshalb unvermeidlich.

Zurücktreten zu müssen, davon ist Pistorius freilich weit entfernt. Er führt seit Wochen die Rangliste der beliebtesten Politiker in Deutschland an. Doch Parallelen zum Fall Guttenberg sind erkennbar: Auch er setzt auf seine persönliche Wirkung, präsentiert sich auf einem Panzer oder früh morgens mitten in einem Wald zusammen mit seinen Soldaten.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht das Panzerbataillon 203 auf dem Übungsgelände der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf bei Bielefeld. - Copyright: picture alliance / Kirchner-Media | David Inderlied
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht das Panzerbataillon 203 auf dem Übungsgelände der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf bei Bielefeld. - Copyright: picture alliance / Kirchner-Media | David Inderlied
Pistorius beobachtet auf dem Truppenübungsplatz Paprade die Übung "Griffin Lightning" unter Beteiligung von Bundeswehrsoldaten des deutschen Jägerbataillons 413 Enhanced Vigilance Activities-Brigade. - Copyright: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Pistorius beobachtet auf dem Truppenübungsplatz Paprade die Übung "Griffin Lightning" unter Beteiligung von Bundeswehrsoldaten des deutschen Jägerbataillons 413 Enhanced Vigilance Activities-Brigade. - Copyright: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Von dieser Art Selbstdarstellung anfangs begeistert, sind inzwischen nicht wenige Soldaten und Beamte ernüchtert, wie Pistorius aktuell die Bundeswehr-Führung reformieren will. So schmeißt er derzeit einen Spitzenbeamten nach dem anderen raus, doch die Strukturen dahinter bleiben weitgehend unangetastet oder werden nur kosmetischer Art verändert.

"Die Stimmung im Laden kippt ganz schön", sagt jemand in der Führung. Vor wenigen Wochen gab es beispielsweise ein internes Treffen der Ministeriumsführung mit Pistorius, wo es um die künftige Organisation des Beschaffungswesens geht. Die Abläufe zu beschleunigen sind das Kernanliegen von Pistorius. Reformvorschläge gibt es seit Jahren zur Genüge: Eine Privatisierung des umstrittenen Beschaffungsamtes in Koblenz, deutlich mehr Eigenverantwortung der Beamten vor Ort (täglich kommen 100 bis 200 Vorlagen in der Ministeriumsspitze an), oder die Vielzahl an rechtliche Vorgaben bei Beschaffungen reduzieren.

Erstaunlich kritische Töne von Beamten

Doch im künftigen Erlass dazu, der zeitnah veröffentlicht werden soll, steht von all dem offenbar nichts drin, wie Business Insider erfuhr. Stattdessen sind wohl sehr schwammige Vorgaben enthalten: Ziele sollen klarer definiert werden, Beamte sollen weniger Papier produzieren, Beschaffungswege werden enger an Landesverteidigung ausgerichtet. "Das sind doch alles Selbstverständlichkeiten", klagt ein Kenner im Ministerium.

Verwunderung gibt es auch über die geplante Neuorganisation der Ministeriumsspitze. Erste Details hat Business Insider vor einigen Tagen exklusiv enthüllt. So will Pistorius den 2012 abgeschafften Planungsstab wiederbeleben und ihn sich direkt unterstellen. Die Aufgabe der etwa 30 Mitarbeiter großen Einheit: Beratung in strategischen militärpolitischen Fragen. Im Haus gab es nach der Berichterstattung viele offene Fragen: Warum braucht es einen neuen Stab an der Spitze? Warum soll dieser die Vorlagen aus dem Haus nochmals bewerten, wo doch Vorlagen für den Minister schon jetzt durch zehn bis 20 Hände gehen, die alle mitreden wollen? Warum soll nicht nur dieser Stab, sondern auch viele andere Spitzenstellen durch Soldaten besetzt werden und nicht mehr mit Zivilisten, wenigstens im Wechsel?

Ärger um Rauswurf des Generalinspekteurs

Fragen über Fragen, die intern wie extern vom Ministerium unkommentiert gelassen wurden. Pistorius will erst nach Ostern, am 20. April, seine Pläne den Mitarbeitern vorstellen. Der Verband der Beamten und Beschäftigten der Bundeswehr reagierte daraufhin nun schon am Mittwoch und verschickte eine Pressemitteilung, in der der Verband die Pläne ungewöhnlich scharf kritisierte. Dass die Beamten durch die Reform ihren Einfluss schwinden sehen, mag dabei ein Motiv sein. Doch viel entscheidender ist, dass der Verband völlig offen Details der Pistorius-Pläne weiterträgt und bewertet, bevor der Minister diese offiziell überhaupt verkündet hat. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der zeigt, wie schwierig die internen Arbeitsbeziehungen offenbar schon jetzt sind, nichtmal 100 Tagen nach Pistorius' Amtsübernahme.

Sollte der uralte Konflikt zwischen Zivilen und Soldaten um die Macht im Haus wieder aufflammen, dürfte ihn Pistorius kaum kontrollieren, geschweige denn gewinnen können. "Er unterschätzt das Haus und seine Fliehkräfte", so ein leitender Beamter. Denn dazu kommt, dass Pistorius die Art und Weise des Rauswurfs von Generalinspekteur Eberhard Zorn oder Beschaffungsamts-Chefin Gabriele Zorn angelastet wird. Beide erfuhren gewissermaßen aus den Medien von ihren geplanten Abgängen. Diese Art passt nicht zu jemanden, der in Interviews eine größere Wertschätzung für Feuerwehrleute, Polizisten und Soldaten einfordert.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Das Verteidigungsministerium ist schwierig zu führen. Schaut man in die Vergangenheit, gab es in diesem Haus so viele politische Heckenschützen und Grabenkämpfe, dass es auch nötig ist, mit voller Härte durchzugreifen. Zumindest dann, wenn man etwas nach seinen eigenen Vorstellungen durchsetzen will. Ob Struck oder Guttenberg – das entscheidet sich letztlich eben auch daran, wie sehr sich Pistorius mit dem Haus anlegt.