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Gründung während Corona: Mit welchen Ideen Jung-Unternehmer erfolgreich sein wollen

Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden 300 Tech-Unternehmen in Deutschland gegründet – mehr als im Vorjahreszeitraum. Wir stellen fünf Start-ups vor.

Die Gründer von AliudQ wollen das Schlangestehen in Coronazeiten überflüssig machen. Foto: dpa
Die Gründer von AliudQ wollen das Schlangestehen in Coronazeiten überflüssig machen. Foto: dpa

Vor der Corona-Pandemie war es nur lästig, in der Schlange zu stehen. Mit dem neuen Coronavirus ist es sogar gefährlich geworden. Für die Freizeitparkfreunde Florian Strecker und Virginia Howington war es der ideale Zeitpunkt, um aus ihrer Idee endlich ein Unternehmen zu machen: AliudQ will mit der virtuellen Warteschlange das Anstehen an Achterbahnen und anderen Attraktionen überflüssig machen – und nicht nur dort, sondern gleich überall, wo man warten muss.

AliudQ ist eines von etwa 300 Unternehmen, die zwischen Mitte März und Ende Mai den Gründungsvertrag ihrer Firma in Deutschland geschlossen haben – also just zu jenem Zeitpunkt, als die Unsicherheit mit Blick auf die möglichen konjunkturellen Folgen der Krise am größten war.

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Das Handelsblatt hat die vollständige Liste der Neugründungen, die auf Eintragungen im Handelsregister basiert, gemeinsam mit dem Informationsdienst Startupdetector analysiert. Demnach wurden in den rund zweieinhalb Monaten hierzulande mehr Technologie-Start-ups gegründet als im gleichen Vorjahreszeitraum, vor allem in den Bereichen E-Commerce sowie Medizin und Bildung, obwohl die Zahl der Gründungen insgesamt zurückging.

Aus Krisenzeiten gehen besonders oft erfolgreiche Digital-Unternehmen hervor. Das zeigt nicht zuletzt die Erfahrung in der Finanzkrise 2008/09. Zu der Zeit starteten unter anderem WhatsApp, Uber, Airbnb, Pinterest und Slack. Obwohl Investoren damals risikoscheu wurden und potenzielle Kunden ihre Budgets zusammenstreichen mussten, konnten sich die noch jungen Firmen durchsetzen – oder gerade deshalb. Und die Ausgangssituation in der Coronakrise ist nun wieder vergleichbar.

Wenn sich jemand mit Krisengründungen auskennt, dann Jeff Lawson. Mit Anfang 20 war er der erste Technologievorstand des Ticket-Marktplatzes Stubhub, der im Jahr 2000 in San Francisco zur Dotcom-Krise gegründet worden war und später an Ebay verkauft wurde. Ebay wiederum verkaufte Stubhub im vergangenen Jahr für mehr als vier Milliarden Dollar an Viagogo.

Mehr Onlinehandel, Medizin und Bildung

Heute ist Lawson der Chef von Twilio, einem Unternehmen, das 2008, im Jahr des Ausbruchs der Finanzkrise, gegründet wurde. Mithilfe des Technologie-Dienstleisters aus San Francisco können Unternehmen ihre Kunden automatisiert anrufen und anschreiben.

Was Lawson rät, klingt einfach, fast banal. Ist aber wahrscheinlich die größte Herausforderung für jeden Gründer. „Man muss sich überlegen, welches Problem so hartnäckig ist, dass es in jeder wirtschaftlichen Lage gelöst werden muss“, sagt er. Dass sein Unternehmen das leisten kann, zeigte sich in der Coronakrise erneut. Dank zahlreicher Logistik-, Telemedizin- und Fernunterrichts-Plattformen, die seine Kunden betreiben, hat sich Twilios Aktienkurs seit dem Virus-Ausbruch mehr als verdoppelt.

Florian Strecker von AliudQ glaubt, dass er mit seinen virtuellen Warteschlangen eine Lösung für so ein Problem gefunden hat. „Wir sind uns bewusst, dass in naher Zukunft Lösungen für Betreiber wichtig werden, die Hygienemaßnahmen und Social Distancing unterstützen und möglich machen“, schreiben die Gründer auf der nagelneuen Webseite ihrer Firma, die ihren Sitz im oberbayerischen Hepberg hat.

Ein Beispiel: Statt sich physisch anzustellen, könne ein Besucher im Freizeitpark künftig per App sagen, dass er sich als Nächstes an der Wildwasserbahn anstellen wolle, erklärt Strecker. Das Programm informiere ihn dann darüber, wie viel Zeit ihm bleibe, um sich einen Kaffee zu kaufen.

„Für die Betreiber stellen solche Lösungen ein funktionierendes Crowdmanagement und die Einhaltung bestehender Vorgaben sicher“, sagt Strecker. „Gleichzeitig entstehen zusätzliche Umsatzpotenziale, weil Besucher mehr Zeit haben, Shops und Gastronomie zu nutzen.“ Anwendungsmöglichkeiten sieht er auch bei der Vergabe frei werdender Tische in Restaurants und bei Arztterminen.

Wie sehr sich die Coronakrise bereits in den ersten Wochen auf die Gründungen in Deutschland auswirkt, zeigen auch die Daten von Startupdetector. Über alle Branchen hinweg brach die Zahl der Neueintragungen ins Handelsregister von 7931 im März auf 6252 im Mai ein.

Die Startupdetector-Gründer erheben und analysieren aber vor allem Neugründungen mit innovativen, skalierbaren, meist digitalen Produkten und Dienstleistungen.

Auffällig ist, dass sich die Zahl der Gründungen im Bereich Onlinehandel und Lebensmittel zwischen Mitte März und Ende Mai verdoppelte, und zwar von 14 auf 31 beziehungsweise von zwölf auf 26. Erheblich zugenommen hat auch die Zahl der Neugründungen im Medizinbereich, nämlich von 32 auf 46, sowie im Bildungssektor, wo es 13 statt acht Gründungen gab.

Eines dieser neuen Bildungs-Start-ups hat die Münchnerin Marie-Luisa Puttich ins Leben gerufen. Dabei bedeutete die Krise zunächst das vorläufige Ende ihrer Geschäftsidee: Mitte des vergangenen Jahres hatte die ehemalige Leiterin einer privaten Kindertagesstätte die Hooray Box gestartet – eine Art Rundum-sorglos-Paket für die Mottoparty zum Kindergeburtstag.

Als die Kinder Mitte März plötzlich zu Hause bleiben mussten, kam Puttich die Idee der Kita to go. Dabei handelt es sich um eine Plattform für Eltern von Drei- bis Sechsjährigen, die ihre Kinder während des Lockdowns im Homeoffice beschäftigen mussten. Von Puttich konnten sie jede Woche ein Bastel-, Spiel- und Lernprogramm zu einem neuen Thema bekommen. Nach einer Woche hatte sie 5000 Nutzer, heute sind es laut Puttich 50.000 – obwohl die Kindertagesstätten wieder geöffnet sind. Neben einem kostenlosen Digitalangebot verkauft sie digitale und gedruckte Themenhefte.

Die hohe Nachfrage, ein schnelles Umsatzwachstum auch über andere Plattformen und größere Kooperationsanfragen hätten sie schnell zum Gründungsentschluss geführt, sagt die Erziehungswissenschaftlerin. „Viele fragen bereits nach einem Abomodell“, sagt Puttich. Das stimme sie zuversichtlich, dass aus dem „Krisenprodukt ein Alltagsprodukt“ werden könne.

Während die Erziehungswissenschaftlerin die Sofortlösung für ein Krisenproblem bereitstellen konnte, hat sich Julian Haug – motiviert durch die Corona-Erfahrung – ein langfristiges Ziel gesteckt: Mit seiner Neugründung United4Information will er Wissenschaftler und Open-Source-Initiativen zusammenbringen, die Studien zu Falschinformationen durchführen und ein datengetriebenes Warnsystem darauf aufbauen können.

„Falschinformationen verbreiten sich über andere Wege im Netz als richtige Nachrichten“, erklärt der Absolvent der privaten Wirtschaftshochschule WHU. Haug hat bereits in Los Angeles eine Firma mitgegründet, die mit gezielten Kampagnen dem Populismus im US-Wahlkampf etwas entgegensetzen will und dazu Nichtregierungsorganisationen mit Technologieunternehmen und Social-Media-Influencern verknüpft.

In der Coronakrise kehrte er zurück nach Berlin. „Als klar wurde, dass ein Kernproblem im Kampf geben Corona die ausbrechende ,Infodemie‘ sein würde, wollte ich unsere Erfahrung nicht länger nur projektbasiert nutzen, sondern skalierbar für alle zur Verfügung stellen“, sagt Haug.

Seine Vision: Menschen mit einer großen Reichweite im Netz und klassische Medien könnten die Warnhinweise seiner Plattform abonnieren und kursierenden Fehlinformationen schnell Fakten entgegensetzen, die wiederum von ihren Lesern weiterverbreitet werden.

Deutschland gegen den Trend

Insgesamt haben die Startupdetector-Betreiber Felix Engelmann und Arnas Bräutigam knapp 290 Firmen aus dem Handelsregister ausgelesen, die ihren Gründungsvertrag in den ersten Coronawochen 2020 geschlossen haben. Das sind sogar etwas mehr als die 270 Neugründen im Vorjahreszeitraum. Negativtrends gibt es laut Startupdetector lediglich in einzelnen Segmenten.

Der stärkste ist den Daten zufolge im Personalsektor zu beobachten. Hier wurden 2020 nur drei Firmen gegründet, 2019 waren es noch 13. Im Industriesektor, für den entscheidende Digitalisierungstrends in den kommenden Jahren erwartet werden, ging die Zahl der Gründungen leicht von 16 auf 14 zurück.

Jeff Lawson von Twilio ist sich sicher, dass der nachhaltige Erfolg der Finanzkrisengründer auch eng mit dem Schritt in das Smartphone-Zeitalter verknüpft ist. Schließlich wären WhatsApp, Slack oder Uber ohne mobile Computer in jeder Hosentasche wenig sinnvoll. „Mit der mobilen Revolution hatten wir nicht gerechnet. Das war Glück“, sagt Lawson. Ist die Hoffnung auf eine neue Generation erfolgreicher Start-ups damit überzogen?

Nicht unbedingt. Denn die Basis für viele neue Geschäftsmodelle sind Daten. Und die wurden in Lockdownzeiten in einem Umfang wie nie zuvor generiert, als nahezu das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben ins Netz verlegt wurde. Auf diesen neuen Datenschätzen könnten in den kommenden Monaten und Jahren neue Geschäftsmodelle aufgebaut werden. Zudem hat die Krise die Internetnutzung vieler Menschen schon jetzt verändert, hin zu noch mehr Streaming, Videotelefonie und virtuellen Verabredungen.

Für Malte Granderath war der Stillstand des öffentlichen Lebens der Anlass, Streamparty zu gründen. Mit seiner Technologie können Nutzer von Netflix, Disney+, Youtube und Prime Video über Entfernungen hinweg zusammen Videos schauen und sich darüber austauschen – ein Mittel, das der Software-Ingenieur schon vor zwei Jahren nutzte, um trotz Fernbeziehung gemeinsam mit seiner Freundin Filmabende verbringen zu können.

„Wir haben immer gerne Filme und Serien zusammen geschaut, aber es gab keine gute, datenschutzkonforme Lösung für mehrere verschiedene Streaming-Services“, sagt Granderath. Als „Hobbyprojekt“ habe er dann auch anderen Streamparty zur Verfügung gestellt.

„Vor der Krise waren es um die 800 Nutzer“, sagt der Gründer – hauptsächlich Menschen in Fernbeziehungen. „Erst durch Corona sind wir viel gewachsen. Wir haben bemerkt, dass es auch viele Leute gibt, die mit Freunden gucken oder sich online mit fremden Leuten verabreden.“ 20.000 Nutzer seien inzwischen bei Streamparty angemeldet, 10.000 von ihnen nutzten den Dienst jeden Monat. Die junge Firma aus dem nordrhein-westfälischen Willich erreicht nach eigenen Angaben bereits Menschen in mehr als 30 verschiedenen Ländern.

Wer mehr als fünf Stunden im Monat über die Entfernung hinweg mit anderen Filme schauen will oder parallel einen Videochat führen möchte, zahlt bei Streamparty drei bis vier Euro Abogebühr. Nun will Granderath Kapital einsammeln: „Bis jetzt sind wir aus Eigenkapital finanziert, allerdings sehen wir sehr großes Potenzial im Social-Viewing-Markt“, sagt er. Neben Privatleuten nutzten bereits mehrere Firmen das Angebot, „von sozialen Einrichtungen bis zu kleineren Kinos“, so Granderath.

Bereits Geldgeber gefunden haben die Entwickler von tl:dv, einer Funktionserweiterung für Videokonferenzen. Die Abkürzung steht für „too long; didn‘t view“, auf Deutsch: zu lang, habe ich nicht gesehen. „tl;dv kann zu jedem virtuellen Meeting von jedem Meeting-Provider mit einem Klick hinzugefügt werden, um das Meeting aufzuzeichnen“, erklärt Mitgründer und CEO Raphael Allstadt.

Coronakrise beschleunigt Gründung

Die Teilnehmer könnten damit während des Meetings bestimmte Sequenzen markieren und mit den Namen abwesender Kollegen verknüpfen. „So entsteht ein Video mit interaktiven Kapitel-Marken, welche die individuell relevanten Momente für Kollegen oder andere Teams zeiteffizient und asynchron zugänglich machen“, sagt Allstadt. Eine Integration in Kommunikations-Apps wie Slack, Trello oder Discord sei bereits möglich.

Noch im Januar hatten die Gründer aus Aachen die vage Idee, mit ihrem Konzept Teams zu unterstützen, die in unterschiedlichen Zeitzonen digital zusammenarbeiten. „Diese Teams arbeiten schon recht lange sehr viel mit Meeting Recordings, finden das jedoch sehr zeitaufwendig“, sagt Allstadt. „Durch Corona hat sich die Nachfrage nach unserem Produkt recht schnell erhöht, und plötzlich ist die halbe Welt ein potenzieller Kunde geworden.“

So kam es zum Schnellstart für die Gründer: „Wir konnten mitten in der Krise mit Seedcamp einen renommierten europäischen Frühphasen-Investor und zwei andere Frühphasen-Fonds von unserer Idee überzeugen und haben daraufhin gegründet“, sagt Allstadt. Zudem wurden die tl:dv-Entwickler ins Exist-Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums aufgenommen.

Seit März können Pilotkunden eine Betaversion testen. Das Kalkül der Investoren ist klar: Das Versprechen, mit tl:dv wertvolle Arbeitszeit einsparen zu können, dürfte vor allem in der Coronakrise, aber auch darüber hinaus bei vielen anderen Firmen Interesse wecken.