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Große Koalition steht nach EU-Vorstoß zu Whistleblowern unter Zugzwang

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag einen besseren Schutz von Informanten ausgespart. Jetzt prescht die EU vor und setzt die GroKo unter Druck.

Die Europäische Kommission will Informanten, die mit ihren Hinweisen Enthüllungen wie Lux Leaks oder Panama Papers an die Öffentlichkeit brachten, künftig EU-weit schützen.

„Whistleblower helfen dabei, Bedrohungen oder Schäden für das öffentliche Interesse aufzudecken“, heißt es im Entwurf des Gesetzesvorschlags, aus dem die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert. Viele Hinweisgeber würden „allerdings oft davon abgehalten, aus Angst vor Vergeltung ihre Bedenken zu äußern“.

Die Behörde will deshalb Informanten in der EU mehr Sicherheit vor Repressalien gewähren. Die Richtlinie, die am Mittwoch vorgestellt werden soll, sieht gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen in der EU vor, die Verstöße in ihrem Unternehmen oder ihrer Organisation offenlegen.

In Deutschland allerdings ist das Ausplaudern von Konzern-Interna nicht selbstverständlich. Denn sogenannte Whistleblower leben hierzulande mit dem Risiko, strafrechtlich verfolgt zu werden. Union und SPD hatten zwar im Koalitionsvertrag von 2013 zugesichert, die internationalen Vorgaben zum Whistleblower-Schutz zu überprüfen. Doch geschehen ist bislang nichts.

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Das Bundesjustizministerium will stattdessen, wie von der Wirtschaft seit längerem gefordert, den Schutz der Geschäftsgeheimnisse vorantreiben. Über einen entsprechenden "Entwurf für ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) berichte jüngst die "Süddeutsche Zeitung".

Kritiker befürchten dadurch aber Nachteile für Whistleblower. Zwar wolle das Ministerium den "Schutz von Whistleblowern und Journalisten verbessern", schreibt die Zeitung. So erlaube ein eigener Paragraf etwa die Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen zur "Aufdeckung einer rechtswidrige Handlung oder eines anderen Fehlverhaltens". Allerdings nur, wenn dahinter die Absicht steckt, dem allgemeinen öffentliche Interesse zu dienen.

Die EU-Kommission versucht nun, wie vom Europäischen Parlament gefordert, den Begriff „Hinweisgeber“ möglichst breit zu fassen. So sollen nicht nur Angestellte in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, sondern auch unbezahlte Praktikanten oder ehrenamtlich Tätige geschützt werden.

Der Vorschlag gilt zudem für Selbständige. Die EU-Staaten sollen sicherstellen, dass in Unternehmen „interne Kanäle und Verfahren für die Berichterstattung und Weiterverfolgung von Berichten“ eingerichtet werden, gegebenenfalls nach Anhörung der Sozialpartner.

Laut einer Studie der Kommission liegt der finanzielle Schaden aufgrund des fehlenden Schutzes von Hinweisgebern allein im öffentlichen Auftragswesen EU-weit zwischen 5,8 und 9,6 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Grünen im Bundestag begrüßten die Vorschläge der Kommission ausdrücklich. „Meine Fraktion hat bereits in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zum besseren Hinweisgeberschutz eingebracht, der von der Koalition leider abgelehnt wurde“, sagte die Grünen-Rechtsexpertin Katja Keul dem Handelsblatt. „Die EU-Vorschläge unterstreichen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung.“

Auch der Steuerzahlerbund sieht gesetzgeberischen Handlungsbedarf. „Um die Aufklärung von Missständen innerhalb staatlicher Organe oder öffentlicher Unternehmen zu erleichtern, müssen Hinweisgeber in Deutschland besser geschützt werden“, teilte der Verband auf Anfrage des Handelsblatts mit. „Wer kriminelle oder verwerfliche Handlungen aufdeckt, darf nicht härter bestraft werden als die Täter.“ In einem Whistleblower-Gesetz müsse geregelt werden, dass Hinweisgeber vor Strafverfolgung und dienstrechtlichen Konsequenzen geschützt werden.

Es gebe heute schon „zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung, die zur Aufdeckung von Steuergeldverschwendung quer durch die Bundesrepublik beitragen“, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel dem Handelsblatt. „Diese Bürger kümmern sich um das Gemeinwohl und stärken unser Rechts- und Wirtschaftssystem.“

Auch in den Bundesländern wird ein Regelungsbedarf gesehen. Angesichts der EU-Pläne warf der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) der Bundesregierung Untätigkeit vor. „Die Bundesregierung hinkt in der Rechtspolitik der EU-Kommission hinterher“, sagte Steffen dem Handelsblatt. Nach der Musterfeststellungsklage sei Brüssel auch beim Schutz von Whistleblowern schneller.

„Die Bundesregierung mauert hier nicht nur seit Jahren“, sagte Steffen weiter. Mit einem kürzlich bekannt gewordenen Referentenentwurf zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen „steuert sie sogar weiter weg vom dringend notwendigen Schutz für Whistleblower“. Deswegen sei die Initiative der Kommission als „Schritt in die richtige Richtung“ zu begrüßen.

Ähnlich äußerte sich der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). „Als rot-rot-grüne Landesregierung befürworten wir Stärkungen des Whistleblower-Schutzes auf allen Ebenen, denn nur so können Missstände aufgedeckt werden“, sagte Behrendt dem Handelsblatt. Der Grünen-Politiker verwies auf Regelungen in Berlin, die sich bewährt hätten. „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit unserem Vertrauensanwalt zur Korruptionsbekämpfung gemacht“, sagte Behrendt. „Bei einem vermuteten Fehlverhalten von Bediensteten in den Behörden des Landes sowie den Unternehmen und Einrichtungen, in denen das Land im Aufsichtsrat vertreten ist, kann dieser auch anonyme Hinweise entgegen nehmen.“

Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, sieht in dem Vorschlag der Kommission „einen Durchbruch für den Schutz von Whistleblowern in Europa“. Es bedürfe allerdings noch einiger Verbesserungen, um sicherzustellen, dass die Informanten im öffentlichen Interesse unter allen Umständen wirklich geschützt seien.

So seien etwa Verstöße gegen die Entsenderichtlinie offenbar nicht abgedeckt. Ein weiterer Kritikpunkt der Grünen: Der Vorschlag der Kommission umfasst nur Unternehmenssteuern. Informanten, die zum Beispiel über die Steuerflucht einzelner vermögender Personen berichten, bleiben von der Richtlinie unberührt.

Außerdem geht den Grünen der Anspruch auf rechtliche und psychologische Unterstützung für Whistleblower nicht weit genug. Sie fordern zusätzlich einen EU-Fonds, der Hinweisgeber bei finanziellen Einbußen entschädigt. Dieser könnte aus Einnahmen von Bußgeld in den Mitgliedstaaten finanziert werden.

Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments hatten sich bei einer Abstimmung im Herbst mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass die Kommission einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen soll. „Whistleblower spielen eine bedeutende Rolle in unserer Gesellschaft“, sagte die zuständige sozialdemokratische Berichterstatterin Virginie Rozière. „Viel zu oft riskieren sie ihren Arbeitsplatz, ihre Freiheit und manchmal sogar ihr Leben.“